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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. consonantische ableitungen. G.
tus). Die andern alle schwanken zwischen -ugr und
-igr, beispiele werden dort angeführt werden. Rask
§. 365. hält -ig für alterthümlicher als -ug; das mag sein
in wörtern, denen goth. -eig, ahd. -eic zusteht. In denen
mit ursprüngl. -ag erkläre ich mir die verwandlung in
-ug nicht anders als die des -all in -ull (1, 741. 2, 103.):
aus dem fem. kröpt-ug bildete sich auch ein masc. kröpt-
ugr statt krapt-agr. Noch ist zu merken, daß die altn.
sprache den ableitungsvocal häufig ganz ausstößt, zumahl
in solchen, so viel ich sehe, die ursprüngl. -ag hatten;
das u oder i welches goth. -ei vertritt, scheint etwas
fester. So findet sich neben heil-agr, höf-ugr, naud-
ugr, dreyr-ugr, mod-ugr, mal-ugr, ur-igr verkürzt hel-gr,
höf-gr, naud-gr, dreyr-gr, mod-gr, mal-gr, ur-gr, wo-
bei die zutretenden flexionen ihren einfluß ausüben. Ja
ein sehr gebräuchliches adj. kommt nur ohne den vo-
cal vor, nämlich mar-gr (multus), das mit dem goth.
man-ags, ahd. man-ac einerlei sein muß; n verwandelte
sich in r *), weil man-gr von dem compos. man-gi (nemo)
schwer zu unterscheiden gewesen wäre. Die Schweden
setzen aber neben mar-g bisweilen man-g. --

mhd. erscheint die volle endung -ac nirgends mehr,
abgesehen von dem aus weißac misverstandnen subst. weis-
sage, weis-sage (st. weiß-ege, wie oben s. 107. ehte-sal, irre-
sal, st. ehtesel); sondern dafür die abschwächung -ec.
Da aber auch die ableitung -eic in -ec, -ec verdünnt wor-
den ist, so verschwimmen beide endungen ineinander,
d. h. es wird für beide ein gleichlautiges -ec oder -ic
geschrieben, Wolfr. reimt Wilh. 111a geitec: streitec (ahd.
keitac, streiteic). Welche schreibung den vorzug verdiene,
-ec oder -ic? muß wohl für einzelne dichter ausgemit-
telt werden. Bei einigen kommen zuweilen noch be-
tonte -eic, -ic, -igen vor (beispiele stehen 1, 368. und
deshalb sind die -ic nicht ganz aufzugeben; andere, na-
mentlich Wolfr., scheinen nur -ec zu kennen. Den or-
ganischen unterschied zwischen -ac und -eic auch in die-
ser periode zu erfaßen, dient also 1) bei umlautbaren
der umlaut; wo er mangelt ist ein altes -ac, wo er ein-
tritt, ein altes -eic zu vermuthen. Doch jenes leidet die
bekannten ausnahmen, in welchen die mhd. sprache den
umlaut meidet, namentlich bei wurzelhaftem ou, ung,

*) nicht unähnlich wandeln die Serben dasselbe wort mnogi
in mlogi, doch wohl aus anderm anlaß.

III. conſonantiſche ableitungen. G.
tus). Die andern alle ſchwanken zwiſchen -ugr und
-igr, beiſpiele werden dort angeführt werden. Raſk
§. 365. hält -ig für alterthümlicher als -ug; das mag ſein
in wörtern, denen goth. -eig, ahd. -îc zuſteht. In denen
mit urſprüngl. -ag erkläre ich mir die verwandlung in
-ug nicht anders als die des -all in -ull (1, 741. 2, 103.):
aus dem fem. kröpt-ug bildete ſich auch ein maſc. kröpt-
ugr ſtatt krapt-agr. Noch iſt zu merken, daß die altn.
ſprache den ableitungsvocal häufig ganz ausſtößt, zumahl
in ſolchen, ſo viel ich ſehe, die urſprüngl. -ag hatten;
das u oder i welches goth. -ei vertritt, ſcheint etwas
feſter. So findet ſich neben heil-agr, höf-ugr, nauð-
ugr, dreyr-ugr, môð-ugr, mâl-ugr, ur-igr verkürzt hel-gr,
höf-gr, nauð-gr, dreyr-gr, môð-gr, mâl-gr, ur-gr, wo-
bei die zutretenden flexionen ihren einfluß ausüben. Ja
ein ſehr gebräuchliches adj. kommt nur ohne den vo-
cal vor, nämlich mar-gr (multus), das mit dem goth.
man-ags, ahd. man-ac einerlei ſein muß; n verwandelte
ſich in r *), weil man-gr von dem compoſ. man-gi (nemo)
ſchwer zu unterſcheiden geweſen wäre. Die Schweden
ſetzen aber neben mar-g bisweilen mån-g. —

mhd. erſcheint die volle endung -ac nirgends mehr,
abgeſehen von dem aus wîƷac misverſtandnen ſubſt. wîſ-
ſage, wîs-ſage (ſt. wîƷ-ege, wie oben ſ. 107. ehte-ſal, irre-
ſal, ſt. ehteſel); ſondern dafür die abſchwächung -ec.
Da aber auch die ableitung -îc in -ëc, -ec verdünnt wor-
den iſt, ſo verſchwimmen beide endungen ineinander,
d. h. es wird für beide ein gleichlautiges -ec oder -ic
geſchrieben, Wolfr. reimt Wilh. 111a gîtec: ſtrîtec (ahd.
kîtac, ſtrîtîc). Welche ſchreibung den vorzug verdiene,
-ec oder -ic? muß wohl für einzelne dichter ausgemit-
telt werden. Bei einigen kommen zuweilen noch be-
tonte -îc, -ìc, -ìgen vor (beiſpiele ſtehen 1, 368. und
deshalb ſind die -ic nicht ganz aufzugeben; andere, na-
mentlich Wolfr., ſcheinen nur -ec zu kennen. Den or-
ganiſchen unterſchied zwiſchen -ac und -îc auch in die-
ſer periode zu erfaßen, dient alſo 1) bei umlautbaren
der umlaut; wo er mangelt iſt ein altes -ac, wo er ein-
tritt, ein altes -îc zu vermuthen. Doch jenes leidet die
bekannten ausnahmen, in welchen die mhd. ſprache den
umlaut meidet, namentlich bei wurzelhaftem ou, ung,

*) nicht unähnlich wandeln die Serben daſſelbe wort mnogi
in mlogi, doch wohl aus anderm anlaß.
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[292/0310] III. conſonantiſche ableitungen. G. tus). Die andern alle ſchwanken zwiſchen -ugr und -igr, beiſpiele werden dort angeführt werden. Raſk §. 365. hält -ig für alterthümlicher als -ug; das mag ſein in wörtern, denen goth. -eig, ahd. -îc zuſteht. In denen mit urſprüngl. -ag erkläre ich mir die verwandlung in -ug nicht anders als die des -all in -ull (1, 741. 2, 103.): aus dem fem. kröpt-ug bildete ſich auch ein maſc. kröpt- ugr ſtatt krapt-agr. Noch iſt zu merken, daß die altn. ſprache den ableitungsvocal häufig ganz ausſtößt, zumahl in ſolchen, ſo viel ich ſehe, die urſprüngl. -ag hatten; das u oder i welches goth. -ei vertritt, ſcheint etwas feſter. So findet ſich neben heil-agr, höf-ugr, nauð- ugr, dreyr-ugr, môð-ugr, mâl-ugr, ur-igr verkürzt hel-gr, höf-gr, nauð-gr, dreyr-gr, môð-gr, mâl-gr, ur-gr, wo- bei die zutretenden flexionen ihren einfluß ausüben. Ja ein ſehr gebräuchliches adj. kommt nur ohne den vo- cal vor, nämlich mar-gr (multus), das mit dem goth. man-ags, ahd. man-ac einerlei ſein muß; n verwandelte ſich in r *), weil man-gr von dem compoſ. man-gi (nemo) ſchwer zu unterſcheiden geweſen wäre. Die Schweden ſetzen aber neben mar-g bisweilen mån-g. — mhd. erſcheint die volle endung -ac nirgends mehr, abgeſehen von dem aus wîƷac misverſtandnen ſubſt. wîſ- ſage, wîs-ſage (ſt. wîƷ-ege, wie oben ſ. 107. ehte-ſal, irre- ſal, ſt. ehteſel); ſondern dafür die abſchwächung -ec. Da aber auch die ableitung -îc in -ëc, -ec verdünnt wor- den iſt, ſo verſchwimmen beide endungen ineinander, d. h. es wird für beide ein gleichlautiges -ec oder -ic geſchrieben, Wolfr. reimt Wilh. 111a gîtec: ſtrîtec (ahd. kîtac, ſtrîtîc). Welche ſchreibung den vorzug verdiene, -ec oder -ic? muß wohl für einzelne dichter ausgemit- telt werden. Bei einigen kommen zuweilen noch be- tonte -îc, -ìc, -ìgen vor (beiſpiele ſtehen 1, 368. und deshalb ſind die -ic nicht ganz aufzugeben; andere, na- mentlich Wolfr., ſcheinen nur -ec zu kennen. Den or- ganiſchen unterſchied zwiſchen -ac und -îc auch in die- ſer periode zu erfaßen, dient alſo 1) bei umlautbaren der umlaut; wo er mangelt iſt ein altes -ac, wo er ein- tritt, ein altes -îc zu vermuthen. Doch jenes leidet die bekannten ausnahmen, in welchen die mhd. ſprache den umlaut meidet, namentlich bei wurzelhaftem ou, ung, *) nicht unähnlich wandeln die Serben daſſelbe wort mnogi in mlogi, doch wohl aus anderm anlaß.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/310>, abgerufen am 11.05.2024.