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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. consonantische ableitungen. HT.
ber ein part. anzunehmen und zu lesen ist gezinneloten
hare?; zinzel-eht (cinctus?) MS. 2, 86a, denn bei demsel-
ben dichter scheint zinzel für cingulum zu stehen, 2, 80a,
auf jeden fall gehört es zur weibl. brustbekleidung. --
Conr. gebraucht in den meisten der hier aus ihm gegeb-
nen belege -ehte st. eht, was an das ahd. -ohti st. oht
gemahnet.

nhd. -icht, in der regel ohne umlaut, der mir in
höckericht und thoericht unbegründet scheint: bein-icht;
berg-icht; bins-icht; buckel-icht; dorn-icht; erd-icht;
fels-icht; sett-icht; gras-icht; haar-icht; höcker-icht;
holz-icht; holper-icht; kahn-icht (mucidus); kropf-icht;
mehl-icht; mos-icht; nerv-icht; runzel-icht; schimmel-
icht; schwefel-icht; sprenkel-icht; stein-icht; sumpf-
icht; thoer-icht u. a. m. Man merke a) das schwanken
der schriftsprache zwischen diesem -icht und -ig (ahd.
-ac), z. b. es heißt ebenwohl: bein-ig (hochbeinig, drei-
beinig, wie vierfüßig) berg-ig, erd-ig, gras-ig, mos-ig,
stein-ig etc., seltner -ig (ahd. -eic): bärt-ig, här-ig (kaum
aber thoer-ig). -- b) die volkssprache kürzt zuweilen das
-icht (wofur sie auch noch -echt, -ocht, -acht gebraucht
in -et: knorr-et (knorricht) klapper-et (klappericht) stink-
et (stmkicht) vgl. Schm. §. 1032. dergleichen adj. häufig
bei H. Sachs. -- c) anderemahl fugt sie den compositis
mit -lich der schriftsprache, welch egestalt, farbe, oder ge-
schmack anzeigen, ein scheinbar ungehöriges -t hinzu,
statt läng-lich, grün-lich, gelb-lich, röth-lich, ründ-lich,
süß-lich, säuer-lich setzend; länglicht: grünlicht, gelb-
licht, süßlicht etc. Allein hier scheint der irrthum fast
auf seiten der schriftsprache, nämlich grünlicht nicht zu
nehmen für grün-lich-t sondern für grünl-icht, von ei-
nem verbo grüneln, weißeln, süßeln (subvirere, subal-
bicare, subdulce sapere). Diese verba enthalten eigentlich
den begriff der farbähnlichkeit, des beigeschmacks. Ich
habe sie oben s. 115. für unorganisch erklärt, und es läßt
sich freilich kein ahd. kruonilon, suoßilon oder kruonilen,
suoßilen nachweisen, so wenig als ein adj. kruonil-oht,
suoßil-oht. Das mhd. roetel-eht, velwel-oht führen in-
zwischen auf roeteln, velwelen (vielleicht roesel-oht, rei-
del-oht auf roeseln, reideln?) und deutlich streitet wider
das nhd. grünlich, süßlich, daß die frühere sprache keine
solche compos. erkennt, wohlzuverstehen in der bedeutung
subviridis, subdulcis. Kruoni-leih, kruon-leih würde näm-
lich viridis heißen, wie suaß-leih dulcis heißt (O. V. 12,
180.), bitter-lich noch heutzutage amarus, nicht amari-

III. conſonantiſche ableitungen. HT.
ber ein part. anzunehmen und zu leſen iſt gezinnelôten
hare?; zinzel-ëht (cinctus?) MS. 2, 86a, denn bei demſel-
ben dichter ſcheint zinzel für cingulum zu ſtehen, 2, 80a,
auf jeden fall gehört es zur weibl. bruſtbekleidung. —
Conr. gebraucht in den meiſten der hier aus ihm gegeb-
nen belege -ëhte ſt. ëht, was an das ahd. -ohti ſt. oht
gemahnet.

nhd. -icht, in der regel ohne umlaut, der mir in
höckericht und thœricht unbegründet ſcheint: bein-icht;
berg-icht; binſ-icht; buckel-icht; dorn-icht; erd-icht;
felſ-icht; ſett-icht; grâſ-icht; haar-icht; höcker-icht;
holz-icht; holper-icht; kahn-icht (mucidus); kropf-icht;
mehl-icht; moſ-icht; nerv-icht; runzel-icht; ſchimmel-
icht; ſchwefel-icht; ſprenkel-icht; ſtein-icht; ſumpf-
icht; thœr-icht u. a. m. Man merke a) das ſchwanken
der ſchriftſprache zwiſchen dieſem -icht und -ig (ahd.
-ac), z. b. es heißt ebenwohl: bein-ig (hochbeinig, drei-
beinig, wie vierfuͤßig) berg-ig, erd-ig, grâſ-ig, môſ-ig,
ſtein-ig etc., ſeltner -ig (ahd. -îc): bärt-ig, här-ig (kaum
aber thœr-ig). — b) die volksſprache kürzt zuweilen das
-icht (wofur ſie auch noch -echt, -ocht, -acht gebraucht
in -et: knorr-et (knorricht) klapper-et (klappericht) ſtink-
et (ſtmkicht) vgl. Schm. §. 1032. dergleichen adj. häufig
bei H. Sachs. — c) anderemahl fugt ſie den compoſitis
mit -lich der ſchriftſprache, welch egeſtalt, farbe, oder ge-
ſchmack anzeigen, ein ſcheinbar ungehöriges -t hinzu,
ſtatt läng-lich, gruͤn-lich, gelb-lich, röth-lich, ründ-lich,
ſüß-lich, ſäuer-lich ſetzend; länglicht: grünlicht, gelb-
licht, ſüßlicht etc. Allein hier ſcheint der irrthum faſt
auf ſeiten der ſchriftſprache, nämlich gruͤnlicht nicht zu
nehmen für gruͤn-lich-t ſondern für gruͤnl-icht, von ei-
nem verbo gruͤneln, weißeln, ſuͤßeln (ſubvirere, ſubal-
bicare, ſubdulce ſapere). Dieſe verba enthalten eigentlich
den begriff der farbähnlichkeit, des beigeſchmacks. Ich
habe ſie oben ſ. 115. für unorganiſch erklärt, und es läßt
ſich freilich kein ahd. kruonilôn, ſuoƷilôn oder kruonilên,
ſuoƷilên nachweiſen, ſo wenig als ein adj. kruonil-oht,
ſuoƷil-oht. Das mhd. rœtel-eht, velwel-oht führen in-
zwiſchen auf rœteln, velwelen (vielleicht rœſel-oht, rei-
del-oht auf rœſeln, reideln?) und deutlich ſtreitet wider
das nhd. gruͤnlich, ſuͤßlich, daß die frühere ſprache keine
ſolche compoſ. erkennt, wohlzuverſtehen in der bedeutung
ſubviridis, ſubdulcis. Kruoni-lîh, kruon-lîh würde näm-
lich viridis heißen, wie ſuaƷ-lîh dulcis heißt (O. V. 12,
180.), bitter-lich noch heutzutage amarus, nicht amari-

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[382/0400] III. conſonantiſche ableitungen. HT. ber ein part. anzunehmen und zu leſen iſt gezinnelôten hare?; zinzel-ëht (cinctus?) MS. 2, 86a, denn bei demſel- ben dichter ſcheint zinzel für cingulum zu ſtehen, 2, 80a, auf jeden fall gehört es zur weibl. bruſtbekleidung. — Conr. gebraucht in den meiſten der hier aus ihm gegeb- nen belege -ëhte ſt. ëht, was an das ahd. -ohti ſt. oht gemahnet. nhd. -icht, in der regel ohne umlaut, der mir in höckericht und thœricht unbegründet ſcheint: bein-icht; berg-icht; binſ-icht; buckel-icht; dorn-icht; erd-icht; felſ-icht; ſett-icht; grâſ-icht; haar-icht; höcker-icht; holz-icht; holper-icht; kahn-icht (mucidus); kropf-icht; mehl-icht; moſ-icht; nerv-icht; runzel-icht; ſchimmel- icht; ſchwefel-icht; ſprenkel-icht; ſtein-icht; ſumpf- icht; thœr-icht u. a. m. Man merke a) das ſchwanken der ſchriftſprache zwiſchen dieſem -icht und -ig (ahd. -ac), z. b. es heißt ebenwohl: bein-ig (hochbeinig, drei- beinig, wie vierfuͤßig) berg-ig, erd-ig, grâſ-ig, môſ-ig, ſtein-ig etc., ſeltner -ig (ahd. -îc): bärt-ig, här-ig (kaum aber thœr-ig). — b) die volksſprache kürzt zuweilen das -icht (wofur ſie auch noch -echt, -ocht, -acht gebraucht in -et: knorr-et (knorricht) klapper-et (klappericht) ſtink- et (ſtmkicht) vgl. Schm. §. 1032. dergleichen adj. häufig bei H. Sachs. — c) anderemahl fugt ſie den compoſitis mit -lich der ſchriftſprache, welch egeſtalt, farbe, oder ge- ſchmack anzeigen, ein ſcheinbar ungehöriges -t hinzu, ſtatt läng-lich, gruͤn-lich, gelb-lich, röth-lich, ründ-lich, ſüß-lich, ſäuer-lich ſetzend; länglicht: grünlicht, gelb- licht, ſüßlicht etc. Allein hier ſcheint der irrthum faſt auf ſeiten der ſchriftſprache, nämlich gruͤnlicht nicht zu nehmen für gruͤn-lich-t ſondern für gruͤnl-icht, von ei- nem verbo gruͤneln, weißeln, ſuͤßeln (ſubvirere, ſubal- bicare, ſubdulce ſapere). Dieſe verba enthalten eigentlich den begriff der farbähnlichkeit, des beigeſchmacks. Ich habe ſie oben ſ. 115. für unorganiſch erklärt, und es läßt ſich freilich kein ahd. kruonilôn, ſuoƷilôn oder kruonilên, ſuoƷilên nachweiſen, ſo wenig als ein adj. kruonil-oht, ſuoƷil-oht. Das mhd. rœtel-eht, velwel-oht führen in- zwiſchen auf rœteln, velwelen (vielleicht rœſel-oht, rei- del-oht auf rœſeln, reideln?) und deutlich ſtreitet wider das nhd. gruͤnlich, ſuͤßlich, daß die frühere ſprache keine ſolche compoſ. erkennt, wohlzuverſtehen in der bedeutung ſubviridis, ſubdulcis. Kruoni-lîh, kruon-lîh würde näm- lich viridis heißen, wie ſuaƷ-lîh dulcis heißt (O. V. 12, 180.), bitter-lich noch heutzutage amarus, nicht amari-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/400>, abgerufen am 11.05.2024.