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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Verhinldlmlge". Diplomaten und Regierungsmitglieder haben in diesem
Jahre wenig Mütze, auf Urlaub zu gehen. Die Welt steht im Zeichen der Ver-
handlungen. Die Zukunft Oberschlesiens verschleiert sich von Woche zu Woche
stärker. Wie rege hinter dem Aushängeschild des Völkerbundes die Verhandlungen
zwischen sämtlichen mehr oder minder beteiligten Mächten geführt werden, beweisen
die sich jagenden Nachrichten über immer neue Kombinationen und Kompromiß-
entwürfe. Aus Warschau stammt eine Nachricht der Pariser Presse, die von
einem englischen Plane eines deutschen Bundesstaates Oberschlesien spricht. An
anderer Stelle wird die Autonomisierung Oberschlesiens unter der Kontrolle des
Völkerbundes nach dem Muster des Saargebietes erwogen, ein Plan, der nicht
nur in strikten Widerspruch zum Versailler Vertrage steht, sondern auch gerade
im Hinblick auf das Saargebiet für Deutschland keineswegs Günstiges verspricht.
Eine andere Meldung geht dahin, datz eine neue Abstimmung in Oberschlesien
vorgenommen werden soll. In welchem Maße man bestrebt ist, die Gegensätze
zwischen den beiden großen Gegnern England und Frankreich (bedeutsamerweise
nicht etwa zwischen Deutschland und Polen) zu mildern oder zu verwischen, geht
aus den Gerüchten über die Vermittlungstätigkeit des tschechischen Außenministers
hervor, der sich bereits mehrfach als wohl informierter, behutsamer und geschickter
Diplomat erwiesen hat, aber naturgemäß dazu neigen würde, Polen und Deutsch¬
land gegeneinander auszuspielen und den durch die polnisch-rumänischen Ab¬
machungen übermächtig gewordenen nördlichen und teilweise noch immer gefährliche
Sympathien für Ungarn bezeugenden Gegner auf Deutschland abzulenken. Auf
die Fähigkeiten der Großmächte beziehungsweise des Völkerbundes, dessen Genfer
Tagung im Zusammenhang besprochen werden soll, werfen all diese Vorgänge ein
Licht, das ungünstiger kaum gedacht werden kann, und nicht gerade geeignet ist, das
Vertrauen der regierten Massen in die Regierenden, deren zunehmend erschwertes
Arbeiten Lloyd George neulich mit zutreffenden Worten gekennzeichnet hat,
zu erhöhen.

Inzwischen haben diese Verhandlungen und die noch fortdauernden und
ohne Erfolg fortgesetzten englisch-französischen Besprechungen über das Pariser
Finanzabkommen vom 13. August doch das Gute gehabt, daß die Kreise in Frank¬
reich, die zur Besinnung kommen wollen, immer weiter werden. So hat sogar
das chauvinistische "Echo de Paris" von dem früheren Handelsminister Jsaac
einen Brief erhalten, der sich gegen die Überreizung des Nationalismus in allen
seinen Formen wendet. Frankreich habe kein gutes Beispiel gegeben, und die
systematische Wiederanwendung seines vor dem Kriege bestehenden allgemeinen
Zolltarifes sei ebenso irrig gewesen, wie der Wunsch, bei allen Gelegenheiten, die
!eit dem Frankfurter Frieden unpopulär gewordene Meistbegünstigungsklcmsel
abzuschaffen, die doch keineswegs nur Rachteile Habs. Der Augenblick scheine
gekommen, in alle wirtschaftlichen Verhandlungen etwas mehr Geschmeidigkeit
hineinzubringen. "Tatsächliche Konzessionen bereiten nützliche Gegenseitigkeiten
vor und haben mehr Wert als Grundsätze des Fremdenhasses, die zu einer Ver¬
nichtung des Geschäftslebens führen würden." Von solchen Äußerungen bis zur
aktiven Durchführung einer Zusammenarbeitspolitik, die aus Annexionen, be¬
leidigende Roheiten und Gewalttaten verzichtete, sind natürlich noch viele Schritte.
Sie werden keineswegs erleichtert, wenn immer neue Streitereien und Gegensätze
zwischen München und Berlin den ausgesprochenen französischen Chauvinisten, die
für eine Aufteilung des Deutschen Reiches in Bundesstaaten eintreten, recht zu
geben scheinen. Zu welchen überflüssigen Kleinlichkeiten diese Gegensätze bisweilen
ausarten, zeigt der Fall des Sonderberichterstatters des "Matin", der eine Woche
lang (ein Journalist I) auf seinen Paß warten muß, weil der bayrische Münster
des Äußeren sich nicht entschließen kann, das Verlangen des Reichsministers des
Äußeren nach Bewilligung der Einreise des Korrespondenten nach Bayern zu er¬
füllen. Hunderttausende werden alljährlich für Propaganda- und Annäherungs-


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Verhinldlmlge». Diplomaten und Regierungsmitglieder haben in diesem
Jahre wenig Mütze, auf Urlaub zu gehen. Die Welt steht im Zeichen der Ver-
handlungen. Die Zukunft Oberschlesiens verschleiert sich von Woche zu Woche
stärker. Wie rege hinter dem Aushängeschild des Völkerbundes die Verhandlungen
zwischen sämtlichen mehr oder minder beteiligten Mächten geführt werden, beweisen
die sich jagenden Nachrichten über immer neue Kombinationen und Kompromiß-
entwürfe. Aus Warschau stammt eine Nachricht der Pariser Presse, die von
einem englischen Plane eines deutschen Bundesstaates Oberschlesien spricht. An
anderer Stelle wird die Autonomisierung Oberschlesiens unter der Kontrolle des
Völkerbundes nach dem Muster des Saargebietes erwogen, ein Plan, der nicht
nur in strikten Widerspruch zum Versailler Vertrage steht, sondern auch gerade
im Hinblick auf das Saargebiet für Deutschland keineswegs Günstiges verspricht.
Eine andere Meldung geht dahin, datz eine neue Abstimmung in Oberschlesien
vorgenommen werden soll. In welchem Maße man bestrebt ist, die Gegensätze
zwischen den beiden großen Gegnern England und Frankreich (bedeutsamerweise
nicht etwa zwischen Deutschland und Polen) zu mildern oder zu verwischen, geht
aus den Gerüchten über die Vermittlungstätigkeit des tschechischen Außenministers
hervor, der sich bereits mehrfach als wohl informierter, behutsamer und geschickter
Diplomat erwiesen hat, aber naturgemäß dazu neigen würde, Polen und Deutsch¬
land gegeneinander auszuspielen und den durch die polnisch-rumänischen Ab¬
machungen übermächtig gewordenen nördlichen und teilweise noch immer gefährliche
Sympathien für Ungarn bezeugenden Gegner auf Deutschland abzulenken. Auf
die Fähigkeiten der Großmächte beziehungsweise des Völkerbundes, dessen Genfer
Tagung im Zusammenhang besprochen werden soll, werfen all diese Vorgänge ein
Licht, das ungünstiger kaum gedacht werden kann, und nicht gerade geeignet ist, das
Vertrauen der regierten Massen in die Regierenden, deren zunehmend erschwertes
Arbeiten Lloyd George neulich mit zutreffenden Worten gekennzeichnet hat,
zu erhöhen.

Inzwischen haben diese Verhandlungen und die noch fortdauernden und
ohne Erfolg fortgesetzten englisch-französischen Besprechungen über das Pariser
Finanzabkommen vom 13. August doch das Gute gehabt, daß die Kreise in Frank¬
reich, die zur Besinnung kommen wollen, immer weiter werden. So hat sogar
das chauvinistische „Echo de Paris" von dem früheren Handelsminister Jsaac
einen Brief erhalten, der sich gegen die Überreizung des Nationalismus in allen
seinen Formen wendet. Frankreich habe kein gutes Beispiel gegeben, und die
systematische Wiederanwendung seines vor dem Kriege bestehenden allgemeinen
Zolltarifes sei ebenso irrig gewesen, wie der Wunsch, bei allen Gelegenheiten, die
!eit dem Frankfurter Frieden unpopulär gewordene Meistbegünstigungsklcmsel
abzuschaffen, die doch keineswegs nur Rachteile Habs. Der Augenblick scheine
gekommen, in alle wirtschaftlichen Verhandlungen etwas mehr Geschmeidigkeit
hineinzubringen. „Tatsächliche Konzessionen bereiten nützliche Gegenseitigkeiten
vor und haben mehr Wert als Grundsätze des Fremdenhasses, die zu einer Ver¬
nichtung des Geschäftslebens führen würden." Von solchen Äußerungen bis zur
aktiven Durchführung einer Zusammenarbeitspolitik, die aus Annexionen, be¬
leidigende Roheiten und Gewalttaten verzichtete, sind natürlich noch viele Schritte.
Sie werden keineswegs erleichtert, wenn immer neue Streitereien und Gegensätze
zwischen München und Berlin den ausgesprochenen französischen Chauvinisten, die
für eine Aufteilung des Deutschen Reiches in Bundesstaaten eintreten, recht zu
geben scheinen. Zu welchen überflüssigen Kleinlichkeiten diese Gegensätze bisweilen
ausarten, zeigt der Fall des Sonderberichterstatters des „Matin", der eine Woche
lang (ein Journalist I) auf seinen Paß warten muß, weil der bayrische Münster
des Äußeren sich nicht entschließen kann, das Verlangen des Reichsministers des
Äußeren nach Bewilligung der Einreise des Korrespondenten nach Bayern zu er¬
füllen. Hunderttausende werden alljährlich für Propaganda- und Annäherungs-


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[0357] Weltspiegel Weltspiegel Verhinldlmlge». Diplomaten und Regierungsmitglieder haben in diesem Jahre wenig Mütze, auf Urlaub zu gehen. Die Welt steht im Zeichen der Ver- handlungen. Die Zukunft Oberschlesiens verschleiert sich von Woche zu Woche stärker. Wie rege hinter dem Aushängeschild des Völkerbundes die Verhandlungen zwischen sämtlichen mehr oder minder beteiligten Mächten geführt werden, beweisen die sich jagenden Nachrichten über immer neue Kombinationen und Kompromiß- entwürfe. Aus Warschau stammt eine Nachricht der Pariser Presse, die von einem englischen Plane eines deutschen Bundesstaates Oberschlesien spricht. An anderer Stelle wird die Autonomisierung Oberschlesiens unter der Kontrolle des Völkerbundes nach dem Muster des Saargebietes erwogen, ein Plan, der nicht nur in strikten Widerspruch zum Versailler Vertrage steht, sondern auch gerade im Hinblick auf das Saargebiet für Deutschland keineswegs Günstiges verspricht. Eine andere Meldung geht dahin, datz eine neue Abstimmung in Oberschlesien vorgenommen werden soll. In welchem Maße man bestrebt ist, die Gegensätze zwischen den beiden großen Gegnern England und Frankreich (bedeutsamerweise nicht etwa zwischen Deutschland und Polen) zu mildern oder zu verwischen, geht aus den Gerüchten über die Vermittlungstätigkeit des tschechischen Außenministers hervor, der sich bereits mehrfach als wohl informierter, behutsamer und geschickter Diplomat erwiesen hat, aber naturgemäß dazu neigen würde, Polen und Deutsch¬ land gegeneinander auszuspielen und den durch die polnisch-rumänischen Ab¬ machungen übermächtig gewordenen nördlichen und teilweise noch immer gefährliche Sympathien für Ungarn bezeugenden Gegner auf Deutschland abzulenken. Auf die Fähigkeiten der Großmächte beziehungsweise des Völkerbundes, dessen Genfer Tagung im Zusammenhang besprochen werden soll, werfen all diese Vorgänge ein Licht, das ungünstiger kaum gedacht werden kann, und nicht gerade geeignet ist, das Vertrauen der regierten Massen in die Regierenden, deren zunehmend erschwertes Arbeiten Lloyd George neulich mit zutreffenden Worten gekennzeichnet hat, zu erhöhen. Inzwischen haben diese Verhandlungen und die noch fortdauernden und ohne Erfolg fortgesetzten englisch-französischen Besprechungen über das Pariser Finanzabkommen vom 13. August doch das Gute gehabt, daß die Kreise in Frank¬ reich, die zur Besinnung kommen wollen, immer weiter werden. So hat sogar das chauvinistische „Echo de Paris" von dem früheren Handelsminister Jsaac einen Brief erhalten, der sich gegen die Überreizung des Nationalismus in allen seinen Formen wendet. Frankreich habe kein gutes Beispiel gegeben, und die systematische Wiederanwendung seines vor dem Kriege bestehenden allgemeinen Zolltarifes sei ebenso irrig gewesen, wie der Wunsch, bei allen Gelegenheiten, die !eit dem Frankfurter Frieden unpopulär gewordene Meistbegünstigungsklcmsel abzuschaffen, die doch keineswegs nur Rachteile Habs. Der Augenblick scheine gekommen, in alle wirtschaftlichen Verhandlungen etwas mehr Geschmeidigkeit hineinzubringen. „Tatsächliche Konzessionen bereiten nützliche Gegenseitigkeiten vor und haben mehr Wert als Grundsätze des Fremdenhasses, die zu einer Ver¬ nichtung des Geschäftslebens führen würden." Von solchen Äußerungen bis zur aktiven Durchführung einer Zusammenarbeitspolitik, die aus Annexionen, be¬ leidigende Roheiten und Gewalttaten verzichtete, sind natürlich noch viele Schritte. Sie werden keineswegs erleichtert, wenn immer neue Streitereien und Gegensätze zwischen München und Berlin den ausgesprochenen französischen Chauvinisten, die für eine Aufteilung des Deutschen Reiches in Bundesstaaten eintreten, recht zu geben scheinen. Zu welchen überflüssigen Kleinlichkeiten diese Gegensätze bisweilen ausarten, zeigt der Fall des Sonderberichterstatters des „Matin", der eine Woche lang (ein Journalist I) auf seinen Paß warten muß, weil der bayrische Münster des Äußeren sich nicht entschließen kann, das Verlangen des Reichsministers des Äußeren nach Bewilligung der Einreise des Korrespondenten nach Bayern zu er¬ füllen. Hunderttausende werden alljährlich für Propaganda- und Annäherungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/357>, abgerufen am 22.12.2024.