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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. mittelhochd. erste schwache conjugation.
-elt, -ert, -ürt; denen auf -end, -erb, -ett, -est
(wohl auch -ünd, -ütt, -üst?) steht es nach verschie-
denheit der mundarten frei ihrem praet. uml. zu laßen,
oder es rückumzulant n. z. b. Wolfr. sagt gleste, Wirnt
glaste; Gotfr. ande (Trist. 26b Wirnt ende (Wig. 66. 112.),
die meisten sante, sande (misit) H. Damen 64c sende etc.
Vielleicht haftet zuweilen org. iu, z. b. tiurte, gehinrte
neben taurte? Bildungen mit l, n, r führen ihren um-
laut der nicht eigentlich vom i vor dem -ta ausgieng,
durch, also nicht: nagelte, vuoterte. -- g) praet. conj.
ist dem ind. gleich. wie sich bei unumlautbaren von
selbst versteht, erquicte (refocillavit, refocillaret) meinte
(cupivit, cuperet); zweifeln möchte man bei den im
ind. rückumlautenden. Allein es heißt brante (com-
bussit, combureret) wie im alth. pranta, pranti, vgl.
blante, erwante, sazte Parc. 52b 55b erkanden M. S. 1,
67b etc. um so vielmehr horte (audirem) lauhte (lucerem)
huote (custodirem). Ausnahmsweise und selten e statt
des rückuml. a, M. S. 1, 134a erkenten: elementen,
livl. chr. 43b brenten: senten (mitterent), welcher um-
lant weniger der conjunctivflexion zuzuschreiben, als
aus der contraction f. kenneten, brenneten zu erklären
ist (vgl. die folg anm.). Nur anomale schwache praet.,
deren ind. keinen rückuml. zeigen kann, lauten im
conj. um. -- d) syncope des ableitungsvocals vor dem
-te ist regel, also brante, horte, loste, blicte, neigte etc.
nicht: brennete, hoerete, loesete, blickete, neigete. Von
diesem gekürzten praet. gilt aber kein schloß aufs part.
praet., welches häufig den ableitungs-voc. behält und
dem oft beiderlei form, erkant und erkennet, gerecht ist
(näheres beim part.). Der grund dieser verschiedenheit
liegt in dem -te des praet. und -t des part. Bei kurzsilbi-
gen durfte der stumme voc. wegfallen (welte, gewelt f.
welete, gewelet) ohne praet. und part. zu vermengen; bei
langlilbigen wog der tonlose mehr, er blieb im part.
(geteilet), hätte aber mit diesem das praet. vermischt, weil
das e in te nach vorausgehender tonloser silbe ver-
stummte, folglich teilete ganz wie teilet lautete. Der
sprachgeist opferte also das lautgesetz dem der flexion,
indem er ein tonloses e vor dem te ausstieß, um das e
der flexion te zu sichern *). Höchst selten bricht um-

*) War, da teilte schon aus dem alth. teilta übergeführt
wurde, beßer oben s. 873. zu entwickeln; läßt sich davon
auf ein alth. stummes a in teilita schließen?

II. mittelhochd. erſte ſchwache conjugation.
-elt, -ert, -ürt; denen auf -end, -erb, -ett, -eſt
(wohl auch -ünd, -ütt, -üſt?) ſteht es nach verſchie-
denheit der mundarten frei ihrem praet. uml. zu laßen,
oder es rückumzulant n. z. b. Wolfr. ſagt gleſte, Wirnt
glaſte; Gotfr. ande (Triſt. 26b Wirnt ende (Wig. 66. 112.),
die meiſten ſante, ſande (miſit) H. Damen 64c ſende etc.
Vielleicht haftet zuweilen org. iu, z. b. tiurte, gehinrte
neben tûrte? Bildungen mit l, n, r führen ihren um-
laut der nicht eigentlich vom i vor dem -ta ausgieng,
durch, alſo nicht: nagelte, vuoterte. — γ) praet. conj.
iſt dem ind. gleich. wie ſich bei unumlautbaren von
ſelbſt verſteht, erquicte (refocillavit, refocillaret) meinte
(cupivit, cuperet); zweifeln möchte man bei den im
ind. rückumlautenden. Allein es heißt brante (com-
buſſit, combureret) wie im alth. pranta, pranti, vgl.
blante, erwante, ſazte Parc. 52b 55b erkanden M. S. 1,
67b etc. um ſo vielmehr hòrte (audirem) lûhte (lucerem)
huote (cuſtodirem). Ausnahmsweiſe und ſelten e ſtatt
des rückuml. a, M. S. 1, 134a erkenten: elementen,
livl. chr. 43b brenten: ſenten (mitterent), welcher um-
lant weniger der conjunctivflexion zuzuſchreiben, als
aus der contraction f. kenneten, brenneten zu erklären
iſt (vgl. die folg anm.). Nur anomale ſchwache praet.,
deren ind. keinen rückuml. zeigen kann, lauten im
conj. um. — δ) ſyncope des ableitungsvocals vor dem
-te iſt regel, alſo brante, hôrte, lôſte, blicte, neigte etc.
nicht: brennete, hœrete, lœſete, blickete, neigete. Von
dieſem gekürzten praet. gilt aber kein ſchloß aufs part.
praet., welches häufig den ableitungs-voc. behält und
dem oft beiderlei form, erkant und erkennet, gerecht iſt
(näheres beim part.). Der grund dieſer verſchiedenheit
liegt in dem -te des praet. und -t des part. Bei kurzſilbi-
gen durfte der ſtumme voc. wegfallen (welte, gewelt f.
welete, gewelet) ohne praet. und part. zu vermengen; bei
langlilbigen wog der tonloſe mehr, er blieb im part.
(geteilet), hätte aber mit dieſem das praet. vermiſcht, weil
das e in te nach vorausgehender tonloſer ſilbe ver-
ſtummte, folglich teilete ganz wie teilet lautete. Der
ſprachgeiſt opferte alſo das lautgeſetz dem der flexion,
indem er ein tonloſes e vor dem te ausſtieß, um das e
der flexion te zu ſichern *). Höchſt ſelten bricht um-

*) War, da teilte ſchon aus dem alth. teilta übergeführt
wurde, beßer oben ſ. 873. zu entwickeln; läßt ſich davon
auf ein alth. ſtummes a in teilita ſchließen?
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[952/0978] II. mittelhochd. erſte ſchwache conjugation. -elt, -ert, -ürt; denen auf -end, -erb, -ett, -eſt (wohl auch -ünd, -ütt, -üſt?) ſteht es nach verſchie- denheit der mundarten frei ihrem praet. uml. zu laßen, oder es rückumzulant n. z. b. Wolfr. ſagt gleſte, Wirnt glaſte; Gotfr. ande (Triſt. 26b Wirnt ende (Wig. 66. 112.), die meiſten ſante, ſande (miſit) H. Damen 64c ſende etc. Vielleicht haftet zuweilen org. iu, z. b. tiurte, gehinrte neben tûrte? Bildungen mit l, n, r führen ihren um- laut der nicht eigentlich vom i vor dem -ta ausgieng, durch, alſo nicht: nagelte, vuoterte. — γ) praet. conj. iſt dem ind. gleich. wie ſich bei unumlautbaren von ſelbſt verſteht, erquicte (refocillavit, refocillaret) meinte (cupivit, cuperet); zweifeln möchte man bei den im ind. rückumlautenden. Allein es heißt brante (com- buſſit, combureret) wie im alth. pranta, pranti, vgl. blante, erwante, ſazte Parc. 52b 55b erkanden M. S. 1, 67b etc. um ſo vielmehr hòrte (audirem) lûhte (lucerem) huote (cuſtodirem). Ausnahmsweiſe und ſelten e ſtatt des rückuml. a, M. S. 1, 134a erkenten: elementen, livl. chr. 43b brenten: ſenten (mitterent), welcher um- lant weniger der conjunctivflexion zuzuſchreiben, als aus der contraction f. kenneten, brenneten zu erklären iſt (vgl. die folg anm.). Nur anomale ſchwache praet., deren ind. keinen rückuml. zeigen kann, lauten im conj. um. — δ) ſyncope des ableitungsvocals vor dem -te iſt regel, alſo brante, hôrte, lôſte, blicte, neigte etc. nicht: brennete, hœrete, lœſete, blickete, neigete. Von dieſem gekürzten praet. gilt aber kein ſchloß aufs part. praet., welches häufig den ableitungs-voc. behält und dem oft beiderlei form, erkant und erkennet, gerecht iſt (näheres beim part.). Der grund dieſer verſchiedenheit liegt in dem -te des praet. und -t des part. Bei kurzſilbi- gen durfte der ſtumme voc. wegfallen (welte, gewelt f. welete, gewelet) ohne praet. und part. zu vermengen; bei langlilbigen wog der tonloſe mehr, er blieb im part. (geteilet), hätte aber mit dieſem das praet. vermiſcht, weil das e in te nach vorausgehender tonloſer ſilbe ver- ſtummte, folglich teilete ganz wie teilet lautete. Der ſprachgeiſt opferte alſo das lautgeſetz dem der flexion, indem er ein tonloſes e vor dem te ausſtieß, um das e der flexion te zu ſichern *). Höchſt ſelten bricht um- *) War, da teilte ſchon aus dem alth. teilta übergeführt wurde, beßer oben ſ. 873. zu entwickeln; läßt ſich davon auf ein alth. ſtummes a in teilita ſchließen?

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 952. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/978>, abgerufen am 17.05.2024.