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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche buchstaben. schlußbem.
mit ü in fründe (s. 353. vgl. M. S. 1, 186a enzündet:
gefründet) des e und e (in jenen reimen er:err); da-
gegen mehr haltung der cons, verhältnisse, namentlich
des alten wechsels zwischen anl. med. und ten.
Stufen bleiben immer dabei bestehn, z. b. Reinbot
reimt schon deshalb strenger als Wolfr. und Wirnt,
weil er später ist. Die schwäbisch-schweizerische
mundart (Hartm. Flecke, Rud., viele liederdichter, der
vf. des amur etc.) meidet jene vocalungenauigkeiten,
zieht schre dem schrei vor (s. 350.) nieman dem nie-
men (s. 369.) trehten dem trehtein und schwankt frü-
her aus dem -leich in -lich, als der bairische dialect;
n wird zuweilen vom verkleinernden lein abgeworfen
(Flore 11a 35c) der schweizerische hat vielleicht den
harten kehlanlaut ch beibehalten, sein chilche f. kirche
ist s. 386. bemerkt, ihm mag auch die unterscheidung
des ck und gg (s. 441.) beiwohnen (vgl. Stalder dial.
p. 63. 64.); einige reime (s. 421. note) laßen auf breite
aussprache des st (heute noch in Schwaben scht)
schließen. Gotfried und Conrad gehören keiner dieser
beiden mundarten an, jener kann die elsäßische, dieser
die fränkischrheinische vorstellen; für die buchstaben
ergeben sie wenig eigenes, beide reimen rein, zumahl
Conrad. Anffallend ist Gotfr. van st. von im reim
auf man, gewan etc. (1b 4b 24b 30c 52b 58b 74b 76b 80c)
aber keine neigung zum niederd. (Veld. nie van im
reim, Herb. nur einmahl 113c) vielmehr auch sonst
in Oberdeutschland vorhanden (Flore 2c und vorhin
bei Ottocar) und überrest des alten -an für -on
(s. 85. 336.); heutige oberdeutsche idiome schwanken
zwischen ron und ran, gewon (assuetus) und gewan.
Daneben reimt Gotfr. von:gewon (7a) wie alle übri-
gen mittelh. dichter. Analog wechselt er mit mahte:
trahte (6b 115a) und mohte:tohte (137a) außer dem
reim nur mohte (und von), doch für elsäßisch darf
auch mahte nicht gelten, da es sich ebenwohl Wirnt (77)
verstattet. Stricker reimt wal für wol:swal (a. w.
3, 232.) welches freilich niederd. klingt und sich Mo-
rolf 46b 47b 49b 50b 51b findet; die übrigen mittelh.
wol:sol, vol etc. (sal f. sol Veld. Herb. im reim) den-
noch ist wal nicht unhochd. da auch J. wala, neben
dem alth. wola der übrigen, darbietet, noch andern
wela (goth. vaila) gilt. Der wechsel zwischen a, o, e,
den einzelne wörter im mittelh. sowohl als im alth.
und selbst niederd. kund geben, läßt sich also nicht
I. mittelhochdeutſche buchſtaben. ſchlußbem.
mit ü in fründe (ſ. 353. vgl. M. S. 1, 186a enzündet:
gefründet) des ê und ë (in jenen reimen êr:ërr); da-
gegen mehr haltung der conſ, verhältniſſe, namentlich
des alten wechſels zwiſchen anl. med. und ten.
Stufen bleiben immer dabei beſtehn, z. b. Reinbot
reimt ſchon deshalb ſtrenger als Wolfr. und Wirnt,
weil er ſpäter iſt. Die ſchwäbiſch-ſchweizeriſche
mundart (Hartm. Flecke, Rud., viele liederdichter, der
vf. des amur etc.) meidet jene vocalungenauigkeiten,
zieht ſchrê dem ſchrei vor (ſ. 350.) nieman dem nie-
men (ſ. 369.) trëhten dem trëhtîn und ſchwankt frü-
her aus dem -lîch in -lich, als der bairiſche dialect;
n wird zuweilen vom verkleinernden lîn abgeworfen
(Flore 11a 35c) der ſchweizeriſche hat vielleicht den
harten kehlanlaut ch beibehalten, ſein chilche f. kirche
iſt ſ. 386. bemerkt, ihm mag auch die unterſcheidung
des ck und gg (ſ. 441.) beiwohnen (vgl. Stalder dial.
p. 63. 64.); einige reime (ſ. 421. note) laßen auf breite
ausſprache des ſt (heute noch in Schwaben ſcht)
ſchließen. Gotfried und Conrad gehören keiner dieſer
beiden mundarten an, jener kann die elſäßiſche, dieſer
die fränkiſchrheiniſche vorſtellen; für die buchſtaben
ergeben ſie wenig eigenes, beide reimen rein, zumahl
Conrad. Anffallend iſt Gotfr. van ſt. von im reim
auf man, gewan etc. (1b 4b 24b 30c 52b 58b 74b 76b 80c)
aber keine neigung zum niederd. (Veld. nie van im
reim, Herb. nur einmahl 113c) vielmehr auch ſonſt
in Oberdeutſchland vorhanden (Flore 2c und vorhin
bei Ottocar) und überreſt des alten -an für -on
(ſ. 85. 336.); heutige oberdeutſche idiome ſchwanken
zwiſchen ron und ran, gewon (aſſuetus) und gewan.
Daneben reimt Gotfr. von:gewon (7a) wie alle übri-
gen mittelh. dichter. Analog wechſelt er mit mahte:
trahte (6b 115a) und mohte:tohte (137a) außer dem
reim nur mohte (und von), doch für elſäßiſch darf
auch mahte nicht gelten, da es ſich ebenwohl Wirnt (77)
verſtattet. Stricker reimt wal für wol:ſwal (a. w.
3, 232.) welches freilich niederd. klingt und ſich Mo-
rolf 46b 47b 49b 50b 51b findet; die übrigen mittelh.
wol:ſol, vol etc. (ſal f. ſol Veld. Herb. im reim) den-
noch iſt wal nicht unhochd. da auch J. wala, neben
dem alth. wola der übrigen, darbietet, noch andern
wëla (goth. váila) gilt. Der wechſel zwiſchen a, o, ë,
den einzelne wörter im mittelh. ſowohl als im alth.
und ſelbſt niederd. kund geben, läßt ſich alſo nicht
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[450/0476] I. mittelhochdeutſche buchſtaben. ſchlußbem. mit ü in fründe (ſ. 353. vgl. M. S. 1, 186a enzündet: gefründet) des ê und ë (in jenen reimen êr:ërr); da- gegen mehr haltung der conſ, verhältniſſe, namentlich des alten wechſels zwiſchen anl. med. und ten. Stufen bleiben immer dabei beſtehn, z. b. Reinbot reimt ſchon deshalb ſtrenger als Wolfr. und Wirnt, weil er ſpäter iſt. Die ſchwäbiſch-ſchweizeriſche mundart (Hartm. Flecke, Rud., viele liederdichter, der vf. des amur etc.) meidet jene vocalungenauigkeiten, zieht ſchrê dem ſchrei vor (ſ. 350.) nieman dem nie- men (ſ. 369.) trëhten dem trëhtîn und ſchwankt frü- her aus dem -lîch in -lich, als der bairiſche dialect; n wird zuweilen vom verkleinernden lîn abgeworfen (Flore 11a 35c) der ſchweizeriſche hat vielleicht den harten kehlanlaut ch beibehalten, ſein chilche f. kirche iſt ſ. 386. bemerkt, ihm mag auch die unterſcheidung des ck und gg (ſ. 441.) beiwohnen (vgl. Stalder dial. p. 63. 64.); einige reime (ſ. 421. note) laßen auf breite ausſprache des ſt (heute noch in Schwaben ſcht) ſchließen. Gotfried und Conrad gehören keiner dieſer beiden mundarten an, jener kann die elſäßiſche, dieſer die fränkiſchrheiniſche vorſtellen; für die buchſtaben ergeben ſie wenig eigenes, beide reimen rein, zumahl Conrad. Anffallend iſt Gotfr. van ſt. von im reim auf man, gewan etc. (1b 4b 24b 30c 52b 58b 74b 76b 80c) aber keine neigung zum niederd. (Veld. nie van im reim, Herb. nur einmahl 113c) vielmehr auch ſonſt in Oberdeutſchland vorhanden (Flore 2c und vorhin bei Ottocar) und überreſt des alten -an für -on (ſ. 85. 336.); heutige oberdeutſche idiome ſchwanken zwiſchen ron und ran, gewon (aſſuetus) und gewan. Daneben reimt Gotfr. von:gewon (7a) wie alle übri- gen mittelh. dichter. Analog wechſelt er mit mahte: trahte (6b 115a) und mohte:tohte (137a) außer dem reim nur mohte (und von), doch für elſäßiſch darf auch mahte nicht gelten, da es ſich ebenwohl Wirnt (77) verſtattet. Stricker reimt wal für wol:ſwal (a. w. 3, 232.) welches freilich niederd. klingt und ſich Mo- rolf 46b 47b 49b 50b 51b findet; die übrigen mittelh. wol:ſol, vol etc. (ſal f. ſol Veld. Herb. im reim) den- noch iſt wal nicht unhochd. da auch J. wala, neben dem alth. wola der übrigen, darbietet, noch andern wëla (goth. váila) gilt. Der wechſel zwiſchen a, o, ë, den einzelne wörter im mittelh. ſowohl als im alth. und ſelbſt niederd. kund geben, läßt ſich alſo nicht

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/476>, abgerufen am 07.06.2024.