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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. althochdeutsche consonanten. labiales.
die ten. behauptet, meistens noch im neuh. (pein, perle,
tempel, palme etc., ausgenommen pfütze) wiewohl
einzelne ph. erschienen sind, z. b. pheinon (cruciare)
gl. hrab. 953a, pheinunga 955b.
4) ein überzeugender grund ist ferner der, daß die con-
sonanzverbindung sp sowohl im anlaut als inlaut ge-
blieben ist und sich nicht in sph (einen übrigens wohl-
klingenden, im gr. sph häufigen laut) verwandelt hat.
Aber selbst die denkmähler, welche am strengsten der
alth. labialregel folgen, zeigen unverändert sp in den-
selben wörtern, wo es die sächs. goth. und nord.
mundart hat. Zahlreiche anlaute: spinnan, sper, spal-
tan etc. bedürfen keiner aufzählung. Seltner sind die
inlaute und ich vermag nur lispen (anhelare) M. 341.
wisbelot (sibilus) gl. doc. nespil (mespila) gl. doc. aspa
(tremula) gl. blas. 140. gerade zu belegen, es muß
noch andere geben, z. b. hispan, wispan, haspal,
mespil etc. (vgl. die mittelh. sp.). O. schreibt thuesben
(extinguere) st. duespjan, was auf ein starkes duispan
zurückdeutet. Den bekannten eigennamen ospirein,
osbirein fübre ich nicht an, weil er aus os-pirein (ursa)
componiert ist, ebensowenig die schwierige par-
tikel zasperi, zisperi, d. h. za speri, zi speri
(utique).
5) im goth. etc. sind ten. med. asp. organisch vertheilt;
im alth. schwanken ten. u. med. für eine reihe von
wörtern unter einander; diese unvollkommenheit kann
nicht ursprünglich gewesen seyn.
6) endlich kann die analogie der lingual- und guttural-
buchstaben angeschlagen werden, wo im alth. eine
gleich unorganische aspiration eintritt und zunimmt.

Nachdem ich dargethan habe, daß im ältesten hoch-
deutsch ganz die goth. vertheilung und bestimmung der
lippenlaute eingetreten zu seyn scheint, handelt es sich
um die nähere darstellung des eigentlichen verhältnisses
dieser consonanten im 8 - 10. jahrh. wobei nun jene spu-
ren des früheren zustandes übergangen werden können.

(P und B) die tenuis entspricht im an- in- und
auslaut der goth. media b. und strenghochd. denkmäh-
ler, namentlich die hrab. und mons. gl. schreiben nicht
nur im auslaute: kap (dedit) screip (scripsit) stap (bacu-
lus) sondern auch in- und anlautend: kepa (donum)
scripun, stapa, treipan, opaß, upar, umpi, zimpar; pat

I
I. althochdeutſche conſonanten. labiales.
die ten. behauptet, meiſtens noch im neuh. (pein, perle,
tempel, palme etc., ausgenommen pfütze) wïewohl
einzelne ph. erſchienen ſind, z. b. phînôn (cruciare)
gl. hrab. 953a, phînunga 955b.
4) ein überzeugender grund iſt ferner der, daß die con-
ſonanzverbindung ſp ſowohl im anlaut als inlaut ge-
blieben iſt und ſich nicht in ſph (einen übrigens wohl-
klingenden, im gr. σφ häufigen laut) verwandelt hat.
Aber ſelbſt die denkmähler, welche am ſtrengſten der
alth. labialregel folgen, zeigen unverändert ſp in den-
ſelben wörtern, wo es die ſächſ. goth. und nord.
mundart hat. Zahlreiche anlaute: ſpinnan, ſpër, ſpal-
tan etc. bedürfen keiner aufzählung. Seltner ſind die
inlaute und ich vermag nur liſpen (anhelare) M. 341.
wiſbelôt (ſibilus) gl. doc. nëſpil (mespila) gl. doc. aſpa
(tremula) gl. blaſ. 140. gerade zu belegen, es muß
noch andere geben, z. b. hiſpan, wiſpan, haſpal,
mëſpil etc. (vgl. die mittelh. ſp.). O. ſchreibt thueſben
(extinguere) ſt. dueſpjan, was auf ein ſtarkes duiſpan
zurückdeutet. Den bekannten eigennamen oſpirîn,
oſbirîn fübre ich nicht an, weil er aus oſ-pirîn (urſa)
componiert iſt, ebenſowenig die ſchwierige par-
tikel zaſpëri, ziſpëri, d. h. za ſpëri, zi ſpëri
(utique).
5) im goth. etc. ſind ten. med. aſp. organiſch vertheilt;
im alth. ſchwanken ten. u. med. für eine reihe von
wörtern unter einander; dieſe unvollkommenheit kann
nicht urſprünglich geweſen ſeyn.
6) endlich kann die analogie der lingual- und guttural-
buchſtaben angeſchlagen werden, wo im alth. eine
gleich unorganiſche aſpiration eintritt und zunimmt.

Nachdem ich dargethan habe, daß im älteſten hoch-
deutſch ganz die goth. vertheilung und beſtimmung der
lippenlaute eingetreten zu ſeyn ſcheint, handelt es ſich
um die nähere darſtellung des eigentlichen verhältniſſes
dieſer conſonanten im 8 - 10. jahrh. wobei nun jene ſpu-
ren des früheren zuſtandes übergangen werden können.

(P und B) die tenuis entſpricht im an- in- und
auslaut der goth. media b. und ſtrenghochd. denkmäh-
ler, namentlich die hrab. und monſ. gl. ſchreiben nicht
nur im auslaute: kap (dedit) ſcreip (ſcripſit) ſtap (bacu-
lus) ſondern auch in- und anlautend: këpa (donum)
ſcripun, ſtapâ, trîpan, opaƷ, upar, umpi, zimpar; pat

I
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[129/0155] I. althochdeutſche conſonanten. labiales. die ten. behauptet, meiſtens noch im neuh. (pein, perle, tempel, palme etc., ausgenommen pfütze) wïewohl einzelne ph. erſchienen ſind, z. b. phînôn (cruciare) gl. hrab. 953a, phînunga 955b. 4) ein überzeugender grund iſt ferner der, daß die con- ſonanzverbindung ſp ſowohl im anlaut als inlaut ge- blieben iſt und ſich nicht in ſph (einen übrigens wohl- klingenden, im gr. σφ häufigen laut) verwandelt hat. Aber ſelbſt die denkmähler, welche am ſtrengſten der alth. labialregel folgen, zeigen unverändert ſp in den- ſelben wörtern, wo es die ſächſ. goth. und nord. mundart hat. Zahlreiche anlaute: ſpinnan, ſpër, ſpal- tan etc. bedürfen keiner aufzählung. Seltner ſind die inlaute und ich vermag nur liſpen (anhelare) M. 341. wiſbelôt (ſibilus) gl. doc. nëſpil (mespila) gl. doc. aſpa (tremula) gl. blaſ. 140. gerade zu belegen, es muß noch andere geben, z. b. hiſpan, wiſpan, haſpal, mëſpil etc. (vgl. die mittelh. ſp.). O. ſchreibt thueſben (extinguere) ſt. dueſpjan, was auf ein ſtarkes duiſpan zurückdeutet. Den bekannten eigennamen oſpirîn, oſbirîn fübre ich nicht an, weil er aus oſ-pirîn (urſa) componiert iſt, ebenſowenig die ſchwierige par- tikel zaſpëri, ziſpëri, d. h. za ſpëri, zi ſpëri (utique). 5) im goth. etc. ſind ten. med. aſp. organiſch vertheilt; im alth. ſchwanken ten. u. med. für eine reihe von wörtern unter einander; dieſe unvollkommenheit kann nicht urſprünglich geweſen ſeyn. 6) endlich kann die analogie der lingual- und guttural- buchſtaben angeſchlagen werden, wo im alth. eine gleich unorganiſche aſpiration eintritt und zunimmt. Nachdem ich dargethan habe, daß im älteſten hoch- deutſch ganz die goth. vertheilung und beſtimmung der lippenlaute eingetreten zu ſeyn ſcheint, handelt es ſich um die nähere darſtellung des eigentlichen verhältniſſes dieſer conſonanten im 8 - 10. jahrh. wobei nun jene ſpu- ren des früheren zuſtandes übergangen werden können. (P und B) die tenuis entſpricht im an- in- und auslaut der goth. media b. und ſtrenghochd. denkmäh- ler, namentlich die hrab. und monſ. gl. ſchreiben nicht nur im auslaute: kap (dedit) ſcreip (ſcripſit) ſtap (bacu- lus) ſondern auch in- und anlautend: këpa (donum) ſcripun, ſtapâ, trîpan, opaƷ, upar, umpi, zimpar; pat I

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/155>, abgerufen am 23.11.2024.