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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. consonantische ableitungen. T.
55b trev. 18a nhd. beif-uß, in welchem man irrthümlich
ein comp. beifuß erblickte, scheint undeutsch. Lye hat äle-
puta (capito)? vielleicht äler-uta? nhd. elr-itze (phoxinus)
Popowitsch p. 106.


[AIT] diese noch problematische ableitung stützt sich
bloß auf wenige wörter. Das erste derselben ist ahd. am-eißa
(formica) trev. 12a und mhd. im reim auf reißen, eißen Parc.
99a Conr. vor Wigal. LXIII. am-eiße, pl. ameißen, seltner
im reim auf weiß MS. 2, 166a am-eiß, nhd. am-eise (f. am-
eiße); ags. äm-ete, äm-ette, gen. äm-ettan; engl. emm-et.
Den anlautenden vocal habe ich s. 88. kurz angenommen,
weil mir das altn. ami (molestia), das ags. äm-eta (otium)
äm-etan, äm-tjan (vacare a labore) äm-ettig (otiosus, va-
cuus) engl. emp-ty, das ahd. em-aßeic (jugis, assiduus,
frequens) nhd. em-sig (f. em-ßig) damit verwandt zu sein
scheinen. Denn da sich em-ißeic findet, mag e das um-
gelautete kurze a sein. Der ameise gebührt der name
des arbeitenden thiers, das sprichwort geht von bienen-
fleiß wie von ameisenfleiß. Hat es ein verlornes ahd.
subst. am-aßo, em-ißjo (otium, negotium), wie im ags.
äm-etta, gegeben, so wurde die benennung des thierleins
durch den abweichenden ableitungsvocal ei (am-eißa) da-
von unterschieden. Volksdialecte zeigen indessen om-eiß,
welches auf am-eiße mit langem vocal schließen läßt und
bis wir über den ablaut der wurzel am- näher aufgeklärt
sind, hat iman, am, amun, wonach kurzer oder langer
vocal in unserm wort bestehen kann, nichts widerspre-
chendes *). -- Das zweite wort dieser ableitung ist weiter
ausgebreitet und schon im goth. nachzuweisen. agl-aitei
(aselgeia, luxuria, fastus) Marc. 7, 22. scheint mit aglus
verwandt (oben s. 104., also mehrfache ableitung ag-l-ait-
ei) eigentlich studium, solertia zu bedeuten; jenes subst.
setzt ein adj. agl-aitis (instans, vehemens, procax) vor-
aus, Tit. 1, 7. agl-ait-gastalds (aiskhrskerdes, hab-gierig).
Das adj. lautet ahd. akal-eißi (solers, sagax) O. III. 10,
53., weder akaleißi, noch weniger akaleiß, wie 1, 724.
angenommen wurde. Häufiger ist das adv. akal-eißo (stu-

*) oder wäre hier gar kein ableitendes -eiße, sondern ameißa
anzunehmen, von meißan (secare)? entw. das gelenkige, einge-
schnittene thier (insectum, entomon) vgl. Parc. 12131, oder das ein-
freßende? doch warum ags. ämetta, nicht aemaeta?

III. conſonantiſche ableitungen. T.
55b trev. 18a nhd. beif-uß, in welchem man irrthümlich
ein comp. beifuß erblickte, ſcheint undeutſch. Lye hat äle-
puta (capito)? vielleicht äler-uta? nhd. elr-itze (phoxinus)
Popowitſch p. 106.


[AIT] dieſe noch problematiſche ableitung ſtützt ſich
bloß auf wenige wörter. Das erſte derſelben iſt ahd. am-eiƷa
(formica) trev. 12a und mhd. im reim auf reiƷen, eiƷen Parc.
99a Conr. vor Wigal. LXIII. am-eiƷe, pl. ameiƷen, ſeltner
im reim auf weiƷ MS. 2, 166a am-eiƷ, nhd. am-eiſe (f. am-
eiße); agſ. äm-ete, äm-ette, gen. äm-ettan; engl. emm-et.
Den anlautenden vocal habe ich ſ. 88. kurz angenommen,
weil mir das altn. ami (moleſtia), das agſ. äm-eta (otium)
äm-etan, äm-tjan (vacare a labore) äm-ettig (otioſus, va-
cuus) engl. emp-ty, das ahd. em-aƷîc (jugis, aſſiduus,
frequens) nhd. em-ſig (f. em-ßig) damit verwandt zu ſein
ſcheinen. Denn da ſich em-iƷîc findet, mag e das um-
gelautete kurze a ſein. Der ameiſe gebührt der name
des arbeitenden thiers, das ſprichwort geht von bienen-
fleiß wie von ameiſenfleiß. Hat es ein verlornes ahd.
ſubſt. am-aƷo, em-iƷjo (otium, negotium), wie im agſ.
äm-etta, gegeben, ſo wurde die benennung des thierleins
durch den abweichenden ableitungsvocal ei (am-eiƷa) da-
von unterſchieden. Volksdialecte zeigen indeſſen om-eiß,
welches auf âm-eiƷe mit langem vocal ſchließen läßt und
bis wir über den ablaut der wurzel am- näher aufgeklärt
ſind, hat iman, am, âmun, wonach kurzer oder langer
vocal in unſerm wort beſtehen kann, nichts widerſpre-
chendes *). — Das zweite wort dieſer ableitung iſt weiter
ausgebreitet und ſchon im goth. nachzuweiſen. agl-áitei
(ἀσέλγεια, luxuria, faſtus) Marc. 7, 22. ſcheint mit aglus
verwandt (oben ſ. 104., alſo mehrfache ableitung ag-l-ait-
ei) eigentlich ſtudium, ſolertia zu bedeuten; jenes ſubſt.
ſetzt ein adj. agl-áitis (inſtans, vehemens, procax) vor-
aus, Tit. 1, 7. agl-áit-gaſtalds (αἰσχρσκερδής, hab-gierig).
Das adj. lautet ahd. akal-eiƷi (ſolers, ſagax) O. III. 10,
53., weder âkaleiƷi, noch weniger âkaleiƷ, wie 1, 724.
angenommen wurde. Häufiger iſt das adv. akal-eiƷo (ſtu-

*) oder wäre hier gar kein ableitendes -eiƷe, ſondern âmeiƷa
anzunehmen, von meiƷan (ſecare)? entw. das gelenkige, einge-
ſchnittene thier (inſectum, ἔντομον) vgl. Parc. 12131, oder das ein-
freßende? doch warum agſ. ämetta, nicht æmæta?
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[221/0239] III. conſonantiſche ableitungen. T. 55b trev. 18a nhd. beif-uß, in welchem man irrthümlich ein comp. beifuß erblickte, ſcheint undeutſch. Lye hat äle- puta (capito)? vielleicht äler-uta? nhd. elr-itze (phoxinus) Popowitſch p. 106. [AIT] dieſe noch problematiſche ableitung ſtützt ſich bloß auf wenige wörter. Das erſte derſelben iſt ahd. am-eiƷa (formica) trev. 12a und mhd. im reim auf reiƷen, eiƷen Parc. 99a Conr. vor Wigal. LXIII. am-eiƷe, pl. ameiƷen, ſeltner im reim auf weiƷ MS. 2, 166a am-eiƷ, nhd. am-eiſe (f. am- eiße); agſ. äm-ete, äm-ette, gen. äm-ettan; engl. emm-et. Den anlautenden vocal habe ich ſ. 88. kurz angenommen, weil mir das altn. ami (moleſtia), das agſ. äm-eta (otium) äm-etan, äm-tjan (vacare a labore) äm-ettig (otioſus, va- cuus) engl. emp-ty, das ahd. em-aƷîc (jugis, aſſiduus, frequens) nhd. em-ſig (f. em-ßig) damit verwandt zu ſein ſcheinen. Denn da ſich em-iƷîc findet, mag e das um- gelautete kurze a ſein. Der ameiſe gebührt der name des arbeitenden thiers, das ſprichwort geht von bienen- fleiß wie von ameiſenfleiß. Hat es ein verlornes ahd. ſubſt. am-aƷo, em-iƷjo (otium, negotium), wie im agſ. äm-etta, gegeben, ſo wurde die benennung des thierleins durch den abweichenden ableitungsvocal ei (am-eiƷa) da- von unterſchieden. Volksdialecte zeigen indeſſen om-eiß, welches auf âm-eiƷe mit langem vocal ſchließen läßt und bis wir über den ablaut der wurzel am- näher aufgeklärt ſind, hat iman, am, âmun, wonach kurzer oder langer vocal in unſerm wort beſtehen kann, nichts widerſpre- chendes *). — Das zweite wort dieſer ableitung iſt weiter ausgebreitet und ſchon im goth. nachzuweiſen. agl-áitei (ἀσέλγεια, luxuria, faſtus) Marc. 7, 22. ſcheint mit aglus verwandt (oben ſ. 104., alſo mehrfache ableitung ag-l-ait- ei) eigentlich ſtudium, ſolertia zu bedeuten; jenes ſubſt. ſetzt ein adj. agl-áitis (inſtans, vehemens, procax) vor- aus, Tit. 1, 7. agl-áit-gaſtalds (αἰσχρσκερδής, hab-gierig). Das adj. lautet ahd. akal-eiƷi (ſolers, ſagax) O. III. 10, 53., weder âkaleiƷi, noch weniger âkaleiƷ, wie 1, 724. angenommen wurde. Häufiger iſt das adv. akal-eiƷo (ſtu- *) oder wäre hier gar kein ableitendes -eiƷe, ſondern âmeiƷa anzunehmen, von meiƷan (ſecare)? entw. das gelenkige, einge- ſchnittene thier (inſectum, ἔντομον) vgl. Parc. 12131, oder das ein- freßende? doch warum agſ. ämetta, nicht æmæta?

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/239>, abgerufen am 28.04.2024.