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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Filu und Psychologie des Volkes

und Pflichtauffassung während des Abbaues auf 200000 Mann, die Wehrmachts-
krisis im Herbst 1919. Diese drei stehen Paten bei der Reichswehrbildung.

Auch die Regierung erkennt den zweifelhaften Wert der aus Freikorps,
Abwicklungsstellen und Formationen des alten Heeres sich formierenden Reichs¬
wehr, weiß, daß die Spartakistengefahr noch droht und -- sanktioniert und baut
als Ergänzung aus: die Einwohnerwehr. --

Der Winter steht vor der Tür. Der einzelne Soldat sieht jetzt klarer, ob
er bleiben oder entlassen werden wird. So kehren Beruhigung und Selbst¬
besinnung ein. Damit auch Selbstsicherheit, Zukunftspläne, Tatkraft und die
Eigenschaften, die das alte Heer groß gemacht haben: Pflichttreue und Disziplin.

Die Revolutionszeit der Wehrmacht vom 9. November bis Versailles ist
vorüber. Es folgt die Übergangszeit bis zur Stabilisierung, die Zeit, in der
als natürliche Reaktion zu den Erfahrungen des ersten WehrmachtjahreS die
Persönlichkeit herrscht, deren Unterdrückung nun Ziel und Streben des Staates wird.

Unter dem Schutze der beiden Marinebrigaden Ehrhard und Löwenfeldt.
die zusammen mit einer Reichswehrbrigade, die einzigen Kampfbereiten im Falle
eines Spartakistenputsches sind, beginnt die Winterarbeit der neuen Wehrmacht
mit ihrem Freikorpsende und dem Zusammenschweißen und Ausgleich der
verschiedensten Soldatentypen.




Alm und Psychologie des Volkes
Rudolf Ritter von

urch die fabelhaft rasche Entwicklung und die damit verbundene
stetig nach immer höherer Vollendung strebende Technik ist der
Filu zu einem Kulturfaktor im Leben unseres Volkes geworden,
dessen Einfluß sich in immer steigendem Maße geltend macht und
die Öffentlichkeit mehr und mehr beschäftigt. Die.großen Tages-
zeitungen, die Gelehrten und die Künstler, die an die Zukunft
unseres Volkes denken, beschäftigen sich dabei hauptsächlich mit der sozialen,
bildenden und psychologischen Seite des Films.

Um die merkwürdige Suggestivkraft, die der Filu uicht nur auf die große
Masse, sondern ebenso auch auf den einzelnen Menschen ausübt, einigermaßen
erklären zu können, ist es notwendig, den Unterschied zu wissen, worin sich die
Psychologie der Volksmasse von der des Einzelindividuums unterscheidet.¬

Bei der Psychologie der Volksmasse ist eine der grundlegenden soziologi
schen Tatsachen: Wo immer sich Menschen zu einem bestimmten Zweck zusammen^
finden, mag es zu einer Volksversammlung ^ oder Demonstration im Theater
oder Parlament sein, so kann man beobachten, daß infolge bestimmter psychologi¬
scher Einwirkungen der einzelne Charakter verschwindet und in einer Art ge¬
meinsamer Seele der versammelten'Menge untergeht. Das erklärt sich daraus,
daß der bewußte Teil uuserer geistigem Tätigkeit nur ein kleiner Teil des großen
unbewußten geistigen bzw. organischen Lebens in uns ist. Diese ganz ge¬
heimen und ""kontrollierbaren 'Vorgänge im Menschen sind erst durch die neuesten
Forschungen auf dem Gebiete der Psychologie und Psychiatrie in das richtige Licht
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Filu und Psychologie des Volkes

und Pflichtauffassung während des Abbaues auf 200000 Mann, die Wehrmachts-
krisis im Herbst 1919. Diese drei stehen Paten bei der Reichswehrbildung.

Auch die Regierung erkennt den zweifelhaften Wert der aus Freikorps,
Abwicklungsstellen und Formationen des alten Heeres sich formierenden Reichs¬
wehr, weiß, daß die Spartakistengefahr noch droht und — sanktioniert und baut
als Ergänzung aus: die Einwohnerwehr. —

Der Winter steht vor der Tür. Der einzelne Soldat sieht jetzt klarer, ob
er bleiben oder entlassen werden wird. So kehren Beruhigung und Selbst¬
besinnung ein. Damit auch Selbstsicherheit, Zukunftspläne, Tatkraft und die
Eigenschaften, die das alte Heer groß gemacht haben: Pflichttreue und Disziplin.

Die Revolutionszeit der Wehrmacht vom 9. November bis Versailles ist
vorüber. Es folgt die Übergangszeit bis zur Stabilisierung, die Zeit, in der
als natürliche Reaktion zu den Erfahrungen des ersten WehrmachtjahreS die
Persönlichkeit herrscht, deren Unterdrückung nun Ziel und Streben des Staates wird.

Unter dem Schutze der beiden Marinebrigaden Ehrhard und Löwenfeldt.
die zusammen mit einer Reichswehrbrigade, die einzigen Kampfbereiten im Falle
eines Spartakistenputsches sind, beginnt die Winterarbeit der neuen Wehrmacht
mit ihrem Freikorpsende und dem Zusammenschweißen und Ausgleich der
verschiedensten Soldatentypen.




Alm und Psychologie des Volkes
Rudolf Ritter von

urch die fabelhaft rasche Entwicklung und die damit verbundene
stetig nach immer höherer Vollendung strebende Technik ist der
Filu zu einem Kulturfaktor im Leben unseres Volkes geworden,
dessen Einfluß sich in immer steigendem Maße geltend macht und
die Öffentlichkeit mehr und mehr beschäftigt. Die.großen Tages-
zeitungen, die Gelehrten und die Künstler, die an die Zukunft
unseres Volkes denken, beschäftigen sich dabei hauptsächlich mit der sozialen,
bildenden und psychologischen Seite des Films.

Um die merkwürdige Suggestivkraft, die der Filu uicht nur auf die große
Masse, sondern ebenso auch auf den einzelnen Menschen ausübt, einigermaßen
erklären zu können, ist es notwendig, den Unterschied zu wissen, worin sich die
Psychologie der Volksmasse von der des Einzelindividuums unterscheidet.¬

Bei der Psychologie der Volksmasse ist eine der grundlegenden soziologi
schen Tatsachen: Wo immer sich Menschen zu einem bestimmten Zweck zusammen^
finden, mag es zu einer Volksversammlung ^ oder Demonstration im Theater
oder Parlament sein, so kann man beobachten, daß infolge bestimmter psychologi¬
scher Einwirkungen der einzelne Charakter verschwindet und in einer Art ge¬
meinsamer Seele der versammelten'Menge untergeht. Das erklärt sich daraus,
daß der bewußte Teil uuserer geistigem Tätigkeit nur ein kleiner Teil des großen
unbewußten geistigen bzw. organischen Lebens in uns ist. Diese ganz ge¬
heimen und »»kontrollierbaren 'Vorgänge im Menschen sind erst durch die neuesten
Forschungen auf dem Gebiete der Psychologie und Psychiatrie in das richtige Licht
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[0353] Filu und Psychologie des Volkes und Pflichtauffassung während des Abbaues auf 200000 Mann, die Wehrmachts- krisis im Herbst 1919. Diese drei stehen Paten bei der Reichswehrbildung. Auch die Regierung erkennt den zweifelhaften Wert der aus Freikorps, Abwicklungsstellen und Formationen des alten Heeres sich formierenden Reichs¬ wehr, weiß, daß die Spartakistengefahr noch droht und — sanktioniert und baut als Ergänzung aus: die Einwohnerwehr. — Der Winter steht vor der Tür. Der einzelne Soldat sieht jetzt klarer, ob er bleiben oder entlassen werden wird. So kehren Beruhigung und Selbst¬ besinnung ein. Damit auch Selbstsicherheit, Zukunftspläne, Tatkraft und die Eigenschaften, die das alte Heer groß gemacht haben: Pflichttreue und Disziplin. Die Revolutionszeit der Wehrmacht vom 9. November bis Versailles ist vorüber. Es folgt die Übergangszeit bis zur Stabilisierung, die Zeit, in der als natürliche Reaktion zu den Erfahrungen des ersten WehrmachtjahreS die Persönlichkeit herrscht, deren Unterdrückung nun Ziel und Streben des Staates wird. Unter dem Schutze der beiden Marinebrigaden Ehrhard und Löwenfeldt. die zusammen mit einer Reichswehrbrigade, die einzigen Kampfbereiten im Falle eines Spartakistenputsches sind, beginnt die Winterarbeit der neuen Wehrmacht mit ihrem Freikorpsende und dem Zusammenschweißen und Ausgleich der verschiedensten Soldatentypen. Alm und Psychologie des Volkes Rudolf Ritter von urch die fabelhaft rasche Entwicklung und die damit verbundene stetig nach immer höherer Vollendung strebende Technik ist der Filu zu einem Kulturfaktor im Leben unseres Volkes geworden, dessen Einfluß sich in immer steigendem Maße geltend macht und die Öffentlichkeit mehr und mehr beschäftigt. Die.großen Tages- zeitungen, die Gelehrten und die Künstler, die an die Zukunft unseres Volkes denken, beschäftigen sich dabei hauptsächlich mit der sozialen, bildenden und psychologischen Seite des Films. Um die merkwürdige Suggestivkraft, die der Filu uicht nur auf die große Masse, sondern ebenso auch auf den einzelnen Menschen ausübt, einigermaßen erklären zu können, ist es notwendig, den Unterschied zu wissen, worin sich die Psychologie der Volksmasse von der des Einzelindividuums unterscheidet.¬ Bei der Psychologie der Volksmasse ist eine der grundlegenden soziologi schen Tatsachen: Wo immer sich Menschen zu einem bestimmten Zweck zusammen^ finden, mag es zu einer Volksversammlung ^ oder Demonstration im Theater oder Parlament sein, so kann man beobachten, daß infolge bestimmter psychologi¬ scher Einwirkungen der einzelne Charakter verschwindet und in einer Art ge¬ meinsamer Seele der versammelten'Menge untergeht. Das erklärt sich daraus, daß der bewußte Teil uuserer geistigem Tätigkeit nur ein kleiner Teil des großen unbewußten geistigen bzw. organischen Lebens in uns ist. Diese ganz ge¬ heimen und »»kontrollierbaren 'Vorgänge im Menschen sind erst durch die neuesten Forschungen auf dem Gebiete der Psychologie und Psychiatrie in das richtige Licht * 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/353>, abgerufen am 24.07.2024.