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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche consonanten. linguales.
bekurten:geburten gereimt vgl. Morolf 64b gekurt:ge-
burt. Wigal. 392. bietet atiger (jaculum). eine, wie
auch das i der flexion zeigt, unverstanden beibehal-
tene form st. ezeger (oder etzeger) angels. ätgar, nord.
atgeir. Endlich gehört hierher auch siufzen (gemere
alth. saufton, bei N saufton und siufton) wofür gute mit-
telh. hss. noch siuften, sauften vgl. Maria 135. Nib. 9155.
Wigal. 42. 202. 281. und siuftehaus Barl. 159. Der s.
galler Parc. liest überall siufzen, z. b. 39a wo aber das
münchn. fragm. sauften. Dies allmählig einreißende fz
wäre einzige spur einer verhochdentschung des ft,
während luft, lüften, gift etc. nicht zu lufz, gifz
werden; vielleicht aber bedarf die wurzel des worts
noch anderer aufklärung (vgl. goth. svogjan, angels.
seofjan) das ft entspricht dem niederd. cht (suchten
wie lucht f. luft), auch könnte ein freq. siuftitzen,
siuftzen im spiel seyn; siuffizen Barl. 34. scheint un-
richtige lesart.
5) schwanken zwischen z und ß, zwischen tz und ß
findet gar keine statt *), unerachtet bei dem lippen-
laut pf und f, pf und ff zuweilen schwanken. Bloß
historisch gehen frühere ß in z über, wie vorhin an
hirz, belz gezeigt worden und noch deutlicher am
neuh. weitzen, reitzen etc. zu ersehen ist. -- Über-
gang des ß in s wurde s. 171. berührt. Schon die
aussprache unterscheidet das ausl. ß unmerklich von
der bloßen spirans, daher hin und wieder beide rei-
men, maß:genas, amfortas: saß, gras:gaß (Parc.
105a. b. 118a) weis : fleiß (Flore 1a) strauß : haus (M. S.
2, 236b) was:baß, saß, naß (fragm. 17c 18c) etc. Con-
rad versieht es in keinem solchen reime. Inlautend
ist der fehler weit seltner, erst spätere werke, wie der
Titurel, reimen wohl rossen:stoßen oder küssen:
güßen. Hiermit sind die organischen, bereits im
goth. **) und alth. vorhandenen übergänge des wur-
zelhaften t folglich des späteren ß in s nicht zu ver-
mengen, wie sie in den anomalen praet. muoste, wiste
*) Statt diz (f. ditze) stehet fehlerhaft diß:gebiß (Flore 22b)
und dis:gewis (Reinfr. 166a) M. S. 2, 216a reimt wider-
saz:haß.
**) Auch die goth. auflösung des t. d und th in die spirans s
vor dem t der II. praet. sing. (vgl. bigast, quast, baust,
snaift von bigitan, quithan, biudan, sueithan statt bigatt,
quatht, bautht, snaitht) verdient hier rücksicht.
I. mittelhochdeutſche conſonanten. linguales.
bekurten:geburten gereimt vgl. Morolf 64b gekurt:ge-
burt. Wigal. 392. bietet atigêr (jaculum). eine, wie
auch das i der flexion zeigt, unverſtanden beibehal-
tene form ſt. ezegêr (oder etzegêr) angelſ. ätgâr, nord.
atgeir. Endlich gehört hierher auch ſiufzen (gemere
alth. ſûftôn, bei N ſûftôn und ſiuftôn) wofür gute mit-
telh. hſſ. noch ſiuften, ſûften vgl. Maria 135. Nib. 9155.
Wigal. 42. 202. 281. und ſiuftehûs Barl. 159. Der ſ.
galler Parc. lieſt überall ſiufzen, z. b. 39a wo aber das
münchn. fragm. ſûften. Dies allmählig einreißende fz
wäre einzige ſpur einer verhochdentſchung des ft,
während luft, lüften, gift etc. nicht zu lufz, gifz
werden; vielleicht aber bedarf die wurzel des worts
noch anderer aufklärung (vgl. goth. ſvôgjan, angelſ.
ſeófjan) das ft entſpricht dem niederd. cht (ſuchten
wie lucht f. luft), auch könnte ein freq. ſiuftitzen,
ſiuftzen im ſpiel ſeyn; ſiuffizen Barl. 34. ſcheint un-
richtige lesart.
5) ſchwanken zwiſchen z und Ʒ, zwiſchen tz und ƷƷ
findet gar keine ſtatt *), unerachtet bei dem lippen-
laut pf und f, pf und ff zuweilen ſchwanken. Bloß
hiſtoriſch gehen frühere Ʒ in z über, wie vorhin an
hirz, belz gezeigt worden und noch deutlicher am
neuh. weitzen, reitzen etc. zu erſehen iſt. — Über-
gang des Ʒ in ſ wurde ſ. 171. berührt. Schon die
ausſprache unterſcheidet das ausl. Ʒ unmerklich von
der bloßen ſpirans, daher hin und wieder beide rei-
men, maƷ:genas, amfortas: ſaƷ, gras:gaƷ (Parc.
105a. b. 118a) wîs : flîƷ (Flore 1a) ſtrûƷ : hûs (M. S.
2, 236b) was:baƷ, ſaƷ, naƷ (fragm. 17c 18c) etc. Con-
rad verſieht es in keinem ſolchen reime. Inlautend
iſt der fehler weit ſeltner, erſt ſpätere werke, wie der
Titurel, reimen wohl roſſen:ſtôƷen oder küſſen:
güƷƷen. Hiermit ſind die organiſchen, bereits im
goth. **) und alth. vorhandenen übergänge des wur-
zelhaften t folglich des ſpäteren Ʒ in ſ nicht zu ver-
mengen, wie ſie in den anomalen praet. muoſte, wiſte
*) Statt diz (f. ditze) ſtehet fehlerhaft diƷ:gebiƷ (Flore 22b)
und dis:gewis (Reinfr. 166a) M. S. 2, 216a reimt wider-
ſaz:haƷ.
**) Auch die goth. auflöſung des t. d und þ in die ſpirans ſ
vor dem t der II. praet. ſing. (vgl. bigaſt, quaſt, bauſt,
ſnáift von bigitan, quiþan, biudan, ſueiþan ſtatt bigatt,
quaþt, báuþt, ſnáiþt) verdient hier rückſicht.
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[414/0440] I. mittelhochdeutſche conſonanten. linguales. bekurten:geburten gereimt vgl. Morolf 64b gekurt:ge- burt. Wigal. 392. bietet atigêr (jaculum). eine, wie auch das i der flexion zeigt, unverſtanden beibehal- tene form ſt. ezegêr (oder etzegêr) angelſ. ätgâr, nord. atgeir. Endlich gehört hierher auch ſiufzen (gemere alth. ſûftôn, bei N ſûftôn und ſiuftôn) wofür gute mit- telh. hſſ. noch ſiuften, ſûften vgl. Maria 135. Nib. 9155. Wigal. 42. 202. 281. und ſiuftehûs Barl. 159. Der ſ. galler Parc. lieſt überall ſiufzen, z. b. 39a wo aber das münchn. fragm. ſûften. Dies allmählig einreißende fz wäre einzige ſpur einer verhochdentſchung des ft, während luft, lüften, gift etc. nicht zu lufz, gifz werden; vielleicht aber bedarf die wurzel des worts noch anderer aufklärung (vgl. goth. ſvôgjan, angelſ. ſeófjan) das ft entſpricht dem niederd. cht (ſuchten wie lucht f. luft), auch könnte ein freq. ſiuftitzen, ſiuftzen im ſpiel ſeyn; ſiuffizen Barl. 34. ſcheint un- richtige lesart. 5) ſchwanken zwiſchen z und Ʒ, zwiſchen tz und ƷƷ findet gar keine ſtatt *), unerachtet bei dem lippen- laut pf und f, pf und ff zuweilen ſchwanken. Bloß hiſtoriſch gehen frühere Ʒ in z über, wie vorhin an hirz, belz gezeigt worden und noch deutlicher am neuh. weitzen, reitzen etc. zu erſehen iſt. — Über- gang des Ʒ in ſ wurde ſ. 171. berührt. Schon die ausſprache unterſcheidet das ausl. Ʒ unmerklich von der bloßen ſpirans, daher hin und wieder beide rei- men, maƷ:genas, amfortas: ſaƷ, gras:gaƷ (Parc. 105a. b. 118a) wîs : flîƷ (Flore 1a) ſtrûƷ : hûs (M. S. 2, 236b) was:baƷ, ſaƷ, naƷ (fragm. 17c 18c) etc. Con- rad verſieht es in keinem ſolchen reime. Inlautend iſt der fehler weit ſeltner, erſt ſpätere werke, wie der Titurel, reimen wohl roſſen:ſtôƷen oder küſſen: güƷƷen. Hiermit ſind die organiſchen, bereits im goth. **) und alth. vorhandenen übergänge des wur- zelhaften t folglich des ſpäteren Ʒ in ſ nicht zu ver- mengen, wie ſie in den anomalen praet. muoſte, wiſte *) Statt diz (f. ditze) ſtehet fehlerhaft diƷ:gebiƷ (Flore 22b) und dis:gewis (Reinfr. 166a) M. S. 2, 216a reimt wider- ſaz:haƷ. **) Auch die goth. auflöſung des t. d und þ in die ſpirans ſ vor dem t der II. praet. ſing. (vgl. bigaſt, quaſt, bauſt, ſnáift von bigitan, quiþan, biudan, ſueiþan ſtatt bigatt, quaþt, báuþt, ſnáiþt) verdient hier rückſicht.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/440>, abgerufen am 26.06.2024.