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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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vie militär-politische Lage in Polen

der Spitze der Armee steht der Staatsches. Marschall Pilsudski, dem als Chef des
Generalstabes General Rozwadowski und als Kriegsminister General Sosukowski
zur Seite stehen.

Der Wert der kongreßpolnischen Truppen ist nur gering. Die Haller¬
truppen, früher gut, haben durch die Verschmelzung mit den kongreßpolnischen
Truppen an Wert erheblich verloren. Die Posener Truppen sind in jeder Be¬
ziehung die besten. Sie haben sich an der Ostfront gegen die Bolschewiften gut
geschlagen und standen immer an den entscheidenden Stellen. Die gute Haltung
ist auf die gründliche Ausbildung und Erziehung zurückzuführen, die sie im
deutschen Heere genossen haben. Sie sind die eigentlichen Hauptträger des gro߬
polnischen Gedankens und werden sich auch -- das soll ausdrücklich betont
werden -- gegen Deutschland gut schlagen.

Der Wert des polnischen Führermaterials ist nicht sehr hoch. Ausrüstung
und Bewaffnung sind ausreichend und neuzeitlich, aber noch nicht einheitlich.

Die Verteilung der polnischen Armee ist entsprechend der außenpolitischen
Lage heute so, daß schwächere Kräfte an der litauischen und russischen Front, die
Masse aber mit etwa 300 000 Mann so an den deutschen Grenzen steht, daß Ope¬
rationen gegen Ostpreußen, Brandenburg und Oberschlesien zu gleicher Zeit möglich
sind. Außer den regulären Divisionen stehen sowohl in Westpreußen, Posen als
auch gegen Oberschlesien irreguläre Formationen verwendungsbereit. Sie bestehen
größtenteils aus Verbänden der "?vista Orssnisaejg, V/ojiKöra" genannten
Kampforganisation, aus den seinerzeit in Posen und Westpreußen unter Bezeich¬
nung "Reservearmee" gebildeten Vürgerwehren, aus Soloth und Schützenvereinen.

Das polnische Eisenbahnnetz entspricht in keiner Weise den Anforderungen,
weder militärisch und politisch noch wirtschaftlich. Polen verfügt im ganzen
augenblicklich nur über vier durchgehende Linien von Ostpolen bzw. Warschau
nach Ostpreußen, Westpreußen, Posen und Schlesien. Es ist aber dabei, sein
Eisenbahnnetz den durch die Vereinigung der drei Teilgebiete geschaffenen Ver¬
hältnissen entsprechend so zu vervollständigen, daß es nach Durchführung seines
Bauprogramms über je drei durchgehende Verbindungen von Kongreßpolen nach
Westpreußen, Posen und Schlesien, über vier Bahnen längs der deutschen Grenze --
davon drei im Korridor --, über fünf Bahnen nach der tschechoslowakischen Grenze
und schließlich über eine Bahn nach Rumänien verfügt').

Für den Nachschub von Kriegsmaterial ist Polen zurzeit auf das Ausland
angewiesen. Das Kriegsmaterial wird hauptsächlich über Danzig eingeführt.
Munitionsfabriken und Waffenreparaturwerkstätten bestehen, sind aber nur wenig
leistungsfähig. ,

An Rohstoffen besitzt Polen Kohle und Eisen, jedoch in für den Bedarf des
Landes nicht ausreichenden Mengen im Raume Czenstochau--Teschen--Krakau--
Kleine.

Die Folgen des grenzenlosen polnischen Imperialismus, des langen Krieges
mit Rußland und der im Verhältnis zu Polens Vcvölkerungszahl viel zu starken
Armee sind Daniederliegen der Industrie, Verpflegungsmangel und Zerrüttung
der Finanzen. Die polnische Valuta ist von 60 vH. der deutschen Mark inner-



') Siehe "Grenzboten" Heft 7: Der Ausbau des polnischen Eisenbahnnetzes.
vie militär-politische Lage in Polen

der Spitze der Armee steht der Staatsches. Marschall Pilsudski, dem als Chef des
Generalstabes General Rozwadowski und als Kriegsminister General Sosukowski
zur Seite stehen.

Der Wert der kongreßpolnischen Truppen ist nur gering. Die Haller¬
truppen, früher gut, haben durch die Verschmelzung mit den kongreßpolnischen
Truppen an Wert erheblich verloren. Die Posener Truppen sind in jeder Be¬
ziehung die besten. Sie haben sich an der Ostfront gegen die Bolschewiften gut
geschlagen und standen immer an den entscheidenden Stellen. Die gute Haltung
ist auf die gründliche Ausbildung und Erziehung zurückzuführen, die sie im
deutschen Heere genossen haben. Sie sind die eigentlichen Hauptträger des gro߬
polnischen Gedankens und werden sich auch — das soll ausdrücklich betont
werden — gegen Deutschland gut schlagen.

Der Wert des polnischen Führermaterials ist nicht sehr hoch. Ausrüstung
und Bewaffnung sind ausreichend und neuzeitlich, aber noch nicht einheitlich.

Die Verteilung der polnischen Armee ist entsprechend der außenpolitischen
Lage heute so, daß schwächere Kräfte an der litauischen und russischen Front, die
Masse aber mit etwa 300 000 Mann so an den deutschen Grenzen steht, daß Ope¬
rationen gegen Ostpreußen, Brandenburg und Oberschlesien zu gleicher Zeit möglich
sind. Außer den regulären Divisionen stehen sowohl in Westpreußen, Posen als
auch gegen Oberschlesien irreguläre Formationen verwendungsbereit. Sie bestehen
größtenteils aus Verbänden der „?vista Orssnisaejg, V/ojiKöra" genannten
Kampforganisation, aus den seinerzeit in Posen und Westpreußen unter Bezeich¬
nung „Reservearmee" gebildeten Vürgerwehren, aus Soloth und Schützenvereinen.

Das polnische Eisenbahnnetz entspricht in keiner Weise den Anforderungen,
weder militärisch und politisch noch wirtschaftlich. Polen verfügt im ganzen
augenblicklich nur über vier durchgehende Linien von Ostpolen bzw. Warschau
nach Ostpreußen, Westpreußen, Posen und Schlesien. Es ist aber dabei, sein
Eisenbahnnetz den durch die Vereinigung der drei Teilgebiete geschaffenen Ver¬
hältnissen entsprechend so zu vervollständigen, daß es nach Durchführung seines
Bauprogramms über je drei durchgehende Verbindungen von Kongreßpolen nach
Westpreußen, Posen und Schlesien, über vier Bahnen längs der deutschen Grenze —
davon drei im Korridor —, über fünf Bahnen nach der tschechoslowakischen Grenze
und schließlich über eine Bahn nach Rumänien verfügt').

Für den Nachschub von Kriegsmaterial ist Polen zurzeit auf das Ausland
angewiesen. Das Kriegsmaterial wird hauptsächlich über Danzig eingeführt.
Munitionsfabriken und Waffenreparaturwerkstätten bestehen, sind aber nur wenig
leistungsfähig. ,

An Rohstoffen besitzt Polen Kohle und Eisen, jedoch in für den Bedarf des
Landes nicht ausreichenden Mengen im Raume Czenstochau—Teschen—Krakau—
Kleine.

Die Folgen des grenzenlosen polnischen Imperialismus, des langen Krieges
mit Rußland und der im Verhältnis zu Polens Vcvölkerungszahl viel zu starken
Armee sind Daniederliegen der Industrie, Verpflegungsmangel und Zerrüttung
der Finanzen. Die polnische Valuta ist von 60 vH. der deutschen Mark inner-



') Siehe „Grenzboten" Heft 7: Der Ausbau des polnischen Eisenbahnnetzes.
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[0318] vie militär-politische Lage in Polen der Spitze der Armee steht der Staatsches. Marschall Pilsudski, dem als Chef des Generalstabes General Rozwadowski und als Kriegsminister General Sosukowski zur Seite stehen. Der Wert der kongreßpolnischen Truppen ist nur gering. Die Haller¬ truppen, früher gut, haben durch die Verschmelzung mit den kongreßpolnischen Truppen an Wert erheblich verloren. Die Posener Truppen sind in jeder Be¬ ziehung die besten. Sie haben sich an der Ostfront gegen die Bolschewiften gut geschlagen und standen immer an den entscheidenden Stellen. Die gute Haltung ist auf die gründliche Ausbildung und Erziehung zurückzuführen, die sie im deutschen Heere genossen haben. Sie sind die eigentlichen Hauptträger des gro߬ polnischen Gedankens und werden sich auch — das soll ausdrücklich betont werden — gegen Deutschland gut schlagen. Der Wert des polnischen Führermaterials ist nicht sehr hoch. Ausrüstung und Bewaffnung sind ausreichend und neuzeitlich, aber noch nicht einheitlich. Die Verteilung der polnischen Armee ist entsprechend der außenpolitischen Lage heute so, daß schwächere Kräfte an der litauischen und russischen Front, die Masse aber mit etwa 300 000 Mann so an den deutschen Grenzen steht, daß Ope¬ rationen gegen Ostpreußen, Brandenburg und Oberschlesien zu gleicher Zeit möglich sind. Außer den regulären Divisionen stehen sowohl in Westpreußen, Posen als auch gegen Oberschlesien irreguläre Formationen verwendungsbereit. Sie bestehen größtenteils aus Verbänden der „?vista Orssnisaejg, V/ojiKöra" genannten Kampforganisation, aus den seinerzeit in Posen und Westpreußen unter Bezeich¬ nung „Reservearmee" gebildeten Vürgerwehren, aus Soloth und Schützenvereinen. Das polnische Eisenbahnnetz entspricht in keiner Weise den Anforderungen, weder militärisch und politisch noch wirtschaftlich. Polen verfügt im ganzen augenblicklich nur über vier durchgehende Linien von Ostpolen bzw. Warschau nach Ostpreußen, Westpreußen, Posen und Schlesien. Es ist aber dabei, sein Eisenbahnnetz den durch die Vereinigung der drei Teilgebiete geschaffenen Ver¬ hältnissen entsprechend so zu vervollständigen, daß es nach Durchführung seines Bauprogramms über je drei durchgehende Verbindungen von Kongreßpolen nach Westpreußen, Posen und Schlesien, über vier Bahnen längs der deutschen Grenze — davon drei im Korridor —, über fünf Bahnen nach der tschechoslowakischen Grenze und schließlich über eine Bahn nach Rumänien verfügt'). Für den Nachschub von Kriegsmaterial ist Polen zurzeit auf das Ausland angewiesen. Das Kriegsmaterial wird hauptsächlich über Danzig eingeführt. Munitionsfabriken und Waffenreparaturwerkstätten bestehen, sind aber nur wenig leistungsfähig. , An Rohstoffen besitzt Polen Kohle und Eisen, jedoch in für den Bedarf des Landes nicht ausreichenden Mengen im Raume Czenstochau—Teschen—Krakau— Kleine. Die Folgen des grenzenlosen polnischen Imperialismus, des langen Krieges mit Rußland und der im Verhältnis zu Polens Vcvölkerungszahl viel zu starken Armee sind Daniederliegen der Industrie, Verpflegungsmangel und Zerrüttung der Finanzen. Die polnische Valuta ist von 60 vH. der deutschen Mark inner- ') Siehe „Grenzboten" Heft 7: Der Ausbau des polnischen Eisenbahnnetzes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/318>, abgerufen am 23.11.2024.