Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

II. mittelhochd. zweite schwache conjugation.
weiß nicht, ob ihnen diejenigen zur seite stehn, welche
sich bei dem ältern Wernher genug, selbst im reime fin-
den? aber ein betonteres o voraushaben, und vielleicht
in die form -ote zu verbeßern sind, vgl. Mar. 12. dor-
rot: gesegenot; 53 erledigot, 66 redot: scadot, 86 wun-
derot (vgl. 77. 181.); unangreifbar scheint 32 erwachot:
not. Der ers[t]e fall ist ohne zweifel zuläßig und häu-
figer, als der zweite, greift aber in die mittelh. reim-
kunst. Reinklingend wie jagete: klagete sind reime wie
bagete: vragete nicht. Es wird darauf ankommen und
wohl nach einzelnen dichtern verschieden beurtheilt
werden müßen, ob dem überklang eine eigne silbe oder
nicht gebührt, d. h. ob sie für dreisilbige (gleitende) oder
zweisilbige reime gelten. Manche (Wolfr. Hartm. etc.)
enthalten, manche (Gotfr. Rud. etc.) bedienen sich der
gleitenden. Trist. 57b dürfte also minnete: versinnete so
gut, als minnende: versinnende gleiten. Den dritten fall
thun unleugbare reime dar, z. b. erte: kerte Wilh. 2, 21a
Iw. 29a 36a 49c; merte: kerte Iw. 23a weinte: meinte,
bescheinte Parc. 99a Wilh. 2, 14a Iw. 13c Wigal. 193.
Trist. 30c, starte: warte troj. 57b, dancten: wancten
Wilh 2, 191b etc. wo erete, merete, weinete, starrete,
danketen gekürzt sind. Andere beispiele sind nur schein-
bar, wie erhancte: wancte Parc. 108b; wirte: irte Wilh.
2, 80a, da gewancte von wenken (Parc. 112a) herrührt,
irte vom alth. irran, irta (impedire) nicht von irron,
irrota (errare). Iene merte, erte, weinte etc. laßen sich
freilich wie die kürzungen langsilbiger praet. erster conj.
(s. 952.) nehmen, als einen sieg des -te über den ablei-
tungsvocal, ja man kann erwarten, daß die praet. bei-
der conjugg. sich auf gleichen fuß zu setzen strebten,
da schon früher einzelne wörter zwischen beiden
schwankten. Gewis aber, wenn sie sich auch in der
mittelh. zeit entwickelten und allmählig stärkten, ist an
kein vorwalten dieser richtungen zu denken. Die erste
conj. syncopiert nothwendig, die zweite ausnahmsweise;
noch hält das gefühl des alth. o und e wider in dem
tonlosen e und noch sondert der regere rückumlaut die
meisten verba erster conj. vernehmlich ab, gesellen würde
kein praet. gesalte (wie vellen valte) gestatten, höch-
stens geselte für gesellete. Wahrscheinlich zeigte sich
die kürzung zuerst nach liq. (erte, weinte), oder nach
vereinfachtem ll, nn, rr (starte, minte, stilte f. starrete,
minnete, stillete) parallel dem gestumpften dat. sg bar,
schal, vel st. hare, schalle, velle (s. 669. 680.). Nach

II. mittelhochd. zweite ſchwache conjugation.
weiß nicht, ob ihnen diejenigen zur ſeite ſtehn, welche
ſich bei dem ältern Wernher genug, ſelbſt im reime fin-
den? aber ein betonteres ô voraushaben, und vielleicht
in die form -ôte zu verbeßern ſind, vgl. Mar. 12. dor-
rôt: geſëgenôt; 53 erledigôt, 66 redôt: ſcadôt, 86 wun-
derôt (vgl. 77. 181.); unangreifbar ſcheint 32 erwachôt:
nôt. Der erſ[t]e fall iſt ohne zweifel zuläßig und häu-
figer, als der zweite, greift aber in die mittelh. reim-
kunſt. Reinklingend wie jagete: klagete ſind reime wie
bâgete: vrâgete nicht. Es wird darauf ankommen und
wohl nach einzelnen dichtern verſchieden beurtheilt
werden müßen, ob dem überklang eine eigne ſilbe oder
nicht gebührt, d. h. ob ſie für dreiſilbige (gleitende) oder
zweiſilbige reime gelten. Manche (Wolfr. Hartm. etc.)
enthalten, manche (Gotfr. Rud. etc.) bedienen ſich der
gleitenden. Triſt. 57b dürfte alſo minnete: verſinnete ſo
gut, als minnende: verſinnende gleiten. Den dritten fall
thun unleugbare reime dar, z. b. êrte: kêrte Wilh. 2, 21a
Iw. 29a 36a 49c; mêrte: kêrte Iw. 23a weinte: meinte,
beſcheinte Parc. 99a Wilh. 2, 14a Iw. 13c Wigal. 193.
Triſt. 30c, ſtarte: warte troj. 57b, dancten: wancten
Wilh 2, 191b etc. wo êrete, mêrete, weinete, ſtarrete,
danketen gekürzt ſind. Andere beiſpiele ſind nur ſchein-
bar, wie erhancte: wancte Parc. 108b; wirte: irte Wilh.
2, 80a, da gewancte von wenken (Parc. 112a) herrührt,
irte vom alth. irran, irta (impedire) nicht von irrôn,
irrôta (errare). Iene mêrte, êrte, weinte etc. laßen ſich
freilich wie die kürzungen langſilbiger praet. erſter conj.
(ſ. 952.) nehmen, als einen ſieg des -te über den ablei-
tungsvocal, ja man kann erwarten, daß die praet. bei-
der conjugg. ſich auf gleichen fuß zu ſetzen ſtrebten,
da ſchon früher einzelne wörter zwiſchen beiden
ſchwankten. Gewis aber, wenn ſie ſich auch in der
mittelh. zeit entwickelten und allmählig ſtärkten, iſt an
kein vorwalten dieſer richtungen zu denken. Die erſte
conj. ſyncopiert nothwendig, die zweite ausnahmsweiſe;
noch hält das gefühl des alth. ô und ê wider in dem
tonloſen e und noch ſondert der regere rückumlaut die
meiſten verba erſter conj. vernehmlich ab, geſellen würde
kein praet. geſalte (wie vellen valte) geſtatten, höch-
ſtens geſelte für geſellete. Wahrſcheinlich zeigte ſich
die kürzung zuerſt nach liq. (êrte, weinte), oder nach
vereinfachtem ll, nn, rr (ſtarte, minte, ſtilte f. ſtarrete,
minnete, ſtillete) parallel dem geſtumpften dat. ſg bâr,
ſchal, vël ſt. hâre, ſchalle, vëlle (ſ. 669. 680.). Nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0986" n="960"/><fw place="top" type="header">II. <hi rendition="#i">mittelhochd. zweite &#x017F;chwache conjugation.</hi></fw><lb/>
weiß nicht, ob ihnen diejenigen zur &#x017F;eite &#x017F;tehn, welche<lb/>
&#x017F;ich bei dem ältern Wernher <choice><sic>genng</sic><corr>genug</corr></choice>, &#x017F;elb&#x017F;t im reime fin-<lb/>
den? aber ein betonteres ô voraushaben, und vielleicht<lb/>
in die form -ôte zu verbeßern &#x017F;ind, vgl. Mar. 12. dor-<lb/>
rôt: ge&#x017F;ëgenôt; 53 erledigôt, 66 redôt: &#x017F;cadôt, 86 wun-<lb/>
derôt (vgl. 77. 181.); unangreifbar &#x017F;cheint 32 erwachôt:<lb/>
nôt. Der <hi rendition="#i">er&#x017F;<supplied>t</supplied>e fall</hi> i&#x017F;t ohne zweifel zuläßig und häu-<lb/>
figer, als der zweite, greift aber in die mittelh. reim-<lb/>
kun&#x017F;t. Reinklingend wie jagete: klagete &#x017F;ind reime wie<lb/>
bâgete: vrâgete nicht. Es wird darauf ankommen und<lb/>
wohl nach einzelnen dichtern ver&#x017F;chieden beurtheilt<lb/>
werden müßen, ob dem überklang eine eigne &#x017F;ilbe oder<lb/>
nicht gebührt, d. h. ob &#x017F;ie für drei&#x017F;ilbige (gleitende) oder<lb/>
zwei&#x017F;ilbige reime gelten. Manche (Wolfr. Hartm. etc.)<lb/>
enthalten, manche (Gotfr. Rud. etc.) bedienen &#x017F;ich der<lb/>
gleitenden. Tri&#x017F;t. 57<hi rendition="#sup">b</hi> dürfte al&#x017F;o minnete: ver&#x017F;innete &#x017F;o<lb/>
gut, als minnende: ver&#x017F;innende gleiten. Den <hi rendition="#i">dritten fall</hi><lb/>
thun unleugbare reime dar, z. b. êrte: kêrte Wilh. 2, 21<hi rendition="#sup">a</hi><lb/>
Iw. 29<hi rendition="#sup">a</hi> 36<hi rendition="#sup">a</hi> 49<hi rendition="#sup">c</hi>; mêrte: kêrte Iw. 23<hi rendition="#sup">a</hi> weinte: meinte,<lb/>
be&#x017F;cheinte Parc. 99<hi rendition="#sup">a</hi> Wilh. 2, 14<hi rendition="#sup">a</hi> Iw. 13<hi rendition="#sup">c</hi> Wigal. 193.<lb/>
Tri&#x017F;t. 30<hi rendition="#sup">c</hi>, &#x017F;tarte: warte troj. 57<hi rendition="#sup">b</hi>, dancten: wancten<lb/>
Wilh 2, 191<hi rendition="#sup">b</hi> etc. wo êrete, mêrete, weinete, &#x017F;tarrete,<lb/>
danketen gekürzt &#x017F;ind. Andere bei&#x017F;piele &#x017F;ind nur &#x017F;chein-<lb/>
bar, wie erhancte: wancte Parc. 108<hi rendition="#sup">b</hi>; wirte: irte Wilh.<lb/>
2, 80<hi rendition="#sup">a</hi>, da gewancte von wenken (Parc. 112<hi rendition="#sup">a</hi>) herrührt,<lb/>
irte vom alth. irran, irta (impedire) nicht von irrôn,<lb/>
irrôta (errare). Iene mêrte, êrte, weinte etc. laßen &#x017F;ich<lb/>
freilich wie die kürzungen lang&#x017F;ilbiger praet. er&#x017F;ter conj.<lb/>
(&#x017F;. 952.) nehmen, als einen &#x017F;ieg des -te über den ablei-<lb/>
tungsvocal, ja man kann erwarten, daß die praet. bei-<lb/>
der conjugg. &#x017F;ich auf gleichen fuß zu &#x017F;etzen &#x017F;trebten,<lb/>
da &#x017F;chon früher einzelne wörter zwi&#x017F;chen beiden<lb/>
&#x017F;chwankten. Gewis aber, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich auch in der<lb/>
mittelh. zeit entwickelten und allmählig &#x017F;tärkten, i&#x017F;t an<lb/>
kein vorwalten die&#x017F;er richtungen zu denken. Die er&#x017F;te<lb/>
conj. &#x017F;yncopiert nothwendig, die zweite ausnahmswei&#x017F;e;<lb/>
noch hält das gefühl des alth. ô und ê wider in dem<lb/>
tonlo&#x017F;en e und noch &#x017F;ondert der regere rückumlaut die<lb/>
mei&#x017F;ten verba er&#x017F;ter conj. vernehmlich ab, ge&#x017F;ellen würde<lb/>
kein praet. ge&#x017F;alte (wie vellen valte) ge&#x017F;tatten, höch-<lb/>
&#x017F;tens ge&#x017F;elte für ge&#x017F;ellete. Wahr&#x017F;cheinlich zeigte &#x017F;ich<lb/>
die kürzung zuer&#x017F;t nach liq. (êrte, weinte), oder nach<lb/>
vereinfachtem ll, nn, rr (&#x017F;tarte, minte, &#x017F;tilte f. &#x017F;tarrete,<lb/>
minnete, &#x017F;tillete) parallel dem ge&#x017F;tumpften dat. &#x017F;g bâr,<lb/>
&#x017F;chal, vël &#x017F;t. hâre, &#x017F;challe, vëlle (&#x017F;. 669. 680.). Nach<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[960/0986] II. mittelhochd. zweite ſchwache conjugation. weiß nicht, ob ihnen diejenigen zur ſeite ſtehn, welche ſich bei dem ältern Wernher genug, ſelbſt im reime fin- den? aber ein betonteres ô voraushaben, und vielleicht in die form -ôte zu verbeßern ſind, vgl. Mar. 12. dor- rôt: geſëgenôt; 53 erledigôt, 66 redôt: ſcadôt, 86 wun- derôt (vgl. 77. 181.); unangreifbar ſcheint 32 erwachôt: nôt. Der erſte fall iſt ohne zweifel zuläßig und häu- figer, als der zweite, greift aber in die mittelh. reim- kunſt. Reinklingend wie jagete: klagete ſind reime wie bâgete: vrâgete nicht. Es wird darauf ankommen und wohl nach einzelnen dichtern verſchieden beurtheilt werden müßen, ob dem überklang eine eigne ſilbe oder nicht gebührt, d. h. ob ſie für dreiſilbige (gleitende) oder zweiſilbige reime gelten. Manche (Wolfr. Hartm. etc.) enthalten, manche (Gotfr. Rud. etc.) bedienen ſich der gleitenden. Triſt. 57b dürfte alſo minnete: verſinnete ſo gut, als minnende: verſinnende gleiten. Den dritten fall thun unleugbare reime dar, z. b. êrte: kêrte Wilh. 2, 21a Iw. 29a 36a 49c; mêrte: kêrte Iw. 23a weinte: meinte, beſcheinte Parc. 99a Wilh. 2, 14a Iw. 13c Wigal. 193. Triſt. 30c, ſtarte: warte troj. 57b, dancten: wancten Wilh 2, 191b etc. wo êrete, mêrete, weinete, ſtarrete, danketen gekürzt ſind. Andere beiſpiele ſind nur ſchein- bar, wie erhancte: wancte Parc. 108b; wirte: irte Wilh. 2, 80a, da gewancte von wenken (Parc. 112a) herrührt, irte vom alth. irran, irta (impedire) nicht von irrôn, irrôta (errare). Iene mêrte, êrte, weinte etc. laßen ſich freilich wie die kürzungen langſilbiger praet. erſter conj. (ſ. 952.) nehmen, als einen ſieg des -te über den ablei- tungsvocal, ja man kann erwarten, daß die praet. bei- der conjugg. ſich auf gleichen fuß zu ſetzen ſtrebten, da ſchon früher einzelne wörter zwiſchen beiden ſchwankten. Gewis aber, wenn ſie ſich auch in der mittelh. zeit entwickelten und allmählig ſtärkten, iſt an kein vorwalten dieſer richtungen zu denken. Die erſte conj. ſyncopiert nothwendig, die zweite ausnahmsweiſe; noch hält das gefühl des alth. ô und ê wider in dem tonloſen e und noch ſondert der regere rückumlaut die meiſten verba erſter conj. vernehmlich ab, geſellen würde kein praet. geſalte (wie vellen valte) geſtatten, höch- ſtens geſelte für geſellete. Wahrſcheinlich zeigte ſich die kürzung zuerſt nach liq. (êrte, weinte), oder nach vereinfachtem ll, nn, rr (ſtarte, minte, ſtilte f. ſtarrete, minnete, ſtillete) parallel dem geſtumpften dat. ſg bâr, ſchal, vël ſt. hâre, ſchalle, vëlle (ſ. 669. 680.). Nach

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/986
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 960. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/986>, abgerufen am 18.05.2024.