Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. consonantische ableitungen. HT.
cans (pittaril-oht?), unerachtet wir mit dem formell
gleichen süßlich den begriff von subdulcis, nicht von dul-
cis verknüpfen. -- d) die volkssprache pflegt ihrem -icht,
-echt, -ocht, -acht noch die weitere ableitung -ig bei-
zugeben, folglich zu sagen: bins-acht-ig (juncosus) dorn-
acht-ig (spinosus) gras-acht-ig (herbosus) kahn-echt-ig
(mucidus) rind-echt-ig (crustosus) etc. Eine menge bei-
spiele schweizerischer -ocht-ig hat Stald. dial. 221-223.
Ich weiß weder ein ahd. -oht-eic (-oht-ac?), noch ein
mhd. -eht-ec, noch ein nhd. -icht-ig.

Auch die ags. mundart kennt kein -iht-ig, die altn.
kein -ott-ugr, neben -iht, -ottr. Im engl. haben sich alle
-iht in -y (= ig) verwandelt: hook-y (aduncus) ston-y
(petrosus) thorn-y (spinosus) und an ein thorn-ight-y
ston-ight-y ist nicht zu denken. Aber im nnl. treten
haufenweise adj. bildungen mit -acht-ig (dorn-achtig,
weit-achtig, bitter-achtig, hout-achtig etc.) im schwed. mit
-akt-ig (gra-aktig, glas-aktig etc.) im dän. mit -agt-ig
(nöj-agtig, tyv-agtig etc.) hervor. Bloßes -acht, -akt,
-agt hat keine dieser sprachen. Was ist davon zu halten?

Vorerst entsprechen die schwed. -aktig, dän. -agtig
nicht den altn. -ottr, aus welchen schwed. -ot, -at, dän.
-et geworden ist, vgl. schwed. fläck-ot (fleck-ottr); schwed.
frekn-ot, dän. fregn-et (frekn-ottr); dän. mank-et (mön-
ottr); dän. spragl-et (sprekl-ottr); nopp-et (floccosus);
brog-et (discolor) schwed. brok-ot; dän. haard-nack-et
(schwed. hard-nack-at) etc. Wohl aber vergleichen sich
jene -aktig, agtig den nnl. -achtig und den -echtig, och-
tig, deutscher volksmundarten. Sie scheinen daher aus
der fremde eingeführt. Vgl. schwed. gras-aktig, dän.
gräs-agtig, nnl. gras-achtig, schweiz. gras-ochtig; schwed.
gron-aktig, dän. groen-agtig, nnl. groen-achtig, schweiz.
grün-ochtig; schwed. barn-aktig, dän. barn-agtig, nnl.
kinder-achtig, schweiz. kind-ochtig und viele ähnliche,
denen theilweise nhd. -icht oder -lich f. l-icht zur seite
stehen, oft aber nicht, z. b. kein nhd. kind-icht oder kin-
der-icht (wofür kind-isch). Was dann die nnl. -achtig
insbesondere betrifft, so mögen wenigstens einzelne der-
selben wahre composita sein und dem nhd. -haftig ent-
sprechen, ft in cht verwandelt und h weggeworfen, bei-
des nach nl. lautlehre. Beispiele: del-achtig (theil-haftig)
war-achtig (wahr-haftig) fabel-achtig (fabel-haft) zu de-
nen schwerlich schweiz. teil-ochtig, war-ochtig angeführt
werden können, obschon Stald. dial. 224. fabel-ochtig
wagt. Da nun der dän. schwed. zunge jene aphäresis

III. conſonantiſche ableitungen. HT.
cans (pittaril-oht?), unerachtet wir mit dem formell
gleichen ſuͤßlich den begriff von ſubdulcis, nicht von dul-
cis verknüpfen. — d) die volksſprache pflegt ihrem -icht,
-echt, -ocht, -acht noch die weitere ableitung -ig bei-
zugeben, folglich zu ſagen: binſ-acht-ig (juncoſus) dorn-
acht-ig (ſpinoſus) graſ-acht-ig (herboſus) kahn-echt-ig
(mucidus) rind-echt-ig (cruſtoſus) etc. Eine menge bei-
ſpiele ſchweizeriſcher -ocht-ig hat Stald. dial. 221-223.
Ich weiß weder ein ahd. -oht-îc (-oht-ac?), noch ein
mhd. -ëht-ec, noch ein nhd. -icht-ig.

Auch die agſ. mundart kennt kein -iht-ig, die altn.
kein -ôtt-ugr, neben -iht, -ôttr. Im engl. haben ſich alle
-iht in -y (= ig) verwandelt: hook-y (aduncus) ſton-y
(petroſus) thorn-y (ſpinoſus) und an ein thorn-ight-y
ſton-ight-y iſt nicht zu denken. Aber im nnl. treten
haufenweiſe adj. bildungen mit -acht-ig (dorn-achtig,
wît-achtig, bitter-achtig, hout-achtig etc.) im ſchwed. mit
-akt-ig (grå-aktig, glas-aktig etc.) im dän. mit -agt-ig
(nöj-agtig, tyv-agtig etc.) hervor. Bloßes -acht, -akt,
-agt hat keine dieſer ſprachen. Was iſt davon zu halten?

Vorerſt entſprechen die ſchwed. -aktig, dän. -agtig
nicht den altn. -ôttr, aus welchen ſchwed. -ot, -at, dän.
-et geworden iſt, vgl. ſchwed. fläck-ot (fleck-ôttr); ſchwed.
frekn-ot, dän. fregn-et (frëkn-ôttr); dän. mank-et (mön-
ôttr); dän. ſpragl-et (ſprëkl-ôttr); nopp-et (floccoſus);
brog-et (diſcolor) ſchwed. brok-ot; dän. haard-nack-et
(ſchwed. hård-nack-at) etc. Wohl aber vergleichen ſich
jene -aktig, agtig den nnl. -achtig und den -echtig, och-
tig, deutſcher volksmundarten. Sie ſcheinen daher aus
der fremde eingeführt. Vgl. ſchwed. gras-aktig, dän.
gräs-agtig, nnl. gras-achtig, ſchweiz. gras-ochtig; ſchwed.
grôn-aktig, dän. grœn-agtig, nnl. grœn-achtig, ſchweiz.
gruͤn-ochtig; ſchwed. barn-aktig, dän. barn-agtig, nnl.
kinder-achtig, ſchweiz. kind-ochtig und viele ähnliche,
denen theilweiſe nhd. -icht oder -lich f. l-icht zur ſeite
ſtehen, oft aber nicht, z. b. kein nhd. kind-icht oder kin-
der-icht (wofür kind-iſch). Was dann die nnl. -achtig
insbeſondere betrifft, ſo mögen wenigſtens einzelne der-
ſelben wahre compoſita ſein und dem nhd. -haftig ent-
ſprechen, ft in cht verwandelt und h weggeworfen, bei-
des nach nl. lautlehre. Beiſpiele: dêl-achtig (theil-haftig)
wâr-achtig (wahr-haftig) fabel-achtig (fabel-haft) zu de-
nen ſchwerlich ſchweiz. teil-ochtig, war-ochtig angeführt
werden können, obſchon Stald. dial. 224. fabel-ochtig
wagt. Da nun der dän. ſchwed. zunge jene aphäreſis

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0401" n="383"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">con&#x017F;onanti&#x017F;che ableitungen. HT.</hi></hi></fw><lb/>
cans (pittaril-oht?), unerachtet wir mit dem formell<lb/>
gleichen &#x017F;u&#x0364;ßlich den begriff von &#x017F;ubdulcis, nicht von dul-<lb/>
cis verknüpfen. &#x2014; d) die volks&#x017F;prache pflegt ihrem -icht,<lb/>
-echt, -ocht, -acht noch die weitere ableitung <hi rendition="#i">-ig</hi> bei-<lb/>
zugeben, folglich zu &#x017F;agen: bin&#x017F;-acht-ig (junco&#x017F;us) dorn-<lb/>
acht-ig (&#x017F;pino&#x017F;us) gra&#x017F;-acht-ig (herbo&#x017F;us) kahn-echt-ig<lb/>
(mucidus) rind-echt-ig (cru&#x017F;to&#x017F;us) etc. Eine menge bei-<lb/>
&#x017F;piele &#x017F;chweizeri&#x017F;cher <hi rendition="#i">-ocht-ig</hi> hat Stald. dial. 221-223.<lb/>
Ich weiß weder ein ahd. -oht-îc (-oht-ac?), noch ein<lb/>
mhd. -ëht-ec, noch ein nhd. -icht-ig.</p><lb/>
              <p>Auch die ag&#x017F;. mundart kennt kein -iht-ig, die altn.<lb/>
kein -ôtt-ugr, neben -iht, -ôttr. Im engl. haben &#x017F;ich alle<lb/>
-iht in -y (= ig) verwandelt: hook-y (aduncus) &#x017F;ton-y<lb/>
(petro&#x017F;us) thorn-y (&#x017F;pino&#x017F;us) und an ein thorn-ight-y<lb/>
&#x017F;ton-ight-y i&#x017F;t nicht zu denken. Aber im nnl. treten<lb/>
haufenwei&#x017F;e adj. bildungen mit <hi rendition="#i">-acht-ig</hi> (dorn-achtig,<lb/>
wît-achtig, bitter-achtig, hout-achtig etc.) im &#x017F;chwed. mit<lb/><hi rendition="#i">-akt-ig</hi> (grå-aktig, glas-aktig etc.) im dän. mit <hi rendition="#i">-agt-ig</hi><lb/>
(nöj-agtig, tyv-agtig etc.) hervor. Bloßes -acht, -akt,<lb/>
-agt hat keine die&#x017F;er &#x017F;prachen. Was i&#x017F;t davon zu halten?</p><lb/>
              <p>Vorer&#x017F;t ent&#x017F;prechen die &#x017F;chwed. -aktig, dän. -agtig<lb/>
nicht den altn. -ôttr, aus welchen &#x017F;chwed. <hi rendition="#i">-ot</hi>, <hi rendition="#i">-at</hi>, dän.<lb/><hi rendition="#i">-et</hi> geworden i&#x017F;t, vgl. &#x017F;chwed. fläck-ot (fleck-ôttr); &#x017F;chwed.<lb/>
frekn-ot, dän. fregn-et (frëkn-ôttr); dän. mank-et (mön-<lb/>
ôttr); dän. &#x017F;pragl-et (&#x017F;prëkl-ôttr); nopp-et (flocco&#x017F;us);<lb/>
brog-et (di&#x017F;color) &#x017F;chwed. brok-ot; dän. haard-nack-et<lb/>
(&#x017F;chwed. hård-nack-at) etc. Wohl aber vergleichen &#x017F;ich<lb/>
jene -aktig, agtig den nnl. -achtig und den -echtig, och-<lb/>
tig, deut&#x017F;cher volksmundarten. Sie &#x017F;cheinen daher aus<lb/>
der fremde eingeführt. Vgl. &#x017F;chwed. gras-aktig, dän.<lb/>
gräs-agtig, nnl. gras-achtig, &#x017F;chweiz. gras-ochtig; &#x017F;chwed.<lb/>
grôn-aktig, dän. gr&#x0153;n-agtig, nnl. gr&#x0153;n-achtig, &#x017F;chweiz.<lb/>
gru&#x0364;n-ochtig; &#x017F;chwed. barn-aktig, dän. barn-agtig, nnl.<lb/>
kinder-achtig, &#x017F;chweiz. kind-ochtig und viele ähnliche,<lb/>
denen theilwei&#x017F;e nhd. -icht oder -lich f. l-icht zur &#x017F;eite<lb/>
&#x017F;tehen, oft aber nicht, z. b. kein nhd. kind-icht oder kin-<lb/>
der-icht (wofür kind-i&#x017F;ch). Was dann die nnl. -achtig<lb/>
insbe&#x017F;ondere betrifft, &#x017F;o mögen wenig&#x017F;tens einzelne der-<lb/>
&#x017F;elben wahre compo&#x017F;ita &#x017F;ein und dem nhd. <hi rendition="#i">-haftig</hi> ent-<lb/>
&#x017F;prechen, ft in cht verwandelt und h weggeworfen, bei-<lb/>
des nach nl. lautlehre. Bei&#x017F;piele: dêl-achtig (theil-haftig)<lb/>
wâr-achtig (wahr-haftig) fabel-achtig (fabel-haft) zu de-<lb/>
nen &#x017F;chwerlich &#x017F;chweiz. teil-ochtig, war-ochtig angeführt<lb/>
werden können, ob&#x017F;chon Stald. dial. 224. fabel-ochtig<lb/>
wagt. Da nun der dän. &#x017F;chwed. zunge jene aphäre&#x017F;is<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[383/0401] III. conſonantiſche ableitungen. HT. cans (pittaril-oht?), unerachtet wir mit dem formell gleichen ſuͤßlich den begriff von ſubdulcis, nicht von dul- cis verknüpfen. — d) die volksſprache pflegt ihrem -icht, -echt, -ocht, -acht noch die weitere ableitung -ig bei- zugeben, folglich zu ſagen: binſ-acht-ig (juncoſus) dorn- acht-ig (ſpinoſus) graſ-acht-ig (herboſus) kahn-echt-ig (mucidus) rind-echt-ig (cruſtoſus) etc. Eine menge bei- ſpiele ſchweizeriſcher -ocht-ig hat Stald. dial. 221-223. Ich weiß weder ein ahd. -oht-îc (-oht-ac?), noch ein mhd. -ëht-ec, noch ein nhd. -icht-ig. Auch die agſ. mundart kennt kein -iht-ig, die altn. kein -ôtt-ugr, neben -iht, -ôttr. Im engl. haben ſich alle -iht in -y (= ig) verwandelt: hook-y (aduncus) ſton-y (petroſus) thorn-y (ſpinoſus) und an ein thorn-ight-y ſton-ight-y iſt nicht zu denken. Aber im nnl. treten haufenweiſe adj. bildungen mit -acht-ig (dorn-achtig, wît-achtig, bitter-achtig, hout-achtig etc.) im ſchwed. mit -akt-ig (grå-aktig, glas-aktig etc.) im dän. mit -agt-ig (nöj-agtig, tyv-agtig etc.) hervor. Bloßes -acht, -akt, -agt hat keine dieſer ſprachen. Was iſt davon zu halten? Vorerſt entſprechen die ſchwed. -aktig, dän. -agtig nicht den altn. -ôttr, aus welchen ſchwed. -ot, -at, dän. -et geworden iſt, vgl. ſchwed. fläck-ot (fleck-ôttr); ſchwed. frekn-ot, dän. fregn-et (frëkn-ôttr); dän. mank-et (mön- ôttr); dän. ſpragl-et (ſprëkl-ôttr); nopp-et (floccoſus); brog-et (diſcolor) ſchwed. brok-ot; dän. haard-nack-et (ſchwed. hård-nack-at) etc. Wohl aber vergleichen ſich jene -aktig, agtig den nnl. -achtig und den -echtig, och- tig, deutſcher volksmundarten. Sie ſcheinen daher aus der fremde eingeführt. Vgl. ſchwed. gras-aktig, dän. gräs-agtig, nnl. gras-achtig, ſchweiz. gras-ochtig; ſchwed. grôn-aktig, dän. grœn-agtig, nnl. grœn-achtig, ſchweiz. gruͤn-ochtig; ſchwed. barn-aktig, dän. barn-agtig, nnl. kinder-achtig, ſchweiz. kind-ochtig und viele ähnliche, denen theilweiſe nhd. -icht oder -lich f. l-icht zur ſeite ſtehen, oft aber nicht, z. b. kein nhd. kind-icht oder kin- der-icht (wofür kind-iſch). Was dann die nnl. -achtig insbeſondere betrifft, ſo mögen wenigſtens einzelne der- ſelben wahre compoſita ſein und dem nhd. -haftig ent- ſprechen, ft in cht verwandelt und h weggeworfen, bei- des nach nl. lautlehre. Beiſpiele: dêl-achtig (theil-haftig) wâr-achtig (wahr-haftig) fabel-achtig (fabel-haft) zu de- nen ſchwerlich ſchweiz. teil-ochtig, war-ochtig angeführt werden können, obſchon Stald. dial. 224. fabel-ochtig wagt. Da nun der dän. ſchwed. zunge jene aphäreſis

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/401
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/401>, abgerufen am 22.11.2024.