Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.Das Ende des alten Heeres völlig geräumten Depots durfte ohne Ententeaufstcht vom Platze bewegt werden; In der Zeit bis Ende 1920 ist trotz all dieser Widrigkeiten der Abbau des Das Ende des alten Heeres völlig geräumten Depots durfte ohne Ententeaufstcht vom Platze bewegt werden; In der Zeit bis Ende 1920 ist trotz all dieser Widrigkeiten der Abbau des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0086" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339235"/> <fw type="header" place="top"> Das Ende des alten Heeres</fw><lb/> <p xml:id="ID_267" prev="#ID_266"> völlig geräumten Depots durfte ohne Ententeaufstcht vom Platze bewegt werden;<lb/> man glaubte unbedingt Kontrollisten für Offiziere und Mannschaften zu neuem<lb/> Aufgebot bei der Abwicklung finden zu müssen, man ruhte nicht, bis im Januar<lb/> alle Qberweisungsnationale und noch nicht abgesotten Pässe ehemaliger Soldaten<lb/> in den Papiermühlen unter Aufsicht von Ententeoffizieren vernichtet waren!<lb/> Auch die Pferdestammrollen mußten als höchst gefährlich diesen Weg gehen. Ob<lb/> damit taufenden von berechtigten Ansprüchen Kriegsbeschädigter der Boden entzogen<lb/> wurde, für tausende heimgekehrter und noch sehnsüchtig erwarteter Kriegsgefangener<lb/> die Möglichkeit zur Erhebung von Forderungen genommen wurde, blieb unbe¬<lb/> rücksichtigt. Kein Wunder, wenn die Folgen nicht ausbleiben. Die Verantwortung<lb/> mögen die Stellen übernehmen, welche es nicht wagten, der Entente ein „bis<lb/> hierher und nicht weiter" entgegenzuschleudern, die vielleicht sogar im Drange<lb/> nach völliger Vernichtung des „Militarismus" in gewisser Sinnesverwandtschaft<lb/> mit Herrn Rottet zusammenarbeiteten.</p><lb/> <p xml:id="ID_268"> In der Zeit bis Ende 1920 ist trotz all dieser Widrigkeiten der Abbau des<lb/> alten Heeres in hingebungsvoller und selbstloser Arbeit weiter ordnungsmäßig<lb/> gefördert worden. Zu Neujahr 1921 forderte der Ententevertreter den völligen<lb/> Schluß des Abbaus. Heiße Kämpfe entspannen sich. Schließlich wurden zu diesem<lb/> Tage die Abwicklungsämter der früheren Armeekorps samt und sonders aufgelöst,<lb/> es blieben nur noch ihre Intendanturen mit kleinen Hilfszweigstellen, die Archive<lb/> begannen sich aufzubauen und mit geringster Zahl von Arbeitskräften mußte der<lb/> Rest der Aufgabe bis 31. März dieses Jahres bewältigt werden. Manches ist<lb/> noch vollendet worden, manches harrt noch der Erledigung. Das Versorgungs¬<lb/> wesen ist nunmehr an die Hauptversorgungsämter übergeleitet, die Pensionierung<lb/> der Offiziere und Beamten erledigt das Reichsministerium des Innern, etwa<lb/> nötige allgemeine Auskünfte sollen die Archive geben und die Nestabgeltungen,<lb/> Abfindungen und Rechtsstreitigkeiten aus Verträgen werden den Landesfinanz¬<lb/> ämtern übertragen. Tausende von Beamten und ehemaligen Offizieren stehen<lb/> ohne weitere Verwendung vor einer ungewissen Zukunft. Die Tragik, welche<lb/> über all diesen aus ihrem Lebensberuf Geschleuderten schwebt, ist dem deutschen<lb/> Volke bis jetzt bewußt ferngehalten worden. Die Tragik, die sich mit dem Abbau<lb/> des altehrwürdigen Gebäudes unseres herrlichen alten Heeres vollzogen hat, wird<lb/> im egoistischen Treiben des Alltages heute noch nicht empfunden. Je schwerer<lb/> aber die Folgen dieser Selbstvernichtung auf der Gesamtheit lasten werden, um so<lb/> lebendiger wird die Erinnerung an daS Beste was wir hatten, — an unser unbe¬<lb/> siegtes Heldenheer, wieder erwachen. Nur im Gedanken an ein unerreichtes<lb/> Heldentum ist ein Aufstieg für uns möglich. Sehen wir dies auch jetzt nicht ein,<lb/> da die letzten Schollen auf den Sarg unserer Armee rollen, — dann kann uns<lb/> nicht geholfen werden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0086]
Das Ende des alten Heeres
völlig geräumten Depots durfte ohne Ententeaufstcht vom Platze bewegt werden;
man glaubte unbedingt Kontrollisten für Offiziere und Mannschaften zu neuem
Aufgebot bei der Abwicklung finden zu müssen, man ruhte nicht, bis im Januar
alle Qberweisungsnationale und noch nicht abgesotten Pässe ehemaliger Soldaten
in den Papiermühlen unter Aufsicht von Ententeoffizieren vernichtet waren!
Auch die Pferdestammrollen mußten als höchst gefährlich diesen Weg gehen. Ob
damit taufenden von berechtigten Ansprüchen Kriegsbeschädigter der Boden entzogen
wurde, für tausende heimgekehrter und noch sehnsüchtig erwarteter Kriegsgefangener
die Möglichkeit zur Erhebung von Forderungen genommen wurde, blieb unbe¬
rücksichtigt. Kein Wunder, wenn die Folgen nicht ausbleiben. Die Verantwortung
mögen die Stellen übernehmen, welche es nicht wagten, der Entente ein „bis
hierher und nicht weiter" entgegenzuschleudern, die vielleicht sogar im Drange
nach völliger Vernichtung des „Militarismus" in gewisser Sinnesverwandtschaft
mit Herrn Rottet zusammenarbeiteten.
In der Zeit bis Ende 1920 ist trotz all dieser Widrigkeiten der Abbau des
alten Heeres in hingebungsvoller und selbstloser Arbeit weiter ordnungsmäßig
gefördert worden. Zu Neujahr 1921 forderte der Ententevertreter den völligen
Schluß des Abbaus. Heiße Kämpfe entspannen sich. Schließlich wurden zu diesem
Tage die Abwicklungsämter der früheren Armeekorps samt und sonders aufgelöst,
es blieben nur noch ihre Intendanturen mit kleinen Hilfszweigstellen, die Archive
begannen sich aufzubauen und mit geringster Zahl von Arbeitskräften mußte der
Rest der Aufgabe bis 31. März dieses Jahres bewältigt werden. Manches ist
noch vollendet worden, manches harrt noch der Erledigung. Das Versorgungs¬
wesen ist nunmehr an die Hauptversorgungsämter übergeleitet, die Pensionierung
der Offiziere und Beamten erledigt das Reichsministerium des Innern, etwa
nötige allgemeine Auskünfte sollen die Archive geben und die Nestabgeltungen,
Abfindungen und Rechtsstreitigkeiten aus Verträgen werden den Landesfinanz¬
ämtern übertragen. Tausende von Beamten und ehemaligen Offizieren stehen
ohne weitere Verwendung vor einer ungewissen Zukunft. Die Tragik, welche
über all diesen aus ihrem Lebensberuf Geschleuderten schwebt, ist dem deutschen
Volke bis jetzt bewußt ferngehalten worden. Die Tragik, die sich mit dem Abbau
des altehrwürdigen Gebäudes unseres herrlichen alten Heeres vollzogen hat, wird
im egoistischen Treiben des Alltages heute noch nicht empfunden. Je schwerer
aber die Folgen dieser Selbstvernichtung auf der Gesamtheit lasten werden, um so
lebendiger wird die Erinnerung an daS Beste was wir hatten, — an unser unbe¬
siegtes Heldenheer, wieder erwachen. Nur im Gedanken an ein unerreichtes
Heldentum ist ein Aufstieg für uns möglich. Sehen wir dies auch jetzt nicht ein,
da die letzten Schollen auf den Sarg unserer Armee rollen, — dann kann uns
nicht geholfen werden.
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