Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.Nationaldeutsche Juden und Gstjuden einmal in Deutschland befindlichen Ostjuden ausgewiesen oder hinter Stachel¬ Nationaldeutsche Juden und Gstjuden einmal in Deutschland befindlichen Ostjuden ausgewiesen oder hinter Stachel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339495"/> <fw type="header" place="top"> Nationaldeutsche Juden und Gstjuden</fw><lb/> <p xml:id="ID_1451" prev="#ID_1450" next="#ID_1452"> einmal in Deutschland befindlichen Ostjuden ausgewiesen oder hinter Stachel¬<lb/> draht gesperrt werden sollten. Wir unterscheiden in unserer Stellungnahme<lb/> scharf zwischen denjenigen Ostjuden, die wirklich arbeiten, und denen, die nur<lb/> Schiebergeschäfte machen. Wir unterscheiden nicht minder scharf zwischen den¬<lb/> jenigen Ostjuden, die schon vor dem Kriege in Deutschland gelebt haben bzw.<lb/> während des Krieges als Arbeiter nach Deutschland verpflanzt worden sind, und<lb/> denjenigen, die nach dem Kriege eingewandert sind und noch jetzt einwandern.<lb/> Wir flehen auf dem Standpunkt, daß man sich mit der Tatsache, die nun einmal<lb/> in Deutschland befindlichen Ostjuden auch hier zu belassen, abfinden muß. Von<lb/> diesen Ostjuden verlangen wir nur, daß sie sich persönlich so verhalten, wie es<lb/> sich für Ausländer gehört, daß sie insbesondere nicht gegen Staatsgesetze ver¬<lb/> stoßen, sich mit taktvoller Zurückhaltung benehmen und sich jeder politischen<lb/> Tätigkeit sowie jeder anderen mit nationaldeutschem Empfinden nicht verein¬<lb/> baren Betätigung ihrer persönlichen Gefühle und Gesinnungen enthalten., In<lb/> letzterer Hinsicht denken wir in erster Linie daran, daß die fast durchweg jüdisch¬<lb/> national fühlenden Ostjuden nicht die Bestrebungen der Jüdischnationalen deut¬<lb/> scher Staatsangehörigkeit fördern sollen, die darauf Hinauslaufen, Kinder deutsch<lb/> fühlender Eltern sür den Zionismus zu gewinnen und so dem Deutschtum wie<lb/> ihren Angehörigen zu entfremden. Wir sind der Ansicht, °daß gegen Ostjuden,<lb/> die gegen einen dieser Grundsätze verstoßen, mit derjenigen Schärfe einge¬<lb/> schritten werden muß, die einem lästigen und gefährlichen Ausländer gegenübet<lb/> geboten ist; bei diesem Einschreiten kann es sich aber selbstverständlich immer<lb/> nur um ein Einschreiten von Fall zu Fall gegen Einzelne handeln. Anders<lb/> zu beurteilen ist die Frage, wie man sich zu der weiteren Einwanderung von<lb/> Ostjuden stellen soll. Wir sind nicht der von Ihnen vertretenen Ansicht, daß<lb/> diese Frage zurzeit nicht aktuell sei. Sie übersehen unseres Erachtens, daß neben<lb/> denjenigen Ostjuden, die auf legalem Wege nach Deutschland kommen und deren<lb/> Zahl vielleicht nicht allzu hoch sein mag, täglich Ostjuden hereinkommen, die<lb/> auf illegalem Wege die Möglichkeit der Einwanderung oder des längeren Auf¬<lb/> enthaltes erreichen. Gerade diese Elemente sind natürlich die gefährlichsten, denn<lb/> ihre Zahl ist unkontrollierbar, ihre Neigung zu ehrlicher Arbeit ist gering und<lb/> ihre moralischen Anschauungen weichen von denen anständiger Deutscher, mögen<lb/> sie jüdischer oder nichtjüdischer Abstammung sein, in sehr wesentlichen Punkten<lb/> ab. Diese Elemente dürften wahrscheinlich auch das Arbeiterfürsorgeamt wenig<lb/> in Anspruch nehmen, ja ihm überhaupt nicht bekannt werden. Im übrigen<lb/> muß es angesichts der Ereignisse, die zurzeit in Rußland und den angrenzenden<lb/> Ländern vor sich gehen bzw. sich vorbereiten, nicht ausgeschlossen erscheinen,<lb/> daß, selbst wenn im Augenblick der Zustrom von Ostjuden nicht allzu groß ist,<lb/> in absehbarer Zeit wieder die Einwanderuugsziffer stark anschwellen wird. Wir<lb/> haben volles Verständnis und menschliches Mitgefühl für die Lage dieser armen<lb/> Menschen, die sich nach Deutschland zu flüchten versuchen werden, weil sie in<lb/> ihrer Heimat von Maßregelung und Pogromen bedroht sind. Wenn wir trotz¬<lb/> dem nicht der Ansicht sind, daß man diesen Ostjuden entsprechend dem Vorschlage<lb/> eines Redners in der oben erwähnten Versammlung „in Deutschland ein Asyl<lb/> gewähren" könne, leitet uns lediglich das deutsche Interesse, das für uns in der¬<lb/> artigen Fragen das allein maßgebende ist. Die deutsche Bevölkerung, Juden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0346]
Nationaldeutsche Juden und Gstjuden
einmal in Deutschland befindlichen Ostjuden ausgewiesen oder hinter Stachel¬
draht gesperrt werden sollten. Wir unterscheiden in unserer Stellungnahme
scharf zwischen denjenigen Ostjuden, die wirklich arbeiten, und denen, die nur
Schiebergeschäfte machen. Wir unterscheiden nicht minder scharf zwischen den¬
jenigen Ostjuden, die schon vor dem Kriege in Deutschland gelebt haben bzw.
während des Krieges als Arbeiter nach Deutschland verpflanzt worden sind, und
denjenigen, die nach dem Kriege eingewandert sind und noch jetzt einwandern.
Wir flehen auf dem Standpunkt, daß man sich mit der Tatsache, die nun einmal
in Deutschland befindlichen Ostjuden auch hier zu belassen, abfinden muß. Von
diesen Ostjuden verlangen wir nur, daß sie sich persönlich so verhalten, wie es
sich für Ausländer gehört, daß sie insbesondere nicht gegen Staatsgesetze ver¬
stoßen, sich mit taktvoller Zurückhaltung benehmen und sich jeder politischen
Tätigkeit sowie jeder anderen mit nationaldeutschem Empfinden nicht verein¬
baren Betätigung ihrer persönlichen Gefühle und Gesinnungen enthalten., In
letzterer Hinsicht denken wir in erster Linie daran, daß die fast durchweg jüdisch¬
national fühlenden Ostjuden nicht die Bestrebungen der Jüdischnationalen deut¬
scher Staatsangehörigkeit fördern sollen, die darauf Hinauslaufen, Kinder deutsch
fühlender Eltern sür den Zionismus zu gewinnen und so dem Deutschtum wie
ihren Angehörigen zu entfremden. Wir sind der Ansicht, °daß gegen Ostjuden,
die gegen einen dieser Grundsätze verstoßen, mit derjenigen Schärfe einge¬
schritten werden muß, die einem lästigen und gefährlichen Ausländer gegenübet
geboten ist; bei diesem Einschreiten kann es sich aber selbstverständlich immer
nur um ein Einschreiten von Fall zu Fall gegen Einzelne handeln. Anders
zu beurteilen ist die Frage, wie man sich zu der weiteren Einwanderung von
Ostjuden stellen soll. Wir sind nicht der von Ihnen vertretenen Ansicht, daß
diese Frage zurzeit nicht aktuell sei. Sie übersehen unseres Erachtens, daß neben
denjenigen Ostjuden, die auf legalem Wege nach Deutschland kommen und deren
Zahl vielleicht nicht allzu hoch sein mag, täglich Ostjuden hereinkommen, die
auf illegalem Wege die Möglichkeit der Einwanderung oder des längeren Auf¬
enthaltes erreichen. Gerade diese Elemente sind natürlich die gefährlichsten, denn
ihre Zahl ist unkontrollierbar, ihre Neigung zu ehrlicher Arbeit ist gering und
ihre moralischen Anschauungen weichen von denen anständiger Deutscher, mögen
sie jüdischer oder nichtjüdischer Abstammung sein, in sehr wesentlichen Punkten
ab. Diese Elemente dürften wahrscheinlich auch das Arbeiterfürsorgeamt wenig
in Anspruch nehmen, ja ihm überhaupt nicht bekannt werden. Im übrigen
muß es angesichts der Ereignisse, die zurzeit in Rußland und den angrenzenden
Ländern vor sich gehen bzw. sich vorbereiten, nicht ausgeschlossen erscheinen,
daß, selbst wenn im Augenblick der Zustrom von Ostjuden nicht allzu groß ist,
in absehbarer Zeit wieder die Einwanderuugsziffer stark anschwellen wird. Wir
haben volles Verständnis und menschliches Mitgefühl für die Lage dieser armen
Menschen, die sich nach Deutschland zu flüchten versuchen werden, weil sie in
ihrer Heimat von Maßregelung und Pogromen bedroht sind. Wenn wir trotz¬
dem nicht der Ansicht sind, daß man diesen Ostjuden entsprechend dem Vorschlage
eines Redners in der oben erwähnten Versammlung „in Deutschland ein Asyl
gewähren" könne, leitet uns lediglich das deutsche Interesse, das für uns in der¬
artigen Fragen das allein maßgebende ist. Die deutsche Bevölkerung, Juden
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