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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. neuniederländische vocale.
schrift, als sie schon in der aussprache untergraben war.
In dieser überwog allmählig der entgegengesetzte grund-
satz der vocalverlängerung, wozu sich die schrift unbe-
denklich bequemte, sobald kein stummes e folgte, wes-
halb auch Siegenbeek nam (nomen) an (praep.) vel
(multum) etc. richtig lehrt, unerachtet ein mittelniederl.
nam, an, vel galt. Lehrt er aber zu schreiben lezen
(legere) blazen (flare) und daneben schonen (pulchrum)
hogen (altum wenen (plorare) etc. so gebricht diesem
system selbst innere folgerichtigkeit. -- Die verlängerung
der kurzen vocale ist übrigens dem gang, welchen die
englische und nenhochd. sprache einschlagen, völlig ent-
sprechend, wie in diesen sind auch hier die fälle aus-
lautend nicht geschriebener consonanzgemination aus-
zunehmen.

(A) org. in vlam (flamma) man (vir) dan (tum) zal
(debet) was (fuit) bannen (bannire) alle (omnes) dapper
(fortis) hand (manus) gast (hospes) etc. Wird vor den
verbindungen mit r nicht verlängert (wie s. 467. 2.) son-
dern:arm (brachium) erbarmen (misereri) hard (durus)
warm (calidus) schwankt jedoch bei dergleichen wörtern
in e, welches für die aussprache des mittelniederl. ae
beweist, vgl. werm (calidus) kermen (queri) ontfermen
(misereri) etc. Umgekehrt organisches e in a, als hart
(cor) smart (dolor), zuweilen in a, als start (cauda)
zward (ensis) vgl. oben s. 469. 470.

(E) beispiele: hebben (habere) zeggen (dicere) trek-
ken (trahere) geld. veld. melden. delven (fodere) plen-
gen (fundere) zwerven (vagari) ver (longe) ster (stella)
wet pl. wetten (lex) stam (vox) mes (culter) het (id)
met (cum) etc. Von einer unterscheidung des e und e
kann nicht mehr die rede seyn, weil schon im vorigen
zeitraum alle e zu e geworden und es der aussprache
nach noch heute sind. In wensch (votum) vertritt e ein
org. u. Einige wörter schwanken wohl zwischen kürze
und länge z. b. beter (= better) und beter.

(I) beispiele: ik (ego) blikken (conspicere) ridder
(eques) schitteren (micare) kim, pl. kimmen (orizon)
min (minus) wil (voluntas) zich (se) ding (res) schild
(scutum) etc. Zuweilen für ursprüngliches ie, als: hing
(pendebat) licht (lux).

(O) beispiele: kon (potuit) zon (sol) vol (plenus)
stof (materies) op (praep.) hop (lupulus) jong (juvenis)
schonk (donavit) zonde (peccatum) wonder (mirac.) etc.

I. neuniederländiſche vocale.
ſchrift, als ſie ſchon in der ausſprache untergraben war.
In dieſer überwog allmählig der entgegengeſetzte grund-
ſatz der vocalverlängerung, wozu ſich die ſchrift unbe-
denklich bequemte, ſobald kein ſtummes e folgte, wes-
halb auch Siegenbeek nâm (nomen) ân (praep.) vêl
(multum) etc. richtig lehrt, unerachtet ein mittelniederl.
nam, an, vel galt. Lehrt er aber zu ſchreiben lezen
(legere) blazen (flare) und daneben ſchônen (pulchrum)
hôgen (altum wênen (plorare) etc. ſo gebricht dieſem
ſyſtem ſelbſt innere folgerichtigkeit. — Die verlängerung
der kurzen vocale iſt übrigens dem gang, welchen die
engliſche und nenhochd. ſprache einſchlagen, völlig ent-
ſprechend, wie in dieſen ſind auch hier die fälle aus-
lautend nicht geſchriebener conſonanzgemination aus-
zunehmen.

(A) org. in vlam (flamma) man (vir) dan (tum) zal
(debet) was (fuit) bannen (bannire) alle (omnes) dapper
(fortis) hand (manus) gaſt (hoſpes) etc. Wird vor den
verbindungen mit r nicht verlängert (wie ſ. 467. 2.) ſon-
dern:arm (brachium) erbarmen (miſereri) hard (durus)
warm (calidus) ſchwankt jedoch bei dergleichen wörtern
in e, welches für die ausſprache des mittelniederl. ae
beweiſt, vgl. werm (calidus) kermen (queri) ontfermen
(miſereri) etc. Umgekehrt organiſches ë in a, als hart
(cor) ſmart (dolor), zuweilen in â, als ſtârt (cauda)
zwârd (enſis) vgl. oben ſ. 469. 470.

(E) beiſpiele: hebben (habere) zeggen (dicere) trek-
ken (trahere) geld. veld. melden. delven (fodere) plen-
gen (fundere) zwerven (vagari) ver (longe) ſter (ſtella)
wet pl. wetten (lex) ſtam (vox) mes (culter) het (id)
met (cum) etc. Von einer unterſcheidung des ë und e
kann nicht mehr die rede ſeyn, weil ſchon im vorigen
zeitraum alle e zu ë geworden und es der ausſprache
nach noch heute ſind. In wenſch (votum) vertritt e ein
org. u. Einige wörter ſchwanken wohl zwiſchen kürze
und länge z. b. beter (= better) und bêter.

(I) beiſpiele: ik (ego) blikken (conſpicere) ridder
(eques) ſchitteren (micare) kim, pl. kimmen (ὁριζων)
min (minus) wil (voluntas) zich (ſe) ding (res) ſchild
(ſcutum) etc. Zuweilen für urſprüngliches ie, als: hing
(pendebat) licht (lux).

(O) beiſpiele: kon (potuit) zon (ſol) vol (plenus)
ſtof (materies) op (praep.) hop (lupulus) jong (juvenis)
ſchonk (donavit) zonde (peccatum) wonder (mirac.) etc.

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[530/0556] I. neuniederländiſche vocale. ſchrift, als ſie ſchon in der ausſprache untergraben war. In dieſer überwog allmählig der entgegengeſetzte grund- ſatz der vocalverlängerung, wozu ſich die ſchrift unbe- denklich bequemte, ſobald kein ſtummes e folgte, wes- halb auch Siegenbeek nâm (nomen) ân (praep.) vêl (multum) etc. richtig lehrt, unerachtet ein mittelniederl. nam, an, vel galt. Lehrt er aber zu ſchreiben lezen (legere) blazen (flare) und daneben ſchônen (pulchrum) hôgen (altum wênen (plorare) etc. ſo gebricht dieſem ſyſtem ſelbſt innere folgerichtigkeit. — Die verlängerung der kurzen vocale iſt übrigens dem gang, welchen die engliſche und nenhochd. ſprache einſchlagen, völlig ent- ſprechend, wie in dieſen ſind auch hier die fälle aus- lautend nicht geſchriebener conſonanzgemination aus- zunehmen. (A) org. in vlam (flamma) man (vir) dan (tum) zal (debet) was (fuit) bannen (bannire) alle (omnes) dapper (fortis) hand (manus) gaſt (hoſpes) etc. Wird vor den verbindungen mit r nicht verlängert (wie ſ. 467. 2.) ſon- dern:arm (brachium) erbarmen (miſereri) hard (durus) warm (calidus) ſchwankt jedoch bei dergleichen wörtern in e, welches für die ausſprache des mittelniederl. ae beweiſt, vgl. werm (calidus) kermen (queri) ontfermen (miſereri) etc. Umgekehrt organiſches ë in a, als hart (cor) ſmart (dolor), zuweilen in â, als ſtârt (cauda) zwârd (enſis) vgl. oben ſ. 469. 470. (E) beiſpiele: hebben (habere) zeggen (dicere) trek- ken (trahere) geld. veld. melden. delven (fodere) plen- gen (fundere) zwerven (vagari) ver (longe) ſter (ſtella) wet pl. wetten (lex) ſtam (vox) mes (culter) het (id) met (cum) etc. Von einer unterſcheidung des ë und e kann nicht mehr die rede ſeyn, weil ſchon im vorigen zeitraum alle e zu ë geworden und es der ausſprache nach noch heute ſind. In wenſch (votum) vertritt e ein org. u. Einige wörter ſchwanken wohl zwiſchen kürze und länge z. b. beter (= better) und bêter. (I) beiſpiele: ik (ego) blikken (conſpicere) ridder (eques) ſchitteren (micare) kim, pl. kimmen (ὁριζων) min (minus) wil (voluntas) zich (ſe) ding (res) ſchild (ſcutum) etc. Zuweilen für urſprüngliches ie, als: hing (pendebat) licht (lux). (O) beiſpiele: kon (potuit) zon (ſol) vol (plenus) ſtof (materies) op (praep.) hop (lupulus) jong (juvenis) ſchonk (donavit) zonde (peccatum) wonder (mirac.) etc.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/556>, abgerufen am 23.11.2024.