Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Verstandes-Störungen.
Worten, möglichst glänzenden Bildern, möglichst hohen Zahlen (Tau-
sende, Millionen etc.) zu reden, und insofern solche übertriebene Vor-
stellungen als Bestrebungen sich geltend machen, gehören eben hie-
her, ihrem Inhalte nach, die so mannigfaltigen, excentrischen
Plane
solcher Kranken. Sie sind natürlich nach den früheren Er-
lebnissen, nach Stand und Beschäftigung, nach der Bildungstufe des
Kranken sehr verschieden. Der Handwerker will sein Geschäft ins
Ungeheure vergrössern, der Militär will mit grossen Armeen operiren,
Feldzüge anfangen, Eroberungen machen; ein Anderer macht Projecte
zu unmöglichen mechanischen Erfindungen, z. B. dem Perpetuum
mobile, Andere haben Plane zu Befahrung von Land und Meer auf
neu erfundenen Eisenbahnen oder zu Dampfschiff-Entreprisen in petto,
welche alle Meere der Welt beherrschen sollen, oder es sind grosse
Reiseprojecte, grosse Bauplane (Schlösser, Städte etc.), welche den
Kranken ganz erfüllen. Andere wollen auf dem Gebiete der Ideen
wirken, umfassende wissenschaftliche Gedanken, grosse humanistische,
religiöse und a. dergl. Zwecke realisiren, als Apostel auftreten, als
Wohlthäter der ganzen Menschheit ihr allgemeines Glück und Frieden
bringen etc., Alles das verschieden, theils nach zufälligen äusseren
Einwirkungen, theils je nachdem der Kranke früher vorzugsweise
realistische Tendenzen oder ideale Lebenszwecke verfolgte. Immer
aber zeichnen sich diese Ideen einmal durch einen Character hoher
Activität (gegenüber den auf der Idee des Beherrschtwerdens und
Leidens beruhenden Vorstellungen der Schwermüthigen), zweitens
durch ihre phantastische Uebertriebenheit aus.

Mit diesen Vorstellungen aufs engste zusammenhängend, gleich
ihnen aus gesteigerter Selbstempfindung und Ueberschätzung der
eigenen Kraft hervorgehend, ergeben sich nun weiter falsche Vor-
stellungen und Urtheile in Bezug auf das eigene Ich und dessen
Stellung zur Welt. Ganz besonders häufig ist hier der Wahn einer
ausgezeichneten Persönlichkeit, einer übermenschlichen Macht,
eines unerschöpflichen Besitzes, hohen Standes, vornehmer Abkunft etc.
Hierher gehören diese in den Irrenhäusern so häufigen Generale,
Napoleons, Millionäre, Weltreformatoren, Götter und Heroen, die
zahlreichen weiblichen Kranken, die von Königen geliebt werden,
die Kranken, die sich eines besonderen Verhältnisses zu und eines
nahen, innigen Umgangs mit dem Göttlichen rühmen u. s. w. Aber
alle diese Kranken gehören hierher nur insoferne und solange, als
diese Vorstellungen auf einer noch wirklich vorhandenen erhöhten

Griesinger, psych. Krankhtn. 16

Verstandes-Störungen.
Worten, möglichst glänzenden Bildern, möglichst hohen Zahlen (Tau-
sende, Millionen etc.) zu reden, und insofern solche übertriebene Vor-
stellungen als Bestrebungen sich geltend machen, gehören eben hie-
her, ihrem Inhalte nach, die so mannigfaltigen, excentrischen
Plane
solcher Kranken. Sie sind natürlich nach den früheren Er-
lebnissen, nach Stand und Beschäftigung, nach der Bildungstufe des
Kranken sehr verschieden. Der Handwerker will sein Geschäft ins
Ungeheure vergrössern, der Militär will mit grossen Armeen operiren,
Feldzüge anfangen, Eroberungen machen; ein Anderer macht Projecte
zu unmöglichen mechanischen Erfindungen, z. B. dem Perpetuum
mobile, Andere haben Plane zu Befahrung von Land und Meer auf
neu erfundenen Eisenbahnen oder zu Dampfschiff-Entreprisen in petto,
welche alle Meere der Welt beherrschen sollen, oder es sind grosse
Reiseprojecte, grosse Bauplane (Schlösser, Städte etc.), welche den
Kranken ganz erfüllen. Andere wollen auf dem Gebiete der Ideen
wirken, umfassende wissenschaftliche Gedanken, grosse humanistische,
religiöse und a. dergl. Zwecke realisiren, als Apostel auftreten, als
Wohlthäter der ganzen Menschheit ihr allgemeines Glück und Frieden
bringen etc., Alles das verschieden, theils nach zufälligen äusseren
Einwirkungen, theils je nachdem der Kranke früher vorzugsweise
realistische Tendenzen oder ideale Lebenszwecke verfolgte. Immer
aber zeichnen sich diese Ideen einmal durch einen Character hoher
Activität (gegenüber den auf der Idee des Beherrschtwerdens und
Leidens beruhenden Vorstellungen der Schwermüthigen), zweitens
durch ihre phantastische Uebertriebenheit aus.

Mit diesen Vorstellungen aufs engste zusammenhängend, gleich
ihnen aus gesteigerter Selbstempfindung und Ueberschätzung der
eigenen Kraft hervorgehend, ergeben sich nun weiter falsche Vor-
stellungen und Urtheile in Bezug auf das eigene Ich und dessen
Stellung zur Welt. Ganz besonders häufig ist hier der Wahn einer
ausgezeichneten Persönlichkeit, einer übermenschlichen Macht,
eines unerschöpflichen Besitzes, hohen Standes, vornehmer Abkunft etc.
Hierher gehören diese in den Irrenhäusern so häufigen Generale,
Napoleons, Millionäre, Weltreformatoren, Götter und Heroen, die
zahlreichen weiblichen Kranken, die von Königen geliebt werden,
die Kranken, die sich eines besonderen Verhältnisses zu und eines
nahen, innigen Umgangs mit dem Göttlichen rühmen u. s. w. Aber
alle diese Kranken gehören hierher nur insoferne und solange, als
diese Vorstellungen auf einer noch wirklich vorhandenen erhöhten

Griesinger, psych. Krankhtn. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0255" n="241"/><fw place="top" type="header">Verstandes-Störungen.</fw><lb/>
Worten, möglichst glänzenden Bildern, möglichst hohen Zahlen (Tau-<lb/>
sende, Millionen etc.) zu reden, und insofern solche übertriebene Vor-<lb/>
stellungen als Bestrebungen sich geltend machen, gehören eben hie-<lb/>
her, ihrem Inhalte nach, die so mannigfaltigen, <hi rendition="#g">excentrischen<lb/>
Plane</hi> solcher Kranken. Sie sind natürlich nach den früheren Er-<lb/>
lebnissen, nach Stand und Beschäftigung, nach der Bildungstufe des<lb/>
Kranken sehr verschieden. Der Handwerker will sein Geschäft ins<lb/>
Ungeheure vergrössern, der Militär will mit grossen Armeen operiren,<lb/>
Feldzüge anfangen, Eroberungen machen; ein Anderer macht Projecte<lb/>
zu unmöglichen mechanischen Erfindungen, z. B. dem Perpetuum<lb/>
mobile, Andere haben Plane zu Befahrung von Land und Meer auf<lb/>
neu erfundenen Eisenbahnen oder zu Dampfschiff-Entreprisen in petto,<lb/>
welche alle Meere der Welt beherrschen sollen, oder es sind grosse<lb/>
Reiseprojecte, grosse Bauplane (Schlösser, Städte etc.), welche den<lb/>
Kranken ganz erfüllen. Andere wollen auf dem Gebiete der Ideen<lb/>
wirken, umfassende wissenschaftliche Gedanken, grosse humanistische,<lb/>
religiöse und a. dergl. Zwecke realisiren, als Apostel auftreten, als<lb/>
Wohlthäter der ganzen Menschheit ihr allgemeines Glück und Frieden<lb/>
bringen etc., Alles das verschieden, theils nach zufälligen äusseren<lb/>
Einwirkungen, theils je nachdem der Kranke früher vorzugsweise<lb/>
realistische Tendenzen oder ideale Lebenszwecke verfolgte. Immer<lb/>
aber zeichnen sich diese Ideen einmal durch einen Character hoher<lb/>
Activität (gegenüber den auf der Idee des Beherrschtwerdens und<lb/>
Leidens beruhenden Vorstellungen der Schwermüthigen), zweitens<lb/>
durch ihre phantastische Uebertriebenheit aus.</p><lb/>
              <p>Mit diesen Vorstellungen aufs engste zusammenhängend, gleich<lb/>
ihnen aus gesteigerter Selbstempfindung und Ueberschätzung der<lb/>
eigenen Kraft hervorgehend, ergeben sich nun weiter falsche Vor-<lb/>
stellungen und <hi rendition="#g">Urtheile in Bezug auf das eigene Ich</hi> und dessen<lb/>
Stellung zur Welt. Ganz besonders häufig ist hier der Wahn einer<lb/><hi rendition="#g">ausgezeichneten Persönlichkeit</hi>, einer übermenschlichen Macht,<lb/>
eines unerschöpflichen Besitzes, hohen Standes, vornehmer Abkunft etc.<lb/>
Hierher gehören diese in den Irrenhäusern so häufigen Generale,<lb/>
Napoleons, Millionäre, Weltreformatoren, Götter und Heroen, die<lb/>
zahlreichen weiblichen Kranken, die von Königen geliebt werden,<lb/>
die Kranken, die sich eines besonderen Verhältnisses zu und eines<lb/>
nahen, innigen Umgangs mit dem Göttlichen rühmen u. s. w. Aber<lb/>
alle diese Kranken gehören hierher nur insoferne und solange, als<lb/>
diese Vorstellungen auf einer noch wirklich vorhandenen erhöhten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Griesinger</hi>, psych. Krankhtn. 16</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0255] Verstandes-Störungen. Worten, möglichst glänzenden Bildern, möglichst hohen Zahlen (Tau- sende, Millionen etc.) zu reden, und insofern solche übertriebene Vor- stellungen als Bestrebungen sich geltend machen, gehören eben hie- her, ihrem Inhalte nach, die so mannigfaltigen, excentrischen Plane solcher Kranken. Sie sind natürlich nach den früheren Er- lebnissen, nach Stand und Beschäftigung, nach der Bildungstufe des Kranken sehr verschieden. Der Handwerker will sein Geschäft ins Ungeheure vergrössern, der Militär will mit grossen Armeen operiren, Feldzüge anfangen, Eroberungen machen; ein Anderer macht Projecte zu unmöglichen mechanischen Erfindungen, z. B. dem Perpetuum mobile, Andere haben Plane zu Befahrung von Land und Meer auf neu erfundenen Eisenbahnen oder zu Dampfschiff-Entreprisen in petto, welche alle Meere der Welt beherrschen sollen, oder es sind grosse Reiseprojecte, grosse Bauplane (Schlösser, Städte etc.), welche den Kranken ganz erfüllen. Andere wollen auf dem Gebiete der Ideen wirken, umfassende wissenschaftliche Gedanken, grosse humanistische, religiöse und a. dergl. Zwecke realisiren, als Apostel auftreten, als Wohlthäter der ganzen Menschheit ihr allgemeines Glück und Frieden bringen etc., Alles das verschieden, theils nach zufälligen äusseren Einwirkungen, theils je nachdem der Kranke früher vorzugsweise realistische Tendenzen oder ideale Lebenszwecke verfolgte. Immer aber zeichnen sich diese Ideen einmal durch einen Character hoher Activität (gegenüber den auf der Idee des Beherrschtwerdens und Leidens beruhenden Vorstellungen der Schwermüthigen), zweitens durch ihre phantastische Uebertriebenheit aus. Mit diesen Vorstellungen aufs engste zusammenhängend, gleich ihnen aus gesteigerter Selbstempfindung und Ueberschätzung der eigenen Kraft hervorgehend, ergeben sich nun weiter falsche Vor- stellungen und Urtheile in Bezug auf das eigene Ich und dessen Stellung zur Welt. Ganz besonders häufig ist hier der Wahn einer ausgezeichneten Persönlichkeit, einer übermenschlichen Macht, eines unerschöpflichen Besitzes, hohen Standes, vornehmer Abkunft etc. Hierher gehören diese in den Irrenhäusern so häufigen Generale, Napoleons, Millionäre, Weltreformatoren, Götter und Heroen, die zahlreichen weiblichen Kranken, die von Königen geliebt werden, die Kranken, die sich eines besonderen Verhältnisses zu und eines nahen, innigen Umgangs mit dem Göttlichen rühmen u. s. w. Aber alle diese Kranken gehören hierher nur insoferne und solange, als diese Vorstellungen auf einer noch wirklich vorhandenen erhöhten Griesinger, psych. Krankhtn. 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/255
Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/255>, abgerufen am 09.05.2024.