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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. consonantische ableitungen. SS.
ein n haben: ein-assi (unitas) doc. 249; un-hrein-issa (in-
luvies) jun. 210; vuntan-issa (inventio) jun. 195; offan-
ussi (significatio) mons. 354. 362. 388 etc. -- g) theils ge-
rade die häufige ableitung aus solchen adj. und starken
part. praet., theils das einzelnen wörtern (wie im goth.)
dunkel zum grunde liegende verbale -in (oben s. 173.)
scheint den sprachgeist verführt zu haben, nicht mehr
-ass, -iss, -uss, sondern -nass, -niss, -nuss für das hier
wirksame princip zu nehmen; weshalb auch von späte-
ren grammatikern in dem -niss eine wirkliche wurzel
gesucht worden ist. Wäre das, so müsten alle unsere
ableitungen für wahre composita gehalten werden. Al-
lein es hat so wenig ein wurzelhaftes -nass, -niss gege-
ben, als ein wurzelhaftes -nei, -nede, -nad, -nadr (s. 96,
247. 254. 255.) oder -modei (s. 256.); wie die unter b ge-
sammelten überreste des organischen verhältnisses dar-
thun. Doch ist schon in den ältesten denkmählern der
irrthum durchgedrungen, d. h. es wird nicht nur in
wörtern, wo sich kein begründetes -an, -in denken, we-
nigstens nicht mehr nachweisen läßt (obgleich viele ahd.
verba -inon untergegangen sein mögen) die liquida ein-
gerückt *) z. b. tougal-nissi (secretum) fol-nissa (expletio)
nibul-nissi (obscuritas) fagar-nessi (claritas); sondern selbst
geminierte geschrieben, wo der stamm bereits n hatte:
ein-nissa J. 367. pouhhan-nissa (nutus) jun. 181; kihal-
tan-nissa (castitas) jun. 219; ein-nussi (contractus) mons.
378 etc. Einzelne wörter schweben zwischen der schrei-
bung n und nn; welche soll man für nachläßig halten? --
d) der vor dem ss stehende vocal ist gl. mons. doc. zu-
weilen a (wie im goth.) wenn ich der verwechselbarkeit
der schriftzüge a und u traue, entschieden hat in e um-
gelautetes a durchgängig T.; nur i haben J. K. O. N. W.,
die glossen wechselnd mit a und u; u hin und wieder
die glossen. Im ganzen i überwiegend. -- e) masculina
dieser bildung sind verschwunden; das geschlecht schwankt
zwischen fem. und neutr., im fem. selbst wieder zwischen
erster und zweiter decl. (nissa, nissei). J. K. kennen
bloß fem. auf -nissa, -nissi; O. bloß neutra -nissi; bei T.
sind bald. fem. -nessei, bald neutra -nessi; bei N. fem.
-nissa neben neutris -nisse; zuweilen und in den glossen

*) wohllauts halber oder um die ableitung mehr hervorzuhe-
ben, kann es nicht geschehen; warum wären tougal-issi, fagar-issi
un wohllautiger oder unklarer?

III. conſonantiſche ableitungen. SS.
ein n haben: ein-aſſi (unitas) doc. 249; un-hrein-iſſa (in-
luvies) jun. 210; vuntan-iſſa (inventio) jun. 195; offan-
uſſi (ſignificatio) monſ. 354. 362. 388 etc. — γ) theils ge-
rade die häufige ableitung aus ſolchen adj. und ſtarken
part. praet., theils das einzelnen wörtern (wie im goth.)
dunkel zum grunde liegende verbale -in (oben ſ. 173.)
ſcheint den ſprachgeiſt verführt zu haben, nicht mehr
-aſſ, -iſſ, -uſſ, ſondern -naſſ, -niſſ, -nuſſ für das hier
wirkſame princip zu nehmen; weshalb auch von ſpäte-
ren grammatikern in dem -niſſ eine wirkliche wurzel
geſucht worden iſt. Wäre das, ſo müſten alle unſere
ableitungen für wahre compoſita gehalten werden. Al-
lein es hat ſo wenig ein wurzelhaftes -naſſ, -niſſ gege-
ben, als ein wurzelhaftes -nei, -nede, -nâð, -naðr (ſ. 96,
247. 254. 255.) oder -môdî (ſ. 256.); wie die unter β ge-
ſammelten überreſte des organiſchen verhältniſſes dar-
thun. Doch iſt ſchon in den älteſten denkmählern der
irrthum durchgedrungen, d. h. es wird nicht nur in
wörtern, wo ſich kein begründetes -an, -in denken, we-
nigſtens nicht mehr nachweiſen läßt (obgleich viele ahd.
verba -inôn untergegangen ſein mögen) die liquida ein-
gerückt *) z. b. tougal-niſſi (ſecretum) fol-niſſa (expletio)
nibul-niſſi (obſcuritas) fagar-neſſi (claritas); ſondern ſelbſt
geminierte geſchrieben, wo der ſtamm bereits n hatte:
ein-niſſa J. 367. pouhhan-niſſa (nutus) jun. 181; kihal-
tan-niſſa (caſtitas) jun. 219; ein-nuſſi (contractus) monſ.
378 etc. Einzelne wörter ſchweben zwiſchen der ſchrei-
bung n und nn; welche ſoll man für nachläßig halten? —
δ) der vor dem ſſ ſtehende vocal iſt gl. monſ. doc. zu-
weilen a (wie im goth.) wenn ich der verwechſelbarkeit
der ſchriftzüge a und u traue, entſchieden hat in e um-
gelautetes a durchgängig T.; nur i haben J. K. O. N. W.,
die gloſſen wechſelnd mit a und u; u hin und wieder
die gloſſen. Im ganzen i überwiegend. — ε) maſculina
dieſer bildung ſind verſchwunden; das geſchlecht ſchwankt
zwiſchen fem. und neutr., im fem. ſelbſt wieder zwiſchen
erſter und zweiter decl. (niſſa, niſſî). J. K. kennen
bloß fem. auf -niſſa, -niſſi; O. bloß neutra -niſſi; bei T.
ſind bald. fem. -neſſî, bald neutra -neſſi; bei N. fem.
-niſſa neben neutris -niſſe; zuweilen und in den gloſſen

*) wohllauts halber oder um die ableitung mehr hervorzuhe-
ben, kann es nicht geſchehen; warum wären tougal-iſſi, fagar-iſſi
un wohllautiger oder unklarer?
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[322/0340] III. conſonantiſche ableitungen. SS. ein n haben: ein-aſſi (unitas) doc. 249; un-hrein-iſſa (in- luvies) jun. 210; vuntan-iſſa (inventio) jun. 195; offan- uſſi (ſignificatio) monſ. 354. 362. 388 etc. — γ) theils ge- rade die häufige ableitung aus ſolchen adj. und ſtarken part. praet., theils das einzelnen wörtern (wie im goth.) dunkel zum grunde liegende verbale -in (oben ſ. 173.) ſcheint den ſprachgeiſt verführt zu haben, nicht mehr -aſſ, -iſſ, -uſſ, ſondern -naſſ, -niſſ, -nuſſ für das hier wirkſame princip zu nehmen; weshalb auch von ſpäte- ren grammatikern in dem -niſſ eine wirkliche wurzel geſucht worden iſt. Wäre das, ſo müſten alle unſere ableitungen für wahre compoſita gehalten werden. Al- lein es hat ſo wenig ein wurzelhaftes -naſſ, -niſſ gege- ben, als ein wurzelhaftes -nei, -nede, -nâð, -naðr (ſ. 96, 247. 254. 255.) oder -môdî (ſ. 256.); wie die unter β ge- ſammelten überreſte des organiſchen verhältniſſes dar- thun. Doch iſt ſchon in den älteſten denkmählern der irrthum durchgedrungen, d. h. es wird nicht nur in wörtern, wo ſich kein begründetes -an, -in denken, we- nigſtens nicht mehr nachweiſen läßt (obgleich viele ahd. verba -inôn untergegangen ſein mögen) die liquida ein- gerückt *) z. b. tougal-niſſi (ſecretum) fol-niſſa (expletio) nibul-niſſi (obſcuritas) fagar-neſſi (claritas); ſondern ſelbſt geminierte geſchrieben, wo der ſtamm bereits n hatte: ein-niſſa J. 367. pouhhan-niſſa (nutus) jun. 181; kihal- tan-niſſa (caſtitas) jun. 219; ein-nuſſi (contractus) monſ. 378 etc. Einzelne wörter ſchweben zwiſchen der ſchrei- bung n und nn; welche ſoll man für nachläßig halten? — δ) der vor dem ſſ ſtehende vocal iſt gl. monſ. doc. zu- weilen a (wie im goth.) wenn ich der verwechſelbarkeit der ſchriftzüge a und u traue, entſchieden hat in e um- gelautetes a durchgängig T.; nur i haben J. K. O. N. W., die gloſſen wechſelnd mit a und u; u hin und wieder die gloſſen. Im ganzen i überwiegend. — ε) maſculina dieſer bildung ſind verſchwunden; das geſchlecht ſchwankt zwiſchen fem. und neutr., im fem. ſelbſt wieder zwiſchen erſter und zweiter decl. (niſſa, niſſî). J. K. kennen bloß fem. auf -niſſa, -niſſi; O. bloß neutra -niſſi; bei T. ſind bald. fem. -neſſî, bald neutra -neſſi; bei N. fem. -niſſa neben neutris -niſſe; zuweilen und in den gloſſen *) wohllauts halber oder um die ableitung mehr hervorzuhe- ben, kann es nicht geſchehen; warum wären tougal-iſſi, fagar-iſſi un wohllautiger oder unklarer?

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/340>, abgerufen am 12.05.2024.