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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Mystik, Mythos und Karl Sxitteler

Gegen eine derartige politische Beteiligung der Geistlichkeit an den naiio-
nalen Kämpfen erhoben sich schon damals in dieser selbst oppositionelle Stimmen.
Kurz vor Ausbruch des Aufstandes von 1863. als Warschau in die Periode der
Manifestationen trat, wurde in dem "I^ZociniK KatolicKi" daS "offene Schreiben"
des Nesurektionistenpaters Hieronym Kajsiewicz veröffentlicht, der die natio¬
nale Begeisterung der Warschauer Bevölkerung verächtlich zu machen suchte. Da
wurden die polnischen revolutionär-nationalen Bestrebungen eben wegen des
revolutionär-nationalen Prinzips bekämpft, das ja in Italien zur Beseitigung
der weltlichen Macht des Papsttums geführt hat.

Dieser Richtung im polnischen Klerus, welche, wenn sie auch Gegnerin
Rußlands blieb, doch es verabscheute, dem polnischen Nationalismus bis zu
seinen letzten Konsequenzen zu folgen, gehörte auch der ideal veranlagte, spätere
Benediktiner Prinz Edmund Rcidziwill an, der in seinem deutsch geschriebenen
Buche "Die kirchliche Autorität und das moderne Bewußtsein" zu beweisen suchte,
daß das "katholische Prinzip", wie er es auffaßte, den innerlich menschlichen
Widerstreit deutsch-polnischer Feindschaft versöhnt und die Kollegialität der ein¬
zelnen Völker herbeiführt.

Jene Richtung hat dann, als Papst Leo XIII., im Gegensatz zu seinem Vor¬
gänger Pius IX., ein verträgliches Verhältnis zu der russischen Negierung, be¬
sonders in der Enzyklika vom 19. Juni 1894, angebahnt hatte, ihren schärfsten
Ausdruck in den Schriften des geistlichen Grafen Jerzy M o sz pus ki gefunden:
In seinem Unwillen gegen polnische Aufstände bezeichnet er das Streben nach
Unabhängigkeit als eine polnische "Erbsünde". Er versteigt sich sogar zu dem
Satze: "Für mich ist es eine ganz unzweifelhafte Tatsache, daß das positive
moralische Recht, d. i. das den Menschen von Gott geoffenbarte, kein Urteil
darüber zuläßt, ob die Staatsmacht legal oder illegal, mit dem Willen Gottes
vereinbar oder unvereinbar ist. Begraben wir ein für allemal die
in der Diplomatie so genannte polnische Frage, um pol¬
nisches Leben a u fz u er w e et e n."

Goldene Worte, beherzigenswert gerade für die heutige polnische Geistlichkeit,
besonders in den gegenwärtigen Kampfzeiten I




Mystik, Mythos und Aar! ^pitteler
Paul Schutze von

i seiner in den Jahren 1870/71 entstandenen Schrift "Die Geburt
der Tragödie" preist Nietzsche es als einen Segen für die zukünftige
geistige Entwicklung Deutschlands, daß wir als Nation noch nicht
in gleicher Weise mit unserer Kultur verstrickt sind wie Frankreich
mit der seinen und daß die edlen Kerne unseres Volkscharakters
mit der sehr fragwürdigen Kultur unserer Zeit bis jetzt recht wenig gemein haben.
Wörtlich heißt es dann dort: "Alle unsere Hoffnungen strecken sich vielmehr sehn¬
suchtsvoll nach jener Wahrnehmung aus, daß unter diesem unruhig auf und nieder


Mystik, Mythos und Karl Sxitteler

Gegen eine derartige politische Beteiligung der Geistlichkeit an den naiio-
nalen Kämpfen erhoben sich schon damals in dieser selbst oppositionelle Stimmen.
Kurz vor Ausbruch des Aufstandes von 1863. als Warschau in die Periode der
Manifestationen trat, wurde in dem „I^ZociniK KatolicKi" daS „offene Schreiben"
des Nesurektionistenpaters Hieronym Kajsiewicz veröffentlicht, der die natio¬
nale Begeisterung der Warschauer Bevölkerung verächtlich zu machen suchte. Da
wurden die polnischen revolutionär-nationalen Bestrebungen eben wegen des
revolutionär-nationalen Prinzips bekämpft, das ja in Italien zur Beseitigung
der weltlichen Macht des Papsttums geführt hat.

Dieser Richtung im polnischen Klerus, welche, wenn sie auch Gegnerin
Rußlands blieb, doch es verabscheute, dem polnischen Nationalismus bis zu
seinen letzten Konsequenzen zu folgen, gehörte auch der ideal veranlagte, spätere
Benediktiner Prinz Edmund Rcidziwill an, der in seinem deutsch geschriebenen
Buche „Die kirchliche Autorität und das moderne Bewußtsein" zu beweisen suchte,
daß das „katholische Prinzip", wie er es auffaßte, den innerlich menschlichen
Widerstreit deutsch-polnischer Feindschaft versöhnt und die Kollegialität der ein¬
zelnen Völker herbeiführt.

Jene Richtung hat dann, als Papst Leo XIII., im Gegensatz zu seinem Vor¬
gänger Pius IX., ein verträgliches Verhältnis zu der russischen Negierung, be¬
sonders in der Enzyklika vom 19. Juni 1894, angebahnt hatte, ihren schärfsten
Ausdruck in den Schriften des geistlichen Grafen Jerzy M o sz pus ki gefunden:
In seinem Unwillen gegen polnische Aufstände bezeichnet er das Streben nach
Unabhängigkeit als eine polnische „Erbsünde". Er versteigt sich sogar zu dem
Satze: „Für mich ist es eine ganz unzweifelhafte Tatsache, daß das positive
moralische Recht, d. i. das den Menschen von Gott geoffenbarte, kein Urteil
darüber zuläßt, ob die Staatsmacht legal oder illegal, mit dem Willen Gottes
vereinbar oder unvereinbar ist. Begraben wir ein für allemal die
in der Diplomatie so genannte polnische Frage, um pol¬
nisches Leben a u fz u er w e et e n."

Goldene Worte, beherzigenswert gerade für die heutige polnische Geistlichkeit,
besonders in den gegenwärtigen Kampfzeiten I




Mystik, Mythos und Aar! ^pitteler
Paul Schutze von

i seiner in den Jahren 1870/71 entstandenen Schrift „Die Geburt
der Tragödie" preist Nietzsche es als einen Segen für die zukünftige
geistige Entwicklung Deutschlands, daß wir als Nation noch nicht
in gleicher Weise mit unserer Kultur verstrickt sind wie Frankreich
mit der seinen und daß die edlen Kerne unseres Volkscharakters
mit der sehr fragwürdigen Kultur unserer Zeit bis jetzt recht wenig gemein haben.
Wörtlich heißt es dann dort: „Alle unsere Hoffnungen strecken sich vielmehr sehn¬
suchtsvoll nach jener Wahrnehmung aus, daß unter diesem unruhig auf und nieder


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[0053] Mystik, Mythos und Karl Sxitteler Gegen eine derartige politische Beteiligung der Geistlichkeit an den naiio- nalen Kämpfen erhoben sich schon damals in dieser selbst oppositionelle Stimmen. Kurz vor Ausbruch des Aufstandes von 1863. als Warschau in die Periode der Manifestationen trat, wurde in dem „I^ZociniK KatolicKi" daS „offene Schreiben" des Nesurektionistenpaters Hieronym Kajsiewicz veröffentlicht, der die natio¬ nale Begeisterung der Warschauer Bevölkerung verächtlich zu machen suchte. Da wurden die polnischen revolutionär-nationalen Bestrebungen eben wegen des revolutionär-nationalen Prinzips bekämpft, das ja in Italien zur Beseitigung der weltlichen Macht des Papsttums geführt hat. Dieser Richtung im polnischen Klerus, welche, wenn sie auch Gegnerin Rußlands blieb, doch es verabscheute, dem polnischen Nationalismus bis zu seinen letzten Konsequenzen zu folgen, gehörte auch der ideal veranlagte, spätere Benediktiner Prinz Edmund Rcidziwill an, der in seinem deutsch geschriebenen Buche „Die kirchliche Autorität und das moderne Bewußtsein" zu beweisen suchte, daß das „katholische Prinzip", wie er es auffaßte, den innerlich menschlichen Widerstreit deutsch-polnischer Feindschaft versöhnt und die Kollegialität der ein¬ zelnen Völker herbeiführt. Jene Richtung hat dann, als Papst Leo XIII., im Gegensatz zu seinem Vor¬ gänger Pius IX., ein verträgliches Verhältnis zu der russischen Negierung, be¬ sonders in der Enzyklika vom 19. Juni 1894, angebahnt hatte, ihren schärfsten Ausdruck in den Schriften des geistlichen Grafen Jerzy M o sz pus ki gefunden: In seinem Unwillen gegen polnische Aufstände bezeichnet er das Streben nach Unabhängigkeit als eine polnische „Erbsünde". Er versteigt sich sogar zu dem Satze: „Für mich ist es eine ganz unzweifelhafte Tatsache, daß das positive moralische Recht, d. i. das den Menschen von Gott geoffenbarte, kein Urteil darüber zuläßt, ob die Staatsmacht legal oder illegal, mit dem Willen Gottes vereinbar oder unvereinbar ist. Begraben wir ein für allemal die in der Diplomatie so genannte polnische Frage, um pol¬ nisches Leben a u fz u er w e et e n." Goldene Worte, beherzigenswert gerade für die heutige polnische Geistlichkeit, besonders in den gegenwärtigen Kampfzeiten I Mystik, Mythos und Aar! ^pitteler Paul Schutze von i seiner in den Jahren 1870/71 entstandenen Schrift „Die Geburt der Tragödie" preist Nietzsche es als einen Segen für die zukünftige geistige Entwicklung Deutschlands, daß wir als Nation noch nicht in gleicher Weise mit unserer Kultur verstrickt sind wie Frankreich mit der seinen und daß die edlen Kerne unseres Volkscharakters mit der sehr fragwürdigen Kultur unserer Zeit bis jetzt recht wenig gemein haben. Wörtlich heißt es dann dort: „Alle unsere Hoffnungen strecken sich vielmehr sehn¬ suchtsvoll nach jener Wahrnehmung aus, daß unter diesem unruhig auf und nieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/53>, abgerufen am 04.07.2024.