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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. althochdeutsche vocale.
gränzend gewesen seyn muß, da im niederd., wie ei
und ie in e. so au und ua in o zusammenfallen.
Spuren des o statt ua (uo) verrathen indessen noch
andere alth. denkmähler, namentlich J. 342. 353. boh
350. wotnissa 402. blomo neben duom 344. huolida
(frustrabatur) 396. hruoft 389. guotlih, muodic, sluo-
gun. fuoß, zuo (praep.) und dhuo (cum, quando).
Die letzte partikel ist zumahl merkwürdig, weil ge-
rade andere denkmähler, die entschiedner hochdeutsch
sind, als J. sie mit o ausdrücken; O tho, N. do und
in der regel mittelh. do (ausnahmsweise duo).
5) weder in diesem do, noch in den andern gemeinalt-
hochd. partikeln so und o (interj.) läßt sich das ge-
wöhnl. alth. o (= au) erkennen, sondern es ist deut-
lich ein othil, d. h. dem goth. o in aussprache und
bedeutung gleich. Dasselbe o beweise ich aus dem o
der adj. fem. pl. blindo (goth. blindos), welches of-
fenbar nicht mundartisch, sondern durch alle alth.
denkmähler stattfindet. Schreibt O. ausnahmsweise
nicht zwo (duae) sondern zua, so darf man dies zwar
inconsequent aber nicht unrichtig heißen, da er in
dem einzelnen fall sein ua (welches ihm sonst überall
für uo gilt) anwendete, zua mithin = zuo, d. h.
zvuo, zwuo, zwua steht, statt des consequenteren
zuo, zwo. Die partikel so entspringt vermuthlich aus
svua oder svuo, vgl. das goth. sva, sve, nord. sva.
Das alte o hat sich ferner in den wohl noch betonten
endungen des comp. or, der gen. pl. on, o der inf.
auf -on etc. *) zu halten gewußt und nicht mit uo,
ua vertauscht, aus welchem allem wichtige bestärkung
der früheren, größeren einstimmung der alth. mit den
goth. lauten hervorgeht. Diese zeigt sich sogar in
dem spurweisen übergang des unbetonten oder tiefto-
nigen o in u, vgl. gl. mons. 365 vigidunta st. vigi-
donta, 367. hepinunter st. hepinonter (wie oben s. 40.
krotoda, krotuda).

(UU) au hat in den nord. und sächs. runen ein zei-
chen und einen namen. Das zeichen stimmt mit dem
goth. buchstab überein, der, wie oben gezeigt worden,
zugleich häufig das kurze u ausdrücken muß; das gilt

*) Eine seltne ausnahme gewährt auch hier J, 361, 12. adh-
muot (flat) neben 361, 13. adhmot.
I. althochdeutſche vocale.
gränzend geweſen ſeyn muß, da im niederd., wie ei
und ie in ê. ſo au und ua in ô zuſammenfallen.
Spuren des ô ſtatt ua (uo) verrathen indeſſen noch
andere alth. denkmähler, namentlich J. 342. 353. bôh
350. wôtniſſa 402. blômo neben duom 344. huolida
(fruſtrabatur) 396. hruoft 389. guotlìh, muodìc, ſluo-
gun. fuoƷ, zuo (praep.) und dhuo (cum, quando).
Die letzte partikel iſt zumahl merkwürdig, weil ge-
rade andere denkmähler, die entſchiedner hochdeutſch
ſind, als J. ſie mit ô ausdrücken; O thô, N. dô und
in der regel mittelh. dò (ausnahmsweiſe duo).
5) weder in dieſem dô, noch in den andern gemeinalt-
hochd. partikeln ſô und ô (interj.) läßt ſich das ge-
wöhnl. alth. ô (= au) erkennen, ſondern es iſt deut-
lich ein ôthil, d. h. dem goth. ô in ausſprache und
bedeutung gleich. Dasſelbe ô beweiſe ich aus dem ô
der adj. fem. pl. blindô (goth. blindôs), welches of-
fenbar nicht mundartiſch, ſondern durch alle alth.
denkmähler ſtattfindet. Schreibt O. ausnahmsweiſe
nicht zwò (duae) ſondern zua, ſo darf man dies zwar
inconſequent aber nicht unrichtig heißen, da er in
dem einzelnen fall ſein ua (welches ihm ſonſt überall
für uo gilt) anwendete, zua mithin = zuo, d. h.
zvuo, zwuo, zwua ſteht, ſtatt des conſequenteren
zuô, zwô. Die partikel ſô entſpringt vermuthlich aus
ſvua oder ſvuo, vgl. das goth. ſva, ſvê, nord. ſvâ.
Das alte ô hat ſich ferner in den wohl noch betonten
endungen des comp. ôr, der gen. pl. ôn, ô der inf.
auf -ôn etc. *) zu halten gewußt und nicht mit uo,
ua vertauſcht, aus welchem allem wichtige beſtärkung
der früheren, größeren einſtimmung der alth. mit den
goth. lauten hervorgeht. Dieſe zeigt ſich ſogar in
dem ſpurweiſen übergang des unbetonten oder tiefto-
nigen ô in u, vgl. gl. monſ. 365 vigidunta ſt. vigi-
dônta, 367. hepinuntêr ſt. hepinôntêr (wie oben ſ. 40.
krôtôda, krôtuda).

(UU) û hat in den nord. und ſächſ. runen ein zei-
chen und einen namen. Das zeichen ſtimmt mit dem
goth. buchſtab überein, der, wie oben gezeigt worden,
zugleich häufig das kurze u ausdrücken muß; das gilt

*) Eine ſeltne ausnahme gewährt auch hier J, 361, 12. âdh-
muot (flat) neben 361, 13. âdhmôt.
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[96/0122] I. althochdeutſche vocale. gränzend geweſen ſeyn muß, da im niederd., wie ei und ie in ê. ſo au und ua in ô zuſammenfallen. Spuren des ô ſtatt ua (uo) verrathen indeſſen noch andere alth. denkmähler, namentlich J. 342. 353. bôh 350. wôtniſſa 402. blômo neben duom 344. huolida (fruſtrabatur) 396. hruoft 389. guotlìh, muodìc, ſluo- gun. fuoƷ, zuo (praep.) und dhuo (cum, quando). Die letzte partikel iſt zumahl merkwürdig, weil ge- rade andere denkmähler, die entſchiedner hochdeutſch ſind, als J. ſie mit ô ausdrücken; O thô, N. dô und in der regel mittelh. dò (ausnahmsweiſe duo). 5) weder in dieſem dô, noch in den andern gemeinalt- hochd. partikeln ſô und ô (interj.) läßt ſich das ge- wöhnl. alth. ô (= au) erkennen, ſondern es iſt deut- lich ein ôthil, d. h. dem goth. ô in ausſprache und bedeutung gleich. Dasſelbe ô beweiſe ich aus dem ô der adj. fem. pl. blindô (goth. blindôs), welches of- fenbar nicht mundartiſch, ſondern durch alle alth. denkmähler ſtattfindet. Schreibt O. ausnahmsweiſe nicht zwò (duae) ſondern zua, ſo darf man dies zwar inconſequent aber nicht unrichtig heißen, da er in dem einzelnen fall ſein ua (welches ihm ſonſt überall für uo gilt) anwendete, zua mithin = zuo, d. h. zvuo, zwuo, zwua ſteht, ſtatt des conſequenteren zuô, zwô. Die partikel ſô entſpringt vermuthlich aus ſvua oder ſvuo, vgl. das goth. ſva, ſvê, nord. ſvâ. Das alte ô hat ſich ferner in den wohl noch betonten endungen des comp. ôr, der gen. pl. ôn, ô der inf. auf -ôn etc. *) zu halten gewußt und nicht mit uo, ua vertauſcht, aus welchem allem wichtige beſtärkung der früheren, größeren einſtimmung der alth. mit den goth. lauten hervorgeht. Dieſe zeigt ſich ſogar in dem ſpurweiſen übergang des unbetonten oder tiefto- nigen ô in u, vgl. gl. monſ. 365 vigidunta ſt. vigi- dônta, 367. hepinuntêr ſt. hepinôntêr (wie oben ſ. 40. krôtôda, krôtuda). (UU) û hat in den nord. und ſächſ. runen ein zei- chen und einen namen. Das zeichen ſtimmt mit dem goth. buchſtab überein, der, wie oben gezeigt worden, zugleich häufig das kurze u ausdrücken muß; das gilt *) Eine ſeltne ausnahme gewährt auch hier J, 361, 12. âdh- muot (flat) neben 361, 13. âdhmôt.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/122>, abgerufen am 06.05.2024.