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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Bewirtschaftung der Arbeit

im Produktionsprozeß zustehen, in der wir besonders dafür sorgen, daß wir nicht
die letzten sind, die von seinen Konjunkturen profitieren, und nicht die ersten oder
gar einzigen, die unter seinen Krisen leiden. Wir wollen sie vielmehr zerstören,
aber vorsichtig zerstören und bei dieser Handlung noch einen möglichst hohen
Anteil der Arbeiterschaft am Zinsertrag der kapitalistischen Wirtschaft heraus-
schlagen.

Natürlich fehlen auch ideelle Momente nicht, aber sie bleiben durchweg
Mittel zur Erreichung materieller Vorteile oder zur Vorbereitung jener Zer-
störungsaktion.

Endglied so der neue Arbeitsbegriff der kulturellen Pflege in bedauerlichen
Maße, was heute bereits stark eingesehen und, auch von sozialistischer Seite,
lebhaft bekämpft wird, so wurde er von Wirtschaft und Technik überaus stark
beansprucht und naturgemäß weiter materialisiert, zunächst zuungunsten des
Arbeiterschutzes. Das liegt aber überall, nicht nur in Deutschland, in der Natur
der Sache. Die sozialistische These ist eben bedingt falsch, daß technische Er¬
rungenschaften ganz automatisch Entlastung des einzelnen Arbeiters und Ver¬
besserung der Lage der Arbeiterschaft bedeuteten. Diese entlastende, eminent soziale
Eigenschaft moderner Technik wird vielmehr erst nach geraumer Zeit mühsamer
Erfahrung, Schaffung einer gewissen industriellen Tradition und hinreichender
Kapitalbildung erreicht. Tatsache ist vielmehr, daß beim Auftakt der Industrie-
Wirtschaft die Arbeitskraft zunächst den Selbstkostenfaktor abgibt, der wegen seiner
Elastizität, seiner bequemen Erfassung und besonders der Eigenschaft halber, daß
er geliehene Produktionsenergie vorstellt und über die Leihfrist hinaus nicht oder
nur sehr beschränkt zu Sorgfalt oder Pflege verpflichtet, im Produktionsprozeß
am ehesten und schärfsten beansprucht wird. Das ist zwangsläufige Erfahrung,
die nicht zu umgehen und anfänglich auch nicht stark zu mildern war. Aber
allmählich wurde doch dank dem Aufblühen deutscher Industrie und mit Hilfe
des Staates und der Sozialpolitik ein Abebben dieser gefährlichen Spannung er¬
zielt, gewissermaßen immer stärker eine Balance angestrebt, deren Herstellung dicht
vor dem Kriege nicht mehr allzu fern sein konnte. Damals waren sowohl Ruf
der deutschen Industrie wie Typ des deutschen Qualitätsarbeiters stark und ver¬
sprechend ausgeprägt, die rationelle Verwertung der Arbeit durch Technik und
Wirtschaft bis zu einer gewissen Reife abgeschlossen, andererseits die wirtschaftliche
Lage des deutschen Arbeiters relativ erfreulich gehoben. Bei weiterem Aufblühen
der deutschen Industrie und Vermehrung des Nationalvermögens in gleichem
Tempo wäre die organisierte Arbeiterschaft voraussichtlich in der Lage gewesen,
ihren Anteil am Nationaleinkommen, den Prozentsatz vom Zinsertrag der Volks-
wirtschaft befriedigend zu steigern, was vorher noch als ausgeschlossen oder sehr
schwierig erschien. (Weitere Aufsätze zu dieser Frage folgen.)




Bewirtschaftung der Arbeit

im Produktionsprozeß zustehen, in der wir besonders dafür sorgen, daß wir nicht
die letzten sind, die von seinen Konjunkturen profitieren, und nicht die ersten oder
gar einzigen, die unter seinen Krisen leiden. Wir wollen sie vielmehr zerstören,
aber vorsichtig zerstören und bei dieser Handlung noch einen möglichst hohen
Anteil der Arbeiterschaft am Zinsertrag der kapitalistischen Wirtschaft heraus-
schlagen.

Natürlich fehlen auch ideelle Momente nicht, aber sie bleiben durchweg
Mittel zur Erreichung materieller Vorteile oder zur Vorbereitung jener Zer-
störungsaktion.

Endglied so der neue Arbeitsbegriff der kulturellen Pflege in bedauerlichen
Maße, was heute bereits stark eingesehen und, auch von sozialistischer Seite,
lebhaft bekämpft wird, so wurde er von Wirtschaft und Technik überaus stark
beansprucht und naturgemäß weiter materialisiert, zunächst zuungunsten des
Arbeiterschutzes. Das liegt aber überall, nicht nur in Deutschland, in der Natur
der Sache. Die sozialistische These ist eben bedingt falsch, daß technische Er¬
rungenschaften ganz automatisch Entlastung des einzelnen Arbeiters und Ver¬
besserung der Lage der Arbeiterschaft bedeuteten. Diese entlastende, eminent soziale
Eigenschaft moderner Technik wird vielmehr erst nach geraumer Zeit mühsamer
Erfahrung, Schaffung einer gewissen industriellen Tradition und hinreichender
Kapitalbildung erreicht. Tatsache ist vielmehr, daß beim Auftakt der Industrie-
Wirtschaft die Arbeitskraft zunächst den Selbstkostenfaktor abgibt, der wegen seiner
Elastizität, seiner bequemen Erfassung und besonders der Eigenschaft halber, daß
er geliehene Produktionsenergie vorstellt und über die Leihfrist hinaus nicht oder
nur sehr beschränkt zu Sorgfalt oder Pflege verpflichtet, im Produktionsprozeß
am ehesten und schärfsten beansprucht wird. Das ist zwangsläufige Erfahrung,
die nicht zu umgehen und anfänglich auch nicht stark zu mildern war. Aber
allmählich wurde doch dank dem Aufblühen deutscher Industrie und mit Hilfe
des Staates und der Sozialpolitik ein Abebben dieser gefährlichen Spannung er¬
zielt, gewissermaßen immer stärker eine Balance angestrebt, deren Herstellung dicht
vor dem Kriege nicht mehr allzu fern sein konnte. Damals waren sowohl Ruf
der deutschen Industrie wie Typ des deutschen Qualitätsarbeiters stark und ver¬
sprechend ausgeprägt, die rationelle Verwertung der Arbeit durch Technik und
Wirtschaft bis zu einer gewissen Reife abgeschlossen, andererseits die wirtschaftliche
Lage des deutschen Arbeiters relativ erfreulich gehoben. Bei weiterem Aufblühen
der deutschen Industrie und Vermehrung des Nationalvermögens in gleichem
Tempo wäre die organisierte Arbeiterschaft voraussichtlich in der Lage gewesen,
ihren Anteil am Nationaleinkommen, den Prozentsatz vom Zinsertrag der Volks-
wirtschaft befriedigend zu steigern, was vorher noch als ausgeschlossen oder sehr
schwierig erschien. (Weitere Aufsätze zu dieser Frage folgen.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/235>, abgerufen am 23.11.2024.