Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.Reichskanzler Wirth "Süddeutsche Zeitung", ihn scharf angegriffen, so handelt es sich hierbei um ein Wir haben Wirths Entwicklung bis zur Übernahme des Kanzleramts In Norddeutschland hat man die süddeutschen Politiker, die seit dem Herbst Reichskanzler Wirth „Süddeutsche Zeitung", ihn scharf angegriffen, so handelt es sich hierbei um ein Wir haben Wirths Entwicklung bis zur Übernahme des Kanzleramts In Norddeutschland hat man die süddeutschen Politiker, die seit dem Herbst <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339427"/> <fw type="header" place="top"> Reichskanzler Wirth</fw><lb/> <p xml:id="ID_1089" prev="#ID_1088"> „Süddeutsche Zeitung", ihn scharf angegriffen, so handelt es sich hierbei um ein<lb/> plump ungeschicktes Benehmen; aber es ist auch frivol, zumal wenn man bedenkt,<lb/> daß das Zentrum doch für die religiös-kirchlichen Grundsätze der Deutschnationalen<lb/> Verständnis haben müßte und, wenn es für Religionsunterricht in der Schule<lb/> und ähnliche Dinge eintritt, ohne die Grundsätze der Rechtsparteien gar nicht zum<lb/> Ziel kommen kann. Doch über das Verhältnis Wirths zu Erzberger brauchen<lb/> wir uns nicht weiter zu äußern. Darüber hat der beste Kenner der Persönlich¬<lb/> keiten und der Beziehungen der Zentrumsparteien, Dr. Ed. Stabeler, in<lb/> Nummer 30/31 der Grenzboten und in mehreren Aufsätzen der Wochenschrift<lb/> „Das Gewissen" ausführlich berichtet und Tatsachen festgestellt, welche zeigen,<lb/> daß Erzberger und sein Schüler und Helfer systematisch gegen die Sache des<lb/> Vaterlandes gearbeitet haben und immerfort arbeiten und damit natürlich, trotz<lb/> der unleugbaren augenblicklichen Erfolge, die sie für die Geltung des Katholizismus<lb/> erringen, dem Zentrum und dem Katholizismus schwersten Schaden zufügen.<lb/> Von der geschichtlichen Perspektive aus könnte man noch die Frage aufwerfen, ob<lb/> es im Wesen des Zentrums lag, daß es solche Herrscher wie Erzberger und<lb/> Wirth erhielt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1090"> Wir haben Wirths Entwicklung bis zur Übernahme des Kanzleramts<lb/> geschildert. Es war nach dieser Entwicklung vorauszusehen, daß er das Kanzleramt<lb/> schlecht verwalten würde. Diese Voraussetzung wahr zu machen hat er sich dann<lb/> angelegen sein lassen. Wenn wir vollauf in Rechnung stellen, daß er eine<lb/> unendlich schwere Aufgabe auf sich genommen hat, so kann doch das, was er zu<lb/> den gegebenen Notwendigkeiten durch persönliche Eigenart hinzugetan hat, nur<lb/> mit den Prädikaten belegt werden: ungeschickt, politisch unklug, ohne Zusammen¬<lb/> hang mit dem nationalen Gedanken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1091"> In Norddeutschland hat man die süddeutschen Politiker, die seit dem Herbst<lb/> 1918 Machthaber im Deutschen Reich geworden sind, als Repräsentanten süd¬<lb/> deutscher politischer Unfähigkeit bezeichnet: die vier Staatssekretäre Erzberger,<lb/> Grober, Hausmann, Payer aus Württemberg und die vier genannten Reichs¬<lb/> kanzler aus Baden. Obwohl wir ja dem diesen Politikern gewidmeten Tadel<lb/> keineswegs widersprechen wollen, so möchten wir doch erstens geltend machen,<lb/> daß man in Süddeutschland selbst über diese angeblich klassischen süddeutschen<lb/> Politiker ebensoviel Spott, Hohn. Unwillen und Zorn hören kann wie in Nord-<lb/> deutschland, zweitens, daß uns doch auch Norddeutschland mit mancher eigen¬<lb/> artigen politischen Gestalt beglückt hat: der von der Demokratischen Partei ge¬<lb/> stellte Außenminister Simons hat nach seinen anderen Taten noch kurz vor seinem<lb/> Abgang durch seine Wallfahrt zu dem Wundermann Steiner, der in seiner<lb/> Geschäftlhuberei an Erzberger erinnert, den Spott der Stuttgarter herausgefordert.<lb/> Das geben wir allerdings zu, daß die Geschichte jener vier Württemberger<lb/> und vier Badener eine Blamage für den kindischen Hochmut der süddeutsche,:<lb/> Demokratie darstellt, der jedem Süddeutschen von politischem Urteil auf die Nerven<lb/> gefallen ist, und ein echter Träger dieses kindischen demokratischen Hochmuts war<lb/> und ist auch Wirth, der sich teils aus eigener Eitelkeit, teils zur Verstärkung<lb/> seines agitatorischen Erfolges stets als „Demokrat" gebärdet.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0278]
Reichskanzler Wirth
„Süddeutsche Zeitung", ihn scharf angegriffen, so handelt es sich hierbei um ein
plump ungeschicktes Benehmen; aber es ist auch frivol, zumal wenn man bedenkt,
daß das Zentrum doch für die religiös-kirchlichen Grundsätze der Deutschnationalen
Verständnis haben müßte und, wenn es für Religionsunterricht in der Schule
und ähnliche Dinge eintritt, ohne die Grundsätze der Rechtsparteien gar nicht zum
Ziel kommen kann. Doch über das Verhältnis Wirths zu Erzberger brauchen
wir uns nicht weiter zu äußern. Darüber hat der beste Kenner der Persönlich¬
keiten und der Beziehungen der Zentrumsparteien, Dr. Ed. Stabeler, in
Nummer 30/31 der Grenzboten und in mehreren Aufsätzen der Wochenschrift
„Das Gewissen" ausführlich berichtet und Tatsachen festgestellt, welche zeigen,
daß Erzberger und sein Schüler und Helfer systematisch gegen die Sache des
Vaterlandes gearbeitet haben und immerfort arbeiten und damit natürlich, trotz
der unleugbaren augenblicklichen Erfolge, die sie für die Geltung des Katholizismus
erringen, dem Zentrum und dem Katholizismus schwersten Schaden zufügen.
Von der geschichtlichen Perspektive aus könnte man noch die Frage aufwerfen, ob
es im Wesen des Zentrums lag, daß es solche Herrscher wie Erzberger und
Wirth erhielt.
Wir haben Wirths Entwicklung bis zur Übernahme des Kanzleramts
geschildert. Es war nach dieser Entwicklung vorauszusehen, daß er das Kanzleramt
schlecht verwalten würde. Diese Voraussetzung wahr zu machen hat er sich dann
angelegen sein lassen. Wenn wir vollauf in Rechnung stellen, daß er eine
unendlich schwere Aufgabe auf sich genommen hat, so kann doch das, was er zu
den gegebenen Notwendigkeiten durch persönliche Eigenart hinzugetan hat, nur
mit den Prädikaten belegt werden: ungeschickt, politisch unklug, ohne Zusammen¬
hang mit dem nationalen Gedanken.
In Norddeutschland hat man die süddeutschen Politiker, die seit dem Herbst
1918 Machthaber im Deutschen Reich geworden sind, als Repräsentanten süd¬
deutscher politischer Unfähigkeit bezeichnet: die vier Staatssekretäre Erzberger,
Grober, Hausmann, Payer aus Württemberg und die vier genannten Reichs¬
kanzler aus Baden. Obwohl wir ja dem diesen Politikern gewidmeten Tadel
keineswegs widersprechen wollen, so möchten wir doch erstens geltend machen,
daß man in Süddeutschland selbst über diese angeblich klassischen süddeutschen
Politiker ebensoviel Spott, Hohn. Unwillen und Zorn hören kann wie in Nord-
deutschland, zweitens, daß uns doch auch Norddeutschland mit mancher eigen¬
artigen politischen Gestalt beglückt hat: der von der Demokratischen Partei ge¬
stellte Außenminister Simons hat nach seinen anderen Taten noch kurz vor seinem
Abgang durch seine Wallfahrt zu dem Wundermann Steiner, der in seiner
Geschäftlhuberei an Erzberger erinnert, den Spott der Stuttgarter herausgefordert.
Das geben wir allerdings zu, daß die Geschichte jener vier Württemberger
und vier Badener eine Blamage für den kindischen Hochmut der süddeutsche,:
Demokratie darstellt, der jedem Süddeutschen von politischem Urteil auf die Nerven
gefallen ist, und ein echter Träger dieses kindischen demokratischen Hochmuts war
und ist auch Wirth, der sich teils aus eigener Eitelkeit, teils zur Verstärkung
seines agitatorischen Erfolges stets als „Demokrat" gebärdet.
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