Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
ZVeltspiegel

schärfte Provokationen des schließlich und nach allem, was seit zwei Jahren ge¬
schehen, immerhin nicht ganz unberechtigten deutschen Unmuts Oberschlesien den
Polen zuzuschanzen, von keiner Rücksicht als die auf deu alleroberflächlichsten
Schein behindert fort, bestehen die "Sanktionen" am Rhein unter richtigen Vor¬
wand weiter, bleibt der Druck zur widersinnigen Einführung französischer Luxus-
waren nach Deutschland bestehen, bleibt deutsches Land am Rhein weiter unter ver¬
schwenderischen und barbarischem Druck weiter besetzt, werden die Versuche fortgesetzt,
es von Deutschland loszulösen (wer die dahingehender Tendenzen in seltener
Vollständigkeit beisammen haben will, besorge sich die Nummer von 2. Juli der
in Köln erscheinenden "Rheinischen Republick" mit dem Bericht über die Partei¬
konferenz der rheinischen republikanischen Volkspartei, deren Bedeutung selbst mit
diesem Hinweis aber nicht überschätzt werden soll), darf der frühere Präsident
der französischen Politik mit schöner französischer Ritterlichkeit fortwährend unwahre
und hetzerische Artikel gegen das unter so gloriosen Zahlungen sachte aus¬
blutende Deutschland veröffentlichen, dürfen die interparlamentarischen Verbände
Frankreichs und Belgiens jedes Zusammentreffen mit Deutschen wie mit Ver¬
schulden vermeiden, darf der französische Ministerpräsident Reden halten, die man'
wenn in seiner Lage ein Deutscher spräche, als den Gipfel politischer Ungeschick¬
lichkeit hingestellt hätte und die auf jeden Fall nicht anders" bezeichnet werden
können, denn als Fußtritte eines von jeder Rücksichtnahme auf Alliierte wie auf
das Urteil der Welt sich entbunden fühlenden Siegers an ein erst hinterlistig be¬
trogenes, dann vergewaltigtes, dann geschmähtes, bedrohtes, verängstigtes und
im tiefsten gedemütigtes Volk. Wo ist, bitte, wo ist die berühmte "Entgiftung"
der weltpolitischen Atmosphäre, die angeblich durch Annahme des Londoner Ulti¬
matums eintreten sollte? Jetzt droht der Kanzler mit Rücktritt. Droht wem?
der Entente? Aber der kann gar nichts Angenehmeres passieren, als wenn das
Kabinett Wirth stürzt. Kommt dann ein noch weiter links gerichtetes, das, um
guten Willen zu beweisen, zur Feier einer endgültigen, unaufgeforderten Abtretung
Oberschlesiens an Polen Zeughaus, Reichstag und Wilhelmstraße illuminieren läßt
und zur Antrinkung eines allgemeinen Freudenrausches von Reichswegen den
Ankauf von 60 Millionen Flaschen französischen Champagners bewilligt, dann
gibt es begreiflicherweise Mord und Totschlag in Deutschland, und was kann
den Franzosen angenehmeres passieren, als wenn sich die 20 Millionen Deutsche
zuviel auf diese Weise schleunigst selbst wegschaffen? Oder es kommt ein Reichs¬
kabinett, das den sich in ihrem schlechten Gewissen ständig "bedroht" fühlenden
Franzosen nur neue und äußerst willkommene Vorwände zu weiteren Pressionen
(dies ist das vornehmere Wort für Erpressungen) liefern wird. Mit solchen Aus¬
sichten kann man nicht drohen, das hätte man sich gefälligst vorher überlegen
sollen. Die Franzosen stehen heute auf dem Standpunkt: nur ja nichts dem
Kabinett Wirth zuliebe tun, denn davon werden nur die über kurz oder lang
doch wieder ans Ruder kommenden Rechtsparteien Nutzen ziehen. Wenn aber
der Kanzler über die Politik der Entente betreffs Oberschlesien Und der Sank¬
tionen bewegliche Klage führt, so beweist er damit nur, daß er sein Amt mit
unglaublicher Leichtfertigkeit angetreten hat. Wer solche Verpflichtungen über¬
nahm, mußte Bürgschaften besitzen, daß eine derartige Politik werde durchgeführt
werden können, wer sie nicht hatte, durfte nicht annehmen. Denn das Damokles¬
schwert der Nuhrgebietsbesetzung schwebt ja weiter über uns'und gewonnen ist
nichts als die Hinauszögerung eines Endes mit Schrecken.

Nun gibt es natürlich kluge Leute, die sagen: solche Reden Briands sind
gar nicht so schlimm gemeint, die dienen nur dazu, seine Kammern zu beruhigen,
sich selbst an der Macht zu erhalten und sich dann gerade unter der Hand auf
diese Weise die Möglichkeit zu schaffen, seine versöhnliche oder sachliche Politik,
seine positive Wiederaufbaupolitik weiter zu verfolgen. Zugegeben, daß einiges
Wahre daran ist, so bleibe diese Taktik eben doch falsch, da unter fort
währenden Beschimpfungen sich eben keine Wiederaufbauarbeit, an der
nicht nur Deutschland, sondern im gleichen Maße Frankreich ein Interesse


ZVeltspiegel

schärfte Provokationen des schließlich und nach allem, was seit zwei Jahren ge¬
schehen, immerhin nicht ganz unberechtigten deutschen Unmuts Oberschlesien den
Polen zuzuschanzen, von keiner Rücksicht als die auf deu alleroberflächlichsten
Schein behindert fort, bestehen die „Sanktionen" am Rhein unter richtigen Vor¬
wand weiter, bleibt der Druck zur widersinnigen Einführung französischer Luxus-
waren nach Deutschland bestehen, bleibt deutsches Land am Rhein weiter unter ver¬
schwenderischen und barbarischem Druck weiter besetzt, werden die Versuche fortgesetzt,
es von Deutschland loszulösen (wer die dahingehender Tendenzen in seltener
Vollständigkeit beisammen haben will, besorge sich die Nummer von 2. Juli der
in Köln erscheinenden „Rheinischen Republick" mit dem Bericht über die Partei¬
konferenz der rheinischen republikanischen Volkspartei, deren Bedeutung selbst mit
diesem Hinweis aber nicht überschätzt werden soll), darf der frühere Präsident
der französischen Politik mit schöner französischer Ritterlichkeit fortwährend unwahre
und hetzerische Artikel gegen das unter so gloriosen Zahlungen sachte aus¬
blutende Deutschland veröffentlichen, dürfen die interparlamentarischen Verbände
Frankreichs und Belgiens jedes Zusammentreffen mit Deutschen wie mit Ver¬
schulden vermeiden, darf der französische Ministerpräsident Reden halten, die man'
wenn in seiner Lage ein Deutscher spräche, als den Gipfel politischer Ungeschick¬
lichkeit hingestellt hätte und die auf jeden Fall nicht anders" bezeichnet werden
können, denn als Fußtritte eines von jeder Rücksichtnahme auf Alliierte wie auf
das Urteil der Welt sich entbunden fühlenden Siegers an ein erst hinterlistig be¬
trogenes, dann vergewaltigtes, dann geschmähtes, bedrohtes, verängstigtes und
im tiefsten gedemütigtes Volk. Wo ist, bitte, wo ist die berühmte „Entgiftung"
der weltpolitischen Atmosphäre, die angeblich durch Annahme des Londoner Ulti¬
matums eintreten sollte? Jetzt droht der Kanzler mit Rücktritt. Droht wem?
der Entente? Aber der kann gar nichts Angenehmeres passieren, als wenn das
Kabinett Wirth stürzt. Kommt dann ein noch weiter links gerichtetes, das, um
guten Willen zu beweisen, zur Feier einer endgültigen, unaufgeforderten Abtretung
Oberschlesiens an Polen Zeughaus, Reichstag und Wilhelmstraße illuminieren läßt
und zur Antrinkung eines allgemeinen Freudenrausches von Reichswegen den
Ankauf von 60 Millionen Flaschen französischen Champagners bewilligt, dann
gibt es begreiflicherweise Mord und Totschlag in Deutschland, und was kann
den Franzosen angenehmeres passieren, als wenn sich die 20 Millionen Deutsche
zuviel auf diese Weise schleunigst selbst wegschaffen? Oder es kommt ein Reichs¬
kabinett, das den sich in ihrem schlechten Gewissen ständig „bedroht" fühlenden
Franzosen nur neue und äußerst willkommene Vorwände zu weiteren Pressionen
(dies ist das vornehmere Wort für Erpressungen) liefern wird. Mit solchen Aus¬
sichten kann man nicht drohen, das hätte man sich gefälligst vorher überlegen
sollen. Die Franzosen stehen heute auf dem Standpunkt: nur ja nichts dem
Kabinett Wirth zuliebe tun, denn davon werden nur die über kurz oder lang
doch wieder ans Ruder kommenden Rechtsparteien Nutzen ziehen. Wenn aber
der Kanzler über die Politik der Entente betreffs Oberschlesien Und der Sank¬
tionen bewegliche Klage führt, so beweist er damit nur, daß er sein Amt mit
unglaublicher Leichtfertigkeit angetreten hat. Wer solche Verpflichtungen über¬
nahm, mußte Bürgschaften besitzen, daß eine derartige Politik werde durchgeführt
werden können, wer sie nicht hatte, durfte nicht annehmen. Denn das Damokles¬
schwert der Nuhrgebietsbesetzung schwebt ja weiter über uns'und gewonnen ist
nichts als die Hinauszögerung eines Endes mit Schrecken.

Nun gibt es natürlich kluge Leute, die sagen: solche Reden Briands sind
gar nicht so schlimm gemeint, die dienen nur dazu, seine Kammern zu beruhigen,
sich selbst an der Macht zu erhalten und sich dann gerade unter der Hand auf
diese Weise die Möglichkeit zu schaffen, seine versöhnliche oder sachliche Politik,
seine positive Wiederaufbaupolitik weiter zu verfolgen. Zugegeben, daß einiges
Wahre daran ist, so bleibe diese Taktik eben doch falsch, da unter fort
währenden Beschimpfungen sich eben keine Wiederaufbauarbeit, an der
nicht nur Deutschland, sondern im gleichen Maße Frankreich ein Interesse


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339281"/>
          <fw type="header" place="top"> ZVeltspiegel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_449" prev="#ID_448"> schärfte Provokationen des schließlich und nach allem, was seit zwei Jahren ge¬<lb/>
schehen, immerhin nicht ganz unberechtigten deutschen Unmuts Oberschlesien den<lb/>
Polen zuzuschanzen, von keiner Rücksicht als die auf deu alleroberflächlichsten<lb/>
Schein behindert fort, bestehen die &#x201E;Sanktionen" am Rhein unter richtigen Vor¬<lb/>
wand weiter, bleibt der Druck zur widersinnigen Einführung französischer Luxus-<lb/>
waren nach Deutschland bestehen, bleibt deutsches Land am Rhein weiter unter ver¬<lb/>
schwenderischen und barbarischem Druck weiter besetzt, werden die Versuche fortgesetzt,<lb/>
es von Deutschland loszulösen (wer die dahingehender Tendenzen in seltener<lb/>
Vollständigkeit beisammen haben will, besorge sich die Nummer von 2. Juli der<lb/>
in Köln erscheinenden &#x201E;Rheinischen Republick" mit dem Bericht über die Partei¬<lb/>
konferenz der rheinischen republikanischen Volkspartei, deren Bedeutung selbst mit<lb/>
diesem Hinweis aber nicht überschätzt werden soll), darf der frühere Präsident<lb/>
der französischen Politik mit schöner französischer Ritterlichkeit fortwährend unwahre<lb/>
und hetzerische Artikel gegen das unter so gloriosen Zahlungen sachte aus¬<lb/>
blutende Deutschland veröffentlichen, dürfen die interparlamentarischen Verbände<lb/>
Frankreichs und Belgiens jedes Zusammentreffen mit Deutschen wie mit Ver¬<lb/>
schulden vermeiden, darf der französische Ministerpräsident Reden halten, die man'<lb/>
wenn in seiner Lage ein Deutscher spräche, als den Gipfel politischer Ungeschick¬<lb/>
lichkeit hingestellt hätte und die auf jeden Fall nicht anders" bezeichnet werden<lb/>
können, denn als Fußtritte eines von jeder Rücksichtnahme auf Alliierte wie auf<lb/>
das Urteil der Welt sich entbunden fühlenden Siegers an ein erst hinterlistig be¬<lb/>
trogenes, dann vergewaltigtes, dann geschmähtes, bedrohtes, verängstigtes und<lb/>
im tiefsten gedemütigtes Volk. Wo ist, bitte, wo ist die berühmte &#x201E;Entgiftung"<lb/>
der weltpolitischen Atmosphäre, die angeblich durch Annahme des Londoner Ulti¬<lb/>
matums eintreten sollte? Jetzt droht der Kanzler mit Rücktritt. Droht wem?<lb/>
der Entente? Aber der kann gar nichts Angenehmeres passieren, als wenn das<lb/>
Kabinett Wirth stürzt. Kommt dann ein noch weiter links gerichtetes, das, um<lb/>
guten Willen zu beweisen, zur Feier einer endgültigen, unaufgeforderten Abtretung<lb/>
Oberschlesiens an Polen Zeughaus, Reichstag und Wilhelmstraße illuminieren läßt<lb/>
und zur Antrinkung eines allgemeinen Freudenrausches von Reichswegen den<lb/>
Ankauf von 60 Millionen Flaschen französischen Champagners bewilligt, dann<lb/>
gibt es begreiflicherweise Mord und Totschlag in Deutschland, und was kann<lb/>
den Franzosen angenehmeres passieren, als wenn sich die 20 Millionen Deutsche<lb/>
zuviel auf diese Weise schleunigst selbst wegschaffen? Oder es kommt ein Reichs¬<lb/>
kabinett, das den sich in ihrem schlechten Gewissen ständig &#x201E;bedroht" fühlenden<lb/>
Franzosen nur neue und äußerst willkommene Vorwände zu weiteren Pressionen<lb/>
(dies ist das vornehmere Wort für Erpressungen) liefern wird. Mit solchen Aus¬<lb/>
sichten kann man nicht drohen, das hätte man sich gefälligst vorher überlegen<lb/>
sollen. Die Franzosen stehen heute auf dem Standpunkt: nur ja nichts dem<lb/>
Kabinett Wirth zuliebe tun, denn davon werden nur die über kurz oder lang<lb/>
doch wieder ans Ruder kommenden Rechtsparteien Nutzen ziehen. Wenn aber<lb/>
der Kanzler über die Politik der Entente betreffs Oberschlesien Und der Sank¬<lb/>
tionen bewegliche Klage führt, so beweist er damit nur, daß er sein Amt mit<lb/>
unglaublicher Leichtfertigkeit angetreten hat. Wer solche Verpflichtungen über¬<lb/>
nahm, mußte Bürgschaften besitzen, daß eine derartige Politik werde durchgeführt<lb/>
werden können, wer sie nicht hatte, durfte nicht annehmen. Denn das Damokles¬<lb/>
schwert der Nuhrgebietsbesetzung schwebt ja weiter über uns'und gewonnen ist<lb/>
nichts als die Hinauszögerung eines Endes mit Schrecken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_450" next="#ID_451"> Nun gibt es natürlich kluge Leute, die sagen: solche Reden Briands sind<lb/>
gar nicht so schlimm gemeint, die dienen nur dazu, seine Kammern zu beruhigen,<lb/>
sich selbst an der Macht zu erhalten und sich dann gerade unter der Hand auf<lb/>
diese Weise die Möglichkeit zu schaffen, seine versöhnliche oder sachliche Politik,<lb/>
seine positive Wiederaufbaupolitik weiter zu verfolgen. Zugegeben, daß einiges<lb/>
Wahre daran ist, so bleibe diese Taktik eben doch falsch, da unter fort<lb/>
währenden Beschimpfungen sich eben keine Wiederaufbauarbeit, an der<lb/>
nicht nur Deutschland, sondern im gleichen Maße Frankreich ein Interesse</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] ZVeltspiegel schärfte Provokationen des schließlich und nach allem, was seit zwei Jahren ge¬ schehen, immerhin nicht ganz unberechtigten deutschen Unmuts Oberschlesien den Polen zuzuschanzen, von keiner Rücksicht als die auf deu alleroberflächlichsten Schein behindert fort, bestehen die „Sanktionen" am Rhein unter richtigen Vor¬ wand weiter, bleibt der Druck zur widersinnigen Einführung französischer Luxus- waren nach Deutschland bestehen, bleibt deutsches Land am Rhein weiter unter ver¬ schwenderischen und barbarischem Druck weiter besetzt, werden die Versuche fortgesetzt, es von Deutschland loszulösen (wer die dahingehender Tendenzen in seltener Vollständigkeit beisammen haben will, besorge sich die Nummer von 2. Juli der in Köln erscheinenden „Rheinischen Republick" mit dem Bericht über die Partei¬ konferenz der rheinischen republikanischen Volkspartei, deren Bedeutung selbst mit diesem Hinweis aber nicht überschätzt werden soll), darf der frühere Präsident der französischen Politik mit schöner französischer Ritterlichkeit fortwährend unwahre und hetzerische Artikel gegen das unter so gloriosen Zahlungen sachte aus¬ blutende Deutschland veröffentlichen, dürfen die interparlamentarischen Verbände Frankreichs und Belgiens jedes Zusammentreffen mit Deutschen wie mit Ver¬ schulden vermeiden, darf der französische Ministerpräsident Reden halten, die man' wenn in seiner Lage ein Deutscher spräche, als den Gipfel politischer Ungeschick¬ lichkeit hingestellt hätte und die auf jeden Fall nicht anders" bezeichnet werden können, denn als Fußtritte eines von jeder Rücksichtnahme auf Alliierte wie auf das Urteil der Welt sich entbunden fühlenden Siegers an ein erst hinterlistig be¬ trogenes, dann vergewaltigtes, dann geschmähtes, bedrohtes, verängstigtes und im tiefsten gedemütigtes Volk. Wo ist, bitte, wo ist die berühmte „Entgiftung" der weltpolitischen Atmosphäre, die angeblich durch Annahme des Londoner Ulti¬ matums eintreten sollte? Jetzt droht der Kanzler mit Rücktritt. Droht wem? der Entente? Aber der kann gar nichts Angenehmeres passieren, als wenn das Kabinett Wirth stürzt. Kommt dann ein noch weiter links gerichtetes, das, um guten Willen zu beweisen, zur Feier einer endgültigen, unaufgeforderten Abtretung Oberschlesiens an Polen Zeughaus, Reichstag und Wilhelmstraße illuminieren läßt und zur Antrinkung eines allgemeinen Freudenrausches von Reichswegen den Ankauf von 60 Millionen Flaschen französischen Champagners bewilligt, dann gibt es begreiflicherweise Mord und Totschlag in Deutschland, und was kann den Franzosen angenehmeres passieren, als wenn sich die 20 Millionen Deutsche zuviel auf diese Weise schleunigst selbst wegschaffen? Oder es kommt ein Reichs¬ kabinett, das den sich in ihrem schlechten Gewissen ständig „bedroht" fühlenden Franzosen nur neue und äußerst willkommene Vorwände zu weiteren Pressionen (dies ist das vornehmere Wort für Erpressungen) liefern wird. Mit solchen Aus¬ sichten kann man nicht drohen, das hätte man sich gefälligst vorher überlegen sollen. Die Franzosen stehen heute auf dem Standpunkt: nur ja nichts dem Kabinett Wirth zuliebe tun, denn davon werden nur die über kurz oder lang doch wieder ans Ruder kommenden Rechtsparteien Nutzen ziehen. Wenn aber der Kanzler über die Politik der Entente betreffs Oberschlesien Und der Sank¬ tionen bewegliche Klage führt, so beweist er damit nur, daß er sein Amt mit unglaublicher Leichtfertigkeit angetreten hat. Wer solche Verpflichtungen über¬ nahm, mußte Bürgschaften besitzen, daß eine derartige Politik werde durchgeführt werden können, wer sie nicht hatte, durfte nicht annehmen. Denn das Damokles¬ schwert der Nuhrgebietsbesetzung schwebt ja weiter über uns'und gewonnen ist nichts als die Hinauszögerung eines Endes mit Schrecken. Nun gibt es natürlich kluge Leute, die sagen: solche Reden Briands sind gar nicht so schlimm gemeint, die dienen nur dazu, seine Kammern zu beruhigen, sich selbst an der Macht zu erhalten und sich dann gerade unter der Hand auf diese Weise die Möglichkeit zu schaffen, seine versöhnliche oder sachliche Politik, seine positive Wiederaufbaupolitik weiter zu verfolgen. Zugegeben, daß einiges Wahre daran ist, so bleibe diese Taktik eben doch falsch, da unter fort währenden Beschimpfungen sich eben keine Wiederaufbauarbeit, an der nicht nur Deutschland, sondern im gleichen Maße Frankreich ein Interesse

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/132
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/132>, abgerufen am 24.07.2024.