Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.Frankreich, England und die Deutschen demokratische Presse unlogisch, daß ein Bober straflos ausgehe, während angebliche Wie in alten Zeiten, so haben auch jetzt unsere Nationalfehler die Haupt¬ Aber auch ein entwaffnetes Deutschland hätte durch eine einmütige Reaktion Frankreich, England und die Deutschen demokratische Presse unlogisch, daß ein Bober straflos ausgehe, während angebliche Wie in alten Zeiten, so haben auch jetzt unsere Nationalfehler die Haupt¬ Aber auch ein entwaffnetes Deutschland hätte durch eine einmütige Reaktion <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339361"/> <fw type="header" place="top"> Frankreich, England und die Deutschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_816" prev="#ID_815"> demokratische Presse unlogisch, daß ein Bober straflos ausgehe, während angebliche<lb/> deutsche „Kriegsverbrecher" abgeurteilt werden sollen. DaS ist aber sehr logisch.<lb/> Denn die drakonische Mannszucht im eignen Heer bis zum fahrlässigen Mord<lb/> dient ebenso wie der drakonische Justizmord an deutschen „Kriegsverbrechern" der<lb/> Straffung jenes Volksinstinktes, der sich nur bei eigener Energiespannung und<lb/> fortwährender Schwächung Deutschlands in der künstlichen Herrschaft am Rhein<lb/> erhalten kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_817"> Wie in alten Zeiten, so haben auch jetzt unsere Nationalfehler die Haupt¬<lb/> schuld an dem Wachstum der französischen Ansprüche und damit unseres Unglücks.<lb/> Der herrliche Geist unseres Heeres in den ersten Kriegsjahren ließ die Franzosen<lb/> ernsthaft nicht einmal an die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens glauben. Nur<lb/> Englands Zähigkeit hat sie über scheinbar aussichtslose Kriegsjahre hinweg¬<lb/> getragen. Die galvanisierte Fechterstellung Frankreichs seit 1870, der böse Blick,<lb/> mit dem es während der ganzen Zeit unser Gedeihen zu vergiften gesucht hatte,<lb/> seine Opfer an Gut, Blut und sonstigen politischen Vorteilen für das einzige Ziel der<lb/> Revanche, galten jedenfalls bis 1917 allerhöchstens der Wiedergewinnung des Reichs¬<lb/> landes. Erst die innere Zermürbung Deutschlands, der Abfall Karls des Auf¬<lb/> richtigen, die sichtbare Wirkung des demokratischen Gimpelfanges der Wilsonschen<lb/> Reden, die gelungene Reichstagsresolution, das Knistern im Bau Deutschlands,<lb/> das durch offenherzige Parlamentarier ins wohlmeinende Ausland getragen<lb/> wurde, die keimende „Revolution" belebte in einer die Franzosen selbst über¬<lb/> raschenden Weise die Hoffnung auf ein Auseinanderklaffen der »äeux ^IlemaZnss".<lb/> Es trat ein, und wir waren verloren, gaben Frankreich mehr als es erträumt hatte,<lb/> und jetzt ist es gegen Englands und Amerikas Wunsch in eine neue napoleonische<lb/> Rhein-Narkose versetzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_818"> Aber auch ein entwaffnetes Deutschland hätte durch eine einmütige Reaktion<lb/> des Willens und der Empfindung die Franzosen von diesem Rausch heilen<lb/> können, bevor es zu spät war. Jetzt aber kamen die fürchterlichen Jahre, in<lb/> denen wir uns mit Weimarer Verfassung, Sozialisierung, Orgeschbekämpfung usw.<lb/> vergnügten und von einem deutsch-französischen Ausgleich redeten, zugleich aber<lb/> genau wie im Mittelalter durch vollendete Hilflosigkeit im Erkennen und Ab¬<lb/> reagieren der französischen Politik deren Ziele und Erwartungen aufs höchste<lb/> emporschraubten. Aus politischer Romantik, aus „Los von Berlin"°Taumel,<lb/> aus konfessionellen, partikularistischen oder privaten Interessen, aus einem Wirr¬<lb/> warr von verworrenen, unreinlichen Instinkten spalteten wir uns und machten<lb/> die Franzosen, glauben, daß sie mit der alten Mischung brutaler Gewalt,<lb/> heuchlerischer Phrasen und gemeiner Bestechung das Hinabrutschen der stolzen<lb/> Bismarckenkel in die Sklaverei bewirken könnten. Die moderne Kohlenwirtschaft<lb/> und Kriegstechnik macht das Beherrschen Deutschlands, vorausgesetzt, daß die<lb/> Seele unseres Volkes so krank bleibe, leichter als je. Hat Frankreich unsere<lb/> Kohlenbecken in der Hand, so bleibt der Rest des „freien" Deutschlands<lb/> abhängiger, unterworfener als Tonking. Die Versuchung ist also riesengroß und<lb/> wird durch jedes Geschwätz deutscher Minister von Ausgleich, Erfüllen der lediglich<lb/> zum Vorwand immer neuer Daumenschrauben auferlegten, deshalb niemals<lb/> ernstlich erfüllbaren Bedingungen, ferner durch jede brudermörderische inner¬<lb/> parteiliche Betätigung Deutscher gegeneinander täglich neu gesteigert.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
Frankreich, England und die Deutschen
demokratische Presse unlogisch, daß ein Bober straflos ausgehe, während angebliche
deutsche „Kriegsverbrecher" abgeurteilt werden sollen. DaS ist aber sehr logisch.
Denn die drakonische Mannszucht im eignen Heer bis zum fahrlässigen Mord
dient ebenso wie der drakonische Justizmord an deutschen „Kriegsverbrechern" der
Straffung jenes Volksinstinktes, der sich nur bei eigener Energiespannung und
fortwährender Schwächung Deutschlands in der künstlichen Herrschaft am Rhein
erhalten kann.
Wie in alten Zeiten, so haben auch jetzt unsere Nationalfehler die Haupt¬
schuld an dem Wachstum der französischen Ansprüche und damit unseres Unglücks.
Der herrliche Geist unseres Heeres in den ersten Kriegsjahren ließ die Franzosen
ernsthaft nicht einmal an die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens glauben. Nur
Englands Zähigkeit hat sie über scheinbar aussichtslose Kriegsjahre hinweg¬
getragen. Die galvanisierte Fechterstellung Frankreichs seit 1870, der böse Blick,
mit dem es während der ganzen Zeit unser Gedeihen zu vergiften gesucht hatte,
seine Opfer an Gut, Blut und sonstigen politischen Vorteilen für das einzige Ziel der
Revanche, galten jedenfalls bis 1917 allerhöchstens der Wiedergewinnung des Reichs¬
landes. Erst die innere Zermürbung Deutschlands, der Abfall Karls des Auf¬
richtigen, die sichtbare Wirkung des demokratischen Gimpelfanges der Wilsonschen
Reden, die gelungene Reichstagsresolution, das Knistern im Bau Deutschlands,
das durch offenherzige Parlamentarier ins wohlmeinende Ausland getragen
wurde, die keimende „Revolution" belebte in einer die Franzosen selbst über¬
raschenden Weise die Hoffnung auf ein Auseinanderklaffen der Ȋeux ^IlemaZnss".
Es trat ein, und wir waren verloren, gaben Frankreich mehr als es erträumt hatte,
und jetzt ist es gegen Englands und Amerikas Wunsch in eine neue napoleonische
Rhein-Narkose versetzt.
Aber auch ein entwaffnetes Deutschland hätte durch eine einmütige Reaktion
des Willens und der Empfindung die Franzosen von diesem Rausch heilen
können, bevor es zu spät war. Jetzt aber kamen die fürchterlichen Jahre, in
denen wir uns mit Weimarer Verfassung, Sozialisierung, Orgeschbekämpfung usw.
vergnügten und von einem deutsch-französischen Ausgleich redeten, zugleich aber
genau wie im Mittelalter durch vollendete Hilflosigkeit im Erkennen und Ab¬
reagieren der französischen Politik deren Ziele und Erwartungen aufs höchste
emporschraubten. Aus politischer Romantik, aus „Los von Berlin"°Taumel,
aus konfessionellen, partikularistischen oder privaten Interessen, aus einem Wirr¬
warr von verworrenen, unreinlichen Instinkten spalteten wir uns und machten
die Franzosen, glauben, daß sie mit der alten Mischung brutaler Gewalt,
heuchlerischer Phrasen und gemeiner Bestechung das Hinabrutschen der stolzen
Bismarckenkel in die Sklaverei bewirken könnten. Die moderne Kohlenwirtschaft
und Kriegstechnik macht das Beherrschen Deutschlands, vorausgesetzt, daß die
Seele unseres Volkes so krank bleibe, leichter als je. Hat Frankreich unsere
Kohlenbecken in der Hand, so bleibt der Rest des „freien" Deutschlands
abhängiger, unterworfener als Tonking. Die Versuchung ist also riesengroß und
wird durch jedes Geschwätz deutscher Minister von Ausgleich, Erfüllen der lediglich
zum Vorwand immer neuer Daumenschrauben auferlegten, deshalb niemals
ernstlich erfüllbaren Bedingungen, ferner durch jede brudermörderische inner¬
parteiliche Betätigung Deutscher gegeneinander täglich neu gesteigert.
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