Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.Altes und neues Heet Der Feldwebel langsam bedächtig spricht: "Seit dem vierzehnten Jahr bin Der letzte, der Junge von zwanzig Jahr, verrohten, vertierten Gesichtes, Jm Norden der Stadt, in der Schule liegen im Notquartier die Ulanen. Und nachts verstummt das Erzählen nicht, vom Krieg, vom Tag und der "Seht, Kameraden, nun lernt ihr mehr als wie zehn Jahre vor der Front. Garde-Kavallerie-Schützen-Division Lieber Freund I Wir haben hier auf Veranlassung der Revolutionsregierung eine (politische) Altes und neues Heet Der Feldwebel langsam bedächtig spricht: „Seit dem vierzehnten Jahr bin Der letzte, der Junge von zwanzig Jahr, verrohten, vertierten Gesichtes, Jm Norden der Stadt, in der Schule liegen im Notquartier die Ulanen. Und nachts verstummt das Erzählen nicht, vom Krieg, vom Tag und der „Seht, Kameraden, nun lernt ihr mehr als wie zehn Jahre vor der Front. Garde-Kavallerie-Schützen-Division Lieber Freund I Wir haben hier auf Veranlassung der Revolutionsregierung eine (politische) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339376"/> <fw type="header" place="top"> Altes und neues Heet</fw><lb/> <p xml:id="ID_868"> Der Feldwebel langsam bedächtig spricht: „Seit dem vierzehnten Jahr bin<lb/> ich Soldat. Bin mit dem Soldatentum verwachsen . .. und kann nicht mehr<lb/> los. Nun bin ich vierzig. Und weiß mir nichts besseres als meine Kompagnie.<lb/> Und wie im Frieden und wie in der Schlacht ich meinem Führer die Treue hielt:<lb/> so bleibts! Herr Leutnant I"</p><lb/> <p xml:id="ID_869"> Der letzte, der Junge von zwanzig Jahr, verrohten, vertierten Gesichtes,<lb/> lacht auf: „Ich bin dabei. Solang' es noch zu fressen gibt und Schnaps und<lb/> Zigaretten. Solang' man mir die Löhnung zahlt: daß morgens ich die Grete<lb/> hab' und abends Lies' und Anne: Ich bin dabei! Drei Jahre lag ich im Graben¬<lb/> dreck, nun will ich die Jugend genießen. Und Gott und Vaterland, gewiß recht<lb/> nett, sie kommen nach den Genüssen. Und doch: Mein Heimatland, verdammt<lb/> noch eins, ist in der Polen Hand. Und eine Spartakistenkugel nahm den besten<lb/> Freund am Brückenkopf in Köln: Ich bin dabeiI Was wollt Ihr? Soll ich<lb/> schießen, stechen, plündern, Postenstehn, Patrouillegehn und Feuer legen? Die<lb/> liebste Waffe ist die Handgranate. Befehl, Herr LeutnantI Ja, meine zwanzig¬<lb/> jährigen Fäuste schrei'n nach Tat und aufs Zivil haut jetzt ein rechter Sturm¬<lb/> soldat besonders gerne ein. Ich bin baden"</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_870"> Jm Norden der Stadt, in der Schule liegen im Notquartier die Ulanen.<lb/> Nur Offiziere, die die Not der Zeit ließ kämpfen als gemeine Soldaten. Hausen<lb/> auf Stroh und besorgen Matratzen, fangen die Flöhe und suchen die Läuse. Stehn<lb/> vor der Küche und zanken sich, umkämpfen die besten Plätze zur Nacht: wie die<lb/> gemeinen Soldaten. Säubern die Stuben, Klosetts und den Hof, putzen Gewehre,<lb/> Säbel und Pferde: wie die gemeinen Soldaten. Und abends gehts in die Stadt<lb/> hinein: Reitstiefel, Sporengeklirr, „Kempinski und Traube" staunen wohl sehr: ob<lb/> der gemeinen Soldaten. Der Bürger doch fühlt sich jetzt nicht geniert: denn er<lb/> braucht ja- die Soldaten!</p><lb/> <p xml:id="ID_871"> Und nachts verstummt das Erzählen nicht, vom Krieg, vom Tag und der<lb/> Zukunft. Nun spricht der eine und alles ist still:</p><lb/> <p xml:id="ID_872"> „Seht, Kameraden, nun lernt ihr mehr als wie zehn Jahre vor der Front.<lb/> Nun wißt ihr, warum es uns nicht gelang, den Mann zu hohen Gedanken zu<lb/> zwingen ... zu opfern. Der Kleinkram des Lebens drückt ja so sehr. Und ihn<lb/> mehr als uns. Wir vergaßen das. Und wie beim Militär, so auch beim Volk.<lb/> Und wie wir hier in alle Tiefen steigen und später wieder führen werden, muß<lb/> auch die deutsche Führerschicht erst einmal kühn die Klassenschranken überschreiten;<lb/> dann kann sie wieder von der Höhe führen. Nur wir Jungen können solche<lb/> Schritte tun, sind wir doch zugebunden. Und wie die neue Wehrmacht nur die<lb/> Jugend schaffen kann, kann auch dem Land nur Aufstieg von den Jungen<lb/> kommen."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_873"> Garde-Kavallerie-Schützen-Division<lb/> Berlin, den 15. Februar 1919.</p><lb/> <note type="salute"> Lieber Freund I</note><lb/> <p xml:id="ID_874" next="#ID_875"> Wir haben hier auf Veranlassung der Revolutionsregierung eine (politische)<lb/> Nachrichtenabteilung eingerichtet. Eine Kartothek gibt uns über jeden radikalen<lb/> Führer in Deutschland Aufschluß. Unsere Agenten, Zivil und Militär, sind</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0227]
Altes und neues Heet
Der Feldwebel langsam bedächtig spricht: „Seit dem vierzehnten Jahr bin
ich Soldat. Bin mit dem Soldatentum verwachsen . .. und kann nicht mehr
los. Nun bin ich vierzig. Und weiß mir nichts besseres als meine Kompagnie.
Und wie im Frieden und wie in der Schlacht ich meinem Führer die Treue hielt:
so bleibts! Herr Leutnant I"
Der letzte, der Junge von zwanzig Jahr, verrohten, vertierten Gesichtes,
lacht auf: „Ich bin dabei. Solang' es noch zu fressen gibt und Schnaps und
Zigaretten. Solang' man mir die Löhnung zahlt: daß morgens ich die Grete
hab' und abends Lies' und Anne: Ich bin dabei! Drei Jahre lag ich im Graben¬
dreck, nun will ich die Jugend genießen. Und Gott und Vaterland, gewiß recht
nett, sie kommen nach den Genüssen. Und doch: Mein Heimatland, verdammt
noch eins, ist in der Polen Hand. Und eine Spartakistenkugel nahm den besten
Freund am Brückenkopf in Köln: Ich bin dabeiI Was wollt Ihr? Soll ich
schießen, stechen, plündern, Postenstehn, Patrouillegehn und Feuer legen? Die
liebste Waffe ist die Handgranate. Befehl, Herr LeutnantI Ja, meine zwanzig¬
jährigen Fäuste schrei'n nach Tat und aufs Zivil haut jetzt ein rechter Sturm¬
soldat besonders gerne ein. Ich bin baden"
Jm Norden der Stadt, in der Schule liegen im Notquartier die Ulanen.
Nur Offiziere, die die Not der Zeit ließ kämpfen als gemeine Soldaten. Hausen
auf Stroh und besorgen Matratzen, fangen die Flöhe und suchen die Läuse. Stehn
vor der Küche und zanken sich, umkämpfen die besten Plätze zur Nacht: wie die
gemeinen Soldaten. Säubern die Stuben, Klosetts und den Hof, putzen Gewehre,
Säbel und Pferde: wie die gemeinen Soldaten. Und abends gehts in die Stadt
hinein: Reitstiefel, Sporengeklirr, „Kempinski und Traube" staunen wohl sehr: ob
der gemeinen Soldaten. Der Bürger doch fühlt sich jetzt nicht geniert: denn er
braucht ja- die Soldaten!
Und nachts verstummt das Erzählen nicht, vom Krieg, vom Tag und der
Zukunft. Nun spricht der eine und alles ist still:
„Seht, Kameraden, nun lernt ihr mehr als wie zehn Jahre vor der Front.
Nun wißt ihr, warum es uns nicht gelang, den Mann zu hohen Gedanken zu
zwingen ... zu opfern. Der Kleinkram des Lebens drückt ja so sehr. Und ihn
mehr als uns. Wir vergaßen das. Und wie beim Militär, so auch beim Volk.
Und wie wir hier in alle Tiefen steigen und später wieder führen werden, muß
auch die deutsche Führerschicht erst einmal kühn die Klassenschranken überschreiten;
dann kann sie wieder von der Höhe führen. Nur wir Jungen können solche
Schritte tun, sind wir doch zugebunden. Und wie die neue Wehrmacht nur die
Jugend schaffen kann, kann auch dem Land nur Aufstieg von den Jungen
kommen."
Garde-Kavallerie-Schützen-Division
Berlin, den 15. Februar 1919.
Lieber Freund I
Wir haben hier auf Veranlassung der Revolutionsregierung eine (politische)
Nachrichtenabteilung eingerichtet. Eine Kartothek gibt uns über jeden radikalen
Führer in Deutschland Aufschluß. Unsere Agenten, Zivil und Militär, sind
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