Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite
I. übersicht der consonanten.

Die vier liquidas sind unwandelbar, ihr flüßiges
element erhält sie gerade aufrecht in aller gewaltsamen
erschütterung; mit ihnen tragen sich bloß einzelne ver-
tauschungen, versetzungen, ausstoßungen, geminationen
zu, deren ungeachtet ihre wesentliche bedeutung die-
selbe bleibt d. h. wenn schon z. b. für chirche zuwei-
len chilche erscheint, stehen doch in allen übrigen fäl-
len r und l. grundverschieden. Zu merken:

1) einerseits l und r in näherer beziehung aufeinander,
andrerseits m und n. Im fall des wechsels ist m das
frühere, feinere; n das spätere, gröbere (vgl. s. 386.
387.). Umgekehrt mag das härtere r älter, das wei-
chere l jünger seyn. m steht in besonderem bezug
auf die lippenlaute, n auf die zungenlaute (vgl. s. 536.)
daher das hochd. au, ou vor m und lab., o vor n und
ling. (s. 100.); l und r verbinden sich gleichgern mit
lab. ling. und gutt. -- l und r lösen sich bisweilen in
u und i auf (und könnten darum halbvocale heißen);
niemahls m und n, doch ließe sich der einfluß des
ausfallenden n auf den vorstehenden voc. vergleichen
(gas f. gans).
2) in der wichtigen berührung des r mit s, der verbin-
dungen rd mit dd und sd (goth. zd) erscheint r, rd
als jüngere, allmählig aus s, sd erwachsene form (vgl.
s. 64. 65. 121. 167. 210. 244. 305. 317. 343. 387. 416.).

Gleich den liquiden laufen die drei spiranten v. h.
s. wesentlich unverändert durch alle deutsche mundar-
ten. Ihre innere verwandtschaft folgere ich theils aus
dem vor ihnen eintretenden e statt ei (s. 91.) o statt au
(s. 94.) theils aus den übergängen zwischen h und v, w
(s. 148. 403.) h und s (s. 318. 416.) und der berührung
der aspiration mit der assibilation (th. ts. z); zwischen
v. w und s, kein unmittelbarer wechsel; h und v, die
leisesten aller cons., fallen zuweilen unersetzt aus, selbst
anlautend und zumahl vor liquiden. --

Ganz anders verhält es sich mit den übrigen conso-
nanten, ein merklicher gegensatz zwischen den hoch-
deutschen und allen anderen mundarten wird offenbar.
Im labial-, lingual-, guttural-laut entspricht die goth.
(sächs. fries. nord.) ten. der hochd. asp.; die goth. med.
der hochd. ten.; die goth. asp. der hochd. media. Das
einzelne stellt sich so vor augen:

goth. P. B. F.T. D. th.K. G. .
alth. F. P. B,(V)Z. T. D.CH. K. G.

I. überſicht der conſonanten.

Die vier liquidas ſind unwandelbar, ihr flüßiges
element erhält ſie gerade aufrecht in aller gewaltſamen
erſchütterung; mit ihnen tragen ſich bloß einzelne ver-
tauſchungen, verſetzungen, ausſtoßungen, geminationen
zu, deren ungeachtet ihre weſentliche bedeutung die-
ſelbe bleibt d. h. wenn ſchon z. b. für chirche zuwei-
len chilche erſcheint, ſtehen doch in allen übrigen fäl-
len r und l. grundverſchieden. Zu merken:

1) einerſeits l und r in näherer beziehung aufeinander,
andrerſeits m und n. Im fall des wechſels iſt m das
frühere, feinere; n das ſpätere, gröbere (vgl. ſ. 386.
387.). Umgekehrt mag das härtere r älter, das wei-
chere l jünger ſeyn. m ſteht in beſonderem bezug
auf die lippenlaute, n auf die zungenlaute (vgl. ſ. 536.)
daher das hochd. au, ou vor m und lab., ô vor n und
ling. (ſ. 100.); l und r verbinden ſich gleichgern mit
lab. ling. und gutt. — l und r löſen ſich bisweilen in
u und i auf (und könnten darum halbvocale heißen);
niemahls m und n, doch ließe ſich der einfluß des
ausfallenden n auf den vorſtehenden voc. vergleichen
(gâs f. gans).
2) in der wichtigen berührung des r mit ſ, der verbin-
dungen rd mit dd und ſd (goth. zd) erſcheint r, rd
als jüngere, allmählig aus ſ, ſd erwachſene form (vgl.
ſ. 64. 65. 121. 167. 210. 244. 305. 317. 343. 387. 416.).

Gleich den liquiden laufen die drei ſpiranten v. h.
ſ. weſentlich unverändert durch alle deutſche mundar-
ten. Ihre innere verwandtſchaft folgere ich theils aus
dem vor ihnen eintretenden ê ſtatt ei (ſ. 91.) ô ſtatt au
(ſ. 94.) theils aus den übergängen zwiſchen h und v, w
(ſ. 148. 403.) h und ſ (ſ. 318. 416.) und der berührung
der aſpiration mit der aſſibilation (th. ts. z); zwiſchen
v. w und ſ, kein unmittelbarer wechſel; h und v, die
leiſeſten aller conſ., fallen zuweilen unerſetzt aus, ſelbſt
anlautend und zumahl vor liquiden. —

Ganz anders verhält es ſich mit den übrigen conſo-
nanten, ein merklicher gegenſatz zwiſchen den hoch-
deutſchen und allen anderen mundarten wird offenbar.
Im labial-, lingual-, guttural-laut entſpricht die goth.
(ſächſ. frieſ. nord.) ten. der hochd. aſp.; die goth. med.
der hochd. ten.; die goth. aſp. der hochd. media. Das
einzelne ſtellt ſich ſo vor augen:

goth. P. B. F.T. D. þ.K. G. .
alth. F. P. B,(V)Z. T. D.CH. K. G.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0607" n="581"/>
          <fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">über&#x017F;icht der con&#x017F;onanten.</hi></fw><lb/>
          <p>Die vier <hi rendition="#i">liquidas</hi> &#x017F;ind unwandelbar, ihr flüßiges<lb/>
element erhält &#x017F;ie gerade aufrecht in aller gewalt&#x017F;amen<lb/>
er&#x017F;chütterung; mit ihnen tragen &#x017F;ich bloß einzelne ver-<lb/>
tau&#x017F;chungen, ver&#x017F;etzungen, aus&#x017F;toßungen, geminationen<lb/>
zu, deren ungeachtet ihre we&#x017F;entliche bedeutung die-<lb/>
&#x017F;elbe bleibt d. h. wenn &#x017F;chon z. b. für chirche zuwei-<lb/>
len chilche er&#x017F;cheint, &#x017F;tehen doch in allen übrigen fäl-<lb/>
len r und l. grundver&#x017F;chieden. Zu merken:</p><lb/>
          <list>
            <item>1) einer&#x017F;eits l und r in näherer beziehung aufeinander,<lb/>
andrer&#x017F;eits m und n. Im fall des wech&#x017F;els i&#x017F;t m das<lb/>
frühere, feinere; n das &#x017F;pätere, gröbere (vgl. &#x017F;. 386.<lb/>
387.). Umgekehrt mag das härtere r älter, das wei-<lb/>
chere l jünger &#x017F;eyn. m &#x017F;teht in be&#x017F;onderem bezug<lb/>
auf die lippenlaute, n auf die zungenlaute (vgl. &#x017F;. 536.)<lb/>
daher das hochd. au, ou vor m und lab., ô vor n und<lb/>
ling. (&#x017F;. 100.); l und r verbinden &#x017F;ich gleichgern mit<lb/>
lab. ling. und gutt. &#x2014; l und r lö&#x017F;en &#x017F;ich bisweilen in<lb/>
u und i auf (und könnten darum halbvocale heißen);<lb/>
niemahls m und n, doch ließe &#x017F;ich der einfluß des<lb/>
ausfallenden n auf den vor&#x017F;tehenden voc. vergleichen<lb/>
(gâs f. gans).</item><lb/>
            <item>2) in der wichtigen berührung des r mit &#x017F;, der verbin-<lb/>
dungen <hi rendition="#i">rd</hi> mit <hi rendition="#i">dd</hi> und <hi rendition="#i">&#x017F;d</hi> (goth. zd) er&#x017F;cheint <hi rendition="#i">r, rd</hi><lb/>
als jüngere, allmählig aus <hi rendition="#i">&#x017F;, &#x017F;d</hi> erwach&#x017F;ene form (vgl.<lb/>
&#x017F;. 64. 65. 121. 167. 210. 244. 305. 317. 343. 387. 416.).</item>
          </list><lb/>
          <p>Gleich den liquiden laufen die drei <hi rendition="#i">&#x017F;piranten</hi> v. h.<lb/>
&#x017F;. we&#x017F;entlich unverändert durch alle deut&#x017F;che mundar-<lb/>
ten. Ihre innere verwandt&#x017F;chaft folgere ich theils aus<lb/>
dem vor ihnen eintretenden ê &#x017F;tatt ei (&#x017F;. 91.) ô &#x017F;tatt au<lb/>
(&#x017F;. 94.) theils aus den übergängen zwi&#x017F;chen h und v, w<lb/>
(&#x017F;. 148. 403.) h und &#x017F; (&#x017F;. 318. 416.) und der berührung<lb/>
der a&#x017F;piration mit der a&#x017F;&#x017F;ibilation (th. ts. z); zwi&#x017F;chen<lb/>
v. w und &#x017F;, kein unmittelbarer wech&#x017F;el; h und v, die<lb/>
lei&#x017F;e&#x017F;ten aller con&#x017F;., fallen zuweilen uner&#x017F;etzt aus, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
anlautend und zumahl vor liquiden. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ganz anders verhält es &#x017F;ich mit den übrigen con&#x017F;o-<lb/>
nanten, ein merklicher gegen&#x017F;atz zwi&#x017F;chen den hoch-<lb/>
deut&#x017F;chen und allen anderen mundarten wird offenbar.<lb/>
Im labial-, lingual-, guttural-laut ent&#x017F;pricht die goth.<lb/>
(&#x017F;äch&#x017F;. frie&#x017F;. nord.) ten. der hochd. a&#x017F;p.; die goth. med.<lb/>
der hochd. ten.; die goth. a&#x017F;p. der hochd. media. Das<lb/>
einzelne &#x017F;tellt &#x017F;ich &#x017F;o vor augen:<lb/><table><row><cell>goth. P. B. F.</cell><cell>T. D. þ.</cell><cell>K. G. .</cell></row><lb/><row><cell>alth. F. P. B,(V)</cell><cell>Z. T. D.</cell><cell>CH. K. G.</cell></row><lb/></table>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[581/0607] I. überſicht der conſonanten. Die vier liquidas ſind unwandelbar, ihr flüßiges element erhält ſie gerade aufrecht in aller gewaltſamen erſchütterung; mit ihnen tragen ſich bloß einzelne ver- tauſchungen, verſetzungen, ausſtoßungen, geminationen zu, deren ungeachtet ihre weſentliche bedeutung die- ſelbe bleibt d. h. wenn ſchon z. b. für chirche zuwei- len chilche erſcheint, ſtehen doch in allen übrigen fäl- len r und l. grundverſchieden. Zu merken: 1) einerſeits l und r in näherer beziehung aufeinander, andrerſeits m und n. Im fall des wechſels iſt m das frühere, feinere; n das ſpätere, gröbere (vgl. ſ. 386. 387.). Umgekehrt mag das härtere r älter, das wei- chere l jünger ſeyn. m ſteht in beſonderem bezug auf die lippenlaute, n auf die zungenlaute (vgl. ſ. 536.) daher das hochd. au, ou vor m und lab., ô vor n und ling. (ſ. 100.); l und r verbinden ſich gleichgern mit lab. ling. und gutt. — l und r löſen ſich bisweilen in u und i auf (und könnten darum halbvocale heißen); niemahls m und n, doch ließe ſich der einfluß des ausfallenden n auf den vorſtehenden voc. vergleichen (gâs f. gans). 2) in der wichtigen berührung des r mit ſ, der verbin- dungen rd mit dd und ſd (goth. zd) erſcheint r, rd als jüngere, allmählig aus ſ, ſd erwachſene form (vgl. ſ. 64. 65. 121. 167. 210. 244. 305. 317. 343. 387. 416.). Gleich den liquiden laufen die drei ſpiranten v. h. ſ. weſentlich unverändert durch alle deutſche mundar- ten. Ihre innere verwandtſchaft folgere ich theils aus dem vor ihnen eintretenden ê ſtatt ei (ſ. 91.) ô ſtatt au (ſ. 94.) theils aus den übergängen zwiſchen h und v, w (ſ. 148. 403.) h und ſ (ſ. 318. 416.) und der berührung der aſpiration mit der aſſibilation (th. ts. z); zwiſchen v. w und ſ, kein unmittelbarer wechſel; h und v, die leiſeſten aller conſ., fallen zuweilen unerſetzt aus, ſelbſt anlautend und zumahl vor liquiden. — Ganz anders verhält es ſich mit den übrigen conſo- nanten, ein merklicher gegenſatz zwiſchen den hoch- deutſchen und allen anderen mundarten wird offenbar. Im labial-, lingual-, guttural-laut entſpricht die goth. (ſächſ. frieſ. nord.) ten. der hochd. aſp.; die goth. med. der hochd. ten.; die goth. aſp. der hochd. media. Das einzelne ſtellt ſich ſo vor augen: goth. P. B. F. T. D. þ. K. G. . alth. F. P. B,(V) Z. T. D. CH. K. G.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/607
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/607>, abgerufen am 22.11.2024.