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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland und England

Machtsphäre sich durch diesen Krieg zum eigentlichen Beherrscher der Welt gemacht
hat. Und dabei ist nicht aus dem Auge zu lassen, daß Deutschland, damals der
große Handelsrivale Englands, die stärkste Festlandsmacht, seine eigene Wohlfahrt
in viel höherem Grade dem englischen Neid ausgesetzt sah als das für England
weit weniger unbequeme Frankreich, und trotzdem hat sich England auch gegen¬
über Frankreich erst am 4. August Z914 fest gebunden. Es ist mehr als zweifel¬
haft, daß wir vor dem Beginn des großen Krieges von England wirklich bindende
und unwiderrufliche Verpflichtungen erhalten haben würden, wenn wir uns in
eine Entente mit England begeben hätten. Gewiß zeigt die englische Politik nicht
nur die Härte der römischen, sondern sie benimmt sich auch wie ein großes, gut geleitetes
Handelshaus, das, um den alten Vorwurf des "perfiden Albion" zu widerlegen,
ein gewisses Maß von Loyalität gegen seine Freunde anwendet. Wie gering
dieses Maß aber gerade gegenüber deutschen Mächten war, das hatten wir in
früheren Perioden unserer Geschichte, im siebenjährigen Kriege wie nach den
Befreiungskriegen eindrücklich erlebt. England hätte auch als unser Verbündeter
die Eindämmung des mit Naturgewalt fühlbaren deutschen Wachstums in der
Weltwirtschaft als Ziel im Auge behalten. Es hätte uns aber als Verbündeter
in der Hand gehabt, unseren Flottenbau und unseren Welthandel nach Belieben
hemmen und uns jederzeit seine Gesetze vorschreiben können, da wir dann auf
dem Festland weit vereinsamter dagestanden hätten, als dies, trotz der Ein-
kreisungspolitik, bis zum Juli 1914 der Fall gewesen ist.

Indes ist diese ganze Überlegung ziemlich hypothetischer Art, da die
englische Regierung den ernstlichen Willen zu einem Bündnis gar nie bekundet
hat und die historische Betrachtung niemals außer acht lassen sollte, daß
Chamberlain als Vater des Burenkricges bei diesen ganzen Verhandlungen im
wesentlichen seine eigene Politik, die persönliche Politik eines einzelnen Kabinetts¬
mitgliedes, getrieben hat. Man hört gelegentlich, die nachbismarckische Politik
hätte uns zwischen zwei Stühle gesetzt. Richtiger wäre es zu sagen, wir gingen
die goldene Mittelstraße und vermieden die Scylla wie die Charybdis. Da dem
deutschen Volk den Frieden zu erhalten unser vornehmstes Ziel war, so ließen
wir uns weder von Frankreich und Nußland gegen England vorschieben, noch
umgekehrt. Dabei wuchsen wir in natürlicher Entwicklung zur Weltmacht heran.
Ohne die Fehler, die unsere politisch-diplomatische Leitung im furchtbaren Juli¬
monat 1914 beging, als sie unseren Feinden die Flanke zum Angriff bot und
das friedliche deutsche Volk in den entsetzlichsten aller Kriege hineingleiten ließ,
hätten wir diesen sicheren Weg noch lange wandeln können) mindestens so lange,
Wie es nötig war, um den Weltfrieden nach menschlichem Ermessen durch unsere
endgültig erreichte militärische Sicherung dauernd ^u konsolidieren. Es waren
dazu nur noch wenige Jahre erforderlich. Es ist nicht zu viel behauptet, daß
ein Diplomat von normaler Begabung im Juli 1914 die Krisis hätte beschwören
können, und daß wir dann durch die Vollendung unserer Schutzwehr zu Wasser
und zu Lande das sicherste Unterpfand dauernden Friedens gewonnen hätten.




Deutschland und England

Machtsphäre sich durch diesen Krieg zum eigentlichen Beherrscher der Welt gemacht
hat. Und dabei ist nicht aus dem Auge zu lassen, daß Deutschland, damals der
große Handelsrivale Englands, die stärkste Festlandsmacht, seine eigene Wohlfahrt
in viel höherem Grade dem englischen Neid ausgesetzt sah als das für England
weit weniger unbequeme Frankreich, und trotzdem hat sich England auch gegen¬
über Frankreich erst am 4. August Z914 fest gebunden. Es ist mehr als zweifel¬
haft, daß wir vor dem Beginn des großen Krieges von England wirklich bindende
und unwiderrufliche Verpflichtungen erhalten haben würden, wenn wir uns in
eine Entente mit England begeben hätten. Gewiß zeigt die englische Politik nicht
nur die Härte der römischen, sondern sie benimmt sich auch wie ein großes, gut geleitetes
Handelshaus, das, um den alten Vorwurf des „perfiden Albion" zu widerlegen,
ein gewisses Maß von Loyalität gegen seine Freunde anwendet. Wie gering
dieses Maß aber gerade gegenüber deutschen Mächten war, das hatten wir in
früheren Perioden unserer Geschichte, im siebenjährigen Kriege wie nach den
Befreiungskriegen eindrücklich erlebt. England hätte auch als unser Verbündeter
die Eindämmung des mit Naturgewalt fühlbaren deutschen Wachstums in der
Weltwirtschaft als Ziel im Auge behalten. Es hätte uns aber als Verbündeter
in der Hand gehabt, unseren Flottenbau und unseren Welthandel nach Belieben
hemmen und uns jederzeit seine Gesetze vorschreiben können, da wir dann auf
dem Festland weit vereinsamter dagestanden hätten, als dies, trotz der Ein-
kreisungspolitik, bis zum Juli 1914 der Fall gewesen ist.

Indes ist diese ganze Überlegung ziemlich hypothetischer Art, da die
englische Regierung den ernstlichen Willen zu einem Bündnis gar nie bekundet
hat und die historische Betrachtung niemals außer acht lassen sollte, daß
Chamberlain als Vater des Burenkricges bei diesen ganzen Verhandlungen im
wesentlichen seine eigene Politik, die persönliche Politik eines einzelnen Kabinetts¬
mitgliedes, getrieben hat. Man hört gelegentlich, die nachbismarckische Politik
hätte uns zwischen zwei Stühle gesetzt. Richtiger wäre es zu sagen, wir gingen
die goldene Mittelstraße und vermieden die Scylla wie die Charybdis. Da dem
deutschen Volk den Frieden zu erhalten unser vornehmstes Ziel war, so ließen
wir uns weder von Frankreich und Nußland gegen England vorschieben, noch
umgekehrt. Dabei wuchsen wir in natürlicher Entwicklung zur Weltmacht heran.
Ohne die Fehler, die unsere politisch-diplomatische Leitung im furchtbaren Juli¬
monat 1914 beging, als sie unseren Feinden die Flanke zum Angriff bot und
das friedliche deutsche Volk in den entsetzlichsten aller Kriege hineingleiten ließ,
hätten wir diesen sicheren Weg noch lange wandeln können) mindestens so lange,
Wie es nötig war, um den Weltfrieden nach menschlichem Ermessen durch unsere
endgültig erreichte militärische Sicherung dauernd ^u konsolidieren. Es waren
dazu nur noch wenige Jahre erforderlich. Es ist nicht zu viel behauptet, daß
ein Diplomat von normaler Begabung im Juli 1914 die Krisis hätte beschwören
können, und daß wir dann durch die Vollendung unserer Schutzwehr zu Wasser
und zu Lande das sicherste Unterpfand dauernden Friedens gewonnen hätten.




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[0022] Deutschland und England Machtsphäre sich durch diesen Krieg zum eigentlichen Beherrscher der Welt gemacht hat. Und dabei ist nicht aus dem Auge zu lassen, daß Deutschland, damals der große Handelsrivale Englands, die stärkste Festlandsmacht, seine eigene Wohlfahrt in viel höherem Grade dem englischen Neid ausgesetzt sah als das für England weit weniger unbequeme Frankreich, und trotzdem hat sich England auch gegen¬ über Frankreich erst am 4. August Z914 fest gebunden. Es ist mehr als zweifel¬ haft, daß wir vor dem Beginn des großen Krieges von England wirklich bindende und unwiderrufliche Verpflichtungen erhalten haben würden, wenn wir uns in eine Entente mit England begeben hätten. Gewiß zeigt die englische Politik nicht nur die Härte der römischen, sondern sie benimmt sich auch wie ein großes, gut geleitetes Handelshaus, das, um den alten Vorwurf des „perfiden Albion" zu widerlegen, ein gewisses Maß von Loyalität gegen seine Freunde anwendet. Wie gering dieses Maß aber gerade gegenüber deutschen Mächten war, das hatten wir in früheren Perioden unserer Geschichte, im siebenjährigen Kriege wie nach den Befreiungskriegen eindrücklich erlebt. England hätte auch als unser Verbündeter die Eindämmung des mit Naturgewalt fühlbaren deutschen Wachstums in der Weltwirtschaft als Ziel im Auge behalten. Es hätte uns aber als Verbündeter in der Hand gehabt, unseren Flottenbau und unseren Welthandel nach Belieben hemmen und uns jederzeit seine Gesetze vorschreiben können, da wir dann auf dem Festland weit vereinsamter dagestanden hätten, als dies, trotz der Ein- kreisungspolitik, bis zum Juli 1914 der Fall gewesen ist. Indes ist diese ganze Überlegung ziemlich hypothetischer Art, da die englische Regierung den ernstlichen Willen zu einem Bündnis gar nie bekundet hat und die historische Betrachtung niemals außer acht lassen sollte, daß Chamberlain als Vater des Burenkricges bei diesen ganzen Verhandlungen im wesentlichen seine eigene Politik, die persönliche Politik eines einzelnen Kabinetts¬ mitgliedes, getrieben hat. Man hört gelegentlich, die nachbismarckische Politik hätte uns zwischen zwei Stühle gesetzt. Richtiger wäre es zu sagen, wir gingen die goldene Mittelstraße und vermieden die Scylla wie die Charybdis. Da dem deutschen Volk den Frieden zu erhalten unser vornehmstes Ziel war, so ließen wir uns weder von Frankreich und Nußland gegen England vorschieben, noch umgekehrt. Dabei wuchsen wir in natürlicher Entwicklung zur Weltmacht heran. Ohne die Fehler, die unsere politisch-diplomatische Leitung im furchtbaren Juli¬ monat 1914 beging, als sie unseren Feinden die Flanke zum Angriff bot und das friedliche deutsche Volk in den entsetzlichsten aller Kriege hineingleiten ließ, hätten wir diesen sicheren Weg noch lange wandeln können) mindestens so lange, Wie es nötig war, um den Weltfrieden nach menschlichem Ermessen durch unsere endgültig erreichte militärische Sicherung dauernd ^u konsolidieren. Es waren dazu nur noch wenige Jahre erforderlich. Es ist nicht zu viel behauptet, daß ein Diplomat von normaler Begabung im Juli 1914 die Krisis hätte beschwören können, und daß wir dann durch die Vollendung unserer Schutzwehr zu Wasser und zu Lande das sicherste Unterpfand dauernden Friedens gewonnen hätten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/22>, abgerufen am 22.07.2024.