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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. altnordische vocale.
(stultus) haus (cranium) hnaus (gleba) bauta (pellere)
braut (via) gauti (n. pr.) grautr (arena) naut (bos) nautr
(socius) skaut (gremium) staut (haesitatio lectionis) taut
(murmur) thraut (labor) u. a. m. Drucke und hss. ver-
wirren diesen diphth. au ungrammatisch mit dem un-
diphthongischen ö, dem durch u erzeugten umlaute des
a, indem sie nicht sowohl erstern ö, als vielmehr letz-
tern au (av) schreiben. Nach dem fac simile (hinter der
edda saem. I.) liest das fragm. membr. univ. Grimn. 43.
44. 46. richtig havca. öllum. bölverkr. alfödr und Hy-
misqv. 3. önn (goth. anna, labor) welche 4 letzte ö die
herausgeber unrichtig in avllom. bavlverkr. alfavdr.
avnn abändern. Der cod. reg. liest hingegen selbst schon
Skirn. 30. 38. gavrthom. avll st. görthom. öll. Die aus-
gabe der Nialssaga drückt au und ö durch av aus, in
einigen fällen letzteres durch o. In Biörns wörterbuch
sind au und ö meistentheils richtig unterschieden, nicht
durchgängig, indem z. b. höfud st. haufud (goth. hau-
bith, angels. heafod), hingegen vor nk, ng beständig au
st. ö gesetzt wird, z. b. haunk, staung, taung st. hönk,
stöng, töng. Die kopenh. ausg. der edda schwankt zwi-
schen au (av) und ö und hat z. b. bald savdull, bald
(das richtigere) södull. Andere, welche die verschieden-
heit beider laute einsehen, wollen au durch au, das ö
aber durch av ausdrücken, also gaut (fudit) laug (lava-
crum) aber gavtu (semitae) lavgr (fluidum) lavg (lex) etc.
geschrieben wißen. Ihnen pflichtet Rask §. 29. bei und
verfährt danach in seinen stockholmer ausgg. meisten-
theils, doch nicht allentbalben, obgleich er in der vorr. zur
Snorraedda p. 14. "allstadhar" (ubique) sagt, denn über-
all finden sich ö neben av, z. b. p. 46. mörg. miöc. iö-
tun. göngu etc. Mir misfällt diese bezeichnung des
unterschieds, theils weil av in den hss. insgemein auch
für das walire au steht. theils da, wo es den ölaut aus-
drücken soll, zur consonantischen anssprache des v in
av verführt, welche, wie wir oben gesehn, gerade dem
ganz abweichenden a gebührt. Ich werde sorgsam den
dipht. au von dem umlaut ö trennen und weder aun-
nur, sauk, haunom, noch avnnur, savk, havnom, son-
dern überall önnur, sök, hönom schreiben, will aber
zugeben, daß sich in der aussprache au und ö (wie
länge und kürze) begegneten und verwirren konnten.
Sonst würden alte hss. nicht beide durch av ausdrücken,
auch das au nicht später, z. b. im schwed. zu oe (lan-
gem ö) werden, als: loega (lavare) hoefved (caput), wäh-

I. altnordiſche vocale.
(ſtultus) haus (cranium) hnaus (gleba) bauta (pellere)
braut (via) gauti (n. pr.) grautr (arena) naut (bos) nautr
(ſocius) ſkaut (gremium) ſtaut (haeſitatio lectionis) taut
(murmur) þraut (labor) u. a. m. Drucke und hſſ. ver-
wirren dieſen diphth. au ungrammatiſch mit dem un-
diphthongiſchen ö, dem durch u erzeugten umlaute des
a, indem ſie nicht ſowohl erſtern ö, als vielmehr letz-
tern au (av) ſchreiben. Nach dem fac ſimile (hinter der
edda ſæm. I.) lieſt das fragm. membr. univ. Grimn. 43.
44. 46. richtig havca. öllum. bölvërkr. alfödr und Hŷ-
misqv. 3. önn (goth. anna, labor) welche 4 letzte ö die
herausgeber unrichtig in avllom. bavlvërkr. alfavdr.
avnn abändern. Der cod. reg. lieſt hingegen ſelbſt ſchon
Skirn. 30. 38. gavrþom. avll ſt. görþom. öll. Die aus-
gabe der Niâlsſaga drückt au und ö durch av aus, in
einigen fällen letzteres durch o. In Biörns wörterbuch
ſind au und ö meiſtentheils richtig unterſchieden, nicht
durchgängig, indem z. b. höfud ſt. haufud (goth. háu-
biþ, angelſ. heáfod), hingegen vor nk, ng beſtändig au
ſt. ö geſetzt wird, z. b. haunk, ſtaung, taung ſt. hönk,
ſtöng, töng. Die kopenh. ausg. der edda ſchwankt zwi-
ſchen au (av) und ö und hat z. b. bald ſavdull, bald
(das richtigere) ſödull. Andere, welche die verſchieden-
heit beider laute einſehen, wollen au durch au, das ö
aber durch av ausdrücken, alſo gaut (fudit) laug (lava-
crum) aber gavtu (ſemitae) lavgr (fluidum) lavg (lex) etc.
geſchrieben wißen. Ihnen pflichtet Raſk §. 29. bei und
verfährt danach in ſeinen ſtockholmer ausgg. meiſten-
theils, doch nicht allentbalben, obgleich er in der vorr. zur
Snorraedda p. 14. “allſtadhar” (ubique) ſagt, denn über-
all finden ſich ö neben av, z. b. p. 46. mörg. miöc. iö-
tun. göngu etc. Mir misfällt dieſe bezeichnung des
unterſchieds, theils weil av in den hſſ. insgemein auch
für das walire au ſteht. theils da, wo es den ölaut aus-
drücken ſoll, zur conſonantiſchen ansſprache des v in
av verführt, welche, wie wir oben geſehn, gerade dem
ganz abweichenden â gebührt. Ich werde ſorgſam den
dipht. au von dem umlaut ö trennen und weder aun-
nur, ſauk, haunom, noch avnnur, ſavk, havnom, ſon-
dern überall önnur, ſök, hönom ſchreiben, will aber
zugeben, daß ſich in der ausſprache au und ö (wie
länge und kürze) begegneten und verwirren konnten.
Sonſt würden alte hſſ. nicht beide durch av ausdrücken,
auch das au nicht ſpäter, z. b. im ſchwed. zu œ (lan-
gem ö) werden, als: lœga (lavare) hœfved (caput), wäh-

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[294/0320] I. altnordiſche vocale. (ſtultus) haus (cranium) hnaus (gleba) bauta (pellere) braut (via) gauti (n. pr.) grautr (arena) naut (bos) nautr (ſocius) ſkaut (gremium) ſtaut (haeſitatio lectionis) taut (murmur) þraut (labor) u. a. m. Drucke und hſſ. ver- wirren dieſen diphth. au ungrammatiſch mit dem un- diphthongiſchen ö, dem durch u erzeugten umlaute des a, indem ſie nicht ſowohl erſtern ö, als vielmehr letz- tern au (av) ſchreiben. Nach dem fac ſimile (hinter der edda ſæm. I.) lieſt das fragm. membr. univ. Grimn. 43. 44. 46. richtig havca. öllum. bölvërkr. alfödr und Hŷ- misqv. 3. önn (goth. anna, labor) welche 4 letzte ö die herausgeber unrichtig in avllom. bavlvërkr. alfavdr. avnn abändern. Der cod. reg. lieſt hingegen ſelbſt ſchon Skirn. 30. 38. gavrþom. avll ſt. görþom. öll. Die aus- gabe der Niâlsſaga drückt au und ö durch av aus, in einigen fällen letzteres durch o. In Biörns wörterbuch ſind au und ö meiſtentheils richtig unterſchieden, nicht durchgängig, indem z. b. höfud ſt. haufud (goth. háu- biþ, angelſ. heáfod), hingegen vor nk, ng beſtändig au ſt. ö geſetzt wird, z. b. haunk, ſtaung, taung ſt. hönk, ſtöng, töng. Die kopenh. ausg. der edda ſchwankt zwi- ſchen au (av) und ö und hat z. b. bald ſavdull, bald (das richtigere) ſödull. Andere, welche die verſchieden- heit beider laute einſehen, wollen au durch au, das ö aber durch av ausdrücken, alſo gaut (fudit) laug (lava- crum) aber gavtu (ſemitae) lavgr (fluidum) lavg (lex) etc. geſchrieben wißen. Ihnen pflichtet Raſk §. 29. bei und verfährt danach in ſeinen ſtockholmer ausgg. meiſten- theils, doch nicht allentbalben, obgleich er in der vorr. zur Snorraedda p. 14. “allſtadhar” (ubique) ſagt, denn über- all finden ſich ö neben av, z. b. p. 46. mörg. miöc. iö- tun. göngu etc. Mir misfällt dieſe bezeichnung des unterſchieds, theils weil av in den hſſ. insgemein auch für das walire au ſteht. theils da, wo es den ölaut aus- drücken ſoll, zur conſonantiſchen ansſprache des v in av verführt, welche, wie wir oben geſehn, gerade dem ganz abweichenden â gebührt. Ich werde ſorgſam den dipht. au von dem umlaut ö trennen und weder aun- nur, ſauk, haunom, noch avnnur, ſavk, havnom, ſon- dern überall önnur, ſök, hönom ſchreiben, will aber zugeben, daß ſich in der ausſprache au und ö (wie länge und kürze) begegneten und verwirren konnten. Sonſt würden alte hſſ. nicht beide durch av ausdrücken, auch das au nicht ſpäter, z. b. im ſchwed. zu œ (lan- gem ö) werden, als: lœga (lavare) hœfved (caput), wäh-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/320>, abgerufen am 17.05.2024.