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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. consonantische ableitungen. RN.
auf -ern (in den ältesten quellen lieber -ärn geschr.)
welche sämmtlich den örtlichen begriff von behälter, auf-
enthalt ausdrücken: bläc-ern (atramentarium); breav-ern
(coquina cerevisiae); carc-ern (carcer); cveart-ern (custo-
dia); dom-ern (praetorium); gäst-ern (hospitium); heal-
ern (aula); hed-ern (cellarium); holm-ern (navis); hord-
ern (gazophylacium); medo-ern (apotheca mulsi); slaep-
ern (dormitorium); thryd-ern (turmarum statio); vein-ern
(cellarium). Nimmt man hier wirkliche composita mit
ern, ärn (casa, domus, habitaculum) an, vgl. ahd. erin
(pavimentum) jun. 220. altn. arin, arn (socus domesticus);
so scheint doch in einzelnen das -ern für bloß ableiterisch
zu gelten, namentlich in carc-ern, cveart-ern (vgl. alten-
gl. quert, securitas, b. Ritson). -- Verschieden davon
sind zum theil die altn. neutra auf -erni (Rask §. 334.):
aett-erni (genus); brod-erni (fraternitas); fad-erni (pater-
nitas); leif-erni (vita); lund-erni (animi indoles); mod-
erni (maternitas); sal-erni (atrium); einige enthalten den
begriff von art, beschaffenheit. Bei brod. fad. mod. steckt
das -er schon in den stämmen.

2) adjectiva: hierher vielleicht das angeführte goth.
viduv-airns (orbus)? Ahd. nuoht-urn (jejunus) doc.
227a noht-urn (nocturnus) N. 76, 5; mhd. nuecht-ern
(jejunus) Wilh. 2, 80b; nhd. nücht-ern, nnl. nucht-er,
schwed. nykt-er; aus dem lat. wort?, das freilich, selbst
im mittellatein, die bedeutung von ungetrunken nicht
hat, doch fließt diese ungezwungen daraus her; oder ist
nuoh deutscher ablaut von nahan (nr. 489.)? Ahd.
duerh-ern (obliquus) doc. 208b bedarf weiterer bestäti-
gung. Nhd. außer nücht-ern auch noch: alb-ern (insi-
pidus); lüst-ern (avidus); schücht-ern (timidus), keines
so in der ältern sprache zu finden, albern entstellt aus
dem mhd. al-waere (wovon cap. III.), für schüchtern hat
N. 67, 2. skiehteig (so lese ich f. skihtig). Gar nicht hier-
her gehören die unorg. nhd. gold-ern, bein-ern (oben
s. 179.), zweideutig ist eisern, entw. von eiser eiser-n,
oder für eisern-en (goth. eisarn-eins). Daß die ags. east-
ern, nordern etc. mhd. ostern, western entstellung einer
vollständigeren sorm sind, wurde s. 181. gewiesen. --

horn nehmen könnte (ags. ac-vern, altn. eik-orni) verweise ich
auf das folgende cap., wo noch andere bedenkliche comp. mit
-horn zur sprache kommen.

III. conſonantiſche ableitungen. RN.
auf -ern (in den älteſten quellen lieber -ärn geſchr.)
welche ſämmtlich den örtlichen begriff von behälter, auf-
enthalt ausdrücken: bläc-ern (atramentarium); brëáv-ern
(coquina cereviſiae); carc-ern (carcer); cvëart-ern (cuſto-
dia); dôm-ern (praetorium); gäſt-ern (hoſpitium); hëal-
ern (aula); hêd-ern (cellarium); holm-ern (navis); hord-
ern (gazophylacium); mëdo-ern (apotheca mulſi); ſlæp-
ern (dormitorium); þryð-ern (turmarum ſtatio); vîn-ern
(cellarium). Nimmt man hier wirkliche compoſita mit
ern, ärn (caſa, domus, habitaculum) an, vgl. ahd. erin
(pavimentum) jun. 220. altn. arin, arn (ſocus domeſticus);
ſo ſcheint doch in einzelnen das -ern für bloß ableiteriſch
zu gelten, namentlich in carc-ern, cvëart-ern (vgl. alten-
gl. quert, ſecuritas, b. Ritſon). — Verſchieden davon
ſind zum theil die altn. neutra auf -erni (Raſk §. 334.):
ætt-erni (genus); brôð-erni (fraternitas); fað-erni (pater-
nitas); lîf-erni (vita); lund-erni (animi indoles); môd-
erni (maternitas); ſal-erni (atrium); einige enthalten den
begriff von art, beſchaffenheit. Bei brôð. fað. môd. ſteckt
das -er ſchon in den ſtämmen.

2) adjectiva: hierher vielleicht das angeführte goth.
viduv-aírns (orbus)? Ahd. nuoht-urn (jejunus) doc.
227a noht-urn (nocturnus) N. 76, 5; mhd. nuecht-ern
(jejunus) Wilh. 2, 80b; nhd. nücht-ern, nnl. nucht-er,
ſchwed. nykt-er; aus dem lat. wort?, das freilich, ſelbſt
im mittellatein, die bedeutung von ungetrunken nicht
hat, doch fließt dieſe ungezwungen daraus her; oder iſt
nuoh deutſcher ablaut von nahan (nr. 489.)? Ahd.
duërh-ern (obliquus) doc. 208b bedarf weiterer beſtäti-
gung. Nhd. außer nücht-ern auch noch: alb-ern (inſi-
pidus); lüſt-ern (avidus); ſchücht-ern (timidus), keines
ſo in der ältern ſprache zu finden, albern entſtellt aus
dem mhd. al-wære (wovon cap. III.), für ſchüchtern hat
N. 67, 2. ſkiehtîg (ſo leſe ich f. ſkihtig). Gar nicht hier-
her gehören die unorg. nhd. gold-ern, bein-ern (oben
ſ. 179.), zweideutig iſt eiſern, entw. von eiſer eiſer-n,
oder für eiſern-en (goth. eiſarn-eins). Daß die agſ. eáſt-
ern, norðern etc. mhd. ôſtern, wëſtern entſtellung einer
vollſtändigeren ſorm ſind, wurde ſ. 181. gewieſen. —

horn nehmen könnte (agſ. âc-vern, altn. îk-orni) verweiſe ich
auf das folgende cap., wo noch andere bedenkliche comp. mit
-horn zur ſprache kommen.
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[338/0356] III. conſonantiſche ableitungen. RN. auf -ern (in den älteſten quellen lieber -ärn geſchr.) welche ſämmtlich den örtlichen begriff von behälter, auf- enthalt ausdrücken: bläc-ern (atramentarium); brëáv-ern (coquina cereviſiae); carc-ern (carcer); cvëart-ern (cuſto- dia); dôm-ern (praetorium); gäſt-ern (hoſpitium); hëal- ern (aula); hêd-ern (cellarium); holm-ern (navis); hord- ern (gazophylacium); mëdo-ern (apotheca mulſi); ſlæp- ern (dormitorium); þryð-ern (turmarum ſtatio); vîn-ern (cellarium). Nimmt man hier wirkliche compoſita mit ern, ärn (caſa, domus, habitaculum) an, vgl. ahd. erin (pavimentum) jun. 220. altn. arin, arn (ſocus domeſticus); ſo ſcheint doch in einzelnen das -ern für bloß ableiteriſch zu gelten, namentlich in carc-ern, cvëart-ern (vgl. alten- gl. quert, ſecuritas, b. Ritſon). — Verſchieden davon ſind zum theil die altn. neutra auf -erni (Raſk §. 334.): ætt-erni (genus); brôð-erni (fraternitas); fað-erni (pater- nitas); lîf-erni (vita); lund-erni (animi indoles); môd- erni (maternitas); ſal-erni (atrium); einige enthalten den begriff von art, beſchaffenheit. Bei brôð. fað. môd. ſteckt das -er ſchon in den ſtämmen. 2) adjectiva: hierher vielleicht das angeführte goth. viduv-aírns (orbus)? Ahd. nuoht-urn (jejunus) doc. 227a noht-urn (nocturnus) N. 76, 5; mhd. nuecht-ern (jejunus) Wilh. 2, 80b; nhd. nücht-ern, nnl. nucht-er, ſchwed. nykt-er; aus dem lat. wort?, das freilich, ſelbſt im mittellatein, die bedeutung von ungetrunken nicht hat, doch fließt dieſe ungezwungen daraus her; oder iſt nuoh deutſcher ablaut von nahan (nr. 489.)? Ahd. duërh-ern (obliquus) doc. 208b bedarf weiterer beſtäti- gung. Nhd. außer nücht-ern auch noch: alb-ern (inſi- pidus); lüſt-ern (avidus); ſchücht-ern (timidus), keines ſo in der ältern ſprache zu finden, albern entſtellt aus dem mhd. al-wære (wovon cap. III.), für ſchüchtern hat N. 67, 2. ſkiehtîg (ſo leſe ich f. ſkihtig). Gar nicht hier- her gehören die unorg. nhd. gold-ern, bein-ern (oben ſ. 179.), zweideutig iſt eiſern, entw. von eiſer eiſer-n, oder für eiſern-en (goth. eiſarn-eins). Daß die agſ. eáſt- ern, norðern etc. mhd. ôſtern, wëſtern entſtellung einer vollſtändigeren ſorm ſind, wurde ſ. 181. gewieſen. — †) †) horn nehmen könnte (agſ. âc-vern, altn. îk-orni) verweiſe ich auf das folgende cap., wo noch andere bedenkliche comp. mit -horn zur ſprache kommen.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/356>, abgerufen am 11.05.2024.