schloss, dass sie ihn nicht mehr lieben könne und zog neuen Kummer aus diesem Gedanken.
Nun zog er sich von seinen Geschäften zurück. In steter Beobachtung seiner Leiden steigerte er die nervöse Reizbarkeit, durch die sie entstanden, immer höher. Er consultirte alle Aerzte, deren er habhaft werden konnte, der Wunsch, zu genesen machte, dass er begierig nach jeder Verordnung griff, die bald er- kannte Wirkungslosigheit der Mittel erregte ihm neuen Schmerz, mit dem Schwin- den solcher Hoffnungen, mit diesen Täuschungen seiner Einbildungskraft stei- gerte sich die nervöse Exaltation, und Kräfte und Ernährung nahmen ab. Von einem neuen Schleimfieber, dass ihn A. 1834 befiel und während dessen seine Stimmung unerträglich war, erholte er sich ohne Besscrung des nervösen Lei- dens. Von allen seinen Ideen grausam gequält, setzte er sich ernsthaft in den Kopf, einen Blasenstein zu haben, und vergeblich waren die Demonstrationen des Gegentheils. Er blieb dabei und liess einen berühmten Lithotriteur aus Paris kommen; mehre Untersuchungen brachten die heftigste Reizung der Urethra, mit starker Entzündung hervor, und Hr. M. starb nach wenigen Tagen. Die Section wurde nicht gemacht."
(Brachet, de l'hypochondrie, Par. 1844. p. 29 seqq.)
III. Zerrüttung der Constitution und Hypochondrie aus psychi- schen Ursachen. Heilung durch Befriedigung einer Leidenschaft. "Frau ***, 26 Jahre alt, physisch und psychisch von gleich lebhafter Empfindung, war Mutter von 3 Kindern. Ihre Gesundheit war gut, als die Bemühungen und Aufmerksamkeiten eines Hausfreundes Zugang zu ihrem Herzen fanden. Von dem Gedanken an ihre Pflichten erfüllt, leistete sie der Verführung Widerstand und hielt das Geheimniss einer heftigen Neigung tief in sich verborgen. Dieser Zwang störte allmählig ihre Gesundheit; sie fieng an, an Herzklopfen, einer Empfindung von Völle der Brust und unbestimmten krankhaften Erschei- nungen zu leiden. Der Appetit verlor sich, die Magengegend ward empfindlich und es zeigten sich Stiche auf der Brust. Zu diesen wirklichen Empfin- dungen gesellten sich die sonderbarsten und traurigsten Vorstellungen über ihre Gesundheit. Sie glaubte bald an einem Aneurisma, bald einem Magen- krebse, bald, und am häufigsten, an Lungenschwindsucht zu leiden. In der That stellten sieh Beengung, Husten mit reichlichem Auswurf, beständigen Fieber- bewegungen, nächtlichem Schweisse ein; die Aerzte glaubten an Tuberculose und schickten die Kranke nach dem Süden. Auf dieser Reise consultirte sie mich; ich fand ihren physischen Zustand ebenso tief heruntergekommen, als ihre Ein- bildungskraft ernstlich erkrankt. Ihre Leidon waren, nach ihrer Angabe, fürch- terlich; spitzige, rothglühende Eisen drangen ihr ins Fleisch, eine Faser um die andere wurde wie mit Zangen zerrissen, während die Kranke auf der andern Seite über die Brustorgane selbst nur wenig klagte. -- Nach einem sechsmonat- lichen Aufenthalte im südlichen Frankreich war sie weder körperlich noch geistig gebessert. Die Lungenaffection schien nicht vorgeschritten zu sein, aber ihre Stimmung und Phantasie war noch weit mehr verdüstert; sie zeigte noch weit grössere Neigung, Alles in schlimmem Sinne auszulegen, und bei ihrer Rückkehr nach Paris verschimmerte sich ihr Zustand noch mehr. -- Dort sieht sie den Gegenstand ihrer Neigung wieder -- sie unterliegt, verlässt ihre Familie und entflieht mit ihrem Verführer.
Beispiele von
schloss, dass sie ihn nicht mehr lieben könne und zog neuen Kummer aus diesem Gedanken.
Nun zog er sich von seinen Geschäften zurück. In steter Beobachtung seiner Leiden steigerte er die nervöse Reizbarkeit, durch die sie entstanden, immer höher. Er consultirte alle Aerzte, deren er habhaft werden konnte, der Wunsch, zu genesen machte, dass er begierig nach jeder Verordnung griff, die bald er- kannte Wirkungslosigheit der Mittel erregte ihm neuen Schmerz, mit dem Schwin- den solcher Hoffnungen, mit diesen Täuschungen seiner Einbildungskraft stei- gerte sich die nervöse Exaltation, und Kräfte und Ernährung nahmen ab. Von einem neuen Schleimfieber, dass ihn A. 1834 befiel und während dessen seine Stimmung unerträglich war, erholte er sich ohne Besscrung des nervösen Lei- dens. Von allen seinen Ideen grausam gequält, setzte er sich ernsthaft in den Kopf, einen Blasenstein zu haben, und vergeblich waren die Demonstrationen des Gegentheils. Er blieb dabei und liess einen berühmten Lithotriteur aus Paris kommen; mehre Untersuchungen brachten die heftigste Reizung der Urethra, mit starker Entzündung hervor, und Hr. M. starb nach wenigen Tagen. Die Section wurde nicht gemacht.“
(Brachet, de l’hypochondrie, Par. 1844. p. 29 seqq.)
III. Zerrüttung der Constitution und Hypochondrie aus psychi- schen Ursachen. Heilung durch Befriedigung einer Leidenschaft. „Frau ***, 26 Jahre alt, physisch und psychisch von gleich lebhafter Empfindung, war Mutter von 3 Kindern. Ihre Gesundheit war gut, als die Bemühungen und Aufmerksamkeiten eines Hausfreundes Zugang zu ihrem Herzen fanden. Von dem Gedanken an ihre Pflichten erfüllt, leistete sie der Verführung Widerstand und hielt das Geheimniss einer heftigen Neigung tief in sich verborgen. Dieser Zwang störte allmählig ihre Gesundheit; sie fieng an, an Herzklopfen, einer Empfindung von Völle der Brust und unbestimmten krankhaften Erschei- nungen zu leiden. Der Appetit verlor sich, die Magengegend ward empfindlich und es zeigten sich Stiche auf der Brust. Zu diesen wirklichen Empfin- dungen gesellten sich die sonderbarsten und traurigsten Vorstellungen über ihre Gesundheit. Sie glaubte bald an einem Aneurisma, bald einem Magen- krebse, bald, und am häufigsten, an Lungenschwindsucht zu leiden. In der That stellten sieh Beengung, Husten mit reichlichem Auswurf, beständigen Fieber- bewegungen, nächtlichem Schweisse ein; die Aerzte glaubten an Tuberculose und schickten die Kranke nach dem Süden. Auf dieser Reise consultirte sie mich; ich fand ihren physischen Zustand ebenso tief heruntergekommen, als ihre Ein- bildungskraft ernstlich erkrankt. Ihre Leidon waren, nach ihrer Angabe, fürch- terlich; spitzige, rothglühende Eisen drangen ihr ins Fleisch, eine Faser um die andere wurde wie mit Zangen zerrissen, während die Kranke auf der andern Seite über die Brustorgane selbst nur wenig klagte. — Nach einem sechsmonat- lichen Aufenthalte im südlichen Frankreich war sie weder körperlich noch geistig gebessert. Die Lungenaffection schien nicht vorgeschritten zu sein, aber ihre Stimmung und Phantasie war noch weit mehr verdüstert; sie zeigte noch weit grössere Neigung, Alles in schlimmem Sinne auszulegen, und bei ihrer Rückkehr nach Paris verschimmerte sich ihr Zustand noch mehr. — Dort sieht sie den Gegenstand ihrer Neigung wieder — sie unterliegt, verlässt ihre Familie und entflieht mit ihrem Verführer.
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[162/0176]
Beispiele von
schloss, dass sie ihn nicht mehr lieben könne und zog neuen Kummer aus diesem
Gedanken.
Nun zog er sich von seinen Geschäften zurück. In steter Beobachtung seiner
Leiden steigerte er die nervöse Reizbarkeit, durch die sie entstanden, immer
höher. Er consultirte alle Aerzte, deren er habhaft werden konnte, der Wunsch,
zu genesen machte, dass er begierig nach jeder Verordnung griff, die bald er-
kannte Wirkungslosigheit der Mittel erregte ihm neuen Schmerz, mit dem Schwin-
den solcher Hoffnungen, mit diesen Täuschungen seiner Einbildungskraft stei-
gerte sich die nervöse Exaltation, und Kräfte und Ernährung nahmen ab. Von
einem neuen Schleimfieber, dass ihn A. 1834 befiel und während dessen seine
Stimmung unerträglich war, erholte er sich ohne Besscrung des nervösen Lei-
dens. Von allen seinen Ideen grausam gequält, setzte er sich ernsthaft in den
Kopf, einen Blasenstein zu haben, und vergeblich waren die Demonstrationen
des Gegentheils. Er blieb dabei und liess einen berühmten Lithotriteur aus
Paris kommen; mehre Untersuchungen brachten die heftigste Reizung der Urethra,
mit starker Entzündung hervor, und Hr. M. starb nach wenigen Tagen. Die
Section wurde nicht gemacht.“
(Brachet, de l’hypochondrie, Par. 1844. p. 29 seqq.)
III. Zerrüttung der Constitution und Hypochondrie aus psychi-
schen Ursachen. Heilung durch Befriedigung einer Leidenschaft.
„Frau ***, 26 Jahre alt, physisch und psychisch von gleich lebhafter Empfindung,
war Mutter von 3 Kindern. Ihre Gesundheit war gut, als die Bemühungen und
Aufmerksamkeiten eines Hausfreundes Zugang zu ihrem Herzen fanden. Von dem
Gedanken an ihre Pflichten erfüllt, leistete sie der Verführung Widerstand
und hielt das Geheimniss einer heftigen Neigung tief in sich verborgen.
Dieser Zwang störte allmählig ihre Gesundheit; sie fieng an, an Herzklopfen,
einer Empfindung von Völle der Brust und unbestimmten krankhaften Erschei-
nungen zu leiden. Der Appetit verlor sich, die Magengegend ward empfindlich
und es zeigten sich Stiche auf der Brust. Zu diesen wirklichen Empfin-
dungen gesellten sich die sonderbarsten und traurigsten Vorstellungen über
ihre Gesundheit. Sie glaubte bald an einem Aneurisma, bald einem Magen-
krebse, bald, und am häufigsten, an Lungenschwindsucht zu leiden. In der That
stellten sieh Beengung, Husten mit reichlichem Auswurf, beständigen Fieber-
bewegungen, nächtlichem Schweisse ein; die Aerzte glaubten an Tuberculose und
schickten die Kranke nach dem Süden. Auf dieser Reise consultirte sie mich;
ich fand ihren physischen Zustand ebenso tief heruntergekommen, als ihre Ein-
bildungskraft ernstlich erkrankt. Ihre Leidon waren, nach ihrer Angabe, fürch-
terlich; spitzige, rothglühende Eisen drangen ihr ins Fleisch, eine Faser um die
andere wurde wie mit Zangen zerrissen, während die Kranke auf der andern
Seite über die Brustorgane selbst nur wenig klagte. — Nach einem sechsmonat-
lichen Aufenthalte im südlichen Frankreich war sie weder körperlich noch geistig
gebessert. Die Lungenaffection schien nicht vorgeschritten zu sein, aber ihre
Stimmung und Phantasie war noch weit mehr verdüstert; sie zeigte noch weit
grössere Neigung, Alles in schlimmem Sinne auszulegen, und bei ihrer Rückkehr
nach Paris verschimmerte sich ihr Zustand noch mehr. — Dort sieht sie den
Gegenstand ihrer Neigung wieder — sie unterliegt, verlässt ihre Familie und
entflieht mit ihrem Verführer.
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/176>, abgerufen am 24.11.2024.
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