Im Traum geschieht diess ganz besonders mit körperlichen Empfindungen. Eine verschränkte Lage im Bette, ein Druck auf den Arm oder die Brust werden Anlass zu Geschichten von Gefesseltsein, von Gefahr, von Abgründen, bevor- stehender Hinrichtung etc.; ein Luftzug, der uns anweht, erregt die Bilder einer Seefahrt und lange Geschichten, die sich weiter daraus spinnen; heftige körper- liche Angstempfindungen aus Respirationsdruck erregen bald das Phantasma eines aufsitzenden Ungeheuers, bald dramatisirte Geschichten eines von uns begangenen schweren Verbrechens, gegen die doch unser wirkliches Ich, dem keine solchen Gedanken angehören, lebhaft protestirt, und dergl. All dieses steht dem wachen Traume des Schwermüthigen sehr nahe und bei beiden Zuständen kann das auf- geführte Puppenspiel als solches nicht erkannt werden, wegen mangelnder Beson- nenheit, wegen Zurückdrängung, ja theilweiser Auflösung des Ich und weil die Berichtigung durch die Sinne, hier durch ihr Verschlossensein, dort durch ihre falschen Bilder (Hallucinationen) unmöglich ist. Heermann erzählt, wie er mit Colikschmerzen eingeschlafen und es ihm nun geträumt, sein Unterleib sei geöff- net und es werde an ihm der N. sympathicus präparirt; wir haben (§. 55.) Bei- spiele ähnlicher Auslegungen abnormer Sensationen von wachenden Geistes- kranken angeführt.
Der Träumende, wie der Irre, nehmen Alles, das Abentheuerlichste und Bi- zarrste, als Möglichkeiten ohne besonderes Staunen hin, und der platteste Unsinn wird zur unzweifelhaften Wahrheit, wenn die Vorstellungsmassen, die ihn berich- tigen könnten, ruhend bleiben. Man kann von der Lösung eines wissenschaft- lichen Problems träumen -- endlich hat man es gefunden, man ist von Freude und dem Gefühl des glücklichsten Gelingens erfüllt; man erwacht und findet einen ganz ordinären, falschen Gedanken. So gibt es Geisteskranke, die plötzlich das perpetuum mobile, oder eine mechanische Idee, die die ganze Oberfläche der Erde ändern muss, und anderes dergleichen erfunden haben; sie sind von Ent- zücken über solche Entdeckungen erfüllt; was sie uns aber demonstriren, ist Unsinn, und sie können, nach ihrer Genesung, gar nicht begreifen, wie sie so plumpe Irrthümer nicht alsbald durchschauen konnten.
§. 58.
Die sehr angenehmen, entzückten, lichtvollen Träume kommen sehr selten bei Gesunden, am häufigsten bei tieferer körperlicher oder geistiger Erschöpfung vor, und wir sehen hier oft, wie eben die während des Wachens unterdrückten Vorstellungen sich in herr- schenden Traumbildern heraufdrängen. Dem von körperlichen und geistigen Leiden Gequälten bringt der Traum ein imaginäres Wohl- sein und Glück; der hungrige Trenk träumte in seinem Gefängnisse oft von splendiden Gastmählern; der Bettler träumt sich reich; wer eben durch den Tod eine theure Person verloren hat, träumt gerne von der innigsten, bleibenden Vereinigung mit ihr u. dergl. m. So heben sich denn nun auch bei den Geisteskranken von dem dunkeln Grunde der krankhaft schmerzlichen Affecte, beim Versinken in einen noch tieferen Traumzustand, die zurückgedrängten, entgegengesetzten
mit Traumzuständen.
Im Traum geschieht diess ganz besonders mit körperlichen Empfindungen. Eine verschränkte Lage im Bette, ein Druck auf den Arm oder die Brust werden Anlass zu Geschichten von Gefesseltsein, von Gefahr, von Abgründen, bevor- stehender Hinrichtung etc.; ein Luftzug, der uns anweht, erregt die Bilder einer Seefahrt und lange Geschichten, die sich weiter daraus spinnen; heftige körper- liche Angstempfindungen aus Respirationsdruck erregen bald das Phantasma eines aufsitzenden Ungeheuers, bald dramatisirte Geschichten eines von uns begangenen schweren Verbrechens, gegen die doch unser wirkliches Ich, dem keine solchen Gedanken angehören, lebhaft protestirt, und dergl. All dieses steht dem wachen Traume des Schwermüthigen sehr nahe und bei beiden Zuständen kann das auf- geführte Puppenspiel als solches nicht erkannt werden, wegen mangelnder Beson- nenheit, wegen Zurückdrängung, ja theilweiser Auflösung des Ich und weil die Berichtigung durch die Sinne, hier durch ihr Verschlossensein, dort durch ihre falschen Bilder (Hallucinationen) unmöglich ist. Heermann erzählt, wie er mit Colikschmerzen eingeschlafen und es ihm nun geträumt, sein Unterleib sei geöff- net und es werde an ihm der N. sympathicus präparirt; wir haben (§. 55.) Bei- spiele ähnlicher Auslegungen abnormer Sensationen von wachenden Geistes- kranken angeführt.
Der Träumende, wie der Irre, nehmen Alles, das Abentheuerlichste und Bi- zarrste, als Möglichkeiten ohne besonderes Staunen hin, und der platteste Unsinn wird zur unzweifelhaften Wahrheit, wenn die Vorstellungsmassen, die ihn berich- tigen könnten, ruhend bleiben. Man kann von der Lösung eines wissenschaft- lichen Problems träumen — endlich hat man es gefunden, man ist von Freude und dem Gefühl des glücklichsten Gelingens erfüllt; man erwacht und findet einen ganz ordinären, falschen Gedanken. So gibt es Geisteskranke, die plötzlich das perpetuum mobile, oder eine mechanische Idee, die die ganze Oberfläche der Erde ändern muss, und anderes dergleichen erfunden haben; sie sind von Ent- zücken über solche Entdeckungen erfüllt; was sie uns aber demonstriren, ist Unsinn, und sie können, nach ihrer Genesung, gar nicht begreifen, wie sie so plumpe Irrthümer nicht alsbald durchschauen konnten.
§. 58.
Die sehr angenehmen, entzückten, lichtvollen Träume kommen sehr selten bei Gesunden, am häufigsten bei tieferer körperlicher oder geistiger Erschöpfung vor, und wir sehen hier oft, wie eben die während des Wachens unterdrückten Vorstellungen sich in herr- schenden Traumbildern heraufdrängen. Dem von körperlichen und geistigen Leiden Gequälten bringt der Traum ein imaginäres Wohl- sein und Glück; der hungrige Trenk träumte in seinem Gefängnisse oft von splendiden Gastmählern; der Bettler träumt sich reich; wer eben durch den Tod eine theure Person verloren hat, träumt gerne von der innigsten, bleibenden Vereinigung mit ihr u. dergl. m. So heben sich denn nun auch bei den Geisteskranken von dem dunkeln Grunde der krankhaft schmerzlichen Affecte, beim Versinken in einen noch tieferen Traumzustand, die zurückgedrängten, entgegengesetzten
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mit Traumzuständen.
Im Traum geschieht diess ganz besonders mit körperlichen Empfindungen.
Eine verschränkte Lage im Bette, ein Druck auf den Arm oder die Brust werden
Anlass zu Geschichten von Gefesseltsein, von Gefahr, von Abgründen, bevor-
stehender Hinrichtung etc.; ein Luftzug, der uns anweht, erregt die Bilder einer
Seefahrt und lange Geschichten, die sich weiter daraus spinnen; heftige körper-
liche Angstempfindungen aus Respirationsdruck erregen bald das Phantasma eines
aufsitzenden Ungeheuers, bald dramatisirte Geschichten eines von uns begangenen
schweren Verbrechens, gegen die doch unser wirkliches Ich, dem keine solchen
Gedanken angehören, lebhaft protestirt, und dergl. All dieses steht dem wachen
Traume des Schwermüthigen sehr nahe und bei beiden Zuständen kann das auf-
geführte Puppenspiel als solches nicht erkannt werden, wegen mangelnder Beson-
nenheit, wegen Zurückdrängung, ja theilweiser Auflösung des Ich und weil die
Berichtigung durch die Sinne, hier durch ihr Verschlossensein, dort durch ihre
falschen Bilder (Hallucinationen) unmöglich ist. Heermann erzählt, wie er mit
Colikschmerzen eingeschlafen und es ihm nun geträumt, sein Unterleib sei geöff-
net und es werde an ihm der N. sympathicus präparirt; wir haben (§. 55.) Bei-
spiele ähnlicher Auslegungen abnormer Sensationen von wachenden Geistes-
kranken angeführt.
Der Träumende, wie der Irre, nehmen Alles, das Abentheuerlichste und Bi-
zarrste, als Möglichkeiten ohne besonderes Staunen hin, und der platteste Unsinn
wird zur unzweifelhaften Wahrheit, wenn die Vorstellungsmassen, die ihn berich-
tigen könnten, ruhend bleiben. Man kann von der Lösung eines wissenschaft-
lichen Problems träumen — endlich hat man es gefunden, man ist von Freude
und dem Gefühl des glücklichsten Gelingens erfüllt; man erwacht und findet einen
ganz ordinären, falschen Gedanken. So gibt es Geisteskranke, die plötzlich das
perpetuum mobile, oder eine mechanische Idee, die die ganze Oberfläche der
Erde ändern muss, und anderes dergleichen erfunden haben; sie sind von Ent-
zücken über solche Entdeckungen erfüllt; was sie uns aber demonstriren, ist
Unsinn, und sie können, nach ihrer Genesung, gar nicht begreifen, wie sie so
plumpe Irrthümer nicht alsbald durchschauen konnten.
§. 58.
Die sehr angenehmen, entzückten, lichtvollen Träume kommen
sehr selten bei Gesunden, am häufigsten bei tieferer körperlicher
oder geistiger Erschöpfung vor, und wir sehen hier oft, wie eben
die während des Wachens unterdrückten Vorstellungen sich in herr-
schenden Traumbildern heraufdrängen. Dem von körperlichen und
geistigen Leiden Gequälten bringt der Traum ein imaginäres Wohl-
sein und Glück; der hungrige Trenk träumte in seinem Gefängnisse
oft von splendiden Gastmählern; der Bettler träumt sich reich; wer
eben durch den Tod eine theure Person verloren hat, träumt gerne
von der innigsten, bleibenden Vereinigung mit ihr u. dergl. m. So
heben sich denn nun auch bei den Geisteskranken von dem dunkeln
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/103>, abgerufen am 09.11.2024.
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