Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Altes und neues Heer

Altes und neues Heer
v einem jungen Frontoffizier on I. Zusammenbruch

Vorklang. 1916. Von Urlaub. Was sahst du? -- Zusammenbruch! -- Wie sahst
du's? -- BerlinII Was noch? -- Ziellosigkeit. Nach außen. Nach innen. -- Was
nun?

n rosa Gold strahlen die Fenster von Kiel. Ein Purpurball kündigt
den neuen Tag. Und die rate Flagge westl

Ein Linienschiff. Am Geschütz ohne Verschluß die Matrofen.
Und auf dem Rohr: der lange John. Haß sprühen die Augen,,
Haß der Mund, Haß heißt die schwarze Locke in der Stirn. Was
darben die Frauen zu Haus? Was mästen Offiziere sich hier? Was Sklave man
uns ein in Kasematten? Fünf Jahre schon. Warum? Wozu? Wozu? Geben
die Offiziere Antwort? Gibt die Politik Antwort? Phrasen, Phrasen? Wer
nimmt in Kiel euch die Weiber weg? Drückeberger! sanft den Sekt in Strömen?
Kriegsgewinnler! Und für euch? Kohlrüben! Haben vergebens auf Wache ge¬
legen. Konnten besser bei Muttern sitzen. Und sagt, Was schikaniert man uns?
Sind wir Hampelmänner? Fluchwürdiges System! Schluß mit Soldatenspiel l
Schluß mit dem Heldentod! Friede, Freiheit, Brot! Holt die Gewehre, holt die
Pistolen! Macht euch frei! Frei von den Fesseln, vom Druck des Krieges! Frei
vom Kommiß! Frei, frei, nur einmal frei, nur einmal Herr, nicht Sklave wollen
wir sein!

Die Käsematte ist schwarz. Der Leutnant spricht zu den Leuten: Eid, wie?
-- Dreck, Leutnant! -- Alles Deutsche wir! -- Auf einmal Leutnant! -- Ich
chikanierte euch? -- Ja, Leutnant! -- Tat's nicht zum Spaß. -- Doch, Leutnant. --
War Werkzeug höherer Ordnung! -- Phrase, Leutnant. Und wenn! Haß dieser
Ordnung I

Auf dem "König". Der Kommandant: Kriegsflagge bleibt! Matrose: Bleibt
nicht! Gewalt. Matrose fällt. Und neben ihm der Kommandant, dazu sein
Adjutant. Die rote Fahne weht.

Ein blauer Zug. Ein schwarzer Zug. Kein Eichenlaub und Achselstück.
Zweihundert Offiziere! Und vorneweg der Deckoffizier. Marsch zum Gewerkschafts¬
haus in Kiel!

Matrosen im Kasernenhof. Über dreitausend. Starren hinauf. Tornister
von oben! Brot und Speck, Waffen, Schuhe und Neue Kleider! Im neuen Putz
des abends zu den Mädchen!




,>,,
Wilhelmshaven, 12./9. 18. Lieber Freund! Was sie wollen? . . Gleiches
Essen .. kein Exerzierdienst. . kein Grußzwang .. nachmittags Urlaub . . bis zum
Wecken .. kein Arztbefehl.. kein Kirchgang .. Vertrauenskommission für Strafe,
Urlaub, Dienst .. Wozu da die Revolte? Ach wohl, noch eins? Nachricht,
wenn's zum Kampfe geht. Ich seh den Tag, da ich mich schäme blau zu tragen --
Warum's geschah? Sieben Jahrgänge gepfercht in eine Käsematte.. Fünf Jahre
untätig .. Offiziere und wir: nervös .. Innenpolitik: Phrasen .. Außenpolitik:


Altes und neues Heer

Altes und neues Heer
v einem jungen Frontoffizier on I. Zusammenbruch

Vorklang. 1916. Von Urlaub. Was sahst du? — Zusammenbruch! — Wie sahst
du's? — BerlinII Was noch? — Ziellosigkeit. Nach außen. Nach innen. — Was
nun?

n rosa Gold strahlen die Fenster von Kiel. Ein Purpurball kündigt
den neuen Tag. Und die rate Flagge westl

Ein Linienschiff. Am Geschütz ohne Verschluß die Matrofen.
Und auf dem Rohr: der lange John. Haß sprühen die Augen,,
Haß der Mund, Haß heißt die schwarze Locke in der Stirn. Was
darben die Frauen zu Haus? Was mästen Offiziere sich hier? Was Sklave man
uns ein in Kasematten? Fünf Jahre schon. Warum? Wozu? Wozu? Geben
die Offiziere Antwort? Gibt die Politik Antwort? Phrasen, Phrasen? Wer
nimmt in Kiel euch die Weiber weg? Drückeberger! sanft den Sekt in Strömen?
Kriegsgewinnler! Und für euch? Kohlrüben! Haben vergebens auf Wache ge¬
legen. Konnten besser bei Muttern sitzen. Und sagt, Was schikaniert man uns?
Sind wir Hampelmänner? Fluchwürdiges System! Schluß mit Soldatenspiel l
Schluß mit dem Heldentod! Friede, Freiheit, Brot! Holt die Gewehre, holt die
Pistolen! Macht euch frei! Frei von den Fesseln, vom Druck des Krieges! Frei
vom Kommiß! Frei, frei, nur einmal frei, nur einmal Herr, nicht Sklave wollen
wir sein!

Die Käsematte ist schwarz. Der Leutnant spricht zu den Leuten: Eid, wie?
— Dreck, Leutnant! — Alles Deutsche wir! — Auf einmal Leutnant! — Ich
chikanierte euch? — Ja, Leutnant! — Tat's nicht zum Spaß. — Doch, Leutnant. —
War Werkzeug höherer Ordnung! — Phrase, Leutnant. Und wenn! Haß dieser
Ordnung I

Auf dem „König". Der Kommandant: Kriegsflagge bleibt! Matrose: Bleibt
nicht! Gewalt. Matrose fällt. Und neben ihm der Kommandant, dazu sein
Adjutant. Die rote Fahne weht.

Ein blauer Zug. Ein schwarzer Zug. Kein Eichenlaub und Achselstück.
Zweihundert Offiziere! Und vorneweg der Deckoffizier. Marsch zum Gewerkschafts¬
haus in Kiel!

Matrosen im Kasernenhof. Über dreitausend. Starren hinauf. Tornister
von oben! Brot und Speck, Waffen, Schuhe und Neue Kleider! Im neuen Putz
des abends zu den Mädchen!




,>,,
Wilhelmshaven, 12./9. 18. Lieber Freund! Was sie wollen? . . Gleiches
Essen .. kein Exerzierdienst. . kein Grußzwang .. nachmittags Urlaub . . bis zum
Wecken .. kein Arztbefehl.. kein Kirchgang .. Vertrauenskommission für Strafe,
Urlaub, Dienst .. Wozu da die Revolte? Ach wohl, noch eins? Nachricht,
wenn's zum Kampfe geht. Ich seh den Tag, da ich mich schäme blau zu tragen —
Warum's geschah? Sieben Jahrgänge gepfercht in eine Käsematte.. Fünf Jahre
untätig .. Offiziere und wir: nervös .. Innenpolitik: Phrasen .. Außenpolitik:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339311"/>
          <fw type="header" place="top"> Altes und neues Heer</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Altes und neues Heer<lb/>
v<note type="byline"> einem jungen Frontoffizier</note> on I. Zusammenbruch </head><lb/>
          <note type="argument"> Vorklang. 1916. Von Urlaub. Was sahst du? &#x2014; Zusammenbruch! &#x2014; Wie sahst<lb/>
du's? &#x2014; BerlinII Was noch? &#x2014; Ziellosigkeit. Nach außen. Nach innen. &#x2014; Was<lb/>
nun? </note>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_567"> n rosa Gold strahlen die Fenster von Kiel. Ein Purpurball kündigt<lb/>
den neuen Tag. Und die rate Flagge westl</p><lb/>
          <p xml:id="ID_568"> Ein Linienschiff. Am Geschütz ohne Verschluß die Matrofen.<lb/>
Und auf dem Rohr: der lange John. Haß sprühen die Augen,,<lb/>
Haß der Mund, Haß heißt die schwarze Locke in der Stirn. Was<lb/>
darben die Frauen zu Haus? Was mästen Offiziere sich hier? Was Sklave man<lb/>
uns ein in Kasematten? Fünf Jahre schon. Warum? Wozu? Wozu? Geben<lb/>
die Offiziere Antwort? Gibt die Politik Antwort? Phrasen, Phrasen? Wer<lb/>
nimmt in Kiel euch die Weiber weg? Drückeberger! sanft den Sekt in Strömen?<lb/>
Kriegsgewinnler! Und für euch? Kohlrüben! Haben vergebens auf Wache ge¬<lb/>
legen. Konnten besser bei Muttern sitzen. Und sagt, Was schikaniert man uns?<lb/>
Sind wir Hampelmänner? Fluchwürdiges System! Schluß mit Soldatenspiel l<lb/>
Schluß mit dem Heldentod! Friede, Freiheit, Brot! Holt die Gewehre, holt die<lb/>
Pistolen! Macht euch frei! Frei von den Fesseln, vom Druck des Krieges! Frei<lb/>
vom Kommiß! Frei, frei, nur einmal frei, nur einmal Herr, nicht Sklave wollen<lb/>
wir sein!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_569"> Die Käsematte ist schwarz. Der Leutnant spricht zu den Leuten: Eid, wie?<lb/>
&#x2014; Dreck, Leutnant! &#x2014; Alles Deutsche wir! &#x2014; Auf einmal Leutnant! &#x2014; Ich<lb/>
chikanierte euch? &#x2014; Ja, Leutnant! &#x2014; Tat's nicht zum Spaß. &#x2014; Doch, Leutnant. &#x2014;<lb/>
War Werkzeug höherer Ordnung! &#x2014; Phrase, Leutnant. Und wenn! Haß dieser<lb/>
Ordnung I</p><lb/>
          <p xml:id="ID_570"> Auf dem &#x201E;König". Der Kommandant: Kriegsflagge bleibt! Matrose: Bleibt<lb/>
nicht! Gewalt. Matrose fällt. Und neben ihm der Kommandant, dazu sein<lb/>
Adjutant. Die rote Fahne weht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_571"> Ein blauer Zug. Ein schwarzer Zug. Kein Eichenlaub und Achselstück.<lb/>
Zweihundert Offiziere! Und vorneweg der Deckoffizier. Marsch zum Gewerkschafts¬<lb/>
haus in Kiel!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_572"> Matrosen im Kasernenhof. Über dreitausend. Starren hinauf. Tornister<lb/>
von oben! Brot und Speck, Waffen, Schuhe und Neue Kleider! Im neuen Putz<lb/>
des abends zu den Mädchen!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_573" next="#ID_574"> ,&gt;,,<lb/>
Wilhelmshaven, 12./9. 18. Lieber Freund! Was sie wollen? . . Gleiches<lb/>
Essen .. kein Exerzierdienst. . kein Grußzwang .. nachmittags Urlaub . . bis zum<lb/>
Wecken .. kein Arztbefehl.. kein Kirchgang .. Vertrauenskommission für Strafe,<lb/>
Urlaub, Dienst .. Wozu da die Revolte? Ach wohl, noch eins? Nachricht,<lb/>
wenn's zum Kampfe geht. Ich seh den Tag, da ich mich schäme blau zu tragen &#x2014;<lb/>
Warum's geschah? Sieben Jahrgänge gepfercht in eine Käsematte.. Fünf Jahre<lb/>
untätig .. Offiziere und wir: nervös .. Innenpolitik: Phrasen .. Außenpolitik:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0162] Altes und neues Heer Altes und neues Heer v einem jungen Frontoffizier on I. Zusammenbruch Vorklang. 1916. Von Urlaub. Was sahst du? — Zusammenbruch! — Wie sahst du's? — BerlinII Was noch? — Ziellosigkeit. Nach außen. Nach innen. — Was nun? n rosa Gold strahlen die Fenster von Kiel. Ein Purpurball kündigt den neuen Tag. Und die rate Flagge westl Ein Linienschiff. Am Geschütz ohne Verschluß die Matrofen. Und auf dem Rohr: der lange John. Haß sprühen die Augen,, Haß der Mund, Haß heißt die schwarze Locke in der Stirn. Was darben die Frauen zu Haus? Was mästen Offiziere sich hier? Was Sklave man uns ein in Kasematten? Fünf Jahre schon. Warum? Wozu? Wozu? Geben die Offiziere Antwort? Gibt die Politik Antwort? Phrasen, Phrasen? Wer nimmt in Kiel euch die Weiber weg? Drückeberger! sanft den Sekt in Strömen? Kriegsgewinnler! Und für euch? Kohlrüben! Haben vergebens auf Wache ge¬ legen. Konnten besser bei Muttern sitzen. Und sagt, Was schikaniert man uns? Sind wir Hampelmänner? Fluchwürdiges System! Schluß mit Soldatenspiel l Schluß mit dem Heldentod! Friede, Freiheit, Brot! Holt die Gewehre, holt die Pistolen! Macht euch frei! Frei von den Fesseln, vom Druck des Krieges! Frei vom Kommiß! Frei, frei, nur einmal frei, nur einmal Herr, nicht Sklave wollen wir sein! Die Käsematte ist schwarz. Der Leutnant spricht zu den Leuten: Eid, wie? — Dreck, Leutnant! — Alles Deutsche wir! — Auf einmal Leutnant! — Ich chikanierte euch? — Ja, Leutnant! — Tat's nicht zum Spaß. — Doch, Leutnant. — War Werkzeug höherer Ordnung! — Phrase, Leutnant. Und wenn! Haß dieser Ordnung I Auf dem „König". Der Kommandant: Kriegsflagge bleibt! Matrose: Bleibt nicht! Gewalt. Matrose fällt. Und neben ihm der Kommandant, dazu sein Adjutant. Die rote Fahne weht. Ein blauer Zug. Ein schwarzer Zug. Kein Eichenlaub und Achselstück. Zweihundert Offiziere! Und vorneweg der Deckoffizier. Marsch zum Gewerkschafts¬ haus in Kiel! Matrosen im Kasernenhof. Über dreitausend. Starren hinauf. Tornister von oben! Brot und Speck, Waffen, Schuhe und Neue Kleider! Im neuen Putz des abends zu den Mädchen! ,>,, Wilhelmshaven, 12./9. 18. Lieber Freund! Was sie wollen? . . Gleiches Essen .. kein Exerzierdienst. . kein Grußzwang .. nachmittags Urlaub . . bis zum Wecken .. kein Arztbefehl.. kein Kirchgang .. Vertrauenskommission für Strafe, Urlaub, Dienst .. Wozu da die Revolte? Ach wohl, noch eins? Nachricht, wenn's zum Kampfe geht. Ich seh den Tag, da ich mich schäme blau zu tragen — Warum's geschah? Sieben Jahrgänge gepfercht in eine Käsematte.. Fünf Jahre untätig .. Offiziere und wir: nervös .. Innenpolitik: Phrasen .. Außenpolitik:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/162
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/162>, abgerufen am 22.12.2024.