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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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von 1918 war zum Teil die Frucht dieser inneren Zerrissenheit. "Das Vorurteil
der Arbeiter gegen die Unternehmer als Kriegsverlängerer" (S. 3), die Preisgabe
"der Kameradschaft und Führerschaft über die Arbeiter seitens des händlerisch
gewordenen Unternehmertums" (S. 9), das Herüberpendeln des einstmals rein der
Allgemeinheit dienenden Beamtentums zum kapitalistischen Verdienen (S. 12, 19)
und zum Berufspolitikertum (S. 21) wirkte auflösend zusammen. Wir steckten schon
1914 nicht mehr in lebendiger Gemeinschaft, sondern in einem Gegeneinander sich
reibender und den Gemeingeist wie den Gemeinwillen lähmender Mechanismen
(S. 19 f.). Das gemeinschaftliche Unglück kann nun zwar einerseits der Anstoß zu
neuer innerer Verknüpfung werden. Anderseits aber haben die Verluste, die gern
jeder von sich abwälzen möchte, und das eingetretene Chaos auch starke Antriebe
zur vollständigen und endgültigen Auflösung erzeugt. Die Schwierigkeiten eines
Zusammenfindens haben sich materiell wie geistig im Unglück zunächst nur gehäuft.
Dabei erwähnt spähn nicht einmal die entmutigenden Aussichten, welche unser
Sklaventum gegenüber England und Frankreich ausströmt. Auch wenn wir uns
selbst überlassen blieben, würden die ausgeprägten Züge unserer materialistischen
civitas tori'Mg, die allein hosfnunggebende Entwicklung zu einer opferwilligen
Rücksicht und Wohlwollen für das Ganze atmenden Gemeinschaft (civitas voi)
erschweren.

Daß die Revolution der Arbeiterschaft die Erfüllung ihrer Klassenziele nur
scheinbar bringen konnte, daß die Wurzel, aus welcher heraus die sozialen
Beziehungen der Volksgenossen zueinander sich neugestalten sollen, noch nicht
gefunden ist (S. 3), erklärt sich aus der Entseelung, oder wie spähn sagt, Ent¬
Heiligung der Arbeit (S. 4, 25). Die mittelalterliche Wirtschaft (die Wirtschafts¬
ethik jedes spiritualistischen Zeitalters) hatte die Arbeit als "Pflichterfüllung gegen
die Gesamtheit und Unterwerfung unter ein göttliches Geheiß" (S. 4) aufgefaßt.
Unsere kapitalistische (besser: materialistische) Wirtschaftsethik setzt das Raffen
obenan. Sie nimmt nicht einen durch sittliche Genügsamkeit normierten Verbrauch
zum Maßstab, sondern reizt die Bedürfnisse des Verbrauchers schrankenlos, um
durch Gütererzeugung zu verdienen. Nicht der innere Wert der Ware, die
Gediegenheit der Arbeit, der gerechte Preis sind ihr wertvoll, sondern im Gegenteil
eine rasch vergängliche, deshalb zur Neulieferung drängende Ware, eine auf den
Schein gestellte, nur eben noch den Käufer lockende Arbeit und ein möglichst hoher,
einzig an der Marktlage sich regelnder Preis. Die Arbeitsleistung, der Arbeiter
selbst wird nur Mittel des Verdienens, man rechnet mit Bilanzen statt mit
Menschen. Die gegliedert aussteigende Arbeitsgemeinschaft der mittelalterlichen
Wirtschaft, mit ihrer Berufsehre, ihrer Erziehung des Nachwuchses, ihrem
Gediegenheitsideal der Arbeit, ihrem senkrechten Aufstieg vom Lehrling zum Meister
und ihrer Zusammenbindung aller Berufsangehörigen zu einem Stande wich dem
freien Spiel der atomisterten Kräfte, wobei die Gewandten und Energischen die übrigen
als bloße Produktionsmittel gebrauchten, deren Aufstieg niemand kümmerte. Wer
arbeitet, denkt nur an sich (S> 6). Auch der Marxismus ändert daran nur die Verteilung
des Gewinns: er front dem materiellen Individualismus des Massenmenschen,
wie der Kapitalismus dem des unternehmenden Menschen. So bilden sich drei
nicht mehr senkrecht verbundene Stände, sondern wagrecht getrennt übereinander
herlaufende Klassen der Reichen, mäßig Begüterten und Armen. Das Organisations¬
prinzip der Klasse kommt nicht wie das des Standes von außen und oben, in dem
der Stand als Organ eines noch größeren Ganzen gegliedert ist. Der Sinn der
Klasse erschöpft sich in der Vertretung der Klasseninteressen gegen die anderen
Klassen. Die Klas engenossen werden unter sich durch das nackte Interesse, wett
weniger durch Bande der Geburt oder des Gemüts zusammengehalten. Das
Wesen der Klasse ist materialistisch, folglich Fehde, Mißgunst, Trennung. Im
Stande lag das Einigende, der Ausgleich, der Aufstieg, der Aufbau (S. 7).

Die naheliegende Frage, weshalb diese allgemeinen Kennzeichen des kapita¬
listischen Geistes gerade im deutschen Volke, das ihnen bis vor wenige Menscken-
alter ferner stand als die Westvölkcr, die ausgeprägtesten Formen und die schad-


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von 1918 war zum Teil die Frucht dieser inneren Zerrissenheit. „Das Vorurteil
der Arbeiter gegen die Unternehmer als Kriegsverlängerer" (S. 3), die Preisgabe
„der Kameradschaft und Führerschaft über die Arbeiter seitens des händlerisch
gewordenen Unternehmertums" (S. 9), das Herüberpendeln des einstmals rein der
Allgemeinheit dienenden Beamtentums zum kapitalistischen Verdienen (S. 12, 19)
und zum Berufspolitikertum (S. 21) wirkte auflösend zusammen. Wir steckten schon
1914 nicht mehr in lebendiger Gemeinschaft, sondern in einem Gegeneinander sich
reibender und den Gemeingeist wie den Gemeinwillen lähmender Mechanismen
(S. 19 f.). Das gemeinschaftliche Unglück kann nun zwar einerseits der Anstoß zu
neuer innerer Verknüpfung werden. Anderseits aber haben die Verluste, die gern
jeder von sich abwälzen möchte, und das eingetretene Chaos auch starke Antriebe
zur vollständigen und endgültigen Auflösung erzeugt. Die Schwierigkeiten eines
Zusammenfindens haben sich materiell wie geistig im Unglück zunächst nur gehäuft.
Dabei erwähnt spähn nicht einmal die entmutigenden Aussichten, welche unser
Sklaventum gegenüber England und Frankreich ausströmt. Auch wenn wir uns
selbst überlassen blieben, würden die ausgeprägten Züge unserer materialistischen
civitas tori'Mg, die allein hosfnunggebende Entwicklung zu einer opferwilligen
Rücksicht und Wohlwollen für das Ganze atmenden Gemeinschaft (civitas voi)
erschweren.

Daß die Revolution der Arbeiterschaft die Erfüllung ihrer Klassenziele nur
scheinbar bringen konnte, daß die Wurzel, aus welcher heraus die sozialen
Beziehungen der Volksgenossen zueinander sich neugestalten sollen, noch nicht
gefunden ist (S. 3), erklärt sich aus der Entseelung, oder wie spähn sagt, Ent¬
Heiligung der Arbeit (S. 4, 25). Die mittelalterliche Wirtschaft (die Wirtschafts¬
ethik jedes spiritualistischen Zeitalters) hatte die Arbeit als „Pflichterfüllung gegen
die Gesamtheit und Unterwerfung unter ein göttliches Geheiß" (S. 4) aufgefaßt.
Unsere kapitalistische (besser: materialistische) Wirtschaftsethik setzt das Raffen
obenan. Sie nimmt nicht einen durch sittliche Genügsamkeit normierten Verbrauch
zum Maßstab, sondern reizt die Bedürfnisse des Verbrauchers schrankenlos, um
durch Gütererzeugung zu verdienen. Nicht der innere Wert der Ware, die
Gediegenheit der Arbeit, der gerechte Preis sind ihr wertvoll, sondern im Gegenteil
eine rasch vergängliche, deshalb zur Neulieferung drängende Ware, eine auf den
Schein gestellte, nur eben noch den Käufer lockende Arbeit und ein möglichst hoher,
einzig an der Marktlage sich regelnder Preis. Die Arbeitsleistung, der Arbeiter
selbst wird nur Mittel des Verdienens, man rechnet mit Bilanzen statt mit
Menschen. Die gegliedert aussteigende Arbeitsgemeinschaft der mittelalterlichen
Wirtschaft, mit ihrer Berufsehre, ihrer Erziehung des Nachwuchses, ihrem
Gediegenheitsideal der Arbeit, ihrem senkrechten Aufstieg vom Lehrling zum Meister
und ihrer Zusammenbindung aller Berufsangehörigen zu einem Stande wich dem
freien Spiel der atomisterten Kräfte, wobei die Gewandten und Energischen die übrigen
als bloße Produktionsmittel gebrauchten, deren Aufstieg niemand kümmerte. Wer
arbeitet, denkt nur an sich (S> 6). Auch der Marxismus ändert daran nur die Verteilung
des Gewinns: er front dem materiellen Individualismus des Massenmenschen,
wie der Kapitalismus dem des unternehmenden Menschen. So bilden sich drei
nicht mehr senkrecht verbundene Stände, sondern wagrecht getrennt übereinander
herlaufende Klassen der Reichen, mäßig Begüterten und Armen. Das Organisations¬
prinzip der Klasse kommt nicht wie das des Standes von außen und oben, in dem
der Stand als Organ eines noch größeren Ganzen gegliedert ist. Der Sinn der
Klasse erschöpft sich in der Vertretung der Klasseninteressen gegen die anderen
Klassen. Die Klas engenossen werden unter sich durch das nackte Interesse, wett
weniger durch Bande der Geburt oder des Gemüts zusammengehalten. Das
Wesen der Klasse ist materialistisch, folglich Fehde, Mißgunst, Trennung. Im
Stande lag das Einigende, der Ausgleich, der Aufstieg, der Aufbau (S. 7).

Die naheliegende Frage, weshalb diese allgemeinen Kennzeichen des kapita¬
listischen Geistes gerade im deutschen Volke, das ihnen bis vor wenige Menscken-
alter ferner stand als die Westvölkcr, die ausgeprägtesten Formen und die schad-


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[0081] Aus neuen Büchern von 1918 war zum Teil die Frucht dieser inneren Zerrissenheit. „Das Vorurteil der Arbeiter gegen die Unternehmer als Kriegsverlängerer" (S. 3), die Preisgabe „der Kameradschaft und Führerschaft über die Arbeiter seitens des händlerisch gewordenen Unternehmertums" (S. 9), das Herüberpendeln des einstmals rein der Allgemeinheit dienenden Beamtentums zum kapitalistischen Verdienen (S. 12, 19) und zum Berufspolitikertum (S. 21) wirkte auflösend zusammen. Wir steckten schon 1914 nicht mehr in lebendiger Gemeinschaft, sondern in einem Gegeneinander sich reibender und den Gemeingeist wie den Gemeinwillen lähmender Mechanismen (S. 19 f.). Das gemeinschaftliche Unglück kann nun zwar einerseits der Anstoß zu neuer innerer Verknüpfung werden. Anderseits aber haben die Verluste, die gern jeder von sich abwälzen möchte, und das eingetretene Chaos auch starke Antriebe zur vollständigen und endgültigen Auflösung erzeugt. Die Schwierigkeiten eines Zusammenfindens haben sich materiell wie geistig im Unglück zunächst nur gehäuft. Dabei erwähnt spähn nicht einmal die entmutigenden Aussichten, welche unser Sklaventum gegenüber England und Frankreich ausströmt. Auch wenn wir uns selbst überlassen blieben, würden die ausgeprägten Züge unserer materialistischen civitas tori'Mg, die allein hosfnunggebende Entwicklung zu einer opferwilligen Rücksicht und Wohlwollen für das Ganze atmenden Gemeinschaft (civitas voi) erschweren. Daß die Revolution der Arbeiterschaft die Erfüllung ihrer Klassenziele nur scheinbar bringen konnte, daß die Wurzel, aus welcher heraus die sozialen Beziehungen der Volksgenossen zueinander sich neugestalten sollen, noch nicht gefunden ist (S. 3), erklärt sich aus der Entseelung, oder wie spähn sagt, Ent¬ Heiligung der Arbeit (S. 4, 25). Die mittelalterliche Wirtschaft (die Wirtschafts¬ ethik jedes spiritualistischen Zeitalters) hatte die Arbeit als „Pflichterfüllung gegen die Gesamtheit und Unterwerfung unter ein göttliches Geheiß" (S. 4) aufgefaßt. Unsere kapitalistische (besser: materialistische) Wirtschaftsethik setzt das Raffen obenan. Sie nimmt nicht einen durch sittliche Genügsamkeit normierten Verbrauch zum Maßstab, sondern reizt die Bedürfnisse des Verbrauchers schrankenlos, um durch Gütererzeugung zu verdienen. Nicht der innere Wert der Ware, die Gediegenheit der Arbeit, der gerechte Preis sind ihr wertvoll, sondern im Gegenteil eine rasch vergängliche, deshalb zur Neulieferung drängende Ware, eine auf den Schein gestellte, nur eben noch den Käufer lockende Arbeit und ein möglichst hoher, einzig an der Marktlage sich regelnder Preis. Die Arbeitsleistung, der Arbeiter selbst wird nur Mittel des Verdienens, man rechnet mit Bilanzen statt mit Menschen. Die gegliedert aussteigende Arbeitsgemeinschaft der mittelalterlichen Wirtschaft, mit ihrer Berufsehre, ihrer Erziehung des Nachwuchses, ihrem Gediegenheitsideal der Arbeit, ihrem senkrechten Aufstieg vom Lehrling zum Meister und ihrer Zusammenbindung aller Berufsangehörigen zu einem Stande wich dem freien Spiel der atomisterten Kräfte, wobei die Gewandten und Energischen die übrigen als bloße Produktionsmittel gebrauchten, deren Aufstieg niemand kümmerte. Wer arbeitet, denkt nur an sich (S> 6). Auch der Marxismus ändert daran nur die Verteilung des Gewinns: er front dem materiellen Individualismus des Massenmenschen, wie der Kapitalismus dem des unternehmenden Menschen. So bilden sich drei nicht mehr senkrecht verbundene Stände, sondern wagrecht getrennt übereinander herlaufende Klassen der Reichen, mäßig Begüterten und Armen. Das Organisations¬ prinzip der Klasse kommt nicht wie das des Standes von außen und oben, in dem der Stand als Organ eines noch größeren Ganzen gegliedert ist. Der Sinn der Klasse erschöpft sich in der Vertretung der Klasseninteressen gegen die anderen Klassen. Die Klas engenossen werden unter sich durch das nackte Interesse, wett weniger durch Bande der Geburt oder des Gemüts zusammengehalten. Das Wesen der Klasse ist materialistisch, folglich Fehde, Mißgunst, Trennung. Im Stande lag das Einigende, der Ausgleich, der Aufstieg, der Aufbau (S. 7). Die naheliegende Frage, weshalb diese allgemeinen Kennzeichen des kapita¬ listischen Geistes gerade im deutschen Volke, das ihnen bis vor wenige Menscken- alter ferner stand als die Westvölkcr, die ausgeprägtesten Formen und die schad-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/81>, abgerufen am 23.11.2024.