Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite
I. althochdeutsche vocale.
zorn, zurnen; korn, folkurni; fogal, fugali; loch,
lucha; thorren (arescere) thurri (aridum); ros (equus)
russein (equinus); horo (lutum) hurwein (luteus); horskei
(industria) hursgjan (incitare); pocch (caper) pucchein
(caprinus); tobal (vallis) gitubili (convallis) etc. Auch
hier ist weder umlaut, noch rückkehr des alten lauts,
sondern festhaften desselben, durch gewisse biegungen
und ableitungen verursacht *). Wir werden gleich
sehen, daß, ohne eine endung i, das alte u in den
ablauten zugun, wurfun, bundun (wie das i in ritun)
ebenfalls geblieben ist, bis das vorrückende o im neuh.
endlich zogen, noch nicht worfen, bonden, aber im
niederd. auch worpen und bonden bewirkte.
4) des in o übergehenden e ist vorhin beim e gedacht,
aber besondere erwägung verdienen noch die wörter
auf on: tonar (tonitru), wonen (habitare) und fona
(praep.). Letzteres fehlt dem goth. nord. und angels.
stamm völlig und der niederd. hat fan. Dieses a zeigt
auch Notker in wanen (K. T. haben wonen) so wie
das nord. vanr (assuetus) und umlautend venja (con-
suetudo). Ein u hingegen gewährt das angels. dunor
(tonitru) und vunjan (manere), auch das nord. dyn
und dunr. Da sich nun auch aus quena später kone
entwickelt, vgl. das nord. kona und angels. cven, so
vermuthe ich für alle diese wörter längst verlorene
starke stämme, die gleich dem goth. niman, nam, nu-
man gehabt haben: winan, wan, wunan; dinan, dan,
dunan. Jenes o darf also aus einem frühern u und a
geleitet werden. Man halte hierzu das vorhin s. 75.
über den wechsel zwischen a und o (wamba, womba;
durnaht, durnoht) beigebrachte; ein weiteres beispiel
gibt die copula joh, die bei J. K. O. N. so und nicht
jah, wie im goth. lautet; bloß die exhort. liest ja und
in beiden hss. (Vgl. nachher über das schwanken der
diphthongen ia und io).

(U) u, die runische gleich der gothischen schrift
bedient sich für das kurze u keines eigenen, sondern
des zeichens, das eigentlich für das lange gilt. Dieser
laut hat im alth. nur geringern umfang wegen der vielen
übergänge in o. Auch hier erscheint vorzugsweise das o
zunächst in wurzeln mit einfachem, später in denen mit

*) Analoge übergänge der lat. sprache bei Schneider p. 26-32.
I. althochdeutſche vocale.
zorn, zurnen; korn, folkurni; fogal, fugali; loch,
lucha; thorrên (areſcere) thurri (aridum); ros (equus)
ruſſîn (equinus); horo (lutum) hurwîn (luteus); horſkî
(induſtria) hurſgjan (incitare); pocch (caper) pucchîn
(caprinus); tobal (vallis) gitubili (convallis) etc. Auch
hier iſt weder umlaut, noch rückkehr des alten lauts,
ſondern feſthaften deſſelben, durch gewiſſe biegungen
und ableitungen verurſacht *). Wir werden gleich
ſehen, daß, ohne eine endung i, das alte u in den
ablauten zugun, wurfun, bundun (wie das i in ritun)
ebenfalls geblieben iſt, bis das vorrückende o im neuh.
endlich zogen, noch nicht worfen, bonden, aber im
niederd. auch worpen und bonden bewirkte.
4) des in o übergehenden ë iſt vorhin beim ë gedacht,
aber beſondere erwägung verdienen noch die wörter
auf on: tonar (tonitru), wonên (habitare) und fona
(praep.). Letzteres fehlt dem goth. nord. und angelſ.
ſtamm völlig und der niederd. hat fan. Dieſes a zeigt
auch Notker in wanên (K. T. haben wonèn) ſo wie
das nord. vanr (aſſuetus) und umlautend venja (con-
ſuetudo). Ein u hingegen gewährt das angelſ. dunor
(tonitru) und vunjan (manere), auch das nord. dyn
und dunr. Da ſich nun auch aus quëna ſpäter kone
entwickelt, vgl. das nord. kona und angelſ. cvën, ſo
vermuthe ich für alle dieſe wörter längſt verlorene
ſtarke ſtämme, die gleich dem goth. niman, nam, nu-
man gehabt haben: winan, wan, wunan; dinan, dan,
dunan. Jenes o darf alſo aus einem frühern u und a
geleitet werden. Man halte hierzu das vorhin ſ. 75.
über den wechſel zwiſchen a und o (wamba, womba;
durnaht, durnoht) beigebrachte; ein weiteres beiſpiel
gibt die copula joh, die bei J. K. O. N. ſo und nicht
jah, wie im goth. lautet; bloß die exhort. lieſt ja und
in beiden hſſ. (Vgl. nachher über das ſchwanken der
diphthongen ia und io).

(U) u, die runiſche gleich der gothiſchen ſchrift
bedient ſich für das kurze u keines eigenen, ſondern
des zeichens, das eigentlich für das lange gilt. Dieſer
laut hat im alth. nur geringern umfang wegen der vielen
übergänge in o. Auch hier erſcheint vorzugsweiſe das o
zunächſt in wurzeln mit einfachem, ſpäter in denen mit

*) Analoge übergänge der lat. ſprache bei Schneider p. 26-32.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <list>
              <item><pb facs="#f0111" n="85"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">althochdeut&#x017F;che vocale.</hi></fw><lb/>
zorn, zurnen; korn, folkurni; fogal, fugali; loch,<lb/>
lucha; thorrên (are&#x017F;cere) thurri (aridum); ros (equus)<lb/>
ru&#x017F;&#x017F;în (equinus); horo (lutum) hurwîn (luteus); hor&#x017F;<lb/>
(indu&#x017F;tria) hur&#x017F;gjan (incitare); pocch (caper) pucchîn<lb/>
(caprinus); tobal (vallis) gitubili (convallis) etc. Auch<lb/>
hier i&#x017F;t weder umlaut, noch rückkehr des alten lauts,<lb/>
&#x017F;ondern fe&#x017F;thaften de&#x017F;&#x017F;elben, durch gewi&#x017F;&#x017F;e biegungen<lb/>
und ableitungen verur&#x017F;acht <note place="foot" n="*)">Analoge übergänge der lat. &#x017F;prache bei Schneider p. 26-32.</note>. Wir werden gleich<lb/>
&#x017F;ehen, daß, ohne eine endung i, das alte u in den<lb/>
ablauten zugun, wurfun, bundun (wie das i in ritun)<lb/>
ebenfalls geblieben i&#x017F;t, bis das vorrückende o im neuh.<lb/>
endlich zogen, noch nicht worfen, bonden, aber im<lb/>
niederd. auch worpen und bonden bewirkte.</item><lb/>
              <item>4) des in o übergehenden ë i&#x017F;t vorhin beim ë gedacht,<lb/>
aber be&#x017F;ondere erwägung verdienen noch die wörter<lb/>
auf <hi rendition="#i">on</hi>: tonar (tonitru), wonên (habitare) und fona<lb/>
(praep.). Letzteres fehlt dem goth. nord. und angel&#x017F;.<lb/>
&#x017F;tamm völlig und der niederd. hat fan. Die&#x017F;es a zeigt<lb/>
auch Notker in wanên (K. T. haben wonèn) &#x017F;o wie<lb/>
das nord. vanr (a&#x017F;&#x017F;uetus) und umlautend venja (con-<lb/>
&#x017F;uetudo). Ein <hi rendition="#i">u</hi> hingegen gewährt das angel&#x017F;. dunor<lb/>
(tonitru) und vunjan (manere), auch das nord. dyn<lb/>
und dunr. Da &#x017F;ich nun auch aus quëna &#x017F;päter kone<lb/>
entwickelt, vgl. das nord. kona und angel&#x017F;. cvën, &#x017F;o<lb/>
vermuthe ich für alle die&#x017F;e wörter läng&#x017F;t verlorene<lb/>
&#x017F;tarke &#x017F;tämme, die gleich dem goth. niman, nam, nu-<lb/>
man gehabt haben: winan, wan, wunan; dinan, dan,<lb/>
dunan. Jenes o darf al&#x017F;o aus einem frühern <hi rendition="#i">u</hi> und <hi rendition="#i">a</hi><lb/>
geleitet werden. Man halte hierzu das vorhin &#x017F;. 75.<lb/>
über den wech&#x017F;el zwi&#x017F;chen a und o (wamba, womba;<lb/>
durnaht, durnoht) beigebrachte; ein weiteres bei&#x017F;piel<lb/>
gibt die copula <hi rendition="#i">joh</hi>, die bei J. K. O. N. &#x017F;o und nicht<lb/><hi rendition="#i">jah</hi>, wie im goth. lautet; bloß die exhort. lie&#x017F;t <hi rendition="#i">ja</hi> und<lb/>
in beiden h&#x017F;&#x017F;. (Vgl. nachher über das &#x017F;chwanken der<lb/>
diphthongen <hi rendition="#i">ia</hi> und <hi rendition="#i">io</hi>).</item>
            </list><lb/>
            <p>(U) u, die runi&#x017F;che gleich der gothi&#x017F;chen &#x017F;chrift<lb/>
bedient &#x017F;ich für das kurze u keines eigenen, &#x017F;ondern<lb/>
des zeichens, das eigentlich für das lange gilt. Die&#x017F;er<lb/>
laut hat im alth. nur geringern umfang wegen der vielen<lb/>
übergänge in o. Auch hier er&#x017F;cheint vorzugswei&#x017F;e das o<lb/>
zunäch&#x017F;t in wurzeln mit einfachem, &#x017F;päter in denen mit<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0111] I. althochdeutſche vocale. zorn, zurnen; korn, folkurni; fogal, fugali; loch, lucha; thorrên (areſcere) thurri (aridum); ros (equus) ruſſîn (equinus); horo (lutum) hurwîn (luteus); horſkî (induſtria) hurſgjan (incitare); pocch (caper) pucchîn (caprinus); tobal (vallis) gitubili (convallis) etc. Auch hier iſt weder umlaut, noch rückkehr des alten lauts, ſondern feſthaften deſſelben, durch gewiſſe biegungen und ableitungen verurſacht *). Wir werden gleich ſehen, daß, ohne eine endung i, das alte u in den ablauten zugun, wurfun, bundun (wie das i in ritun) ebenfalls geblieben iſt, bis das vorrückende o im neuh. endlich zogen, noch nicht worfen, bonden, aber im niederd. auch worpen und bonden bewirkte. 4) des in o übergehenden ë iſt vorhin beim ë gedacht, aber beſondere erwägung verdienen noch die wörter auf on: tonar (tonitru), wonên (habitare) und fona (praep.). Letzteres fehlt dem goth. nord. und angelſ. ſtamm völlig und der niederd. hat fan. Dieſes a zeigt auch Notker in wanên (K. T. haben wonèn) ſo wie das nord. vanr (aſſuetus) und umlautend venja (con- ſuetudo). Ein u hingegen gewährt das angelſ. dunor (tonitru) und vunjan (manere), auch das nord. dyn und dunr. Da ſich nun auch aus quëna ſpäter kone entwickelt, vgl. das nord. kona und angelſ. cvën, ſo vermuthe ich für alle dieſe wörter längſt verlorene ſtarke ſtämme, die gleich dem goth. niman, nam, nu- man gehabt haben: winan, wan, wunan; dinan, dan, dunan. Jenes o darf alſo aus einem frühern u und a geleitet werden. Man halte hierzu das vorhin ſ. 75. über den wechſel zwiſchen a und o (wamba, womba; durnaht, durnoht) beigebrachte; ein weiteres beiſpiel gibt die copula joh, die bei J. K. O. N. ſo und nicht jah, wie im goth. lautet; bloß die exhort. lieſt ja und in beiden hſſ. (Vgl. nachher über das ſchwanken der diphthongen ia und io). (U) u, die runiſche gleich der gothiſchen ſchrift bedient ſich für das kurze u keines eigenen, ſondern des zeichens, das eigentlich für das lange gilt. Dieſer laut hat im alth. nur geringern umfang wegen der vielen übergänge in o. Auch hier erſcheint vorzugsweiſe das o zunächſt in wurzeln mit einfachem, ſpäter in denen mit *) Analoge übergänge der lat. ſprache bei Schneider p. 26-32.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/111
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/111>, abgerufen am 06.05.2024.