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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. althochdeutsche vocale.
zu setzen. Ferner das ei und kein ai geben wirkliche
bair. urkunden des 8. 9. jahrh. bei Ried n°. 2. 8. 15. 22.
47. 50 etc. zeiß, heim, leid, eigil, geiß, pein etc. ale-
mannische hingegen zuweilen ai statt des gewöhnl. ei,
vgl. in Neugarts namenverz. aimo, gaila, haimo, haitar,
paio, laibolf, aigant etc. Ich möchte also das ausnahms-
weise in den alth. quellen allerdings vorhandene ai nicht
der bairischen mundart zueignen, sondern es für das
ältere, unumgelautete ei überhaupt ansehen. -- Man
verwechsle mit ai nicht den hiatus ai, z. b. plaju (spiro)
gai (festinatio) st. plahj[u], gahei; gidrait (tortus) etc.

(AO) daß dieser doppellaut einer besondern mund-
art statt des gemein-alth. o eigen sey, ist vorhin beim o
gezeigt worden; welcher mundart aber? wage ich nicht
zu bestimmen. Die augeführten belege waren ans den
gl. hrab. dem Hild. und urkunden bei Ried. Aber auch
Neugart n°. 47. hat aotahar 79 gaoßbert 48. maorin-
zan etc. *). -- Mit dem oa, welches einige für ua, uo
schreiben, darf ao nicht vermischt werden, ist aber zu-
weilen doch dafür gesetzt worden, was um so begreif-
licher seyn wird. als auch ua dem o parallel steht, wie
oa dem o, beides freilich in verschiedenen dialecten.
Wenn also bei Ried n°. 8. 21. aopi, aogo, taom nicht
verschrieben ist. so stünde doch beßer opi, ogo, tom
(d. h. uopi, uogo, tuom); taoc (valet) im Hild. steht
entw. für tauc oder ist hinneigung zum niederd. dog.

(AU) dieser diphthong ist gemeinalthochdeutsch, aber
nur in den frühsten denkmählern zu treffen; spätere
(T. O. N.) ersetzen ihn durch ou, nie durch o. Eine
gewisse analogie zwischen au und ai läßt sich nicht ver-
kennen 1) weil beide insonderheit vor h. s. r. in o und e
übergehen. 2) in den übrigen fällen sich später in ou
und ei verwandeln, jedoch 3) im neuh. wieder als au
und ai (freilich ei geschrieben) auftreten. Hieraus folgt
zugleich, daß au und ai als das früheste, dem goth. noch
nähere hochdeutsch **), weniger als ein besonderer

*) Den alemann. könig frao-marius bei Amm. Marc. lib. 29.
bringe ich nicht in anschlag.
**) Zur Römerzeit mag wie im goth. noch das unverküm-
merte au gegolten haben, da sie nicht bloß chauci son-
dern auch aurinia schreiben; doch ist letzteres zweifelhafte
lesart. In gothones ist ein kurzes o (d. h. ein urspr. deut-
sches u) weshalb die Byzantiner g[o]tthoi schreiben, nicht gotthoi.
G 2

I. althochdeutſche vocale.
zu ſetzen. Ferner das ei und kein ai geben wirkliche
bair. urkunden des 8. 9. jahrh. bei Ried n°. 2. 8. 15. 22.
47. 50 etc. zeiƷ, heim, leid, eigil, geiƷ, pein etc. ale-
manniſche hingegen zuweilen ai ſtatt des gewöhnl. ei,
vgl. in Neugarts namenverz. aimo, gaila, haimo, haitar,
paio, laibolf, aigant etc. Ich möchte alſo das ausnahms-
weiſe in den alth. quellen allerdings vorhandene ai nicht
der bairiſchen mundart zueignen, ſondern es für das
ältere, unumgelautete ei überhaupt anſehen. — Man
verwechſle mit ai nicht den hiatus âi, z. b. plâju (ſpiro)
gâì (feſtinatio) ſt. plâhj[u], gâhî; gidrâit (tortus) etc.

(AO) daß dieſer doppellaut einer beſondern mund-
art ſtatt des gemein-alth. ô eigen ſey, iſt vorhin beim ô
gezeigt worden; welcher mundart aber? wage ich nicht
zu beſtimmen. Die augeführten belege waren ans den
gl. hrab. dem Hild. und urkunden bei Ried. Aber auch
Neugart n°. 47. hat aotahar 79 gaoƷbërt 48. maorin-
zan etc. *). — Mit dem oa, welches einige für ua, uo
ſchreiben, darf ao nicht vermiſcht werden, iſt aber zu-
weilen doch dafür geſetzt worden, was um ſo begreif-
licher ſeyn wird. als auch ua dem ô parallel ſteht, wie
oa dem ô, beides freilich in verſchiedenen dialecten.
Wenn alſo bei Ried n°. 8. 21. aopi, aogo, taom nicht
verſchrieben iſt. ſo ſtünde doch beßer ôpi, ôgo, tôm
(d. h. uopi, uogo, tuom); taoc (valet) im Hild. ſteht
entw. für tauc oder iſt hinneigung zum niederd. dôg.

(AU) dieſer diphthong iſt gemeinalthochdeutſch, aber
nur in den frühſten denkmählern zu treffen; ſpätere
(T. O. N.) erſetzen ihn durch ou, nie durch ô. Eine
gewiſſe analogie zwiſchen au und ai läßt ſich nicht ver-
kennen 1) weil beide inſonderheit vor h. ſ. r. in ô und ê
übergehen. 2) in den übrigen fällen ſich ſpäter in ou
und ei verwandeln, jedoch 3) im neuh. wieder als au
und ai (freilich ei geſchrieben) auftreten. Hieraus folgt
zugleich, daß au und ai als das früheſte, dem goth. noch
nähere hochdeutſch **), weniger als ein beſonderer

*) Den alemann. könig frao-mârius bei Amm. Marc. lib. 29.
bringe ich nicht in anſchlag.
**) Zur Römerzeit mag wie im goth. noch das unverküm-
merte au gegolten haben, da ſie nicht bloß chauci ſon-
dern auch aurinia ſchreiben; doch iſt letzteres zweifelhafte
lesart. In gothones iſt ein kurzes o (d. h. ein urſpr. deut-
ſches u) weshalb die Byzantiner γ[ό]τθοι ſchreiben, nicht γωτθοι.
G 2
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[99/0125] I. althochdeutſche vocale. zu ſetzen. Ferner das ei und kein ai geben wirkliche bair. urkunden des 8. 9. jahrh. bei Ried n°. 2. 8. 15. 22. 47. 50 etc. zeiƷ, heim, leid, eigil, geiƷ, pein etc. ale- manniſche hingegen zuweilen ai ſtatt des gewöhnl. ei, vgl. in Neugarts namenverz. aimo, gaila, haimo, haitar, paio, laibolf, aigant etc. Ich möchte alſo das ausnahms- weiſe in den alth. quellen allerdings vorhandene ai nicht der bairiſchen mundart zueignen, ſondern es für das ältere, unumgelautete ei überhaupt anſehen. — Man verwechſle mit ai nicht den hiatus âi, z. b. plâju (ſpiro) gâì (feſtinatio) ſt. plâhju, gâhî; gidrâit (tortus) etc. (AO) daß dieſer doppellaut einer beſondern mund- art ſtatt des gemein-alth. ô eigen ſey, iſt vorhin beim ô gezeigt worden; welcher mundart aber? wage ich nicht zu beſtimmen. Die augeführten belege waren ans den gl. hrab. dem Hild. und urkunden bei Ried. Aber auch Neugart n°. 47. hat aotahar 79 gaoƷbërt 48. maorin- zan etc. *). — Mit dem oa, welches einige für ua, uo ſchreiben, darf ao nicht vermiſcht werden, iſt aber zu- weilen doch dafür geſetzt worden, was um ſo begreif- licher ſeyn wird. als auch ua dem ô parallel ſteht, wie oa dem ô, beides freilich in verſchiedenen dialecten. Wenn alſo bei Ried n°. 8. 21. aopi, aogo, taom nicht verſchrieben iſt. ſo ſtünde doch beßer ôpi, ôgo, tôm (d. h. uopi, uogo, tuom); taoc (valet) im Hild. ſteht entw. für tauc oder iſt hinneigung zum niederd. dôg. (AU) dieſer diphthong iſt gemeinalthochdeutſch, aber nur in den frühſten denkmählern zu treffen; ſpätere (T. O. N.) erſetzen ihn durch ou, nie durch ô. Eine gewiſſe analogie zwiſchen au und ai läßt ſich nicht ver- kennen 1) weil beide inſonderheit vor h. ſ. r. in ô und ê übergehen. 2) in den übrigen fällen ſich ſpäter in ou und ei verwandeln, jedoch 3) im neuh. wieder als au und ai (freilich ei geſchrieben) auftreten. Hieraus folgt zugleich, daß au und ai als das früheſte, dem goth. noch nähere hochdeutſch **), weniger als ein beſonderer *) Den alemann. könig frao-mârius bei Amm. Marc. lib. 29. bringe ich nicht in anſchlag. **) Zur Römerzeit mag wie im goth. noch das unverküm- merte au gegolten haben, da ſie nicht bloß chauci ſon- dern auch aurinia ſchreiben; doch iſt letzteres zweifelhafte lesart. In gothones iſt ein kurzes o (d. h. ein urſpr. deut- ſches u) weshalb die Byzantiner γότθοι ſchreiben, nicht γωτθοι. G 2

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/125>, abgerufen am 06.05.2024.