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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. consonantische ableitungen. ST.
gehört auch hierher das ahd. voll-ust und ist es kein
compos. vol-lust (oben s. 199.)? vgl. hernach unter -eist;
holl-usta (fides); kunn-usta (scientia); orr-usta, or-usta
(proelium) von der wurzel or (incitamentum, gl. synt.)
oder örr (celer, alacer), kein compos. or-rusta, wie Biörn
meint, wahrscheinl. dem ags. eorn-est, ahd. ern-ust ver-
wandt; unn-usta (amica) und daneben das masc. unn-usti
(amicus). -- Zuletzt erwähne ich des mit -r weiter ab-
geleiteten ahd. putt-uster (venter) doc. 230b, das mir un-
deutsch scheint *).

[EIST]? zwei wörter, die sich beide anders nehmen
laßen: ahd. gan-eistara (scintilla)? gan-eistra blas. 91b, wo-
für trev. 63a ganehaista? gaenester steht herrad. 198b; mhd.
gan-eiste troj. 4a? scheint zu beßern in gneiste, wie troj.
29c 92b, weshalb es oben s. 40. zu nr. 453. gerechnet
wurde. Indessen begegnet man auch a. Tit. 115. der
schreibung gnaneisten (scintillare) und Parc. 25a gaenstern
(scintillis) 106a gaensterlein (scintillula) was eher ein gaen-
ster voraussetzt, als sich in gneister ändern läßt. Altn.
gilt neben gneisti auch neisti, wonach ein ahd. ga-neisto,
aber kein mhd. ga-neiste (st. ge-neiste) begreiflich würde.
Andrerseits bliebe die wurzel gan sehr räthselhaft. --
Das andere subst. ist das vorhin berührte ahd. mhd. voll-
eist, statt vol-leist (oben s. 199).


anmerkungen zu ST.

a) die grenze zwischen -st und dem s. 198-203. ver-
handelten s-t ist unsicher. Da wo bei letzterm das s zur
wurzel gehört, die ableitung also aus bloßem -t besteht,
findet keine berührung statt. Anders, wenn die wurzel
mit einer liquida schließt und das s in s-t entweder eigne
ableitung oder unorganischen einschub verräth (s. 209.
b. c.). Der unterschied zwischen solchem s-t und unserm
-st beruht alsdann darauf; 1) daß jenem kein, diesem aber
ein vocal vorherzugehen pflegt: an-st, chun-st; ob-ast,
ern-ust, dion-ust. 2) darauf, daß dem s-t nur ein con-
sonant (immer liquida oder spirans) voraussteht, dem -ast,
-ist, -ust aber auch zwei consonanten vorausstehen kön-
nen (deren letzter ten. oder med. sein darf): ern-st, herb-

*) unorganisch stehet -st im nhd. ob-st (pomum) f. obeß, obes,
mhd. ob-eß.

III. conſonantiſche ableitungen. ST.
gehört auch hierher das ahd. voll-uſt und iſt es kein
compoſ. vol-luſt (oben ſ. 199.)? vgl. hernach unter -eiſt;
holl-uſta (fides); kunn-uſta (ſcientia); orr-uſta, or-uſta
(proelium) von der wurzel or (incitamentum, gl. ſynt.)
oder örr (celer, alacer), kein compoſ. or-ruſta, wie Biörn
meint, wahrſcheinl. dem agſ. ëorn-eſt, ahd. ërn-uſt ver-
wandt; unn-uſta (amica) und daneben das maſc. unn-uſti
(amicus). — Zuletzt erwähne ich des mit -r weiter ab-
geleiteten ahd. putt-uſter (venter) doc. 230b, das mir un-
deutſch ſcheint *).

[EIST]? zwei wörter, die ſich beide anders nehmen
laßen: ahd. gân-eiſtara (ſcintilla)? gân-eiſtra blaſ. 91b, wo-
für trev. 63a ganehaiſta? gaeneſter ſteht herrad. 198b; mhd.
gan-eiſte troj. 4a? ſcheint zu beßern in gneiſte, wie troj.
29c 92b, weshalb es oben ſ. 40. zu nr. 453. gerechnet
wurde. Indeſſen begegnet man auch a. Tit. 115. der
ſchreibung gnâneiſten (ſcintillare) und Parc. 25a gænſtern
(ſcintillis) 106a gænſterlîn (ſcintillula) was eher ein gæn-
ſter vorausſetzt, als ſich in gneiſter ändern läßt. Altn.
gilt neben gneiſti auch neiſti, wonach ein ahd. ga-neiſto,
aber kein mhd. ga-neiſte (ſt. ge-neiſte) begreiflich würde.
Andrerſeits bliebe die wurzel gân ſehr räthſelhaft. —
Das andere ſubſt. iſt das vorhin berührte ahd. mhd. voll-
eiſt, ſtatt vol-leiſt (oben ſ. 199).


anmerkungen zu ST.

α) die grenze zwiſchen -ſt und dem ſ. 198-203. ver-
handelten ſ-t iſt unſicher. Da wo bei letzterm das ſ zur
wurzel gehört, die ableitung alſo aus bloßem -t beſteht,
findet keine berührung ſtatt. Anders, wenn die wurzel
mit einer liquida ſchließt und das ſ in ſ-t entweder eigne
ableitung oder unorganiſchen einſchub verräth (ſ. 209.
b. c.). Der unterſchied zwiſchen ſolchem ſ-t und unſerm
-ſt beruht alsdann darauf; 1) daß jenem kein, dieſem aber
ein vocal vorherzugehen pflegt: an-ſt, chun-ſt; ob-aſt,
ërn-uſt, dion-uſt. 2) darauf, daß dem ſ-t nur ein con-
ſonant (immer liquida oder ſpirans) vorausſteht, dem -aſt,
-iſt, -uſt aber auch zwei conſonanten vorausſtehen kön-
nen (deren letzter ten. oder med. ſein darf): ern-ſt, herb-

*) unorganiſch ſtehet -ſt im nhd. ob-ſt (pomum) f. obeß, obes,
mhd. ob-eƷ.
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[370/0388] III. conſonantiſche ableitungen. ST. gehört auch hierher das ahd. voll-uſt und iſt es kein compoſ. vol-luſt (oben ſ. 199.)? vgl. hernach unter -eiſt; holl-uſta (fides); kunn-uſta (ſcientia); orr-uſta, or-uſta (proelium) von der wurzel or (incitamentum, gl. ſynt.) oder örr (celer, alacer), kein compoſ. or-ruſta, wie Biörn meint, wahrſcheinl. dem agſ. ëorn-eſt, ahd. ërn-uſt ver- wandt; unn-uſta (amica) und daneben das maſc. unn-uſti (amicus). — Zuletzt erwähne ich des mit -r weiter ab- geleiteten ahd. putt-uſter (venter) doc. 230b, das mir un- deutſch ſcheint *). [EIST]? zwei wörter, die ſich beide anders nehmen laßen: ahd. gân-eiſtara (ſcintilla)? gân-eiſtra blaſ. 91b, wo- für trev. 63a ganehaiſta? gaeneſter ſteht herrad. 198b; mhd. gan-eiſte troj. 4a? ſcheint zu beßern in gneiſte, wie troj. 29c 92b, weshalb es oben ſ. 40. zu nr. 453. gerechnet wurde. Indeſſen begegnet man auch a. Tit. 115. der ſchreibung gnâneiſten (ſcintillare) und Parc. 25a gænſtern (ſcintillis) 106a gænſterlîn (ſcintillula) was eher ein gæn- ſter vorausſetzt, als ſich in gneiſter ändern läßt. Altn. gilt neben gneiſti auch neiſti, wonach ein ahd. ga-neiſto, aber kein mhd. ga-neiſte (ſt. ge-neiſte) begreiflich würde. Andrerſeits bliebe die wurzel gân ſehr räthſelhaft. — Das andere ſubſt. iſt das vorhin berührte ahd. mhd. voll- eiſt, ſtatt vol-leiſt (oben ſ. 199). anmerkungen zu ST. α) die grenze zwiſchen -ſt und dem ſ. 198-203. ver- handelten ſ-t iſt unſicher. Da wo bei letzterm das ſ zur wurzel gehört, die ableitung alſo aus bloßem -t beſteht, findet keine berührung ſtatt. Anders, wenn die wurzel mit einer liquida ſchließt und das ſ in ſ-t entweder eigne ableitung oder unorganiſchen einſchub verräth (ſ. 209. b. c.). Der unterſchied zwiſchen ſolchem ſ-t und unſerm -ſt beruht alsdann darauf; 1) daß jenem kein, dieſem aber ein vocal vorherzugehen pflegt: an-ſt, chun-ſt; ob-aſt, ërn-uſt, dion-uſt. 2) darauf, daß dem ſ-t nur ein con- ſonant (immer liquida oder ſpirans) vorausſteht, dem -aſt, -iſt, -uſt aber auch zwei conſonanten vorausſtehen kön- nen (deren letzter ten. oder med. ſein darf): ern-ſt, herb- *) unorganiſch ſtehet -ſt im nhd. ob-ſt (pomum) f. obeß, obes, mhd. ob-eƷ.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/388>, abgerufen am 22.11.2024.