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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. altnordische vocale.
(sonus) liodh (carmen). Den ursprung dieses io aus
einem ältern iu ersieht man in wörtern derselben con-
jug. die letzteres behalten und namentlich vor p. k und g.
In einzelnen fällen entsteht io, wie im alth., aus zus.
ziehungen, vgl. fiorir (quatuor) oben s. 104; fion (odium)
aus fi-jon? hion (conjuges) aus hi-von? lion (leo)
aus li-on?

(IU) iu (nicht ju) die ältere, in gewissen fällen ver-
bliebene form des vorausgehenden io. und zwar bei
folgendem p. f. *) k. g, als: diupr (profundus) driupa
(cadere) gliupr (bibulus) hiupr (velamen) kriupa (repere)
riupa (tetrao) stiupr (privignus) gliufr (locus praeruptus)
hriufr (moestus) kliufa (findere) liufr (carus) riufa (rum-
pere) fiuka (ningere) liuka (claudere) miukr (lenis) riuka
(fumare) siukr (aeger) striuka (elabi) biugr (curvus) bliugr
(verecundus) driugr (continuus) fliuga (volare) liuga (men-
tiri) siuga (sugere) smiuga (repere). Warum die lippen-
und kehllaute das vorstehende iu bewahren, die lingua-
les und liq. es aber in io übergehen laßen? verdient
aufmerksamkeit; man vgl. oben s. 94. 100. das vor n.r.
und den linguales entwickelte alth. o, während m die
lab. und gutt. das alte au (ou) vor sich behalten; bloß
der einfluß des m ist verschieden, I aber dort gar nicht
vorkommend. Eine andere analogie bieten die verbin-
dungen lp. lf. lk. lg. nk. ng. an hand, welche den vorste-
henden kurzen vocal verlängern (oben s. 286. 289. 290. 291.)
während er vor lt. ld. nt. nd. kurz bleibt; offenbar steht
auch hier die lingualordnung gegenüber der labialen und
gutturalen. Noch ein parallelismus der beiden letzten
wurde s. 187. bemerkt. Aus dergleichen jetzt noch un-
reisen wahrnehmungen können dereinst wichtige auf-
schlüße erwachsen. -- Statt iu haben ein bloßes langes au:
lauta (vergere) lauka (claudere), letzteres bereits im goth.
laukan (s. 51.) -- Das seltne iu in niu (novem) tiu (de-
cem) ist kein eigentlicher diphth., vielmehr i-u, und
etwa eiu zu schreiben? So entspringt auch in dem be-
kannten eigennamen giuki (oder giuki?) der diphth. aus
contraction (st. giviki) wie die alts. form giviko und
die alth. kibicho (Neugart n° 518.) lehren.

(OE) gleich dem angels. AE von doppelter, völlig
verschiedener art, entw. ö oder oe.


*) Ausg. das vorhin angeführte thiofr und friofr (nicht thiufr,
friufr) da doch sonst lieb und dieb auf einer reihe stehn,
goth, liubs. thiubs; schwed. liuf. [ - 1 Zeichen fehlt]iuf.

I. altnordiſche vocale.
(ſonus) liódh (carmen). Den urſprung dieſes ió aus
einem ältern iú erſieht man in wörtern derſelben con-
jug. die letzteres behalten und namentlich vor p. k und g.
In einzelnen fällen entſteht ió, wie im alth., aus zuſ.
ziehungen, vgl. fiórir (quatuor) oben ſ. 104; fión (odium)
aus fi-jon? hión (conjuges) aus hi-von? lión (leo)
aus li-on?

(IU) (nicht jú) die ältere, in gewiſſen fällen ver-
bliebene form des vorausgehenden . und zwar bei
folgendem p. f. *) k. g, als: diúpr (profundus) driúpa
(caderè) gliúpr (bibulus) hiúpr (velamen) kriúpa (repere)
riúpa (tetrao) ſtiúpr (privignus) gliúfr (locus praeruptus)
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pere) fiúka (ningere) liúka (claudere) miúkr (lenis) riúka
(fumare) ſiúkr (aeger) ſtriúka (elabi) biúgr (curvus) bliúgr
(verecundus) driúgr (continuus) fliúga (volare) liúga (men-
tiri) ſiúga (ſugere) ſmiúga (repere). Warum die lippen-
und kehllaute das vorſtehende bewahren, die lingua-
les und liq. es aber in ió übergehen laßen? verdient
aufmerkſamkeit; man vgl. oben ſ. 94. 100. das vor n.r.
und den linguales entwickelte alth. ô, während m die
lab. und gutt. das alte au (ou) vor ſich behalten; bloß
der einfluß des m iſt verſchieden, I aber dort gar nicht
vorkommend. Eine andere analogie bieten die verbin-
dungen lp. lf. lk. lg. nk. ng. an hand, welche den vorſte-
henden kurzen vocal verlängern (oben ſ. 286. 289. 290. 291.)
während er vor lt. ld. nt. nd. kurz bleibt; offenbar ſteht
auch hier die lingualordnung gegenüber der labialen und
gutturalen. Noch ein paralleliſmus der beiden letzten
wurde ſ. 187. bemerkt. Aus dergleichen jetzt noch un-
reiſen wahrnehmungen können dereinſt wichtige auf-
ſchlüße erwachſen. — Statt iu haben ein bloßes langes û:
lûta (vergere) lûka (claudere), letzteres bereits im goth.
lûkan (ſ. 51.) — Das ſeltne íu in níu (novem) tíu (de-
cem) iſt kein eigentlicher diphth., vielmehr i-u, und
etwa îu zu ſchreiben? So entſpringt auch in dem be-
kannten eigennamen giúki (oder gíuki?) der diphth. aus
contraction (ſt. giviki) wie die altſ. form giviko und
die alth. kibicho (Neugart n° 518.) lehren.

(OE) gleich dem angelſ. AE von doppelter, völlig
verſchiedener art, entw. ö oder œ.


*) Ausg. das vorhin angeführte þiófr und friófr (nicht þiúfr,
friúfr) da doch ſonſt lieb und dieb auf einer reihe ſtehn,
goth, liubs. þiubs; ſchwed. liuf. [ – 1 Zeichen fehlt]iuf.
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[299/0325] I. altnordiſche vocale. (ſonus) liódh (carmen). Den urſprung dieſes ió aus einem ältern iú erſieht man in wörtern derſelben con- jug. die letzteres behalten und namentlich vor p. k und g. In einzelnen fällen entſteht ió, wie im alth., aus zuſ. ziehungen, vgl. fiórir (quatuor) oben ſ. 104; fión (odium) aus fi-jon? hión (conjuges) aus hi-von? lión (leo) aus li-on? (IU) iú (nicht jú) die ältere, in gewiſſen fällen ver- bliebene form des vorausgehenden ió. und zwar bei folgendem p. f. *) k. g, als: diúpr (profundus) driúpa (caderè) gliúpr (bibulus) hiúpr (velamen) kriúpa (repere) riúpa (tetrao) ſtiúpr (privignus) gliúfr (locus praeruptus) hriúfr (moeſtus) kliúfa (findere) liúfr (carus) riúfa (rum- pere) fiúka (ningere) liúka (claudere) miúkr (lenis) riúka (fumare) ſiúkr (aeger) ſtriúka (elabi) biúgr (curvus) bliúgr (verecundus) driúgr (continuus) fliúga (volare) liúga (men- tiri) ſiúga (ſugere) ſmiúga (repere). Warum die lippen- und kehllaute das vorſtehende iú bewahren, die lingua- les und liq. es aber in ió übergehen laßen? verdient aufmerkſamkeit; man vgl. oben ſ. 94. 100. das vor n.r. und den linguales entwickelte alth. ô, während m die lab. und gutt. das alte au (ou) vor ſich behalten; bloß der einfluß des m iſt verſchieden, I aber dort gar nicht vorkommend. Eine andere analogie bieten die verbin- dungen lp. lf. lk. lg. nk. ng. an hand, welche den vorſte- henden kurzen vocal verlängern (oben ſ. 286. 289. 290. 291.) während er vor lt. ld. nt. nd. kurz bleibt; offenbar ſteht auch hier die lingualordnung gegenüber der labialen und gutturalen. Noch ein paralleliſmus der beiden letzten wurde ſ. 187. bemerkt. Aus dergleichen jetzt noch un- reiſen wahrnehmungen können dereinſt wichtige auf- ſchlüße erwachſen. — Statt iu haben ein bloßes langes û: lûta (vergere) lûka (claudere), letzteres bereits im goth. lûkan (ſ. 51.) — Das ſeltne íu in níu (novem) tíu (de- cem) iſt kein eigentlicher diphth., vielmehr i-u, und etwa îu zu ſchreiben? So entſpringt auch in dem be- kannten eigennamen giúki (oder gíuki?) der diphth. aus contraction (ſt. giviki) wie die altſ. form giviko und die alth. kibicho (Neugart n° 518.) lehren. (OE) gleich dem angelſ. AE von doppelter, völlig verſchiedener art, entw. ö oder œ. *) Ausg. das vorhin angeführte þiófr und friófr (nicht þiúfr, friúfr) da doch ſonſt lieb und dieb auf einer reihe ſtehn, goth, liubs. þiubs; ſchwed. liuf. _iuf.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/325>, abgerufen am 19.05.2024.