Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.III. ableitung. schlußbemerkungen. deutscher sprache nicht mehr durchschauen läßt *). Istdas a, die mitte haltend zwischen i und u, überhaupt ein neutraler, zur bestimmung des besondern ungeschick- ter laut? Drückt es auch in consonantischer ableitung ein allgemeineres, ruhigeres verhältnis aus, als die mit consonanten verbundnen i oder u? Wird es darum in consonantischer ableitung leichter entbehrlich, als i und u, die sich später verlieren, denen in den meisten fällen noch ein umlaut gleichsam nachscheint? Die älteste deutsche mundart, die gothische, stößt kein ableitendes i und u aus, aber sehr viele a. Es gibt sogar fälle, in denen alle deutschen sprachen, selbst die ahd., den ablei- tungsvocal, d. h. das a, unterdrücken, nämlich a) bei den ableitungen f-t, s-t, h-t, s-k; haftete er hier, so würde lautverschiebung erfolgt, für t ein th eingetreten sein, vgl. ahd. lioht, lieht mit goth. liuhath (s. 237,); aber die vollen formen gasaths, magaths, fisahs statt gasts, mahts, fisks wären unerhört **). b) da, wo zugleich die spi- rans der wurzel verloren geht, am häufigsten also vor ableitendem m und th: bloma, moths statt des volleren blohama, mohaths; sela statt sevala ***). Diese beiden allgemeineren ausnahmen abgerechnet *) ich habe zu Vuks serb. gr. in der vorr. XXXIV-XXXIX. aufgestellt, daß die slav. jer und jerr aus (vermuthlich ableitenden) vocalen i und u entspringen und daß beide die wurzel auf eine weise afficieren, die sich dem deutschen umlaut durch i und u vergleichen läßt. Folglich auch die sl. sprache weiß von keinem auslautenden (ableitenden) vocal a. **) ist hiernach feheta f. sehta (s. 205.) verwerflich? steht es = feheda? vgl. nhd. fehde (das vielmehr ahd. vehida, odium, scheint). ***) zuweilen wird mit dem a (nie mit dem i, u) der ablei-
tung auch das wurzelhafte n weggerißen, meist der wurzelvocal dadurch afficiert, vgl. s. 263. gas f. ganas. III. ableitung. ſchlußbemerkungen. deutſcher ſprache nicht mehr durchſchauen läßt *). Iſtdas a, die mitte haltend zwiſchen i und u, überhaupt ein neutraler, zur beſtimmung des beſondern ungeſchick- ter laut? Drückt es auch in conſonantiſcher ableitung ein allgemeineres, ruhigeres verhältnis aus, als die mit conſonanten verbundnen i oder u? Wird es darum in conſonantiſcher ableitung leichter entbehrlich, als i und u, die ſich ſpäter verlieren, denen in den meiſten fällen noch ein umlaut gleichſam nachſcheint? Die älteſte deutſche mundart, die gothiſche, ſtößt kein ableitendes i und u aus, aber ſehr viele a. Es gibt ſogar fälle, in denen alle deutſchen ſprachen, ſelbſt die ahd., den ablei- tungsvocal, d. h. das a, unterdrücken, nämlich α) bei den ableitungen f-t, ſ-t, h-t, ſ-k; haftete er hier, ſo würde lautverſchiebung erfolgt, für t ein þ eingetreten ſein, vgl. ahd. lioht, lieht mit goth. liuhaþ (ſ. 237,); aber die vollen formen gaſaþs, magaþs, fiſahs ſtatt gaſts, mahts, fiſks wären unerhört **). β) da, wo zugleich die ſpi- rans der wurzel verloren geht, am häufigſten alſo vor ableitendem m und þ: blôma, môþs ſtatt des volleren blôhama, môhaþs; ſêla ſtatt ſêvala ***). Dieſe beiden allgemeineren ausnahmen abgerechnet *) ich habe zu Vuks ſerb. gr. in der vorr. XXXIV-XXXIX. aufgeſtellt, daß die ſlav. jer und jerr aus (vermuthlich ableitenden) vocalen i und u entſpringen und daß beide die wurzel auf eine weiſe afficieren, die ſich dem deutſchen umlaut durch i und u vergleichen läßt. Folglich auch die ſl. ſprache weiß von keinem auslautenden (ableitenden) vocal a. **) iſt hiernach fëheta f. ſëhta (ſ. 205.) verwerflich? ſteht es = fëheda? vgl. nhd. fehde (das vielmehr ahd. vêhida, odium, ſcheint). ***) zuweilen wird mit dem a (nie mit dem i, u) der ablei-
tung auch das wurzelhafte n weggerißen, meiſt der wurzelvocal dadurch afficiert, vgl. ſ. 263. gâs f. ganas. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0406" n="388"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">ableitung. ſchlußbemerkungen.</hi></hi></fw><lb/> deutſcher ſprache nicht mehr durchſchauen läßt <note place="foot" n="*)">ich habe zu Vuks ſerb. gr. in der vorr. XXXIV-XXXIX.<lb/> aufgeſtellt, daß die ſlav. jer und jerr aus (vermuthlich ableitenden)<lb/> vocalen <hi rendition="#i">i</hi> und <hi rendition="#i">u</hi> entſpringen und daß beide die wurzel auf eine<lb/> weiſe afficieren, die ſich dem deutſchen umlaut durch i und u<lb/> vergleichen läßt. Folglich auch die ſl. ſprache weiß von keinem<lb/> auslautenden (ableitenden) vocal <hi rendition="#i">a</hi>.</note>. Iſt<lb/> das <hi rendition="#i">a</hi>, die mitte haltend zwiſchen i und u, überhaupt<lb/> ein neutraler, zur beſtimmung des beſondern ungeſchick-<lb/> ter laut? Drückt es auch in conſonantiſcher ableitung<lb/> ein allgemeineres, ruhigeres verhältnis aus, als die mit<lb/> conſonanten verbundnen i oder u? Wird es darum in<lb/> conſonantiſcher ableitung leichter entbehrlich, als i und<lb/> u, die ſich ſpäter verlieren, denen in den meiſten fällen<lb/> noch ein umlaut gleichſam nachſcheint? Die älteſte<lb/> deutſche mundart, die gothiſche, ſtößt kein ableitendes<lb/> i und u aus, aber ſehr viele a. Es gibt ſogar fälle, in<lb/> denen alle deutſchen ſprachen, ſelbſt die ahd., den ablei-<lb/> tungsvocal, d. h. das a, unterdrücken, nämlich <hi rendition="#i">α</hi>) bei<lb/> den ableitungen f-t, ſ-t, h-t, ſ-k; haftete er hier, ſo<lb/> würde lautverſchiebung erfolgt, für t ein þ eingetreten<lb/> ſein, vgl. ahd. lioht, lieht mit goth. liuhaþ (ſ. 237,); aber<lb/> die vollen formen gaſaþs, magaþs, fiſahs ſtatt gaſts, mahts,<lb/> fiſks wären unerhört <note place="foot" n="**)">iſt hiernach fëheta f. ſëhta (ſ. 205.) verwerflich? ſteht es<lb/> = fëheda? vgl. nhd. fehde (das vielmehr ahd. vêhida, odium,<lb/> ſcheint).</note>. <hi rendition="#i">β</hi>) da, wo zugleich die ſpi-<lb/> rans der wurzel verloren geht, am häufigſten alſo vor<lb/> ableitendem m und þ: blôma, môþs ſtatt des volleren<lb/> blôhama, môhaþs; ſêla ſtatt ſêvala <note place="foot" n="***)">zuweilen wird mit dem a (nie mit dem i, u) der ablei-<lb/> tung auch das wurzelhafte n weggerißen, meiſt der wurzelvocal<lb/> dadurch afficiert, vgl. ſ. 263. gâs f. ganas.</note>.</p><lb/> <p>Dieſe beiden allgemeineren ausnahmen abgerechnet<lb/> bringe ich den wegfall des a zwiſchen zwei conſonanten<lb/> (einem der wurzel, dem andern der ableitung) unter fol-<lb/> genden geſichtspunct. Es ſcheint grundgeſetz unſerer<lb/> ſprache, nur ſolche als wahre wurzeln anzuerkennen, die<lb/> auf den vocal einfache conſonanz haben (ſ. 6. erſte wur-<lb/> zelclaſſe). Von zwein conſonanten auf den wurzelvocal<lb/> iſt der hintere ableitend und zwar entw. muta auf liq.,<lb/> dann kann die muta noch mitablauten und es entſpringt<lb/> ein analogon von wurzel (ſ. 8. zweite wurzelclaſſe); oder<lb/> liq. auf liq. und muta, muta auf muta, dann iſt kein ab-<lb/> laut möglich und die ableitung liegt am tage. Der erſte<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [388/0406]
III. ableitung. ſchlußbemerkungen.
deutſcher ſprache nicht mehr durchſchauen läßt *). Iſt
das a, die mitte haltend zwiſchen i und u, überhaupt
ein neutraler, zur beſtimmung des beſondern ungeſchick-
ter laut? Drückt es auch in conſonantiſcher ableitung
ein allgemeineres, ruhigeres verhältnis aus, als die mit
conſonanten verbundnen i oder u? Wird es darum in
conſonantiſcher ableitung leichter entbehrlich, als i und
u, die ſich ſpäter verlieren, denen in den meiſten fällen
noch ein umlaut gleichſam nachſcheint? Die älteſte
deutſche mundart, die gothiſche, ſtößt kein ableitendes
i und u aus, aber ſehr viele a. Es gibt ſogar fälle, in
denen alle deutſchen ſprachen, ſelbſt die ahd., den ablei-
tungsvocal, d. h. das a, unterdrücken, nämlich α) bei
den ableitungen f-t, ſ-t, h-t, ſ-k; haftete er hier, ſo
würde lautverſchiebung erfolgt, für t ein þ eingetreten
ſein, vgl. ahd. lioht, lieht mit goth. liuhaþ (ſ. 237,); aber
die vollen formen gaſaþs, magaþs, fiſahs ſtatt gaſts, mahts,
fiſks wären unerhört **). β) da, wo zugleich die ſpi-
rans der wurzel verloren geht, am häufigſten alſo vor
ableitendem m und þ: blôma, môþs ſtatt des volleren
blôhama, môhaþs; ſêla ſtatt ſêvala ***).
Dieſe beiden allgemeineren ausnahmen abgerechnet
bringe ich den wegfall des a zwiſchen zwei conſonanten
(einem der wurzel, dem andern der ableitung) unter fol-
genden geſichtspunct. Es ſcheint grundgeſetz unſerer
ſprache, nur ſolche als wahre wurzeln anzuerkennen, die
auf den vocal einfache conſonanz haben (ſ. 6. erſte wur-
zelclaſſe). Von zwein conſonanten auf den wurzelvocal
iſt der hintere ableitend und zwar entw. muta auf liq.,
dann kann die muta noch mitablauten und es entſpringt
ein analogon von wurzel (ſ. 8. zweite wurzelclaſſe); oder
liq. auf liq. und muta, muta auf muta, dann iſt kein ab-
laut möglich und die ableitung liegt am tage. Der erſte
*) ich habe zu Vuks ſerb. gr. in der vorr. XXXIV-XXXIX.
aufgeſtellt, daß die ſlav. jer und jerr aus (vermuthlich ableitenden)
vocalen i und u entſpringen und daß beide die wurzel auf eine
weiſe afficieren, die ſich dem deutſchen umlaut durch i und u
vergleichen läßt. Folglich auch die ſl. ſprache weiß von keinem
auslautenden (ableitenden) vocal a.
**) iſt hiernach fëheta f. ſëhta (ſ. 205.) verwerflich? ſteht es
= fëheda? vgl. nhd. fehde (das vielmehr ahd. vêhida, odium,
ſcheint).
***) zuweilen wird mit dem a (nie mit dem i, u) der ablei-
tung auch das wurzelhafte n weggerißen, meiſt der wurzelvocal
dadurch afficiert, vgl. ſ. 263. gâs f. ganas.
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