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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. übersicht der consonanten.
es ist eine veränderung eingetreten, vermöge welcher
im hochd. jeder dieser neun cons. gleichmäßig von sei-
ner stelle rückte *). Daß aber hier der hochd. zustand
als der abgewichene, jüngere; der goth. (sächs. fries.
nord.) als der frühere betrachtet werden müße, unter-
liegt keinem zweifel, und ist bei auseinandersetzung der
alth. buchstaben mit verschiedenen gründen bewiesen
worden. Anmerkungen:

1) die lingualreihe zeigt das verhältnis am deutlichsten;
im goth. sind tains, dal, thaurnus so nothwendig ge-
schieden, als im hochd. zein, tal, dorn.
2) auch die labialordnung fügt sich, sobald man für den
anlaut in dem hochd. v die zweite asp. bh erkennt
und diese statt der nahverwandten eigentlichen med.
zuläßt. Für f. p. v führte sich die falsche bezeichung
ph. b. f oder noch andere schwankend ein. Man vgl.
die goth. pund, bairan, filu mit den hochd. funt,
peran, vilo (auch geschrieben: phunt, beran, filo).
Die ältere einrichtung wirkte in der inconsequenten
schreibung sichtlich nach, zu dem rein medialen bilo
für filo, vilo erhob sich nicht einmahl die streng-
hochdeutscheste aussprache, welcher peran, pein, perag
ganz geläufig war. Selbst harte oberdeutsche volks-
dialecte kennen und üben kein solches b für f (wohl
aber manche b für die spirans w). Alles gilt jedoch
vom anlaut, inlautend scheint mir die med. häufig
recht zu stehen, z. b. in ebar (aper) eban (aequalis) etc.
(vgl. unten s. 589. anm. b.).
3) der reihe des kehllauts gebricht im goth. etc. die
aspiration; im hochd. finden sich alle drei stufen, aber
wie haben (ch für das goth. k angenommen) das
hochd. k und g sich ins goth. g organisch zu theilen?
Dies wäre kaum aus der deutschen sprache zu beant-
worten; die unsicherheit der alth. schreibung wirrt
nicht bloß k und g. sondern auch k und ch in einan-
der. Indessen gewährt schon einiges licht, daß das
alth. mit g wechselnde k nicht in ch und umgekehrt,
das mit ch wechselnde k nicht in g übertritt. So
z. b. darf für chunni (genus) nie gunni, für gans
(anser) nie chans stehen, für beide hingegen kunni
und kans. Da nun ferner das inlautende ch nicht
*) Auf die alth. mittelh. und mittelniederl. bestimmung der
an- und auslaute wird hierbei keine rücksicht genommen.

I. überſicht der conſonanten.
es iſt eine veränderung eingetreten, vermöge welcher
im hochd. jeder dieſer neun conſ. gleichmäßig von ſei-
ner ſtelle rückte *). Daß aber hier der hochd. zuſtand
als der abgewichene, jüngere; der goth. (ſächſ. frieſ.
nord.) als der frühere betrachtet werden müße, unter-
liegt keinem zweifel, und iſt bei auseinanderſetzung der
alth. buchſtaben mit verſchiedenen gründen bewieſen
worden. Anmerkungen:

1) die lingualreihe zeigt das verhältnis am deutlichſten;
im goth. ſind tains, dal, þaúrnus ſo nothwendig ge-
ſchieden, als im hochd. zein, tal, dorn.
2) auch die labialordnung fügt ſich, ſobald man für den
anlaut in dem hochd. v die zweite aſp. bh erkennt
und dieſe ſtatt der nahverwandten eigentlichen med.
zuläßt. Für f. p. v führte ſich die falſche bezeichung
ph. b. f oder noch andere ſchwankend ein. Man vgl.
die goth. pund, baíran, filu mit den hochd. funt,
përan, vilo (auch geſchrieben: phunt, bëran, filo).
Die ältere einrichtung wirkte in der inconſequenten
ſchreibung ſichtlich nach, zu dem rein medialen bilo
für filo, vilo erhob ſich nicht einmahl die ſtreng-
hochdeutſcheſte ausſprache, welcher përan, pein, përag
ganz geläufig war. Selbſt harte oberdeutſche volks-
dialecte kennen und üben kein ſolches b für f (wohl
aber manche b für die ſpirans w). Alles gilt jedoch
vom anlaut, inlautend ſcheint mir die med. häufig
recht zu ſtehen, z. b. in ëbar (aper) ëban (aequalis) etc.
(vgl. unten ſ. 589. anm. b.).
3) der reihe des kehllauts gebricht im goth. etc. die
aſpiration; im hochd. finden ſich alle drei ſtufen, aber
wie haben (ch für das goth. k angenommen) das
hochd. k und g ſich ins goth. g organiſch zu theilen?
Dies wäre kaum aus der deutſchen ſprache zu beant-
worten; die unſicherheit der alth. ſchreibung wirrt
nicht bloß k und g. ſondern auch k und ch in einan-
der. Indeſſen gewährt ſchon einiges licht, daß das
alth. mit g wechſelnde k nicht in ch und umgekehrt,
das mit ch wechſelnde k nicht in g übertritt. So
z. b. darf für chunni (genus) nie gunni, für gans
(anſer) nie chans ſtehen, für beide hingegen kunni
und kans. Da nun ferner das inlautende ch nicht
*) Auf die alth. mittelh. und mittelniederl. beſtimmung der
an- und auslaute wird hierbei keine rückſicht genommen.
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[582/0608] I. überſicht der conſonanten. es iſt eine veränderung eingetreten, vermöge welcher im hochd. jeder dieſer neun conſ. gleichmäßig von ſei- ner ſtelle rückte *). Daß aber hier der hochd. zuſtand als der abgewichene, jüngere; der goth. (ſächſ. frieſ. nord.) als der frühere betrachtet werden müße, unter- liegt keinem zweifel, und iſt bei auseinanderſetzung der alth. buchſtaben mit verſchiedenen gründen bewieſen worden. Anmerkungen: 1) die lingualreihe zeigt das verhältnis am deutlichſten; im goth. ſind tains, dal, þaúrnus ſo nothwendig ge- ſchieden, als im hochd. zein, tal, dorn. 2) auch die labialordnung fügt ſich, ſobald man für den anlaut in dem hochd. v die zweite aſp. bh erkennt und dieſe ſtatt der nahverwandten eigentlichen med. zuläßt. Für f. p. v führte ſich die falſche bezeichung ph. b. f oder noch andere ſchwankend ein. Man vgl. die goth. pund, baíran, filu mit den hochd. funt, përan, vilo (auch geſchrieben: phunt, bëran, filo). Die ältere einrichtung wirkte in der inconſequenten ſchreibung ſichtlich nach, zu dem rein medialen bilo für filo, vilo erhob ſich nicht einmahl die ſtreng- hochdeutſcheſte ausſprache, welcher përan, pein, përag ganz geläufig war. Selbſt harte oberdeutſche volks- dialecte kennen und üben kein ſolches b für f (wohl aber manche b für die ſpirans w). Alles gilt jedoch vom anlaut, inlautend ſcheint mir die med. häufig recht zu ſtehen, z. b. in ëbar (aper) ëban (aequalis) etc. (vgl. unten ſ. 589. anm. b.). 3) der reihe des kehllauts gebricht im goth. etc. die aſpiration; im hochd. finden ſich alle drei ſtufen, aber wie haben (ch für das goth. k angenommen) das hochd. k und g ſich ins goth. g organiſch zu theilen? Dies wäre kaum aus der deutſchen ſprache zu beant- worten; die unſicherheit der alth. ſchreibung wirrt nicht bloß k und g. ſondern auch k und ch in einan- der. Indeſſen gewährt ſchon einiges licht, daß das alth. mit g wechſelnde k nicht in ch und umgekehrt, das mit ch wechſelnde k nicht in g übertritt. So z. b. darf für chunni (genus) nie gunni, für gans (anſer) nie chans ſtehen, für beide hingegen kunni und kans. Da nun ferner das inlautende ch nicht *) Auf die alth. mittelh. und mittelniederl. beſtimmung der an- und auslaute wird hierbei keine rückſicht genommen.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/608>, abgerufen am 22.11.2024.