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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Federstriche

Federstriche
An den Pranger

Der Pharus-Verlag in Berlin gibt entgegen den Beschlüssen der deutschen
Kartenverleger und Geographen eine neue Karte Deutschlands heraus, auf der
unsere echten Grenzen (von 1914) überhaupt nicht mehr angedeutet sind und zum
Beispiel Ostpreußen aussieht, als ob es immer eine Insel gewesen, die Ostgrenze
"von Natur" verstümmelt sei. Die Stadt Leipzig schändet sich, indem sie dieses
nicht nur trauererregende, sondern auch für alle möglichen Rechts-, Verkehrs- und
Wirtschaftszwecke unbrauchbare Kartenmachwerk auf dem größten Bahnhöfe Deutsch¬
lands zur Schau stellt.

Der Reichshof in Kissingen hat seinen Namen in "Englischer Hof"
zurückgeändert, obwohl nicht ein einziger Engländer ihm die Huld seiner Gegen¬
wart schenkt-, und gewisse Deutsche gehen trotzdem in diesen Gasthof, der es mit
seiner Versklavung so eilig und schäbig hatte, daß er die alten Formulare sür
seine Rechnungen weiter benutzt unter handschriftlicher Tilgung des Wortes
"Reich".

Verschiedene deutsche Photographen, deren Namen bei Wiederholung
veröffentlicht werden, liefern französischen Zeitschriften Schmähbilder gegen Judas¬
lohn, zum Beispiel "elsäisische Gerichtszeugen gegen deutsche Kriegsverbrecher beim
Betreten des Gerichtshofs". "Deutscher Militarismus von 1921" usw.


"Ansprechende deutsche Eigenschaften"

"Der Deutsche hat eine kennzeichnende, wenn auch nicht gerade ansprechende
Eigenschaft. Er ist ein Meister darin, einen genau zu unterrichten. Ob es nun
für Geld oder aus Rachsucht wegen einer vermeintlichen Unbill geschieht oder in
einigen Fällen, weil er tatsächlich glaubt, daß die Entwaffnung im wahren
Interesse Deutschlands liege -- er wird die Verstecke der Waffen mit verblüffender
Offenheit verraten. Das hat uns viel geholfen."


Gbcrst Repington im Daily Telegraph

"Die Einwohnerwehren müssen aufgelöst werden, weil die Arbeiterklasse
sonst nicht ruhig bleiben könnte.""


Hermann Müller, Reichskanzler a, D,, zum Vertreter des Pariser "Lxcelstor

"So hat man auch die Orgesch ans Messer geliefert. Kein welscher Hahn
hätte nach ihr gekräht," bemerkte hierzu die treue "Deutsche Wacht" in Bonn.


Wirth als Plagiator

Bei den jüngsten Reden des Reichskanzlers ist es bemerkt worden, daß der,
welcher sie verfaßt hat, merkwürdig viele Erinnerungen an schon einmal Gehörtes
gehabt habe. Die Reminiszenzen gehen nun noch weiter zurück als man denkt.
Am 27. November 1832 sprach ein anderer Wirth auf dem berühmten Ham-
bacher Fest:

"In dem Augenblick, wo die deutsche Volksboden in ihr gutes Recht ein¬
gesetzt sein wird, in dem Augenblick ist der innigste Völkerbund geschlossen, denn
das Volk liebt, wo die Könige hassen, das Volk verteidigt, wo die Könige ver¬
folgen, das Volk gönnt das, was es selbst mit seinem Herzblut zu erringen
trachtet und was ihm das Teuerste ist, die Freiheit, Aufklärung, Nationalität und
Volksboden, auch dem Brudervolke; das deutsche Volk gönnt daher diese unschätz-
baren Güter auch seinen Brüdern in Polen. Ungarn usw." ^ "

Denkwürdig für den Gedankenstammbaum deutscher demokratischer Schwärmer
ist auch, was bei derselben Gelegenheit Wirths Mitredakteur Siebenpfecher redete:

"Ja. es wird kommen der Tag, wo die erhabene Germania dasteht auf
dem erzenen Piedestal der Freiheit und des Rechts. Es lebe das freie, das


Federstriche

Federstriche
An den Pranger

Der Pharus-Verlag in Berlin gibt entgegen den Beschlüssen der deutschen
Kartenverleger und Geographen eine neue Karte Deutschlands heraus, auf der
unsere echten Grenzen (von 1914) überhaupt nicht mehr angedeutet sind und zum
Beispiel Ostpreußen aussieht, als ob es immer eine Insel gewesen, die Ostgrenze
„von Natur" verstümmelt sei. Die Stadt Leipzig schändet sich, indem sie dieses
nicht nur trauererregende, sondern auch für alle möglichen Rechts-, Verkehrs- und
Wirtschaftszwecke unbrauchbare Kartenmachwerk auf dem größten Bahnhöfe Deutsch¬
lands zur Schau stellt.

Der Reichshof in Kissingen hat seinen Namen in „Englischer Hof"
zurückgeändert, obwohl nicht ein einziger Engländer ihm die Huld seiner Gegen¬
wart schenkt-, und gewisse Deutsche gehen trotzdem in diesen Gasthof, der es mit
seiner Versklavung so eilig und schäbig hatte, daß er die alten Formulare sür
seine Rechnungen weiter benutzt unter handschriftlicher Tilgung des Wortes
„Reich".

Verschiedene deutsche Photographen, deren Namen bei Wiederholung
veröffentlicht werden, liefern französischen Zeitschriften Schmähbilder gegen Judas¬
lohn, zum Beispiel „elsäisische Gerichtszeugen gegen deutsche Kriegsverbrecher beim
Betreten des Gerichtshofs". „Deutscher Militarismus von 1921" usw.


„Ansprechende deutsche Eigenschaften"

„Der Deutsche hat eine kennzeichnende, wenn auch nicht gerade ansprechende
Eigenschaft. Er ist ein Meister darin, einen genau zu unterrichten. Ob es nun
für Geld oder aus Rachsucht wegen einer vermeintlichen Unbill geschieht oder in
einigen Fällen, weil er tatsächlich glaubt, daß die Entwaffnung im wahren
Interesse Deutschlands liege — er wird die Verstecke der Waffen mit verblüffender
Offenheit verraten. Das hat uns viel geholfen."


Gbcrst Repington im Daily Telegraph

„Die Einwohnerwehren müssen aufgelöst werden, weil die Arbeiterklasse
sonst nicht ruhig bleiben könnte.""


Hermann Müller, Reichskanzler a, D,, zum Vertreter des Pariser „Lxcelstor

„So hat man auch die Orgesch ans Messer geliefert. Kein welscher Hahn
hätte nach ihr gekräht," bemerkte hierzu die treue „Deutsche Wacht" in Bonn.


Wirth als Plagiator

Bei den jüngsten Reden des Reichskanzlers ist es bemerkt worden, daß der,
welcher sie verfaßt hat, merkwürdig viele Erinnerungen an schon einmal Gehörtes
gehabt habe. Die Reminiszenzen gehen nun noch weiter zurück als man denkt.
Am 27. November 1832 sprach ein anderer Wirth auf dem berühmten Ham-
bacher Fest:

„In dem Augenblick, wo die deutsche Volksboden in ihr gutes Recht ein¬
gesetzt sein wird, in dem Augenblick ist der innigste Völkerbund geschlossen, denn
das Volk liebt, wo die Könige hassen, das Volk verteidigt, wo die Könige ver¬
folgen, das Volk gönnt das, was es selbst mit seinem Herzblut zu erringen
trachtet und was ihm das Teuerste ist, die Freiheit, Aufklärung, Nationalität und
Volksboden, auch dem Brudervolke; das deutsche Volk gönnt daher diese unschätz-
baren Güter auch seinen Brüdern in Polen. Ungarn usw." ^ „

Denkwürdig für den Gedankenstammbaum deutscher demokratischer Schwärmer
ist auch, was bei derselben Gelegenheit Wirths Mitredakteur Siebenpfecher redete:

„Ja. es wird kommen der Tag, wo die erhabene Germania dasteht auf
dem erzenen Piedestal der Freiheit und des Rechts. Es lebe das freie, das


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[0265] Federstriche Federstriche An den Pranger Der Pharus-Verlag in Berlin gibt entgegen den Beschlüssen der deutschen Kartenverleger und Geographen eine neue Karte Deutschlands heraus, auf der unsere echten Grenzen (von 1914) überhaupt nicht mehr angedeutet sind und zum Beispiel Ostpreußen aussieht, als ob es immer eine Insel gewesen, die Ostgrenze „von Natur" verstümmelt sei. Die Stadt Leipzig schändet sich, indem sie dieses nicht nur trauererregende, sondern auch für alle möglichen Rechts-, Verkehrs- und Wirtschaftszwecke unbrauchbare Kartenmachwerk auf dem größten Bahnhöfe Deutsch¬ lands zur Schau stellt. Der Reichshof in Kissingen hat seinen Namen in „Englischer Hof" zurückgeändert, obwohl nicht ein einziger Engländer ihm die Huld seiner Gegen¬ wart schenkt-, und gewisse Deutsche gehen trotzdem in diesen Gasthof, der es mit seiner Versklavung so eilig und schäbig hatte, daß er die alten Formulare sür seine Rechnungen weiter benutzt unter handschriftlicher Tilgung des Wortes „Reich". Verschiedene deutsche Photographen, deren Namen bei Wiederholung veröffentlicht werden, liefern französischen Zeitschriften Schmähbilder gegen Judas¬ lohn, zum Beispiel „elsäisische Gerichtszeugen gegen deutsche Kriegsverbrecher beim Betreten des Gerichtshofs". „Deutscher Militarismus von 1921" usw. „Ansprechende deutsche Eigenschaften" „Der Deutsche hat eine kennzeichnende, wenn auch nicht gerade ansprechende Eigenschaft. Er ist ein Meister darin, einen genau zu unterrichten. Ob es nun für Geld oder aus Rachsucht wegen einer vermeintlichen Unbill geschieht oder in einigen Fällen, weil er tatsächlich glaubt, daß die Entwaffnung im wahren Interesse Deutschlands liege — er wird die Verstecke der Waffen mit verblüffender Offenheit verraten. Das hat uns viel geholfen." Gbcrst Repington im Daily Telegraph „Die Einwohnerwehren müssen aufgelöst werden, weil die Arbeiterklasse sonst nicht ruhig bleiben könnte."" Hermann Müller, Reichskanzler a, D,, zum Vertreter des Pariser „Lxcelstor „So hat man auch die Orgesch ans Messer geliefert. Kein welscher Hahn hätte nach ihr gekräht," bemerkte hierzu die treue „Deutsche Wacht" in Bonn. Wirth als Plagiator Bei den jüngsten Reden des Reichskanzlers ist es bemerkt worden, daß der, welcher sie verfaßt hat, merkwürdig viele Erinnerungen an schon einmal Gehörtes gehabt habe. Die Reminiszenzen gehen nun noch weiter zurück als man denkt. Am 27. November 1832 sprach ein anderer Wirth auf dem berühmten Ham- bacher Fest: „In dem Augenblick, wo die deutsche Volksboden in ihr gutes Recht ein¬ gesetzt sein wird, in dem Augenblick ist der innigste Völkerbund geschlossen, denn das Volk liebt, wo die Könige hassen, das Volk verteidigt, wo die Könige ver¬ folgen, das Volk gönnt das, was es selbst mit seinem Herzblut zu erringen trachtet und was ihm das Teuerste ist, die Freiheit, Aufklärung, Nationalität und Volksboden, auch dem Brudervolke; das deutsche Volk gönnt daher diese unschätz- baren Güter auch seinen Brüdern in Polen. Ungarn usw." ^ „ Denkwürdig für den Gedankenstammbaum deutscher demokratischer Schwärmer ist auch, was bei derselben Gelegenheit Wirths Mitredakteur Siebenpfecher redete: „Ja. es wird kommen der Tag, wo die erhabene Germania dasteht auf dem erzenen Piedestal der Freiheit und des Rechts. Es lebe das freie, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/265>, abgerufen am 22.12.2024.