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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
camaheu nachgebildet, (in einer stelle bei Oberlin 27a
gamabau: pau?). --

(OE) oe, umlaut des o, wird in den hss (nicht wie
im nord. mit oe, wohl aber) mit ö verwechselt, oder
auch gleich diesem gar nicht bezeichnet. Die belege er-
geben sich aus dem o, hier einige: snoede, bloede, hoe-
hen, enpfloehen, schoene, hoene, loene (mercedes) kroe-
nen, froenen, hoeren, toeren, stoeren, roeren, troeren, boese,
loesen, gekoese, roesen (laudibus extollere) oesen (exhau-
rire) toeten, noete, roete, loeten, gedoeße, groeße etc. In
fremden wörtern nirgends, die deutschgewordenen for-
men kroenen, koere (chori) abgerechnet.

(OI) oi (oy) ein undeutscher diphth., welcher nur in
romanischen wörtern beibehalten, zuweilen auch durch
ei ausgedrückt wird, vgl. Parc. 79a waleis: kurteis, 80a
waleise: berteneise, 92a kurteis, 110c punturteis; hinge-
gen 78c kurtois: bertenois, 76a franßois, 65a pois: trois,
69a. b rois: pois und sonst weigalois (dreisilbig) avoi (zwei-
silb.) etc. Andere häufig im reim vorkommende bei-
spiele: troie, scoie, monßoie, loie (? troj. 164b) gloie
(blumenname) boie (catena). Wenn das letzte wort deut-
schen ursprungs ist, so haben es, wie allein der ausländi-
sche diphth. darthut, die mittelh. dichter (ohne eine ver-
wandtschaft mit bouc, bouges, armilla, annulus zu ahnen)
aus dem rom. boia überkommen (vgl. Du Cange v. boia)
M. S. 2, 255b steht beie Nib. 1089. peye, poye geschrieben.
Man lese nicht etwa bo-je, tro-je, sondern diphthongisch
troi-e, boi-e *), gerade wie in den einsilbigen pois, trois,
aber mit deutscher betonung des vordern vocals, d. h. oi
(wie ei, ie) nicht nach franz. sitte oi, ei, ie. Ausnahms-
weise finde ich Wilh. 2, 47a lois: preis; Wilh. 3, 28b cass.
loeise: speise und Trist. 2c lochnois: gewis.

(OU) ganz das alth. aus früherm au stammende ou,
stehet auslautend, dann vor m, den lab. p. b. f. w, und
den gutt. k. g. ch, nicht vor n. r, den lingualen und
der spirans h, welche auslautend ebenfalls zu ch wird.
In allen letztern fällen gilt o statt ou. Bei dieser unter-
scheidung zwischen ou und o muß, was den auslaut ch
betrifft, dessen doppelte natur erwogen werden, die
ganz der zweideutigkeit des alth. auslauts h (oben s. 100.
189.) entspricht; stammt nämlich ch aus goth. k, so hat
es ou vor sich, stammt es aus goth. h, so gilt o; jenes

*) Lachmann ausw. 257. nimmt boi-je, troi-je an; vgl.
unten beim j.

I. mittelhochdeutſche vocale.
camaheu nachgebildet, (in einer ſtelle bei Oberlin 27a
gâmabû: pû?). —

(OE) œ, umlaut des ô, wird in den hſſ (nicht wie
im nord. mit œ, wohl aber) mit ö verwechſelt, oder
auch gleich dieſem gar nicht bezeichnet. Die belege er-
geben ſich aus dem ô, hier einige: ſnœde, blœde, hœ-
hen, enpflœhen, ſchœne, hœne, lœne (mercedes) krœ-
nen, frœnen, hœren, tœren, ſtœren, rœren, trœren, bœſe,
lœſen, gekœſe, rœſen (laudibus extollere) œſen (exhau-
rire) tœten, nœte, rœte, lœten, gedœƷe, grœƷe etc. In
fremden wörtern nirgends, die deutſchgewordenen for-
men krœnen, kœre (chori) abgerechnet.

(OI) oi (oy) ein undeutſcher diphth., welcher nur in
romaniſchen wörtern beibehalten, zuweilen auch durch
ei ausgedrückt wird, vgl. Parc. 79a wâleis: kurteis, 80a
wâleiſe: berteneiſe, 92a kurteis, 110c punturteis; hinge-
gen 78c kurtois: bertenois, 76a franƷois, 65a pois: trois,
69a. b rois: pois und ſonſt wîgâlois (dreiſilbig) âvoi (zwei-
ſilb.) etc. Andere häufig im reim vorkommende bei-
ſpiele: troie, ſcoie, monƷoie, loie (? troj. 164b) gloie
(blumenname) boie (catena). Wenn das letzte wort deut-
ſchen urſprungs iſt, ſo haben es, wie allein der ausländi-
ſche diphth. darthut, die mittelh. dichter (ohne eine ver-
wandtſchaft mit bouc, bouges, armilla, annulus zu ahnen)
aus dem rom. boia überkommen (vgl. Du Cange v. boia)
M. S. 2, 255b ſteht beie Nib. 1089. peye, poye geſchrieben.
Man leſe nicht etwa bô-je, trô-je, ſondern diphthongiſch
troi-e, boi-e *), gerade wie in den einſilbigen pois, trois,
aber mit deutſcher betonung des vordern vocals, d. h. ói
(wie éi, íe) nicht nach franz. ſitte oí, eí, ié. Ausnahms-
weiſe finde ich Wilh. 2, 47a lôìs: prîs; Wilh. 3, 28b caſſ.
lôîſe: ſpîſe und Triſt. 2c lochnôis: gewis.

(OU) ganz das alth. aus früherm au ſtammende ou,
ſtehet auslautend, dann vor m, den lab. p. b. f. w, und
den gutt. k. g. ch, nicht vor n. r, den lingualen und
der ſpirans h, welche auslautend ebenfalls zu ch wird.
In allen letztern fällen gilt ô ſtatt ou. Bei dieſer unter-
ſcheidung zwiſchen ou und ô muß, was den auslaut ch
betrifft, deſſen doppelte natur erwogen werden, die
ganz der zweideutigkeit des alth. auslauts h (oben ſ. 100.
189.) entſpricht; ſtammt nämlich ch aus goth. k, ſo hat
es ou vor ſich, ſtammt es aus goth. h, ſo gilt ô; jenes

*) Lachmann ausw. 257. nimmt boi-je, troi-je an; vgl.
unten beim j.
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[354/0380] I. mittelhochdeutſche vocale. camaheu nachgebildet, (in einer ſtelle bei Oberlin 27a gâmabû: pû?). — (OE) œ, umlaut des ô, wird in den hſſ (nicht wie im nord. mit œ, wohl aber) mit ö verwechſelt, oder auch gleich dieſem gar nicht bezeichnet. Die belege er- geben ſich aus dem ô, hier einige: ſnœde, blœde, hœ- hen, enpflœhen, ſchœne, hœne, lœne (mercedes) krœ- nen, frœnen, hœren, tœren, ſtœren, rœren, trœren, bœſe, lœſen, gekœſe, rœſen (laudibus extollere) œſen (exhau- rire) tœten, nœte, rœte, lœten, gedœƷe, grœƷe etc. In fremden wörtern nirgends, die deutſchgewordenen for- men krœnen, kœre (chori) abgerechnet. (OI) oi (oy) ein undeutſcher diphth., welcher nur in romaniſchen wörtern beibehalten, zuweilen auch durch ei ausgedrückt wird, vgl. Parc. 79a wâleis: kurteis, 80a wâleiſe: berteneiſe, 92a kurteis, 110c punturteis; hinge- gen 78c kurtois: bertenois, 76a franƷois, 65a pois: trois, 69a. b rois: pois und ſonſt wîgâlois (dreiſilbig) âvoi (zwei- ſilb.) etc. Andere häufig im reim vorkommende bei- ſpiele: troie, ſcoie, monƷoie, loie (? troj. 164b) gloie (blumenname) boie (catena). Wenn das letzte wort deut- ſchen urſprungs iſt, ſo haben es, wie allein der ausländi- ſche diphth. darthut, die mittelh. dichter (ohne eine ver- wandtſchaft mit bouc, bouges, armilla, annulus zu ahnen) aus dem rom. boia überkommen (vgl. Du Cange v. boia) M. S. 2, 255b ſteht beie Nib. 1089. peye, poye geſchrieben. Man leſe nicht etwa bô-je, trô-je, ſondern diphthongiſch troi-e, boi-e *), gerade wie in den einſilbigen pois, trois, aber mit deutſcher betonung des vordern vocals, d. h. ói (wie éi, íe) nicht nach franz. ſitte oí, eí, ié. Ausnahms- weiſe finde ich Wilh. 2, 47a lôìs: prîs; Wilh. 3, 28b caſſ. lôîſe: ſpîſe und Triſt. 2c lochnôis: gewis. (OU) ganz das alth. aus früherm au ſtammende ou, ſtehet auslautend, dann vor m, den lab. p. b. f. w, und den gutt. k. g. ch, nicht vor n. r, den lingualen und der ſpirans h, welche auslautend ebenfalls zu ch wird. In allen letztern fällen gilt ô ſtatt ou. Bei dieſer unter- ſcheidung zwiſchen ou und ô muß, was den auslaut ch betrifft, deſſen doppelte natur erwogen werden, die ganz der zweideutigkeit des alth. auslauts h (oben ſ. 100. 189.) entſpricht; ſtammt nämlich ch aus goth. k, ſo hat es ou vor ſich, ſtammt es aus goth. h, ſo gilt ô; jenes *) Lachmann ausw. 257. nimmt boi-je, troi-je an; vgl. unten beim j.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/380>, abgerufen am 17.05.2024.