Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.Dantes Weltanschauung und das zwanzigste Jahrhundert Selbsterlösung ist. Wie auf diesem Weg uns Dante Führer sein kann, das Jede spirituale Weltanschauung fordert Entsagung. Selbstüberwindung: sie Wieder fällt uns hier bei der Betrachtung Dantes unser Schiller ein, der Grenzboten III 1921 20
Dantes Weltanschauung und das zwanzigste Jahrhundert Selbsterlösung ist. Wie auf diesem Weg uns Dante Führer sein kann, das Jede spirituale Weltanschauung fordert Entsagung. Selbstüberwindung: sie Wieder fällt uns hier bei der Betrachtung Dantes unser Schiller ein, der Grenzboten III 1921 20
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Dantes Weltanschauung und das zwanzigste Jahrhundert
Selbsterlösung ist. Wie auf diesem Weg uns Dante Führer sein kann, das
glaube ich, ist durch unseren Gedankengang aufgezeigt; die eigene Wirkung Dantes
freilich kann nur erlebt werden, wenn man ihn liest und wieder liest. Zum
Schluß nur noch eine Andeutung darüber, wie gerade der Dichter Dante,
nicht nur der Denker, uns ein Verbündeter und Befreier zum besseren Selbst ist.
Jede spirituale Weltanschauung fordert Entsagung. Selbstüberwindung: sie
betont die Pflichten, nicht die Reinste des Menschen. Gewiß verheißt sie ihm
dafür ein reines Gewissen und die Erlösung von dem verfänglichen Irrtum der
materiellen Begierden. Aber je stärker eine Weltanschauung die ethisch-asketischen
Züge hervorkehrt, desto unvermeidlicher fordert sie den Widerstand der natürlichen
Triebe heraus, desto stärker wächst die Spannung zwischen Ideal und Leben, desto
näher liegt die Reaktion des Lebens, das seine Rechte geltend macht und
nicht immer nur von Pflichten hören möchte. Mit dem kategorischen Imperativ,
mit dem sogenannten Rigorismus Kants, der ti>> wahre Pflichterfüllung nur dort
anerkennt, wo sie mit Unlust geschieht, gewinnt man die Massen nicht; dies wird
immer ein Glaubensbekenntnis der Wenigen bleiben. Infolgedessen haben frühere
Systeme des Spiritualismus, welche die Menschheit im Großen erzogen, die
Pflichterfüllung auch mit Lust verknüpft, vor allem jedoch mit der Selig,
keit des Jenseits. Es ist nun aber sehr fraglich, ob wir jemals wieder in der
Menschheit einen Jenseitsglauben von der Stärke erleben werden, daß die Unlust
des Diesseits, die mit der freiwilligen Entsagung und Selbstüberwindung ver¬
knüpft ist, gern getragen wird aus Furcht vor der Hölle und Verlangen nach
dem Himmel. Es wird jedenfalls gut sein, wenn wir unseren Glauben an ein
kommendes neues spintuales Zeitalter als einzige Rettung der Menschheit vor
endgültigem Kulturverfall nicht zu stark mit Jenseitsvorstellungen verknüpfen, die
unter heutigen Denkvoraussetzungen ihre frühere eudämonistische Hebelkraft ent¬
behren müssen. Aber der Glaube braucht Symbole. Die Freude will sich
irgendwie verknüpfen mit dem Dienst am Geist, mit der Überwindung der
materiellen Triebe, Das Heilige, das uns über uns selber erhebt, will sich nicht
Nur als Ethik offenbaren, es will unsern Glauben auch durch liebere Send¬
boten stärken.
Wieder fällt uns hier bei der Betrachtung Dantes unser Schiller ein, der
dem starren kategorischen Imperativ die gelöste Geistigkeit des Schönen zur
Seite stellt. Denn es ist in erster Linie das Reich des ästhetischen Spiritualismus,
das dem religiösen Spiritualismus so nahe angrenzt. Alles Vergängliche ist nur
ein Gleichnis: alle Materie wird, wenn sie nicht ihrer selbst willen, sondern um
des Glaubens willen erfaßt wird, zum Symbol, durch welches der Geist hindurch-
scheint. Zu Dantes Lebzeiten haben ihm geistesverwandte Künstler den Dom von
Orvieto erbaut und als Fensterscheiben nicht Glas eingesetzt, sondern Alabaster¬
blöcke, deren Materie aber so fein geschliffen wurde, daß durch sie die Sonne als
ein überirdisches goldflammendes Licht durchschimmert. So verhält es sich mit
aller Materie, die nicht um ihrer selbst willen, sondern als Symbol des Geistes,
als Träger übermaterieller Werte da ist. Und hier kann uns Dante und seine
ganze Zeit zur Hoffnung werden. Diese schönheitserfüllte Zeit, die doch alle
Schönheit nur im Dienst des Heiligen und Guten suchte und schuf, die aber
andererseits wohl wußte, daß das Gute in sich selbst herb und unzugänglich ist
Grenzboten III 1921 20
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