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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. allgemeine vergleichung der conjugation.
spätere mundarten verdünnen a, i, u, e, ei, selbst die
bei mischung der ableitung und flexion bestandenen
o, e in ein bloßes e, auffallend zumahl ist das mittelh.
-e der I sg. praes. ind., während im analogen nom.
sg. adj. fem. -iu haftete; man merke 1) die schwe-
dische sprache allein wahrt noch einzelne a und o,
geschieden von e. 2) umlaut gilt im mittel- und
neuh., nicht im schwed. und dän. 3) das mittelh.
stumme e haftet in conjunctivflexionen fester (s. 929.
930) gleichergestalt das neuh. tonlose (s. 982); unver-
kennbares nachgefühl der alten länge. Auch das neuh.
scheint (lucet) scheinet (lucetis) (s. 981) hängt sicher
zusammen mit dem alth. sceinit und sceinat; vgl. das
vorhin angeführte altn. gefr und gefir. 4) neueren
sprachen fällt die einbuße der vocalunterschiede in den
flexionen desto schwerer, da sich zugleich consonanz-
unterschiede verwischt haben, vgl. das mittelh. leitet
(ducit, ducitis, duxistis) alth. leiteit, leitat, leittut. --
3) die flexion des imperativus infinitivus, und der parti-
cipien bedarf keiner besonderen erläuterung.
4) ein dualis zeigt sich bloß im goth. (s. 840) und bloß
für die erste und zweite person, dieser ist die con-
sonanz -ts characteristisch, jener im conj. -v, im
ind. scheint die spirans v mit dem vocal gemischt,
-os, -u etwan aus -vas, -vu entspringend? obschon
die sprache sonst -va, vu leidet (ahva, manvu alth.
aha) vgl. inzwischen fidur und fidvor (s. 60.). Die
vocale stimmen zu der characteristik der pluralflexion,
praes. conj. ai, praet. conj. ei, praet. ind. u, praes.
ind. I, os aus vas? II. ats (nicht its, also ein früheres
ath II. ind. statt ith bestätigend). Die dualflexionen sind
in allen übrigen sprachen ausgestorben, selbst in sol-
chen, denen die zweizahl im persönl. pron. geläufig
bleibt (s. 780. 814.), namentlich auch bei Ottocar. Nur
süddeutsche gemeine volksmundarten (dieselben, welche
ez, tiz gebrauchen, ja andere, welchen das duale pron.
bereits mangelt) erhalten noch formen wie: gebts,
habts, thauts, bringts etc. beides für duale und plurale
bedeutung, so daß wie beim pron. die eigentliche plu-
ralflexion häufig verdrängt worden ist. Man muß übri-
gens das -ts in gebts etc. nicht dem goth. -ts, son-
dern dem goth. -t gleichsetzen, denn das goth. -s ist
völlig davon geschwunden (hlauts, vlits = loß, ant-
litz) oder entspräche hochdeutschem -r (svarts = schwar-
zer); alt- oder mittelh. würde dieser dualis kepaz (oder
II. allgemeine vergleichung der conjugation.
ſpätere mundarten verdünnen a, i, u, ê, î, ſelbſt die
bei miſchung der ableitung und flexion beſtandenen
ô, ê in ein bloßes e, auffallend zumahl iſt das mittelh.
-e der I ſg. praeſ. ind., während im analogen nom.
ſg. adj. fem. -iu haftete; man merke 1) die ſchwe-
diſche ſprache allein wahrt noch einzelne a und o,
geſchieden von e. 2) umlaut gilt im mittel- und
neuh., nicht im ſchwed. und dän. 3) das mittelh.
ſtumme e haftet in conjunctivflexionen feſter (ſ. 929.
930) gleichergeſtalt das neuh. tonloſe (ſ. 982); unver-
kennbares nachgefühl der alten länge. Auch das neuh.
ſcheint (lucet) ſcheinet (lucetis) (ſ. 981) hängt ſicher
zuſammen mit dem alth. ſcînit und ſcînat; vgl. das
vorhin angeführte altn. gëfr und gëfir. 4) neueren
ſprachen fällt die einbuße der vocalunterſchiede in den
flexionen deſto ſchwerer, da ſich zugleich conſonanz-
unterſchiede verwiſcht haben, vgl. das mittelh. leitet
(ducit, ducitis, duxiſtis) alth. leitît, leitat, leittut. —
3) die flexion des imperativus infinitivus, und der parti-
cipien bedarf keiner beſonderen erläuterung.
4) ein dualis zeigt ſich bloß im goth. (ſ. 840) und bloß
für die erſte und zweite perſon, dieſer iſt die con-
ſonanz -ts characteriſtiſch, jener im conj. -v, im
ind. ſcheint die ſpirans v mit dem vocal gemiſcht,
-ôs, -u etwan aus -vas, -vu entſpringend? obſchon
die ſprache ſonſt -va, vu leidet (ahva, manvu alth.
aha) vgl. inzwiſchen fidur und fidvôr (ſ. 60.). Die
vocale ſtimmen zu der characteriſtik der pluralflexion,
praeſ. conj. ái, praet. conj. ei, praet. ind. u, praeſ.
ind. I, ôs aus vas? II. ats (nicht its, alſo ein früheres
aþ II. ind. ſtatt iþ beſtätigend). Die dualflexionen ſind
in allen übrigen ſprachen ausgeſtorben, ſelbſt in ſol-
chen, denen die zweizahl im perſönl. pron. geläufig
bleibt (ſ. 780. 814.), namentlich auch bei Ottocar. Nur
ſüddeutſche gemeine volksmundarten (dieſelben, welche
ez, tiz gebrauchen, ja andere, welchen das duale pron.
bereits mangelt) erhalten noch formen wie: gêbts,
hâbts, thûts, bringts etc. beides für duale und plurale
bedeutung, ſo daß wie beim pron. die eigentliche plu-
ralflexion häufig verdrängt worden iſt. Man muß übri-
gens das -ts in gêbts etc. nicht dem goth. -ts, ſon-
dern dem goth. -t gleichſetzen, denn das goth. -s iſt
völlig davon geſchwunden (hláuts, vlits = lôß, ant-
litz) oder entſpräche hochdeutſchem -r (ſvarts = ſchwar-
zer); alt- oder mittelh. würde dieſer dualis këpaz (oder
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[1049/1075] II. allgemeine vergleichung der conjugation. ſpätere mundarten verdünnen a, i, u, ê, î, ſelbſt die bei miſchung der ableitung und flexion beſtandenen ô, ê in ein bloßes e, auffallend zumahl iſt das mittelh. -e der I ſg. praeſ. ind., während im analogen nom. ſg. adj. fem. -iu haftete; man merke 1) die ſchwe- diſche ſprache allein wahrt noch einzelne a und o, geſchieden von e. 2) umlaut gilt im mittel- und neuh., nicht im ſchwed. und dän. 3) das mittelh. ſtumme e haftet in conjunctivflexionen feſter (ſ. 929. 930) gleichergeſtalt das neuh. tonloſe (ſ. 982); unver- kennbares nachgefühl der alten länge. Auch das neuh. ſcheint (lucet) ſcheinet (lucetis) (ſ. 981) hängt ſicher zuſammen mit dem alth. ſcînit und ſcînat; vgl. das vorhin angeführte altn. gëfr und gëfir. 4) neueren ſprachen fällt die einbuße der vocalunterſchiede in den flexionen deſto ſchwerer, da ſich zugleich conſonanz- unterſchiede verwiſcht haben, vgl. das mittelh. leitet (ducit, ducitis, duxiſtis) alth. leitît, leitat, leittut. — 3) die flexion des imperativus infinitivus, und der parti- cipien bedarf keiner beſonderen erläuterung. 4) ein dualis zeigt ſich bloß im goth. (ſ. 840) und bloß für die erſte und zweite perſon, dieſer iſt die con- ſonanz -ts characteriſtiſch, jener im conj. -v, im ind. ſcheint die ſpirans v mit dem vocal gemiſcht, -ôs, -u etwan aus -vas, -vu entſpringend? obſchon die ſprache ſonſt -va, vu leidet (ahva, manvu alth. aha) vgl. inzwiſchen fidur und fidvôr (ſ. 60.). Die vocale ſtimmen zu der characteriſtik der pluralflexion, praeſ. conj. ái, praet. conj. ei, praet. ind. u, praeſ. ind. I, ôs aus vas? II. ats (nicht its, alſo ein früheres aþ II. ind. ſtatt iþ beſtätigend). Die dualflexionen ſind in allen übrigen ſprachen ausgeſtorben, ſelbſt in ſol- chen, denen die zweizahl im perſönl. pron. geläufig bleibt (ſ. 780. 814.), namentlich auch bei Ottocar. Nur ſüddeutſche gemeine volksmundarten (dieſelben, welche ez, tiz gebrauchen, ja andere, welchen das duale pron. bereits mangelt) erhalten noch formen wie: gêbts, hâbts, thûts, bringts etc. beides für duale und plurale bedeutung, ſo daß wie beim pron. die eigentliche plu- ralflexion häufig verdrängt worden iſt. Man muß übri- gens das -ts in gêbts etc. nicht dem goth. -ts, ſon- dern dem goth. -t gleichſetzen, denn das goth. -s iſt völlig davon geſchwunden (hláuts, vlits = lôß, ant- litz) oder entſpräche hochdeutſchem -r (ſvarts = ſchwar- zer); alt- oder mittelh. würde dieſer dualis këpaz (oder

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 1049. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/1075>, abgerufen am 17.05.2024.