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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. altnordische consonanten. labiales.
35. verst: unnit, wo die herausgeber die hss. lesart vn-
nit sogar in vunnit geändert haben; landnamas. p. 17.
stehet vurthu st. urdhu. Ebenso oft alliterieren aber auch
diese u und o vocalisch, z. b. oegisd. 41. aulf: osi; si-
gurd. 12. aulf: ala etc. -- 2) ausnahmsweise fällt der an-
laut v auch in einigen wörtern vor a ab, welches sich
dann in o wandelt, als on (spes) oro (erant) ondr (pra-
vus) für van, varo, vandr; beßer erklärt man so: va
geht in vo über (oben s. 276.) und dann erfolgt aphärese,
wie vor jedem andern o (nicht ö); so alliterieren ulf
:on :eyro (fafn. 35.) on: engin (atlam. 70.) illra: ordha:
on (skirn. 2.); oegisdr. 36. scheint ono: verr lieber vono
zu fordern (consonantisch vanir: veig. godr. harmr. 29.).
Umgekehrt kann sich vielleicht va aus o entwickeln,
z. b. varr, vorr (noster) aus orr (früher oß = angels.
user). Zweifelhaft ist mir vesall (miser) das vocalisch
alliteriert: ill (havam. 13. vgl. 70.) wie es im dän. und
schwed. usel, usell lautet; entw. steht es für osaell, oder
stammt von vos (miseria) müste aber dann vasall, vo-
sall lauten. -- 3) in den goth. und sächs. verbindungen
vl. vr wirft die altn. sprache das v. ab, als lit (vlits)
rota (eruere, angels. vrotan) reckr (angels. vrecca); um-
so auffallender, da selbst Schweden und Dänen zwar
nicht vl. aber doch vr. behaupten, als reidhr (iratus)
rangr (pravus) schw. u. dän. vred, vrong etc. Spuren
eines altn. vr. weist aber wieder die alliteration, in der
edda wird vega so oft mit reidhr gebunden (oegisdr. 15.
18. 27. fafn. 7. 17. 30. sigrdreif. 28.), daß an der allen an-
stand lösenden aussprache vreidhr nicht zu zweifeln
ist, da auch hl. hn. hr. hv. mit ha. hi. hei etc. gl. gn.
gr. mit ga. gi. gu etc. alliterieren *). Also galt ein älte-
res vr und vl statt des späteren r und l, wie im alt-
hochd. -- 4) aus den verbindungen qv. tv. dv. thv. sv.
fällt v. zuweilen weg, wodurch das darauf folgende e
in o, das folgende i in y **), ei in y verwandelt wird,
als: sofa (dormire) koma (venire) für svefa, qvema;
tysvar (bis) tolf, kykr (vivus) thy für tvisvar, tvölif,
qvickr, thvei. Seltner ist kodho f. qvadho, kona (mulier)
neben qvan, qvon, qven. -- 5) das auslautende oder
vom bloßen geschlechtskennzeichen gefolgte goth. und
angels. v. findet nirgends statt, sondern ist apocopiert,

*) Zum überfluß bemerke ich aus der E. H. die alts. allite
ration writan: wislico: word.
**) Oben s. 269. das angels. nytan st, nevitan.

I. altnordiſche conſonanten. labiales.
35. vërſt: unnit, wo die herausgeber die hſſ. lesart vn-
nit ſogar in vunnit geändert haben; landnâmaſ. p. 17.
ſtehet vurþu ſt. urdhu. Ebenſo oft alliterieren aber auch
dieſe u und o vocaliſch, z. b. œgisd. 41. ûlf: ôſi; ſi-
gurd. 12. ûlf: ala etc. — 2) ausnahmsweiſe fällt der an-
laut v auch in einigen wörtern vor â ab, welches ſich
dann in o wandelt, als on (ſpes) oro (erant) ondr (pra-
vus) für vân, vâro, vândr; beßer erklärt man ſo: vâ
geht in vo über (oben ſ. 276.) und dann erfolgt aphäreſe,
wie vor jedem andern o (nicht ö); ſo alliterieren ulf
:on :eyro (fafn. 35.) on: engin (atlam. 70.) illra: ordha:
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zu fordern (conſonantiſch vânir: vîg. godr. harmr. 29.).
Umgekehrt kann ſich vielleicht vâ aus o entwickeln,
z. b. vârr, vorr (noſter) aus orr (früher oß = angelſ.
uſer). Zweifelhaft iſt mir veſall (miſer) das vocaliſch
alliteriert: ill (hâvam. 13. vgl. 70.) wie es im dän. und
ſchwed. uſel, uſell lautet; entw. ſteht es für ôſæll, oder
ſtammt von vos (miſeria) müſte aber dann vâſall, vo-
ſall lauten. — 3) in den goth. und ſächſ. verbindungen
vl. vr wirft die altn. ſprache das v. ab, als lit (vlits)
rôta (eruere, angelſ. vrôtan) reckr (angelſ. vrecca); um-
ſo auffallender, da ſelbſt Schweden und Dänen zwar
nicht vl. aber doch vr. behaupten, als reidhr (iratus)
rângr (pravus) ſchw. u. dän. vrêd, vrong etc. Spuren
eines altn. vr. weiſt aber wieder die alliteration, in der
edda wird vëga ſo oft mit reidhr gebunden (œgisdr. 15.
18. 27. fâfn. 7. 17. 30. ſigrdrîf. 28.), daß an der allen an-
ſtand löſenden ausſprache vreidhr nicht zu zweifeln
iſt, da auch hl. hn. hr. hv. mit ha. hi. hei etc. gl. gn.
gr. mit ga. gi. gu etc. alliterieren *). Alſo galt ein älte-
res vr und vl ſtatt des ſpäteren r und l, wie im alt-
hochd. — 4) aus den verbindungen qv. tv. dv. þv. ſv.
fällt v. zuweilen weg, wodurch das darauf folgende ë
in o, das folgende i in y **), î in ŷ verwandelt wird,
als: ſofa (dormire) koma (venire) für ſvëfa, qvëma;
tyſvar (bis) tôlf, kykr (vivus) þŷ für tviſvar, tvölif,
qvickr, þvî. Seltner iſt kodho f. qvâdho, kona (mulier)
neben qvân, qvon, qvën. — 5) das auslautende oder
vom bloßen geſchlechtskennzeichen gefolgte goth. und
angelſ. v. findet nirgends ſtatt, ſondern iſt apocopiert,

*) Zum überfluß bemerke ich aus der E. H. die altſ. allite
ration wrìtan: wìſlico: word.
**) Oben ſ. 269. das angelſ. nytan ſt, nëvitan.
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[311/0337] I. altnordiſche conſonanten. labiales. 35. vërſt: unnit, wo die herausgeber die hſſ. lesart vn- nit ſogar in vunnit geändert haben; landnâmaſ. p. 17. ſtehet vurþu ſt. urdhu. Ebenſo oft alliterieren aber auch dieſe u und o vocaliſch, z. b. œgisd. 41. ûlf: ôſi; ſi- gurd. 12. ûlf: ala etc. — 2) ausnahmsweiſe fällt der an- laut v auch in einigen wörtern vor â ab, welches ſich dann in o wandelt, als on (ſpes) oro (erant) ondr (pra- vus) für vân, vâro, vândr; beßer erklärt man ſo: vâ geht in vo über (oben ſ. 276.) und dann erfolgt aphäreſe, wie vor jedem andern o (nicht ö); ſo alliterieren ulf :on :eyro (fafn. 35.) on: engin (atlam. 70.) illra: ordha: on (ſkirn. 2.); œgisdr. 36. ſcheint ono: vërr lieber vono zu fordern (conſonantiſch vânir: vîg. godr. harmr. 29.). Umgekehrt kann ſich vielleicht vâ aus o entwickeln, z. b. vârr, vorr (noſter) aus orr (früher oß = angelſ. uſer). Zweifelhaft iſt mir veſall (miſer) das vocaliſch alliteriert: ill (hâvam. 13. vgl. 70.) wie es im dän. und ſchwed. uſel, uſell lautet; entw. ſteht es für ôſæll, oder ſtammt von vos (miſeria) müſte aber dann vâſall, vo- ſall lauten. — 3) in den goth. und ſächſ. verbindungen vl. vr wirft die altn. ſprache das v. ab, als lit (vlits) rôta (eruere, angelſ. vrôtan) reckr (angelſ. vrecca); um- ſo auffallender, da ſelbſt Schweden und Dänen zwar nicht vl. aber doch vr. behaupten, als reidhr (iratus) rângr (pravus) ſchw. u. dän. vrêd, vrong etc. Spuren eines altn. vr. weiſt aber wieder die alliteration, in der edda wird vëga ſo oft mit reidhr gebunden (œgisdr. 15. 18. 27. fâfn. 7. 17. 30. ſigrdrîf. 28.), daß an der allen an- ſtand löſenden ausſprache vreidhr nicht zu zweifeln iſt, da auch hl. hn. hr. hv. mit ha. hi. hei etc. gl. gn. gr. mit ga. gi. gu etc. alliterieren *). Alſo galt ein älte- res vr und vl ſtatt des ſpäteren r und l, wie im alt- hochd. — 4) aus den verbindungen qv. tv. dv. þv. ſv. fällt v. zuweilen weg, wodurch das darauf folgende ë in o, das folgende i in y **), î in ŷ verwandelt wird, als: ſofa (dormire) koma (venire) für ſvëfa, qvëma; tyſvar (bis) tôlf, kykr (vivus) þŷ für tviſvar, tvölif, qvickr, þvî. Seltner iſt kodho f. qvâdho, kona (mulier) neben qvân, qvon, qvën. — 5) das auslautende oder vom bloßen geſchlechtskennzeichen gefolgte goth. und angelſ. v. findet nirgends ſtatt, ſondern iſt apocopiert, *) Zum überfluß bemerke ich aus der E. H. die altſ. allite ration wrìtan: wìſlico: word. **) Oben ſ. 269. das angelſ. nytan ſt, nëvitan.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/337>, abgerufen am 17.05.2024.