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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Die französische Polenpolitik seit dein Waffenstillstand

Die französische Polenpolitik seit dem Waffenstillstand
L. Rüge von

in 8. Februar konnte man im Petit Journal einen kleinen, aber
sehr instruktiven Aussatz lesen mit der emphatischen Überschrift:
"lÄrlous av I-r ?oioZmz", aus dem wir erfahren, daß am 5> Februar
in den französischen Schulen aller Gattungen eine besondere Stunde
über Polen eingelegt worden ist. Der Versasser schildert uns eine
solche tepor, der er selbst beigewohnt hat, in der begeistert von dem Heroismus der
Polen gesprochen worden sei, von 1792 und 93, von 1830, auch von der Dankbar¬
keit Frankreichs gegen Polen/ er unterläßt aber auch nicht zu erzählen, daß die
Kinder, die er selbst über das Gehörte befragt habe, sehr wenig von all dem
Vorgetragenen verstanden hätten,- ein zehnjähriger Junge habe sogar nicht einmal
etwas von der polnischen Schapka gewußt! Der Berichterstatter fügt hinzu, es
sei besonders dankenswert, daß der Minister die kostenlose Verteilung der kurzen
Broschüre über "Polen und Frankreich", die das polnische Pariser Komitee heraus¬
gegeben hat, an französische Schüler zugelassen hat.

Früher, zur Zeit der LntWts cvräials, gab es für Frankreich natürlich
keine Polenpolitik in der Schule. Heute, wo alle ehemaligen Sympathien Frank¬
reichs für das unterdrückte Polen zusammengeflossen sind mit dem Haß Polens
gegen Deutschland, gibt es wieder eine aktive französische Polenpolitik mit positiven
Zielen. Der Zusammenbruch Rußlands und die dadurch eintretende Entlastung
Deutschlands im Osten zwang Frankreich zu einer aktiven Politik Polen gegen¬
über. Die allgemeine Entwicklung Deutschlands im vergangenen Jahre, besonders
die günstigen Abstimmungsergebnisse in Westpreußen, nicht weniger die drohende
bolschewistische Gefahr drängte das offizielle Frankreich zu immer aktiverer Polen¬
politik. Nicht durch Worte, nicht durch Paragraphen, so sagte Clömeneeau einmal,
könne ein neuer Staat konstituiert werden, sondern nur durch Handlungen,' man
müsse an die Zukunft Polens glauben, wie der Pole selbst an die Zukunft seiner
Rasse glaube, man müsse es schon um der französischen Interessen willen! Man
wurde nicht müde zu erklären, daß diese französischen Interessen an Polen Lebens¬
interessen des französischen Volkes seien. Selbst sozialistische Kreise forderten einen
starken polnischen Staat als Gegengewicht gegen das ihnen noch immer reaktionär
erscheinende Deutschland. Daß es bei alledem Frankreich nicht so sehr auf ein
wirklich freies Polen ankommt, sondern nur auf die brutale Vertretung der
eigenen Interessen, ist nicht schwer zu zeigen.

Die Rolle, die Frankreich Polen zugedacht hat, schildert uns Keynes treffend
in seinen "Wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrags" (S. 238): "Polen soll
stark, katholisch, militaristisch und treu sein, der Genosse oder wenigstens der
Liebling des siegreichen Frankreichs, glücklich und prächtig zwischen der Asche
Rußlands und den Trümmern Deutschlands." Vor allen Dingen soll das ideale
Polen, wie Frankreich es sich denkt, ein antideutscher Staat sein. All seinen
eigenen Haß gegen Deutschland sucht das offizielle Frankreich den Freunden an
der Weichsel einzuimpfen und findet dort gewiß viele, die dieses Gift gern in sich
aufnehmen. Auch hat man in Paris ein zu feines Organ für die Auswertung
politischer Tatsachen, um nicht alle nutzbaren deutschen Torheiten aufzuspüren und,


Die französische Polenpolitik seit dein Waffenstillstand

Die französische Polenpolitik seit dem Waffenstillstand
L. Rüge von

in 8. Februar konnte man im Petit Journal einen kleinen, aber
sehr instruktiven Aussatz lesen mit der emphatischen Überschrift:
„lÄrlous av I-r ?oioZmz", aus dem wir erfahren, daß am 5> Februar
in den französischen Schulen aller Gattungen eine besondere Stunde
über Polen eingelegt worden ist. Der Versasser schildert uns eine
solche tepor, der er selbst beigewohnt hat, in der begeistert von dem Heroismus der
Polen gesprochen worden sei, von 1792 und 93, von 1830, auch von der Dankbar¬
keit Frankreichs gegen Polen/ er unterläßt aber auch nicht zu erzählen, daß die
Kinder, die er selbst über das Gehörte befragt habe, sehr wenig von all dem
Vorgetragenen verstanden hätten,- ein zehnjähriger Junge habe sogar nicht einmal
etwas von der polnischen Schapka gewußt! Der Berichterstatter fügt hinzu, es
sei besonders dankenswert, daß der Minister die kostenlose Verteilung der kurzen
Broschüre über „Polen und Frankreich", die das polnische Pariser Komitee heraus¬
gegeben hat, an französische Schüler zugelassen hat.

Früher, zur Zeit der LntWts cvräials, gab es für Frankreich natürlich
keine Polenpolitik in der Schule. Heute, wo alle ehemaligen Sympathien Frank¬
reichs für das unterdrückte Polen zusammengeflossen sind mit dem Haß Polens
gegen Deutschland, gibt es wieder eine aktive französische Polenpolitik mit positiven
Zielen. Der Zusammenbruch Rußlands und die dadurch eintretende Entlastung
Deutschlands im Osten zwang Frankreich zu einer aktiven Politik Polen gegen¬
über. Die allgemeine Entwicklung Deutschlands im vergangenen Jahre, besonders
die günstigen Abstimmungsergebnisse in Westpreußen, nicht weniger die drohende
bolschewistische Gefahr drängte das offizielle Frankreich zu immer aktiverer Polen¬
politik. Nicht durch Worte, nicht durch Paragraphen, so sagte Clömeneeau einmal,
könne ein neuer Staat konstituiert werden, sondern nur durch Handlungen,' man
müsse an die Zukunft Polens glauben, wie der Pole selbst an die Zukunft seiner
Rasse glaube, man müsse es schon um der französischen Interessen willen! Man
wurde nicht müde zu erklären, daß diese französischen Interessen an Polen Lebens¬
interessen des französischen Volkes seien. Selbst sozialistische Kreise forderten einen
starken polnischen Staat als Gegengewicht gegen das ihnen noch immer reaktionär
erscheinende Deutschland. Daß es bei alledem Frankreich nicht so sehr auf ein
wirklich freies Polen ankommt, sondern nur auf die brutale Vertretung der
eigenen Interessen, ist nicht schwer zu zeigen.

Die Rolle, die Frankreich Polen zugedacht hat, schildert uns Keynes treffend
in seinen „Wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrags" (S. 238): „Polen soll
stark, katholisch, militaristisch und treu sein, der Genosse oder wenigstens der
Liebling des siegreichen Frankreichs, glücklich und prächtig zwischen der Asche
Rußlands und den Trümmern Deutschlands." Vor allen Dingen soll das ideale
Polen, wie Frankreich es sich denkt, ein antideutscher Staat sein. All seinen
eigenen Haß gegen Deutschland sucht das offizielle Frankreich den Freunden an
der Weichsel einzuimpfen und findet dort gewiß viele, die dieses Gift gern in sich
aufnehmen. Auch hat man in Paris ein zu feines Organ für die Auswertung
politischer Tatsachen, um nicht alle nutzbaren deutschen Torheiten aufzuspüren und,


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[0174] Die französische Polenpolitik seit dein Waffenstillstand Die französische Polenpolitik seit dem Waffenstillstand L. Rüge von in 8. Februar konnte man im Petit Journal einen kleinen, aber sehr instruktiven Aussatz lesen mit der emphatischen Überschrift: „lÄrlous av I-r ?oioZmz", aus dem wir erfahren, daß am 5> Februar in den französischen Schulen aller Gattungen eine besondere Stunde über Polen eingelegt worden ist. Der Versasser schildert uns eine solche tepor, der er selbst beigewohnt hat, in der begeistert von dem Heroismus der Polen gesprochen worden sei, von 1792 und 93, von 1830, auch von der Dankbar¬ keit Frankreichs gegen Polen/ er unterläßt aber auch nicht zu erzählen, daß die Kinder, die er selbst über das Gehörte befragt habe, sehr wenig von all dem Vorgetragenen verstanden hätten,- ein zehnjähriger Junge habe sogar nicht einmal etwas von der polnischen Schapka gewußt! Der Berichterstatter fügt hinzu, es sei besonders dankenswert, daß der Minister die kostenlose Verteilung der kurzen Broschüre über „Polen und Frankreich", die das polnische Pariser Komitee heraus¬ gegeben hat, an französische Schüler zugelassen hat. Früher, zur Zeit der LntWts cvräials, gab es für Frankreich natürlich keine Polenpolitik in der Schule. Heute, wo alle ehemaligen Sympathien Frank¬ reichs für das unterdrückte Polen zusammengeflossen sind mit dem Haß Polens gegen Deutschland, gibt es wieder eine aktive französische Polenpolitik mit positiven Zielen. Der Zusammenbruch Rußlands und die dadurch eintretende Entlastung Deutschlands im Osten zwang Frankreich zu einer aktiven Politik Polen gegen¬ über. Die allgemeine Entwicklung Deutschlands im vergangenen Jahre, besonders die günstigen Abstimmungsergebnisse in Westpreußen, nicht weniger die drohende bolschewistische Gefahr drängte das offizielle Frankreich zu immer aktiverer Polen¬ politik. Nicht durch Worte, nicht durch Paragraphen, so sagte Clömeneeau einmal, könne ein neuer Staat konstituiert werden, sondern nur durch Handlungen,' man müsse an die Zukunft Polens glauben, wie der Pole selbst an die Zukunft seiner Rasse glaube, man müsse es schon um der französischen Interessen willen! Man wurde nicht müde zu erklären, daß diese französischen Interessen an Polen Lebens¬ interessen des französischen Volkes seien. Selbst sozialistische Kreise forderten einen starken polnischen Staat als Gegengewicht gegen das ihnen noch immer reaktionär erscheinende Deutschland. Daß es bei alledem Frankreich nicht so sehr auf ein wirklich freies Polen ankommt, sondern nur auf die brutale Vertretung der eigenen Interessen, ist nicht schwer zu zeigen. Die Rolle, die Frankreich Polen zugedacht hat, schildert uns Keynes treffend in seinen „Wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrags" (S. 238): „Polen soll stark, katholisch, militaristisch und treu sein, der Genosse oder wenigstens der Liebling des siegreichen Frankreichs, glücklich und prächtig zwischen der Asche Rußlands und den Trümmern Deutschlands." Vor allen Dingen soll das ideale Polen, wie Frankreich es sich denkt, ein antideutscher Staat sein. All seinen eigenen Haß gegen Deutschland sucht das offizielle Frankreich den Freunden an der Weichsel einzuimpfen und findet dort gewiß viele, die dieses Gift gern in sich aufnehmen. Auch hat man in Paris ein zu feines Organ für die Auswertung politischer Tatsachen, um nicht alle nutzbaren deutschen Torheiten aufzuspüren und,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/174>, abgerufen am 27.11.2024.