Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.ZVeltspiegel uns die Unterstützung zuteil werden lassen, auf die wir gerechterweise hätten Welch große praktische Bedeutung den Wiesbadener Verhandlungen zukommt, ZVeltspiegel uns die Unterstützung zuteil werden lassen, auf die wir gerechterweise hätten Welch große praktische Bedeutung den Wiesbadener Verhandlungen zukommt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339477"/> <fw type="header" place="top"> ZVeltspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1386" prev="#ID_1385"> uns die Unterstützung zuteil werden lassen, auf die wir gerechterweise hätten<lb/> zählen können. Aber unsere diplomatische Lage würde heute vielleicht günstiger<lb/> sein, gestehen wir es ein. wenn die Stimmen, die im Namen Frankreichs ge¬<lb/> sprochen und die sich in Frankreich erhoben haben, der Welt immer den Eindruck<lb/> guten Willens, des Maszhaltens, des friedlichen, sparsamen und arbeitssamen<lb/> Geistes gegeben hätten, der in Wirklichkeit den Grundcharakter unserer Rasse<lb/> bildet/' Beigetragen hat ferner nicht minder das die Parlamentarier Frankreichs<lb/> stark aufregende Pariser Finanzabkommen, das Frankreich vorderhand der erhofften<lb/> Anteile an den deutschen Barzahlungen beraubt, und richtig ist. daß infolge der durch<lb/> den Artikel von Keynes hervorgerufenen Panik, die denn doch eine baldige reale<lb/> Sachleistung entfernten und bei der Finanzlage Deutschlands als recht fraglich<lb/> erscheinenden Geldleistung vorziehen ließ. Das Abkommen hat in der franzö¬<lb/> sischen Presse, selbst in stark chauvinistischen Organen, eine auffallend günstige<lb/> Beurteilung gefunden. Sogar der „Gaulois" nannte es die erste praktische<lb/> Lösung, die man auf dem Gebiete der Reparationen erzielt habe und knüpfte<lb/> daran die beachtenswerte Betrachtung: „Warum ist das Wiesbadener Abkommen<lb/> interessanter und rationeller als die meisten Abkommen, die auf früheren Kon¬<lb/> ferenzen in die Wege geleitet wurden? Aus dem einfachen Grunde, weil zum<lb/> ersten Male die Unterhändler, die nicht ausschließlich durch ihre parlamentarischen<lb/> Mehrheiten hypnotisierte Politiker, sondern vor allem Geschäftsleute sind, sich<lb/> nicht gefürchtet haben, Luftschlösser aufzugeben, die man der Unwissenheit und<lb/> der Naivität der Menge vorgegaukelt hat, sie haben vielmehr praktischen Lösungen<lb/> eine präzise Form zu geben gesucht, welche beide Parteien auszuführen imstande<lb/> sind." Auf die Bedenklickkeit einer solchen rein wirtschaftlichen Einstellung ist<lb/> schon neulich an dieser Stelle hingewiesen worden, der Passus aber von den<lb/> Luftschlössern ist bezeichnend dafür, daß man in Frankreich die Unsinnigkeit ma߬<lb/> loser Forderungen einzusehen beginnt und läßt die Lebensdauer des Kabinetts<lb/> Briand wieder in neuem Licht erscheinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1387" next="#ID_1388"> Welch große praktische Bedeutung den Wiesbadener Verhandlungen zukommt,<lb/> geht aus dem Widerstand der Engländer, denen sich zum Teil auch die Belgier<lb/> angeschlossen haben, hervor, wobei es allerdings nicht ganz sicher ist, wie weit<lb/> dieser Widerstand englischerseits realen Befürchtungen vor zu weitgehendem Zu¬<lb/> sammenschluß deutscher und französischer Industrie entspricht und ob er nicht<lb/> vielleicht lediglich diplomatischer Art ist. Sehr beachtenswert für das Verständnis<lb/> der Vorgänge sind jedenfalls die Gedankengänge, die dem Londoner Korrespondenten<lb/> des „Maler" gegenüber eine Persönlichkeit mitteilte, „deren Autorität in Nepa-<lb/> ralionsfragen nicht bezweifelt werden kann". Loucheur, meinte diese ungenannte<lb/> Persönlichkeit, will bald die Anerkennung des interalliierten Finanzabkommens,<lb/> dem er sich bisher widersetzte, unter der Bedingung vorschlagen, daß die Alliierten<lb/> Frankreich durch die Vermittlung ihrer Vertreter in der Reparationskommission<lb/> seine Vereinbarung mit Rathenau billigten. Diese seien aber sehr gefährlich,<lb/> sowohl für die Alliierten wie für Frankreich selbst. Ihr Ergebnis, ja ihr Zweck<lb/> werde sein, an Stelle des gegenwärtigen Systems interalliierter Abmachungen und<lb/> interalliierten Druckes auf Deutschland Einzelverträge zwischen den Alliierten und<lb/> Deutschland treten zu lassen, wodurch der Versailler Vertrag rasch vernichtet und<lb/> das seine Durchführung allein garantierende Zusammenwirken der Alliierten<lb/> aufgehoben wurde. Wirtschaftlich bedeute eine derartige Politik die Verminderung<lb/> des Kredites der Alliierten, in dem nämlich Deutschland sich zunächst seines stärksten<lb/> und bedrohlichsten Gegners entledigen könnte. Als Ergänzung — ich zitiere<lb/> diese ausländischen Beurteiler natürlich nicht aus Freude an der Komplikation,<lb/> sondern mit einer hier nicht schärfer zu präzisierenden, für den Kundigen aber<lb/> leicht zu erratenden Absicht — diene die Beurteilung des „Daily Telegraph",<lb/> dessen Bedeutung in letzter Zeit hauptsächlich wohl auf Kosten der durch Northcliffe<lb/> herabgewirtschafteten „Times" sehr stark im Wachsen begriffen ist, in der es heißt:<lb/> „Rathenau ist ein schlauer Psychologe und Politiker, jedoch in noch höherem<lb/> Maße ein Baumeister nationaler Industrie. Die Art, in der er vorgeht, um</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0328]
ZVeltspiegel
uns die Unterstützung zuteil werden lassen, auf die wir gerechterweise hätten
zählen können. Aber unsere diplomatische Lage würde heute vielleicht günstiger
sein, gestehen wir es ein. wenn die Stimmen, die im Namen Frankreichs ge¬
sprochen und die sich in Frankreich erhoben haben, der Welt immer den Eindruck
guten Willens, des Maszhaltens, des friedlichen, sparsamen und arbeitssamen
Geistes gegeben hätten, der in Wirklichkeit den Grundcharakter unserer Rasse
bildet/' Beigetragen hat ferner nicht minder das die Parlamentarier Frankreichs
stark aufregende Pariser Finanzabkommen, das Frankreich vorderhand der erhofften
Anteile an den deutschen Barzahlungen beraubt, und richtig ist. daß infolge der durch
den Artikel von Keynes hervorgerufenen Panik, die denn doch eine baldige reale
Sachleistung entfernten und bei der Finanzlage Deutschlands als recht fraglich
erscheinenden Geldleistung vorziehen ließ. Das Abkommen hat in der franzö¬
sischen Presse, selbst in stark chauvinistischen Organen, eine auffallend günstige
Beurteilung gefunden. Sogar der „Gaulois" nannte es die erste praktische
Lösung, die man auf dem Gebiete der Reparationen erzielt habe und knüpfte
daran die beachtenswerte Betrachtung: „Warum ist das Wiesbadener Abkommen
interessanter und rationeller als die meisten Abkommen, die auf früheren Kon¬
ferenzen in die Wege geleitet wurden? Aus dem einfachen Grunde, weil zum
ersten Male die Unterhändler, die nicht ausschließlich durch ihre parlamentarischen
Mehrheiten hypnotisierte Politiker, sondern vor allem Geschäftsleute sind, sich
nicht gefürchtet haben, Luftschlösser aufzugeben, die man der Unwissenheit und
der Naivität der Menge vorgegaukelt hat, sie haben vielmehr praktischen Lösungen
eine präzise Form zu geben gesucht, welche beide Parteien auszuführen imstande
sind." Auf die Bedenklickkeit einer solchen rein wirtschaftlichen Einstellung ist
schon neulich an dieser Stelle hingewiesen worden, der Passus aber von den
Luftschlössern ist bezeichnend dafür, daß man in Frankreich die Unsinnigkeit ma߬
loser Forderungen einzusehen beginnt und läßt die Lebensdauer des Kabinetts
Briand wieder in neuem Licht erscheinen.
Welch große praktische Bedeutung den Wiesbadener Verhandlungen zukommt,
geht aus dem Widerstand der Engländer, denen sich zum Teil auch die Belgier
angeschlossen haben, hervor, wobei es allerdings nicht ganz sicher ist, wie weit
dieser Widerstand englischerseits realen Befürchtungen vor zu weitgehendem Zu¬
sammenschluß deutscher und französischer Industrie entspricht und ob er nicht
vielleicht lediglich diplomatischer Art ist. Sehr beachtenswert für das Verständnis
der Vorgänge sind jedenfalls die Gedankengänge, die dem Londoner Korrespondenten
des „Maler" gegenüber eine Persönlichkeit mitteilte, „deren Autorität in Nepa-
ralionsfragen nicht bezweifelt werden kann". Loucheur, meinte diese ungenannte
Persönlichkeit, will bald die Anerkennung des interalliierten Finanzabkommens,
dem er sich bisher widersetzte, unter der Bedingung vorschlagen, daß die Alliierten
Frankreich durch die Vermittlung ihrer Vertreter in der Reparationskommission
seine Vereinbarung mit Rathenau billigten. Diese seien aber sehr gefährlich,
sowohl für die Alliierten wie für Frankreich selbst. Ihr Ergebnis, ja ihr Zweck
werde sein, an Stelle des gegenwärtigen Systems interalliierter Abmachungen und
interalliierten Druckes auf Deutschland Einzelverträge zwischen den Alliierten und
Deutschland treten zu lassen, wodurch der Versailler Vertrag rasch vernichtet und
das seine Durchführung allein garantierende Zusammenwirken der Alliierten
aufgehoben wurde. Wirtschaftlich bedeute eine derartige Politik die Verminderung
des Kredites der Alliierten, in dem nämlich Deutschland sich zunächst seines stärksten
und bedrohlichsten Gegners entledigen könnte. Als Ergänzung — ich zitiere
diese ausländischen Beurteiler natürlich nicht aus Freude an der Komplikation,
sondern mit einer hier nicht schärfer zu präzisierenden, für den Kundigen aber
leicht zu erratenden Absicht — diene die Beurteilung des „Daily Telegraph",
dessen Bedeutung in letzter Zeit hauptsächlich wohl auf Kosten der durch Northcliffe
herabgewirtschafteten „Times" sehr stark im Wachsen begriffen ist, in der es heißt:
„Rathenau ist ein schlauer Psychologe und Politiker, jedoch in noch höherem
Maße ein Baumeister nationaler Industrie. Die Art, in der er vorgeht, um
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