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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Bülow in Rom

reichischcn Niederlagen und die Zurückhaltung der deutschen Hochseeflotte eine Ver¬
steifung der Kriegslagc und ein politisches Übergewicht der Entente in der.ganzen
Welt eingetreten, die es für die deutsche Politik nur mehr möglich machte, die
dauernde Neutralität Italiens anzustreben. Von vornherein war denen, welche
die Welt und die Geschichte kannten (wie wenige waren dies bei uns), klar, daß
wir den Krieg, und zwar den für unsere ganze Zukunft entscheidenden Weltkrieg
nicht gewinnen könnten, wenn Italien im Frühjahr 1915 an der Seite der Entente
dle Waffen erhob. Blieb es neutral, so durften wir noch hoffen. In Rom, nicht
auf den Schlachtfeldern der Champagne, Masureus oder der Dardanellen wurde im
Winter 1914/15 das deutsche Schicksal gemacht. Das fühlten wir, die wir in Rom
täglich diese Zusammenhänge erwogen, und es fröstelte jeden von uns im Inner¬
sten, wenn wir zu bemerken glaubten, daß die Vorstellungen Bülows in Berlin und
Wien mit derselben tatschenen Dämmerhastigkeit aufgenommen wurden, die unser
Hincintorkeln in den Krieg charakterisiert hatte. Wo war der Schutzgeist, der in
die Gehirne der Reichskanzlei und des Reichstags einen Funken jener sorgenden
Erkenntnis warf, der sie aufrüttelte zu einer Tat? Unter der Zensur, bei der
allgemeinen unkritischen Selbstüberschätzung, die bei uns daheim herrschte, war ja
nichts anderes zu tun, als schreiben, depeschieren, warnen, bitten, beschwören.
Dies tat der Altreichskanzler, der seine Tätigkeit verzehnfachte. Und so tief waren
die Hoffnungen der Eingeweihten gesunken, daß uns selbst die dreimalige Ankunst
Erzbergers in Rom als das Nahen eines Rettnngsengels erschien. Freilich war
für diesen robusten Schutzgeist die Hauptsache, seine Hände auch hier "mitten¬
mang" zu haben, und erreicht hat auch er nichts Entscheidendes, obwohl die Wil¬
helmstraße nur vor ihm, und sonst nichts in der Welt, zitterte. Das Verhängnis
nahm seinen Lauf.

Aber welche mögliche Tat, welche Rettung konnte denn Bülow vorzeichnen?

Es gab nur einen einzigen Weg; die nach Kriegsausbruch vou Italien in
Berlin angeregten, damals von Bethmann überhörten Wünsche nach einer Kom¬
pensation für die österreichische Machterweiterung aus dem Balkan (und damit der
Z 7 des Dreibuudvertrages) mußten zur Zufriedenstellung Italiens erfüllt wer¬
den. Es handelte sich um Zugeständnisse, die für Osterreich schmerzlich, aber in
keiner Weise vital waren? um die Amputation eines Fingers, um den ganzen
Körper zu retten. Es handelte sich, wie der angesehenste, auch in seiner Piemonteser
Privatvilla als Führer der Kammer geachtete Politiker Giolitti damals in die
Öffentlichkeit warf, um "Einiges" (?areLLriio), nicht Vieles. Es handelte sich vor
allein um die Abtretung des welschen Südtirols, ferner um gewisse Autonomie¬
forderungen für Trieft u. tgi. Auf die einzelnen Phasen der mißglückter Ver¬
handlungen einzugehen, würde hier nicht am Platze sein. Das meiste Tatsächliche
ist durch die Rot- und Grünbücher und die Memoircuvervffentlichungen bekannt
geworden, wobei aber ^zu einer wirklichen Geschichtsschreibung immer noch die
wesentlichste Voraussetzung, die Kenntnis der Verhandlungen Sonninos mit der
Entente fehlt. Hier soll nur die Atmosphäre dieser Verhandlungen gekenn¬
zeichnet werden.

Wenn Bülow vom ersten Tage seines römischen Aufenthaltes jede Faser
seiner Kraft an die Erzwingung der österreichischen Kompensationen setzte, so
mußte er sich klar sein darüber, ob dadurch die Neutralität Italiens wirklich ver-


Bülow in Rom

reichischcn Niederlagen und die Zurückhaltung der deutschen Hochseeflotte eine Ver¬
steifung der Kriegslagc und ein politisches Übergewicht der Entente in der.ganzen
Welt eingetreten, die es für die deutsche Politik nur mehr möglich machte, die
dauernde Neutralität Italiens anzustreben. Von vornherein war denen, welche
die Welt und die Geschichte kannten (wie wenige waren dies bei uns), klar, daß
wir den Krieg, und zwar den für unsere ganze Zukunft entscheidenden Weltkrieg
nicht gewinnen könnten, wenn Italien im Frühjahr 1915 an der Seite der Entente
dle Waffen erhob. Blieb es neutral, so durften wir noch hoffen. In Rom, nicht
auf den Schlachtfeldern der Champagne, Masureus oder der Dardanellen wurde im
Winter 1914/15 das deutsche Schicksal gemacht. Das fühlten wir, die wir in Rom
täglich diese Zusammenhänge erwogen, und es fröstelte jeden von uns im Inner¬
sten, wenn wir zu bemerken glaubten, daß die Vorstellungen Bülows in Berlin und
Wien mit derselben tatschenen Dämmerhastigkeit aufgenommen wurden, die unser
Hincintorkeln in den Krieg charakterisiert hatte. Wo war der Schutzgeist, der in
die Gehirne der Reichskanzlei und des Reichstags einen Funken jener sorgenden
Erkenntnis warf, der sie aufrüttelte zu einer Tat? Unter der Zensur, bei der
allgemeinen unkritischen Selbstüberschätzung, die bei uns daheim herrschte, war ja
nichts anderes zu tun, als schreiben, depeschieren, warnen, bitten, beschwören.
Dies tat der Altreichskanzler, der seine Tätigkeit verzehnfachte. Und so tief waren
die Hoffnungen der Eingeweihten gesunken, daß uns selbst die dreimalige Ankunst
Erzbergers in Rom als das Nahen eines Rettnngsengels erschien. Freilich war
für diesen robusten Schutzgeist die Hauptsache, seine Hände auch hier „mitten¬
mang" zu haben, und erreicht hat auch er nichts Entscheidendes, obwohl die Wil¬
helmstraße nur vor ihm, und sonst nichts in der Welt, zitterte. Das Verhängnis
nahm seinen Lauf.

Aber welche mögliche Tat, welche Rettung konnte denn Bülow vorzeichnen?

Es gab nur einen einzigen Weg; die nach Kriegsausbruch vou Italien in
Berlin angeregten, damals von Bethmann überhörten Wünsche nach einer Kom¬
pensation für die österreichische Machterweiterung aus dem Balkan (und damit der
Z 7 des Dreibuudvertrages) mußten zur Zufriedenstellung Italiens erfüllt wer¬
den. Es handelte sich um Zugeständnisse, die für Osterreich schmerzlich, aber in
keiner Weise vital waren? um die Amputation eines Fingers, um den ganzen
Körper zu retten. Es handelte sich, wie der angesehenste, auch in seiner Piemonteser
Privatvilla als Führer der Kammer geachtete Politiker Giolitti damals in die
Öffentlichkeit warf, um „Einiges" (?areLLriio), nicht Vieles. Es handelte sich vor
allein um die Abtretung des welschen Südtirols, ferner um gewisse Autonomie¬
forderungen für Trieft u. tgi. Auf die einzelnen Phasen der mißglückter Ver¬
handlungen einzugehen, würde hier nicht am Platze sein. Das meiste Tatsächliche
ist durch die Rot- und Grünbücher und die Memoircuvervffentlichungen bekannt
geworden, wobei aber ^zu einer wirklichen Geschichtsschreibung immer noch die
wesentlichste Voraussetzung, die Kenntnis der Verhandlungen Sonninos mit der
Entente fehlt. Hier soll nur die Atmosphäre dieser Verhandlungen gekenn¬
zeichnet werden.

Wenn Bülow vom ersten Tage seines römischen Aufenthaltes jede Faser
seiner Kraft an die Erzwingung der österreichischen Kompensationen setzte, so
mußte er sich klar sein darüber, ob dadurch die Neutralität Italiens wirklich ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/183>, abgerufen am 23.12.2024.