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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. laut und ablaut im allgemeinen.
noch die einstimmende zahl überwiegend und unabweislich.
Unter jenen einzelnen formen kommen mehrere nur
höchst selten wirklich vor, andere waren früher im ab-
laut vorhanden, wie nachher gezeigt werden soll. Auf-
fallend ist die abwesenheit des au in der starken conjuga-
tion (1, 838. nr. 8.) außer wo es sich hin und wieder
statt des iu, am liebsten vor k, g, f, (1, 842. 860. 897.
918. 941. 999. vgl. 1036.) entwickelt. Muß man anneh-
men, daß eine alte form des ablauts ausgestorben sei, in
welcher auch dem au seine stelle gebührte? oder daß
gleich jenen auk, aug, auf etc. alle au auf ein ursprüng-
liches iu deuten? Ersteres bezweifle ich bei der uralten
dauer und abgeschloßenheit aller ablautenden conjugatio-
nen, und letzteres hilft nur für einige wörter aus (vgl.
skaur f. skiur nr. 522.) *). Die meisten scheinen einsam
und außer berührung mit ablautsverwandten da zu ste-
hen. Es ist gut, hier die wichtigsten dieser wörter an-
zuführen: [mhd.] maul (os) saul (columna) vaul (putris) gaul
(aper) raum (spatium) kaume (aegre) taume (pollex) saumen
(tardare) raune (mysterium) braun (fulvus) hiune (gigas,?
ursus, altn. haun catulus ursinus) schaur (imber) maur
(murus) saur (acer) haube (calantica) traube (nva) taube (co-
lumba) strauben (horrere) staude (frutex) haut (cutis) braut
(sponsa) kraut (herba) laut (sonorus) traut (fidus) auß (ex)
strauß (struthio) grauß (arena) maus (mus) laus (pediculus)
haus (domus) tausent (mille) saus (stridor) bauch (venter)
strauch (frutex) stauch (uter) rauch (hirsutus) brauchen (frui)
stauche (manica) tauchen (mergi). Meistentheils uralte wör-
ter von dunkelster herkunft. Einigemahl schwanken au
und ou, für taube findet sich toube geschrieben (1, 98.)
was der form, kaum der bedeutung nach, zu toup (sur-
dus) toben (errare) hinführt [vgl. hernach starke verba
nr. 210.]; eher mag haube hoube sein und dem ags. hea-
fola (tegmen capitis) alth. houpilo? verwandt. Am wahr-
scheinlichsten ist anzunehmen, daß das lange au aus älte-
rem kurzen u (wie zuweilen ei aus i) erwachsen und
vielleicht noch ein goth. dubo, hus etc. statt daubo, haus
zu behaupten sei, folglich die stämme dieser wörter in
die VIII. oder XI. conj. fallen.

*) Der umlaut des au in iu, welcher gleich jedem umlaut,
etwas späteres, eine schwächung des vocalprincips ist, be-
zeugt zwar die verwandtschaft beider laute, kann aber os-
feubar nicht au aus dem iu erklären helfen.

III. laut und ablaut im allgemeinen.
noch die einſtimmende zahl überwiegend und unabweiſlich.
Unter jenen einzelnen formen kommen mehrere nur
höchſt ſelten wirklich vor, andere waren früher im ab-
laut vorhanden, wie nachher gezeigt werden ſoll. Auf-
fallend iſt die abweſenheit des û in der ſtarken conjuga-
tion (1, 838. nr. 8.) außer wo es ſich hin und wieder
ſtatt des iu, am liebſten vor k, g, f, (1, 842. 860. 897.
918. 941. 999. vgl. 1036.) entwickelt. Muß man anneh-
men, daß eine alte form des ablauts ausgeſtorben ſei, in
welcher auch dem û ſeine ſtelle gebührte? oder daß
gleich jenen ûk, ûg, ûf etc. alle û auf ein urſprüng-
liches iu deuten? Erſteres bezweifle ich bei der uralten
dauer und abgeſchloßenheit aller ablautenden conjugatio-
nen, und letzteres hilft nur für einige wörter aus (vgl.
ſkûr f. ſkiur nr. 522.) *). Die meiſten ſcheinen einſam
und außer berührung mit ablautsverwandten da zu ſte-
hen. Es iſt gut, hier die wichtigſten dieſer wörter an-
zuführen: [mhd.] mûl (os) ſûl (columna) vûl (putris) gûl
(aper) rûm (ſpatium) kûme (aegre) tûme (pollex) ſûmen
(tardare) rûne (myſterium) brûn (fulvus) hiune (gigas,?
urſus, altn. hûn catulus urſinus) ſchûr (imber) mûr
(murus) ſûr (acer) hûbe (calantica) trûbe (nva) tûbe (co-
lumba) ſtrûben (horrere) ſtûde (frutex) hût (cutis) brût
(ſponſa) krût (herba) lût (ſonorus) trût (fidus) ûƷ (ex)
ſtrûƷ (ſtruthio) grûƷ (arena) mûs (mus) lûs (pediculus)
hûs (domus) tûſent (mille) ſûs (ſtridor) bûch (venter)
ſtrûch (frutex) ſtûch (uter) rûch (hirſutus) brûchen (frui)
ſtûche (manica) tûchen (mergi). Meiſtentheils uralte wör-
ter von dunkelſter herkunft. Einigemahl ſchwanken û
und ou, für tûbe findet ſich toube geſchrieben (1, 98.)
was der form, kaum der bedeutung nach, zu toup (ſur-
dus) toben (errare) hinführt [vgl. hernach ſtarke verba
nr. 210.]; eher mag hûbe hoube ſein und dem agſ. heá-
fola (tegmen capitis) alth. houpilo? verwandt. Am wahr-
ſcheinlichſten iſt anzunehmen, daß das lange û aus älte-
rem kurzen u (wie zuweilen î aus i) erwachſen und
vielleicht noch ein goth. dubô, hus etc. ſtatt dûbô, hûs
zu behaupten ſei, folglich die stämme dieſer wörter in
die VIII. oder XI. conj. fallen.

*) Der umlaut des û in iu, welcher gleich jedem umlaut,
etwas ſpäteres, eine ſchwächung des vocalprincips iſt, be-
zeugt zwar die verwandtſchaft beider laute, kann aber oſ-
feubar nicht û aus dem iu erklären helfen.
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[7/0025] III. laut und ablaut im allgemeinen. noch die einſtimmende zahl überwiegend und unabweiſlich. Unter jenen einzelnen formen kommen mehrere nur höchſt ſelten wirklich vor, andere waren früher im ab- laut vorhanden, wie nachher gezeigt werden ſoll. Auf- fallend iſt die abweſenheit des û in der ſtarken conjuga- tion (1, 838. nr. 8.) außer wo es ſich hin und wieder ſtatt des iu, am liebſten vor k, g, f, (1, 842. 860. 897. 918. 941. 999. vgl. 1036.) entwickelt. Muß man anneh- men, daß eine alte form des ablauts ausgeſtorben ſei, in welcher auch dem û ſeine ſtelle gebührte? oder daß gleich jenen ûk, ûg, ûf etc. alle û auf ein urſprüng- liches iu deuten? Erſteres bezweifle ich bei der uralten dauer und abgeſchloßenheit aller ablautenden conjugatio- nen, und letzteres hilft nur für einige wörter aus (vgl. ſkûr f. ſkiur nr. 522.) *). Die meiſten ſcheinen einſam und außer berührung mit ablautsverwandten da zu ſte- hen. Es iſt gut, hier die wichtigſten dieſer wörter an- zuführen: [mhd.] mûl (os) ſûl (columna) vûl (putris) gûl (aper) rûm (ſpatium) kûme (aegre) tûme (pollex) ſûmen (tardare) rûne (myſterium) brûn (fulvus) hiune (gigas,? urſus, altn. hûn catulus urſinus) ſchûr (imber) mûr (murus) ſûr (acer) hûbe (calantica) trûbe (nva) tûbe (co- lumba) ſtrûben (horrere) ſtûde (frutex) hût (cutis) brût (ſponſa) krût (herba) lût (ſonorus) trût (fidus) ûƷ (ex) ſtrûƷ (ſtruthio) grûƷ (arena) mûs (mus) lûs (pediculus) hûs (domus) tûſent (mille) ſûs (ſtridor) bûch (venter) ſtrûch (frutex) ſtûch (uter) rûch (hirſutus) brûchen (frui) ſtûche (manica) tûchen (mergi). Meiſtentheils uralte wör- ter von dunkelſter herkunft. Einigemahl ſchwanken û und ou, für tûbe findet ſich toube geſchrieben (1, 98.) was der form, kaum der bedeutung nach, zu toup (ſur- dus) toben (errare) hinführt [vgl. hernach ſtarke verba nr. 210.]; eher mag hûbe hoube ſein und dem agſ. heá- fola (tegmen capitis) alth. houpilo? verwandt. Am wahr- ſcheinlichſten iſt anzunehmen, daß das lange û aus älte- rem kurzen u (wie zuweilen î aus i) erwachſen und vielleicht noch ein goth. dubô, hus etc. ſtatt dûbô, hûs zu behaupten ſei, folglich die stämme dieſer wörter in die VIII. oder XI. conj. fallen. *) Der umlaut des û in iu, welcher gleich jedem umlaut, etwas ſpäteres, eine ſchwächung des vocalprincips iſt, be- zeugt zwar die verwandtſchaft beider laute, kann aber oſ- feubar nicht û aus dem iu erklären helfen.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/25>, abgerufen am 27.04.2024.