weil dem oberflächlichen gefühl das ahd. sala, mhd. sal (traditio) ferner lag, als das masc. sal (aula), welchem letztern der übertritt aus dem üblichen neutr. in das masc. (vgl. oben gruoß-s-al) zugeschrieben werden muß. Ich kenne beinahe keinen mhd. dichter, der im neutr. oder masc. das natürliche -s-el behauptet hätte, alle setzen -sal für es-al, -s-al, vgl. derre-sal (ariditas) Georg. 4152.; ehte-sal (persequutio) cod. pal. 361, 12c, 37d; velle- sal (afflictio) MS. 2, 211b; vluh-sal (was man fliehet) Parc. 28b Barl. 238, 28.; irre-sal, ir-sal (error, vagatio) mehrmahls bei Ottoc.; raet-sal (aenigma) Rote im grundr. 301.; nur alle gebrauchen weh-s-el (nie weh-sal) *) und in der unreinen mundart eines spätern gedichts (lieder- sal 619.) lese ich trum-s-el (frustum). Doch sind über- haupt auch die -sal unhäufig.
Kein solches -sal, vielmehr das organische -s-el kennt die mnl. sprache, vgl. dek-s-el (operculum) Maerl. 1, 131.; doep-s-el (baptismus) 2, 104.; minc-s-el (demi- nutio) 3, 208; raed-ch-el f. raed-s-el (aenigma) 1, 197.
Merkwürdig bestehen im nhd. beiderlei formen neben einander; viele -sal dauern in der schriftsprache fort, viele -s-el haben sich, vielleicht durch die volkssprache, wieder geltend gemacht. Vgl. drang-sal, feind-sal, irr- sal, lab-sal, müh-sal, rach-sal (H. Sachs) rinn-sal (altn. renn-s-l) saum-sal, schick-sal, scheu-sal, trüb-sal, wirr- sal, zwang-sal; und auf der andern seite: überbleib-s-el, feg-s-el, füll-s-el, anhäng-s-el, gemeng-s-el, heck-s-el (d. i. hexel) gemet-s-el (d. i. gemetzel), raet-s-el, schreib- s-el, schmier-s-el, schnit-s-el (d. i. schnitzel), stöpf-s-el, wech-s-el, gewin-s-el. Diese scheinen gemeiner, jene durch ihren wohllaut edler. Doch schließen sich beide ab und weder drang-s-el, ist zuläßig noch überbleib-sal. Vielleicht dürfte man einige der letztern form für neutra zweiter decl. nehmen, z. b. gemengsel, gewinsel für ein älteres gemengsele, gewinsele?
*) eben der frühern coalition des hs. in diesem worte wegen, weshalb auch nnl. wissel und nicht wiksel steht.
III. conſonantiſche ableitungen. L.
weil dem oberflächlichen gefühl das ahd. ſala, mhd. ſal (traditio) ferner lag, als das maſc. ſal (aula), welchem letztern der übertritt aus dem üblichen neutr. in das maſc. (vgl. oben gruoƷ-ſ-al) zugeſchrieben werden muß. Ich kenne beinahe keinen mhd. dichter, der im neutr. oder maſc. das natürliche -ſ-el behauptet hätte, alle ſetzen -ſal für eſ-al, -ſ-al, vgl. derre-ſal (ariditas) Georg. 4152.; ehte-ſal (perſequutio) cod. pal. 361, 12c, 37d; velle- ſal (afflictio) MS. 2, 211b; vluh-ſal (was man fliehet) Parc. 28b Barl. 238, 28.; irre-ſal, ir-ſal (error, vagatio) mehrmahls bei Ottoc.; ræt-ſal (aenigma) Rote im grundr. 301.; nur alle gebrauchen wëh-ſ-el (nie wëh-ſal) *) und in der unreinen mundart eines ſpätern gedichts (lieder- ſal 619.) leſe ich trum-ſ-el (fruſtum). Doch ſind über- haupt auch die -ſal unhäufig.
Kein ſolches -ſal, vielmehr das organiſche -ſ-el kennt die mnl. ſprache, vgl. dek-ſ-el (operculum) Maerl. 1, 131.; doep-ſ-el (baptiſmus) 2, 104.; minc-ſ-el (demi- nutio) 3, 208; raed-ch-el f. raed-ſ-el (aenigma) 1, 197.
Merkwürdig beſtehen im nhd. beiderlei formen neben einander; viele -ſal dauern in der ſchriftſprache fort, viele -ſ-el haben ſich, vielleicht durch die volksſprache, wieder geltend gemacht. Vgl. drang-ſâl, feind-ſâl, irr- ſâl, lâb-ſâl, muͤh-ſâl, rach-ſâl (H. Sachs) rinn-ſâl (altn. renn-ſ-l) ſaum-ſâl, ſchick-ſâl, ſcheu-ſâl, truͤb-ſâl, wirr- ſâl, zwang-ſâl; und auf der andern ſeite: überbleib-ſ-el, fêg-ſ-el, füll-ſ-el, anhäng-ſ-el, gemeng-ſ-el, heck-ſ-el (d. i. hexel) gemet-ſ-el (d. i. gemetzel), ræt-ſ-el, ſchreib- ſ-el, ſchmier-ſ-el, ſchnit-ſ-el (d. i. ſchnitzel), ſtöpf-ſ-el, wech-ſ-el, gewin-ſ-el. Dieſe ſcheinen gemeiner, jene durch ihren wohllaut edler. Doch ſchließen ſich beide ab und weder drang-ſ-el, iſt zuläßig noch überbleib-ſal. Vielleicht dürfte man einige der letztern form für neutra zweiter decl. nehmen, z. b. gemengſel, gewinſel für ein älteres gemengſele, gewinſele?
*) eben der frühern coalition des hſ. in dieſem worte wegen, weshalb auch nnl. wiſſel und nicht wikſel ſteht.
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III. conſonantiſche ableitungen. L.
weil dem oberflächlichen gefühl das ahd. ſala, mhd. ſal
(traditio) ferner lag, als das maſc. ſal (aula), welchem
letztern der übertritt aus dem üblichen neutr. in das
maſc. (vgl. oben gruoƷ-ſ-al) zugeſchrieben werden muß.
Ich kenne beinahe keinen mhd. dichter, der im neutr.
oder maſc. das natürliche -ſ-el behauptet hätte, alle
ſetzen -ſal für eſ-al, -ſ-al, vgl. derre-ſal (ariditas) Georg.
4152.; ehte-ſal (perſequutio) cod. pal. 361, 12c, 37d; velle-
ſal (afflictio) MS. 2, 211b; vluh-ſal (was man fliehet)
Parc. 28b Barl. 238, 28.; irre-ſal, ir-ſal (error, vagatio)
mehrmahls bei Ottoc.; ræt-ſal (aenigma) Rote im grundr.
301.; nur alle gebrauchen wëh-ſ-el (nie wëh-ſal) *) und
in der unreinen mundart eines ſpätern gedichts (lieder-
ſal 619.) leſe ich trum-ſ-el (fruſtum). Doch ſind über-
haupt auch die -ſal unhäufig.
Kein ſolches -ſal, vielmehr das organiſche -ſ-el
kennt die mnl. ſprache, vgl. dek-ſ-el (operculum) Maerl.
1, 131.; doep-ſ-el (baptiſmus) 2, 104.; minc-ſ-el (demi-
nutio) 3, 208; raed-ch-el f. raed-ſ-el (aenigma) 1, 197.
Merkwürdig beſtehen im nhd. beiderlei formen neben
einander; viele -ſal dauern in der ſchriftſprache fort,
viele -ſ-el haben ſich, vielleicht durch die volksſprache,
wieder geltend gemacht. Vgl. drang-ſâl, feind-ſâl, irr-
ſâl, lâb-ſâl, muͤh-ſâl, rach-ſâl (H. Sachs) rinn-ſâl (altn.
renn-ſ-l) ſaum-ſâl, ſchick-ſâl, ſcheu-ſâl, truͤb-ſâl, wirr-
ſâl, zwang-ſâl; und auf der andern ſeite: überbleib-ſ-el,
fêg-ſ-el, füll-ſ-el, anhäng-ſ-el, gemeng-ſ-el, heck-ſ-el
(d. i. hexel) gemet-ſ-el (d. i. gemetzel), ræt-ſ-el, ſchreib-
ſ-el, ſchmier-ſ-el, ſchnit-ſ-el (d. i. ſchnitzel), ſtöpf-ſ-el,
wech-ſ-el, gewin-ſ-el. Dieſe ſcheinen gemeiner, jene
durch ihren wohllaut edler. Doch ſchließen ſich beide
ab und weder drang-ſ-el, iſt zuläßig noch überbleib-ſal.
Vielleicht dürfte man einige der letztern form für neutra
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älteres gemengſele, gewinſele?
Nnl. lauter-ſ-el: bloei-ſ-el, knie-buig-ſ-el, dôp-ſ-el,
uit-druk-ſ-el, begin-ſ-el, verguld-ſ-el, mâk-ſ-el, meng-
ſ-el, râd-ſ-el, ſchik-ſ-el, ſchrâp-ſ-el, uitſpan-ſ-el, ſtroi-
ſ-el, ſtyſ-ſ-el, hand-vat-ſ-el (anſa) bî-voeg-ſ-el, wind-ſ-el
(faſcia, involucrum) wiſ-ſ-el (cambium) welf-ſ-el (ge-
wölbe) u. a. m. —
*) eben der frühern coalition des hſ. in dieſem worte wegen,
weshalb auch nnl. wiſſel und nicht wikſel ſteht.
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/125>, abgerufen am 18.12.2024.
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