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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
setzt, die man an und für sich dem mittelh. tonlosen e
nicht abmerken kann; z. b. das umgelautete über folgt
gar nicht aus dem alth. upar (goth. ufar) sondern ledig-
lich aus einem zwischenliegenden ubir (vielleicht assi-
milierte uparo in ubiri?). Analog sind megen, megin,
magan (vorhin s. 332.) und löcke (vorhin s. 338.) ein
locchi st. loccha voraussetzend. Im zweifel aber dürfte
ein mittelh. uber neben über nicht unrichtiger seyn als
ein alth. gagen neben gegin (oben s. 77.); reime finde
ich weder auf uber, noch über. Ebenso beurtheile man
durch oder dürch (alth. durah, durih); der reim auf
furch [sulcus, Parc. 34a *) Wilh. 2. 38b Georg 35b 37b troj.
60b Lohengr. 133] läßt unschlüßig (alth. furah, furih?)
und der neuh. unumlaut furche beweist wenigstens nicht
wider den mittelh. umlaut.

(AA) a; die fälle dieses dehnlauts sind im ganzen
die alth. doch bemerke ich 1) wo die bedingung des
umlauts eintritt, wandelt sich a in ae (s. unten). 2) ein-
zelne wörter sind veraltet, z. b. lahhi, suas; dagegen
andere aus den reicheren mittelh. quellen zuzufügen,
als: ader (vena, im reim auf das fremde quader) abent
(: gabent Flore 28b) strafen (punire) sich zafen (ornare, ganz
verschieden von zouwen, alth. zawan, zauwan, parare),
valant (daemon) gagen (gingrire, Parc. 68a) trame (trabs
M. S. 2, 171b) lichuame (Karl 46b 118a sonst richtiger
lichame) kram (merx, pl. kraeme troj. 143b, Barl. 37. 40.
191. 226. M. S. 1, 29b; Wolfram gebraucht es mit kurzem
a, Parc. 159a. Wilh. 2, 126a) krame (taberna M. S. 2, 220a
klage 136b) kramen (mercari, Barl. 279.) ame (mensura?
Georg 3b) janen (M. S. 2, 166b) san (statim) die zuf. zie-
hungen: lan, van, gan, stan, slan, twan, han (habere)
han (pendere) clan (unguibus) tran (fluentum) klar (cla-
rus) par (par, bini) star (sturnus) dar (ibi, M. S. 2, 170a
:jar, gewöhnlich mit kurzem a, dar) gebaren (gestire)
un-dare aegre, morose, inhumane? Iw. 2235. Gudr.
5536. Maria 153. Weltchron. cod. cass. 204b Kolocz 167.
364; dieses adv. setzt wie sware ein adj. swaere, ein
nirgend vorbandenes undaere voraus, folglich ein daere,
facilis, honestus? **) as (cadaver) mase (cicatrix) slat (? in-

*) v. 4170 71, eine sonst dunkele stelle.
**) Könnte das angels. Thaeslic (dignus, aptus) unThaeslic (incon-
gruus) aufschluß geben? stünde undare für undase? (wie
genaren, genasen) vgl. gl. mons. 386. 387. un-dara-leihi
(ex latere, ex obliquo).

I. mittelhochdeutſche vocale.
ſetzt, die man an und für ſich dem mittelh. tonloſen e
nicht abmerken kann; z. b. das umgelautete über folgt
gar nicht aus dem alth. upar (goth. ufar) ſondern ledig-
lich aus einem zwiſchenliegenden ubir (vielleicht aſſi-
milierte uparo in ubiri?). Analog ſind megen, megin,
magan (vorhin ſ. 332.) und löcke (vorhin ſ. 338.) ein
locchì ſt. locchâ vorausſetzend. Im zweifel aber dürfte
ein mittelh. uber neben über nicht unrichtiger ſeyn als
ein alth. gagen neben gegin (oben ſ. 77.); reime finde
ich weder auf uber, noch über. Ebenſo beurtheile man
durch oder dürch (alth. durah, durih); der reim auf
furch [ſulcus, Parc. 34a *) Wilh. 2. 38b Georg 35b 37b troj.
60b Lohengr. 133] läßt unſchlüßig (alth. furah, furih?)
und der neuh. unumlaut furche beweiſt wenigſtens nicht
wider den mittelh. umlaut.

(AA) â; die fälle dieſes dehnlauts ſind im ganzen
die alth. doch bemerke ich 1) wo die bedingung des
umlauts eintritt, wandelt ſich â in æ (ſ. unten). 2) ein-
zelne wörter ſind veraltet, z. b. lâhhi, ſuâs; dagegen
andere aus den reicheren mittelh. quellen zuzufügen,
als: âder (vena, im reim auf das fremde quâder) âbent
(: gâbent Flore 28b) ſtrâfen (punire) ſich zâfen (ornare, ganz
verſchieden von zouwen, alth. zawan, zauwan, parare),
vâlant (daemon) gâgen (gingrire, Parc. 68a) trâme (trabs
M. S. 2, 171b) lìchuâme (Karl 46b 118a ſonſt richtiger
lìchame) kràm (merx, pl. kræme troj. 143b, Barl. 37. 40.
191. 226. M. S. 1, 29b; Wolfram gebraucht es mit kurzem
a, Parc. 159a. Wilh. 2, 126a) krâme (taberna M. S. 2, 220a
klage 136b) krâmen (mercari, Barl. 279.) âme (menſura?
Georg 3b) jânen (M. S. 2, 166b) ſàn (ſtatim) die zuf. zie-
hungen: lân, vân, gân, ſtân, ſlân, twân, hân (habere)
hân (pendere) clân (unguibus) trân (fluentum) klâr (cla-
rus) pâr (par, bini) ſtàr (ſturnus) dâr (ibi, M. S. 2, 170a
:jâr, gewöhnlich mit kurzem a, dar) gebâren (geſtire)
un-dâre aegre, moroſe, inhumane? Iw. 2235. Gudr.
5536. Maria 153. Weltchron. cod. caſſ. 204b Kolocz 167.
364; dieſes adv. ſetzt wie ſwâre ein adj. ſwære, ein
nirgend vorbandenes undære voraus, folglich ein dære,
facilis, honeſtus? **) âs (cadaver) mâſe (cicatrix) ſlât (? in-

*) v. 4170 71, eine ſonſt dunkele ſtelle.
**) Könnte das angelſ. Þæſlic (dignus, aptus) unÞæſlic (incon-
gruus) aufſchluß geben? ſtünde undâre für undâſe? (wie
genâren, genâſen) vgl. gl. monſ. 386. 387. un-dâra-lîhi
(ex latere, ex obliquo).
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[340/0366] I. mittelhochdeutſche vocale. ſetzt, die man an und für ſich dem mittelh. tonloſen e nicht abmerken kann; z. b. das umgelautete über folgt gar nicht aus dem alth. upar (goth. ufar) ſondern ledig- lich aus einem zwiſchenliegenden ubir (vielleicht aſſi- milierte uparo in ubiri?). Analog ſind megen, megin, magan (vorhin ſ. 332.) und löcke (vorhin ſ. 338.) ein locchì ſt. locchâ vorausſetzend. Im zweifel aber dürfte ein mittelh. uber neben über nicht unrichtiger ſeyn als ein alth. gagen neben gegin (oben ſ. 77.); reime finde ich weder auf uber, noch über. Ebenſo beurtheile man durch oder dürch (alth. durah, durih); der reim auf furch [ſulcus, Parc. 34a *) Wilh. 2. 38b Georg 35b 37b troj. 60b Lohengr. 133] läßt unſchlüßig (alth. furah, furih?) und der neuh. unumlaut furche beweiſt wenigſtens nicht wider den mittelh. umlaut. (AA) â; die fälle dieſes dehnlauts ſind im ganzen die alth. doch bemerke ich 1) wo die bedingung des umlauts eintritt, wandelt ſich â in æ (ſ. unten). 2) ein- zelne wörter ſind veraltet, z. b. lâhhi, ſuâs; dagegen andere aus den reicheren mittelh. quellen zuzufügen, als: âder (vena, im reim auf das fremde quâder) âbent (: gâbent Flore 28b) ſtrâfen (punire) ſich zâfen (ornare, ganz verſchieden von zouwen, alth. zawan, zauwan, parare), vâlant (daemon) gâgen (gingrire, Parc. 68a) trâme (trabs M. S. 2, 171b) lìchuâme (Karl 46b 118a ſonſt richtiger lìchame) kràm (merx, pl. kræme troj. 143b, Barl. 37. 40. 191. 226. M. S. 1, 29b; Wolfram gebraucht es mit kurzem a, Parc. 159a. Wilh. 2, 126a) krâme (taberna M. S. 2, 220a klage 136b) krâmen (mercari, Barl. 279.) âme (menſura? Georg 3b) jânen (M. S. 2, 166b) ſàn (ſtatim) die zuf. zie- hungen: lân, vân, gân, ſtân, ſlân, twân, hân (habere) hân (pendere) clân (unguibus) trân (fluentum) klâr (cla- rus) pâr (par, bini) ſtàr (ſturnus) dâr (ibi, M. S. 2, 170a :jâr, gewöhnlich mit kurzem a, dar) gebâren (geſtire) un-dâre aegre, moroſe, inhumane? Iw. 2235. Gudr. 5536. Maria 153. Weltchron. cod. caſſ. 204b Kolocz 167. 364; dieſes adv. ſetzt wie ſwâre ein adj. ſwære, ein nirgend vorbandenes undære voraus, folglich ein dære, facilis, honeſtus? **) âs (cadaver) mâſe (cicatrix) ſlât (? in- *) v. 4170 71, eine ſonſt dunkele ſtelle. **) Könnte das angelſ. Þæſlic (dignus, aptus) unÞæſlic (incon- gruus) aufſchluß geben? ſtünde undâre für undâſe? (wie genâren, genâſen) vgl. gl. monſ. 386. 387. un-dâra-lîhi (ex latere, ex obliquo).

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/366>, abgerufen am 17.05.2024.