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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
dare) gescheide (? mus. 1, 70.) bleide (hilariter) sivel (lae-
tus Wilh. 3, 399b) reihe (pars superior pedis) weic geben
(bellum inferre) beil (actus quo fera capitur vel occiditur)
sich gesinen (? mehrmahls im Titurel) scheit (lign. sectam)
geir (vultur) weis (modus) etc. -- Die auslautenden ei sind:
bei (praep.) blei (plumbum) brei (puls) vrei (liber) si (sit)
sei (ii, ea) etc. vgl. unten beim ic; drei (tres) trautlei (cor-
culum) zwei (ramus); dem letzten ist k. apocopiert, den
audern bald j bald w, bald n. vgl. die interj. fi, ahei. --
Beispiele des ei in fremden wörtern: kai, georei, tibei
(Georg 19a) centaurei, gurzgrei, speicanardei, cupeide, weide
(guido) arneive, talfein, rabbein, eirlant, peise (pisum) pareis,
georeis, hameit (sepimentum) runzeit, kurseit, eneite, queit
(solutus) feirefeiß, hardeiß, aleiße etc. -- Im praes. starker
conj. erzeugt die contraction ei in geit, keit, pfleit, leit aus
gibet, quidet, pfliget, liget; dagegen verliert in den bil-
dungsendungen -- eic, -ein, -leich, -eiß, das ei mit dem
ton allmählich die länge und wird zu i oder auch e.
Einigen reimt trechtein: sein, andern trehten: vehten; einigen
noch gevolgeic: weic, andern gesellic: schellic; meistens noch
heidenein: sein, zuweilen heidenin: gewin (beides Parc. 79a. b.)
vgl. den häufigen reim psert: wert und den seltenen pfereit:
geit (M. S. 2, 146b). s. unten die sechste schlußbemer-
kung. -- Mischung des langen und kurzen i im reim ist
höchst selten, die scheinbare ausnahme drin neben drein
(tribus) wirkliche dialectische verschiedenheit (s. unten
decl. der zahlwörter). Und dem ungenauen reim in:
gesein (Nib. 9287.) wird durch eine ältere lesart der bei-
den zeilen abgeholfen dem gesit: geit (Nib. 6229.) durch
das auch sinngerechte geheit; gesmide (compes Wilb. 2,
100a) und gesmeide (opus affabre troj. 9c 30c) scheinen
verschiedne wörter.

(OO) o ist das gemeinalth. o, nicht das mundartische
(s. 95, 4.), lautet aber jetzo in oe (nicht ö) um. Es fin-
det sich in deutschen wörtern nur auslautend, sodann
vor n. r; den ling. t. d. ß. s und der spirans h welche
auslautend ch wird (nicht vor dem ch = goth. k, wel-
ches auch inlautend ch. bleibt) *). Belege ergeben sich
nach dem alth., hier theils zusätze, nähere angaben:

*) Mittelst des o und o unterscheiden sich z. b. rost (incen-
dium) rost (aerugo) loch (nemus) loch (foramen) losen
(liberum) losen (auscultare) tore (stultus) tor (porta) tot
(mors) tote (suseeptor baptizati) sot (puteus) sote (fa-
tuus M. S. 1, 25a Trist. 62c).

I. mittelhochdeutſche vocale.
dare) geſchîde (? muſ. 1, 70.) blîde (hilariter) ſìvel (lae-
tus Wilh. 3, 399b) rîhe (pars ſuperior pedis) wîc gëben
(bellum inferre) bîl (actus quo fera capitur vel occiditur)
ſich geſìnen (? mehrmahls im Titurel) ſchît (lign. ſectam)
gîr (vultur) wîs (modus) etc. — Die auslautenden î ſind:
bî (praep.) blî (plumbum) brî (puls) vrî (liber) ſì (ſit)
ſî (ii, ea) etc. vgl. unten beim ic; drî (tres) trûtlî (cor-
culum) zwî (ramus); dem letzten iſt k. apocopiert, den
audern bald j bald w, bald n. vgl. die interj. fì, ahî. —
Beiſpiele des î in fremden wörtern: kàì, georî, tibî
(Georg 19a) centaurî, gurzgrî, ſpîcânardî, cupîde, wîde
(guido) arnîve, talfîn, rabbîn, îrlant, pîſe (piſum) pârîs,
georîs, hamît (ſepimentum) runzît, kurſît, ênîte, quît
(ſolutus) feirefîƷ, hardîƷ, âlîƷe etc. — Im praeſ. ſtarker
conj. erzeugt die contraction î in gît, kît, pflît, lît aus
gibet, quidet, pfliget, liget; dagegen verliert in den bil-
dùngsendungen — îc, -în, -lîch, -îƷ, das î mit dem
ton allmählich die länge und wird zu i oder auch ë.
Einigen reimt trëchtîn: ſîn, andern trëhten: vëhten; einigen
noch gevolgîc: wîc, andern geſellic: ſchellic; meiſtens noch
heidenîn: ſîn, zuweilen heidenin: gewin (beides Parc. 79a. b.)
vgl. den häufigen reim pſërt: wërt und den ſeltenen pfërît:
gît (M. S. 2, 146b). ſ. unten die ſechſte ſchlußbemer-
kung. — Miſchung des langen und kurzen i im reim iſt
höchſt ſelten, die ſcheinbare ausnahme drin neben drîn
(tribus) wirkliche dialectiſche verſchiedenheit (ſ. unten
decl. der zahlwörter). Und dem ungenauen reim in:
geſîn (Nib. 9287.) wird durch eine ältere lesart der bei-
den zeilen abgeholfen dem geſit: gît (Nib. 6229.) durch
das auch ſinngerechte gehît; geſmide (compes Wilb. 2,
100a) und geſmîde (opus affabre troj. 9c 30c) ſcheinen
verſchiedne wörter.

(OO) ô iſt das gemeinalth. ô, nicht das mundartiſche
(ſ. 95, 4.), lautet aber jetzo in œ (nicht ö) um. Es fin-
det ſich in deutſchen wörtern nur auslautend, ſodann
vor n. r; den ling. t. d. Ʒ. ſ und der ſpirans h welche
auslautend ch wird (nicht vor dem ch = goth. k, wel-
ches auch inlautend ch. bleibt) *). Belege ergeben ſich
nach dem alth., hier theils zuſätze, nähere angaben:

*) Mittelſt des ô und o unterſcheiden ſich z. b. rôſt (incen-
dium) roſt (aerugo) lôch (nemus) loch (foramen) lôſen
(liberum) loſen (auſcultare) tôre (ſtultus) tor (porta) tôt
(mors) tote (ſuſeeptor baptizati) ſôt (puteus) ſote (fa-
tuus M. S. 1, 25a Triſt. 62c).
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[345/0371] I. mittelhochdeutſche vocale. dare) geſchîde (? muſ. 1, 70.) blîde (hilariter) ſìvel (lae- tus Wilh. 3, 399b) rîhe (pars ſuperior pedis) wîc gëben (bellum inferre) bîl (actus quo fera capitur vel occiditur) ſich geſìnen (? mehrmahls im Titurel) ſchît (lign. ſectam) gîr (vultur) wîs (modus) etc. — Die auslautenden î ſind: bî (praep.) blî (plumbum) brî (puls) vrî (liber) ſì (ſit) ſî (ii, ea) etc. vgl. unten beim ic; drî (tres) trûtlî (cor- culum) zwî (ramus); dem letzten iſt k. apocopiert, den audern bald j bald w, bald n. vgl. die interj. fì, ahî. — Beiſpiele des î in fremden wörtern: kàì, georî, tibî (Georg 19a) centaurî, gurzgrî, ſpîcânardî, cupîde, wîde (guido) arnîve, talfîn, rabbîn, îrlant, pîſe (piſum) pârîs, georîs, hamît (ſepimentum) runzît, kurſît, ênîte, quît (ſolutus) feirefîƷ, hardîƷ, âlîƷe etc. — Im praeſ. ſtarker conj. erzeugt die contraction î in gît, kît, pflît, lît aus gibet, quidet, pfliget, liget; dagegen verliert in den bil- dùngsendungen — îc, -în, -lîch, -îƷ, das î mit dem ton allmählich die länge und wird zu i oder auch ë. Einigen reimt trëchtîn: ſîn, andern trëhten: vëhten; einigen noch gevolgîc: wîc, andern geſellic: ſchellic; meiſtens noch heidenîn: ſîn, zuweilen heidenin: gewin (beides Parc. 79a. b.) vgl. den häufigen reim pſërt: wërt und den ſeltenen pfërît: gît (M. S. 2, 146b). ſ. unten die ſechſte ſchlußbemer- kung. — Miſchung des langen und kurzen i im reim iſt höchſt ſelten, die ſcheinbare ausnahme drin neben drîn (tribus) wirkliche dialectiſche verſchiedenheit (ſ. unten decl. der zahlwörter). Und dem ungenauen reim in: geſîn (Nib. 9287.) wird durch eine ältere lesart der bei- den zeilen abgeholfen dem geſit: gît (Nib. 6229.) durch das auch ſinngerechte gehît; geſmide (compes Wilb. 2, 100a) und geſmîde (opus affabre troj. 9c 30c) ſcheinen verſchiedne wörter. (OO) ô iſt das gemeinalth. ô, nicht das mundartiſche (ſ. 95, 4.), lautet aber jetzo in œ (nicht ö) um. Es fin- det ſich in deutſchen wörtern nur auslautend, ſodann vor n. r; den ling. t. d. Ʒ. ſ und der ſpirans h welche auslautend ch wird (nicht vor dem ch = goth. k, wel- ches auch inlautend ch. bleibt) *). Belege ergeben ſich nach dem alth., hier theils zuſätze, nähere angaben: *) Mittelſt des ô und o unterſcheiden ſich z. b. rôſt (incen- dium) roſt (aerugo) lôch (nemus) loch (foramen) lôſen (liberum) loſen (auſcultare) tôre (ſtultus) tor (porta) tôt (mors) tote (ſuſeeptor baptizati) ſôt (puteus) ſote (fa- tuus M. S. 1, 25a Triſt. 62c).

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/371>, abgerufen am 19.05.2024.